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Kaspi-Gaspipeline contra "Nabucco"

Der praktische Wert des Kaspi-Projektes liegt auf der Ebene der globalen Strategie

Von Igor Tomberg *

Das Ende des scheidenden Jahres war für Russland, das seine führende Stellung im Öl- und Gashandel behaupten musste, recht erfolgreich.

Am 20. Dezember unterzeichneten Russland, Kasachstan und Turkmenien ein Abkommen über den Bau einer Gasrohrleitung im Kaspiraum. Am Vortag kam während des Moskau-Besuchs des griechischen Ministerpräsidenten der Vertrag über die Gründung einer Gesellschaft zustande, die die technische Projektierung der Ölpipeline Burgas - Alexandroupolis übernimmt. Die Unterzeichnung des Abkommens über die Kaspi-Gasleitung fand im Kreml nach Verhandlungen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew statt.

Der Plan des Projektes sieht vor, 2009 - 2010 die alte Rohrleitung "Mittelasien - Zentrum" vom turkmenischen Begdasch bis zum kasachischen Bejneu zu rekonstruieren. Die Durchlasskapazität soll 10 Milliarden Kubikmeter im Jahr betragen. Die zweite Etappe ist der 2010 - 2017 vorzunehmende Bau einer neuen Gasrohrleitung bis Alexandrow Gai an der russisch-kasachischen Grenze mit einer Durchlassfähigkeit von 20 Milliarden Kubikmetern im Jahr. Im Ergebnis soll ein Kaspi-Gasleitungssystem mit einer Durchlassfähigkeit von 30 Milliarden Kubikmetern Gas im Jahr geschaffen werden.

Wie der russische Industrie- und Energieminister Viktor Christenko behauptet, wird der Bau der Kaspi-Gasleitung bis 2010 abgeschlossen sein. Hierbei hat jede Seite ihre Investitionen selbstständig vorzunehmen. "Eine Basisbedingung besteht darin, dass jede Seite an ihrem Abschnitt des Bauvorhabens selbstständig arbeitet. Der turkmenische Abschnitt ist 300 Kilometer und der kasachische 1500 Kilometer lang. Russland hat den kürzesten Abschnitt, einige Dutzend Kilometer, dort ist ein Knotenpunkt vorgesehen", präzisierte Christenko. Früher wurde mitgeteilt, dass der vermutliche Wert des Baus rund eine Milliarde Dollar beträgt. Das Abkommen ist bis Ende 2028 ausgelegt und kann darauf jedes folgende Jahr automatisch verlängert werden.

Bemerkenswert an den am 20. Dezember unterzeichneten Abkommen ist, dass anstatt der ursprünglich geplanten 30 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr über die Abzweigung im Kaspi-Raum nur 20 Milliarden Kubikmeter transportiert werden sollen. Zudem enthält das Dokument keine strikten Garantien für den Gaszustrom zur neuen Gasleitung. Sowohl Turkmenien als auch Kasachstan haben durch die Unterzeichnung des Abkommens die Verpflichtung übernommen, für das Kaspi-Rohr bis zu je 10 Milliarden Kubikmeter im Jahr zu liefern.

Experten finden sowohl politische als auch rein ressourcenmäßige Gründe für die Erklärung dieses Umstandes. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Turkmenien bei der Diversifizierung der Lieferwege freie Hand oder zumindest die Möglichkeit behalten will, weitere Verhandlungen über die Kaspi-Gasleitung zu führen. Im Übrigen ist dies ein zweischneidiges Schwert. Bisher beschränkte Usbekistan den Transit von turkmenischem Gas, um den eigenen Export für die Gasleitung "Mittelasien - Zentrum" vergrößern zu können. Nicht von ungefähr erklärte der turkmenische Präsident G. Berdymuchammedow kurz vor dem 20. Dezember, er wolle eine UNO-Resolution zur Unterstützung der Sicherheit der internationalen Energieträgerwege durchsetzen. In denselben Tagen rief er den usbekischen Präsidenten Islam Karimow an, um mit ihm das Thema eines störungsfreien Transits zu besprechen. Das zeitliche Zusammenfallen dieser Ereignisse mit der Unterzeichnung des Abkommens über die Kaspi-Gasleitung ist keineswegs zufällig. Aschchabad signalisiert Moskau: Das Vorankommen des erwähnten Systems ist mit der Gewährung von Garantien verknüpft, dass die Erweiterung der Rohrleitung "Mittelasien - Zentrum" durch die Lieferungszunahme nicht von usbekischem, sondern von turkmenischem Gas erfolgen wird. Falls Russland Taschkent den Vorrang gebe, so könne die UNO-Resolution einen Impuls zum Bau einer Transkaspischen Gasleitung geben, was Moskau befürchtet. In Aschchabad begreift man, dass gerade die Entwicklung von "Mittelasien - Zentrum" als die realste Variante für den Zuwachs des Exports aus Turkmenistan nach Russland erscheint. Aber trotzdem ist die turkmenische Führung sehr daran interessiert, eine vom benachbarten Usbekistan unabhängige Gastransportleitung in westlicher Richtung zu haben, und das wäre die transkaspische Strecke.

