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Garant für Frieden?

Energiewende – wie sie sich Gero Jenner wünscht

Von Klaus Steinitz *

Die Literatur zu Problemen und Bedingungen einer auch perspektivisch gesicherten Bereitstellung von Energie für alle Menschen der Erde ist fast unübersehbar geworden. Trotzdem oder gerade deswegen verdient das Buch des Asienwissenschaftlers und Soziologen Gero Jenner »Energiewende« besondere Beachtung. Auch wenn man nicht allen Wertungen und Schlussfolgerungen des Autors zustimmt, ist die Lektüre sehr informativ und anregend.

Ihr Wert liegt auch darin, dass sie den weiterhin dringlichen Diskurs über die energetische Zukunft, die zu beschreitenden Wege nachhaltiger Energiesicherung, ihre Voraussetzungen und ihre Wirkungen, stimulieren und befruchten kann. Jenner behandelt die Energieproblematik immer im Kontext mit der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und militärischen Entwicklung sowie mit den historischen Veränderungen in den verschiedenen Entwicklungsstadien der Menschheit und der einzelnen Länder. Im Vordergrund stehen dabei die spezifischen Probleme und Zusammenhänge der Globalisierung sowie die ökonomischen und sozialen Perspektiven in Deutschland und anderen Industriestaaten. Die Untersuchungen zur Globalisierung betreffen vor allem die sich verschärfende Konkurrenz um den Zugang zu den Energieressourcen, wobei der Einsatz militärischer Mittel seitens der USA und auch der EU eine ständig zunehmende Rolle spielt, und die Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländer zu den Industrieländern.

Zur Politik militärischer Drohungen heißt es: »Kaum geboren ist das militärische Projekt zu einem absurden Spiel mit dem Feuer geworden. An der Zukunft der Rohstoffversorgung kann es nichts ändern. Sehr wohl aber könnte unser aller Zukunft in kommenden Ressourcenkriegen eine tödliche Bedrohung erfahren.« Problematisch erscheint mir jedoch die Feststellung zu sein: »Wir sollten eingestehen, dass die militärische Option unabwendbar ist, solange uns die Befreiung aus der fossilen Abhängigkeit nicht gelingt.«

Bezeichnend für die verheerenden Auswirkungen der imperialistischen Politik zur Sicherung von Energieressourcen ist die Feststellung Jenners: In vielen »afrikanischen Ländern mit bedeutenden Rohstoffvorkommen herrscht nahezu ununterbrochen Krieg. Für schwache Staaten gibt es heute kein größeres Unglück, als im Besitz wichtiger Ressourcen zu sein.« Den historischen Hintergrund für Veränderungen in der Energiesicherung bilden drei Entwicklungsstadien der Industrialisierung, die Jenner (1.) als »Schwellenzeit« und auch als »Ausbeutungszeit«, (2.) als »Verteilungs- oder Sozialstaatsphase« und (3.) positiv als »Dienstleistungsphase« und negativ als »Ausverkaufsphase«, in der sich Deutschland und andere Industriestaaten gegenwärtig befinden, bezeichnet. Solange Deutschland in die Globalisierung einbezogen ist, sieht Jenner, unter dem Aspekt der Billigkonkurrenz mit den asiatischen und anderen Staaten, den industriellen Ausverkauf Deutschlands sowie die Senkung der Löhne und Sozialstandards als zwangsläufig an. Einer solchen Einschätzung liegt, wie auch die Erhöhung der deutschen Exportüberschüsse zeigt, eine der Realität widersprechende Überbetonung der Rolle der Lohnkosten im Kampf um Exportmärkte zugrunde.

Jenner weist überzeugend nach, dass die solare Energiewende, weg von den fossilen, hin zu den nachwachsenden Rohstoffen, unverzichtbar ist. Die Frage ist, ob sie als ein langfristiges strategisches nationales Projekt geplant und umsichtig verwirklicht wird, woraus viele ökonomische und soziale Vorteile entspringen können, oder verspätet erzwungen wird, mit verheerenden ökonomischen und sozialen, Zerfalls- und Armutsfolgen. In dem Buch wird die Auffassung vertreten, dass die notwendige Energiewende und damit die energetische Selbstversorgung auf Grundlage eines solchen nationalen Projekts in zwei bis drei Jahrzehnten erreicht werden kann Etwa drei Viertel des jetzigen Bedarfs an fossilen und nuklearen Energieträgern könnten dann durch erneuerbare Quellen gedeckt werden. Jenner betrachtet diese Energiewende – in Verbindung mit einer beträchtlichen Erhöhung der Energieeffizienz – als einzige Möglichkeit nicht nur für eine perspektivisch nachhaltige Energiesicherung. Er sieht sie auch als eine Grundrichtung dafür an, dass sich Deutschland aus dem negativen Standortwettbewerb und der Exporterweiterung zur Energie- und Rohstoffsicherung befreien kann und eine stärkere Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen erreicht. Seine Feststellung, dass ein Staat, der die solare Wende vollzieht, aus dem Wettrennen der Nationen austritt, erscheint mir jedoch übertrieben zu sein.

Hervorzuheben ist, dass es Jenner gelingt, die auf Friedenssicherung gerichtete Dimension der Energiewende deutlich zu machen. »Der Solarstaat kann ohne Zugriff auf den Reichtum anderer Länder existieren. Von ihm geht keine Bedrohung für jene Staaten aus, die im Besitz von Rohstoffen sind.«

Gero Jenner: Energiewende. So sichern wir Deutschlands Zukunft. Propyläen, Berlin 2006. 251 S., geb., 19,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Oktober 2006


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