Es gibt auch einen realeren Grund: die Ressourcen selbst. Es ist nicht sicher, ob Turkmenien und Kasachstan die für die Auslastung der neuen Rohrleitung erforderlichen Gasmengen haben. Die mit der Realisierung des Projektes betrauten Gesellschaften - Gasprom, "Kasmunaigas" und "Turkmengas" - sollen erst zusätzliche Abkommen darüber unterzeichnen, dass die Gasförderpläne mit der Entwicklung der Gastransportkapazitäten längs der Kaspiküste synchronisiert werden. "Wir rechnen damit, dass die Inbetriebnahme spätestens Ende 2010 geschieht", erläuterte Christenko für die Journalisten. Das sieht sehr nach einem weiteren terminmäßig wenig realen Plan aus.

Die wichtigsten aussichtsreichen Gaslieferanten seitens Turkmeniens sind die malaysische Petronas, Burren Energy (Großbritannien) und Dragon Oil (Dubai). Alle zusammen können sie für die Auffüllung von "Mittelasien - Zentrum 3" im Jahre 2010 5 bis 6 Milliarden und 2011 weitere 8 bis 9 Milliarden Kubikmeter Gas liefern. Erst ab 2012 werden sie die Durchlassfähigkeit der wiederhergestellten Rohrleitung um 2 bis 3 Milliarden im Jahr überbieten. Es ist sehr zweifelhaft, dass dieser Überschuss zum Bau einer neuen Kaspi-Gasleitung veranlassen könnte. Um 2017 wird die Gasförderung der drei genannten Gesellschaften abnehmen.

Für die Inbetriebnahme der neuen Gasleitung, die rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich durchpumpen kann, ist es notwendig, im turkmenischen und im kasachischen Sektor des Kaspi-Raums eine neue Ressourcenbasis vorzubereiten. Die Verhandlungen über die Beteiligung von russischen Gesellschaften (vor allem von LUKoil und Gasprom) an der Gaserkundung und -förderung in Turkmenien sind im vollen Gange, aber mit der industriemäßigen Gasförderung 2010 zu beginnen ist nicht real. Die Situation mit Kasachstan ist ebenfalls nicht einfach: Das Abkommen über die gemeinsame Erschließung des großen Gasvorkommens "Kurmangasy" liegt vor, aber bis zur Realisierung des Projektes ist es ein noch weiterer Weg als im Fall Turkmenien.

Es ist Moskau gelungen, bei der Promotion seiner Interessen als Gaslieferant für die europäischen Länder einen beträchtlichen Erfolg zu erreichen. Der praktische Wert des Kaspi-Projektes liegt heute eher auf der Ebene der globalen Strategie. Wichtig ist, dass die mittelasiatischen Gasströme nicht unter Umgehung Russlands über die alternative Transkaspische Gasleitung aus Turkmenien nach Aserbaidschan und weiter über "Nabucco" gehen werden. Dazu wird das Gas einfach nicht reichen. Nicht von ungefähr nannte André Mernier, Generalsekretär des Sekretariats der Energie-Charta der Europäischen Union, das "Nabucco"-Projekt ehrlich ein "totgeborenes Kind".

Etwas Anderes ist, dass Russland nach dem Sieg im Gasleitungsspiel gegen Europa gezwungen war, Kasachstan und Turkmenien Zugeständnisse zu machen. Turkmenien stimmte dem Bau der Kaspi-Gasleitung zu, worauf es seinen Gaspreis zuerst von 100 Dollar im Jahre 2007 auf 130 Dollar im ersten Halbjahr und auf 150 Dollar im zweiten Halbjahr 2008 erhöhte. Und Gasprom ging darauf ein. Bald nach der Anhebung der turkmenischen Gaspreise gab auch Usbekistan seine gewachsenen Preisansprüche bekannt, da es aber im Projekt der Kaspi-Gasleitung vorläufig eine unbedeutende Rolle spielt, hat dieses Land seine Preiserhöhung bisher nicht durchgesetzt.

Kasachisches Gas ist schon jetzt teurer als turkmenisches und beträgt 165 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Es ist nicht auszuschließen, dass die Preise für kasachisches Gas ebenso wie auch die Tarife für den Gastransport über das Territorium von Kasachstan erhöht werden. Beim Treffen der Präsidenten vom 20. Dezember wurde die Erhöhung des Transittarifs von turkmenischem und usbekischem Gas auf dem Territorium Kasachstans von 1,1 Dollar auf 1,5 bis 1,85 Dollar für das Durchpumpen von 1000 Kubikmeter je 100 Kilometer erörtert. Kasachstan hat bereits die Forderung gestellt, 2008 den Preis für sein Gas bis auf 190 Dollar zu erhöhen. Vorläufig ist unbekannt, ob es den kasachischen Unterhändlern gelungen ist, die Befriedigung ihrer Forderungen zu erreichen. Aber das ist praktisch unvermeidlich: Das ist der Preis des für Russland vorteilhaften Kaspi-Projekts. Auch die Rentabilität der Lieferungen von Gasprom an die Europäische Union ermöglicht es durchaus, die Preiserhöhung für das kasachische Gas zu akzeptieren, da dessen Mengen im gesamten Strom nicht kritisch sind.

Vorläufig interessieren Astana eher Russlands Zugeständnisse im Bereich des Öltransports. Schon hat Kasachstan seine Beteiligung an der Auffüllung der Ölleitung Burgas - Alexandroupolis mit Moskau vereinbart. Nasarbajew schlug vor, die Exportmöglichkeiten von kasachischem Erdöl über die Ölleitung Atyrau - Samara (von 10 Millionen auf bis zu 20 Millionen Tonnen im Jahr) zu erhöhen. Außerdem schlägt Kasachstan vor, das Projekt des Kaspischen Pipelinekonsortiums (KPK) bis auf 67 Millionen Tonnen Erdöl zu erweitern. Hierbei garantiert Kasachstan die Lieferung der erforderlichen zusätzlichen 17 Millionen Tonnen Erdöl. Das ist vereinbart worden.

Und dennoch: Bei aller Wichtigkeit des am 20. Dezember unterzeichneten Dokuments über die praktische Umsetzung des Abkommens über den Bau der Kaspi-Gasleitung bedeutet die Realisierung seiner Ziele nicht, dass "das große Erdöl- und Gasspiel" in den Weiten Eurasiens zu Ende sei. Die drastische Preiserhöhung für Erdöl und Gas auf dem Weltmarkt weckt ein immer größeres Interesse für die Staaten Zentralasiens, genauer, für ihre Erdöl- und Gasvorräte. Wenn die Länder der Region so starke Trümpfe in die Hand bekommen, ist es kaum zu erwarten, dass sie sie nicht auch ausspielen werden.

Es gibt ferner einen anderen Kontext der "Zugeständnisse" von Moskau an seine mittelasiatischen Partner. Das Kaspi-Gasleitungssystem wird es erlauben, die gegenseitige Verbindung der Wirtschaften Russlands und der zentralasiatischen Länder zu erweitern. Genauso ist die Zustimmung zur Erweiterung der KPK-Kapazität für die zusätzlichen Mengen von kasachischem Öl kein Zugeständnis von Moskau, sondern ein Beispiel der gegenseitigen Abstimmung der Interessen von Russland und Kasachstan. Die alternativen Wege der Brennstofflieferungen unter Umgehung Russlands werden auch weiter ein Vorwand zum Feilschen sein. Doch als reale Gefahr für Russlands Transportinteressen wird ihre Bedeutung immer zweifelhafter.

* Zum Verfasser: Dr. oec. Igor Tomberg ist führender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Energieforschungen am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 29. Dezember 2007; http://de.rian.ru



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