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Deutsche Traditionen: Jagd nach Öl

von Dietrich Eichholtz*



Öl spielte in den beiden Weltkriegen eine mitverursachende Rolle. Inzwischen ist seine wirtschaftliche Bedeutung ins Unermessliche gestiegen. Heute dreht sich das politische und Kriegskarussell in allererster Linie um Öl, wenn auch die hauptsächlich Beteiligten diesen Umstand nur zu gern verbergen. Der Grund: Die Ölvorräte der Welt gehen zu Ende. Die Verteilungskämpfe werden sich ohne Zweifel in ungeahnter Weise verschärfen.

Der Zweite Weltkrieg war ein vom deutschen Imperialismus unternommener Großversuch, die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in der Welt grundlegend zu verändern. Eines der wichtigsten deutschen Kriegsziele bestand darin, den Weltölreichtum zu deutschen Gunsten radikal neu zu verteilen.

Hitler war sich der Unterstützung der Kräfte des großen Kapitals sicher, und rüstete das Regime von Anfang an in beispielloser Weise auf. Die Ölkönige dieser Welt, nämlich die Herren des Standard-Oil- und des Royal-Dutch-Shell-Konzerns – ausnehmend rabiate Sowjetfeinde wie Henry Deterding und Walter Teagle – fanden sich ganz oben in der Liste der Nazifreunde und Förderer der deutschen Rüstung.

Öl als Kriegsmittel und Kriegsziel

Die Wehrmachtführung und die Reichsstelle für Wirtschaftsausbau errechneten 1939 die für den Krieg nötige Jahresmenge mit 24 Millionen t Öl, das waren mindestens 20 Millionen t mehr, als unter großen Anstrengungen aus den deutschen Erdölfeldern und den Synthesewerken herauszuholen war. Dieses entsprach aber auch in etwa der Menge, die im Kaukaus als damals größtem europäischen Erdölfeld gefördert wurde.

Die Wehrmacht stellt klare Forderungen: „1. Beherrschung der rumänischen Ölfelder und somit des gesamten Donauraums. 2. Durchführung der Besetzung unter Vorbedacht der Erhaltung und Betriebsfähigkeit der rumänischen Erdölindustrie. 3. Schutz der Transportwege, Erdölanlagen, Raffinerien und Tanklager.“ Sie plante außerdem die Besetzung der Förderstätten des estnischen Ölschiefers und der galizischen Ölfelder (Südostpolen) und „das größte und lohnendste Ziel: die Beherrschung des gewaltigsten Erdölgebietes Europas, Kaukasien.“

Für IG-Farben-Direktor Carl Krauch, Görings Gewährsmann und Vertrauten, bezifferte bereits den Materialbedarf für eine Pipeline über 2000 Kilometer von Ploiesti nach Regensburg. Er forderte, dass in eine „Großraumwehrwirtschaft unter deutscher Führung“ außer Südosteuropa auch Rußland und die Ukraine, der skandinavische „Nordraum“ und der Mittelmeerraum einbezogen würden; selbst der Iran müsse dazugehören. Das hatte Tradition. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten deutsche Banken und Industrieunternehmen Ölkonzessionen im Irak und im Osmanischen Reich und bauten die Bagdadbahn zu den dort zu hebenden Schätzen (siehe dazu den nachfolgenden Auszug aus der FAZ vom 27.5.06). Von 1916 bis 1918 eroberte das deutsche Heer die rumänischen Ölfelder. Und noch im Sommer 1918 standen deutsche Divisionen in der Nähe der Ölquellen des Kaukasus; General Erich Ludendorff war im Begriff, sie auf Baku marschieren zu lassen.

Der Traum vom Deutschen Erdölimperium

1940 träumten die deutschen Eroberer bereits von der Verwirklichung eines deutschen Erdölimperiums, das sich nach der Besetzung Frankreichs und der noch vorhandenen Perspektive eines Sieges über England ergeben hätte:
  1. das britische, niederländische und französische Eigentum an dem weitaus größten Teil der rumänischen Ölausbeute, das tatsächlich 1940/41 unter deutsche Kontrolle geriet
  2. die britischen und französischen Ölkonzessionen und Eigentumstitel im Irak (Iraq Petroleum Company, IPC)
  3. das britisch beherrschte Öl des Iran (Anglo-Iranian Oil Company, AIOC) und in Saudi-Arabien, Kuweit und Bahrein (Royal Dutch-Shell)
Arabische Politiker bereiteten im April 1941 einen antibritischen Aufstand im Irak vor und riefen die deutsche Regierung um Hilfe an. Darauf war die deutsche Seite nicht vorbereitet. Eine erhebliche Anzahl militärischer und ziviler „Berater“, Geheimdienstler usw. landeten Anfang Mai mit nur 20 kampffähigen Flugzeugen im Irak, wo die Briten schon ihre Luftstreitkräfte verstärkt und in Basra starke Truppenverbände angelandet hatten. Binnen vierzehn Tagen waren die deutschen Flugzeuge niedergekämpft und die übrigen Mitglieder der Militärmission jämmerlich aus dem Lande gejagt.

Kaukasus-Öl: die eigentliche Kriegswende

Hitler entschloss sich im Dezember 1940 für den Überfall auf die UdSSR. Die Heeresleitung hegte die Vorstellung, die Sowjetunion werde beim ersten starken Stoß zusammenbrechen. Das Fell des russischen Bären war schon verteilt, ehe die Wehrmacht überhaupt in die UdSSR einfiel. Letztes und höchstes Beuteziel blieb das Kaukasusöl. Zuerst fielen der Wehrmacht kleinere Ölvorkommen in Ostgalizien, Estland und der Ukraine in die Hand. Als im August weder Moskaus, Leningrads, Kiews, geschweige denn der Kaukasus eingenommen war, kam es zwischen Hitler und der Heeresleitung zum Streit: Während sich die Heeresleitung auf auf Moskau konzentrieren wollte, favorisierte Hitler auf Biegen und Brechen, noch vor dem Winter den Kaukasus und das rettende Öl zu erreichen und auch den Vorstoß in den Nahen Osten vorzubereiten.

Im Herbst 1941 begann die Katastrophe für die Wehrmacht. Es gab Rückschläge an der ganzen 3000 Kilometer langen Front von Murmansk und Leningrad bis zum Don und zur Krim. Am 28. November eroberten die sowjetischen Verteidiger die Stadt Rostow am Don, das Tor zum Kaukasus, zurück. Mitten im russischen Winter, am 5./6. Dezember, brach die sowjetische Gegenoffensive los, die die Deutschen vor Moskau 200 bis 300 Kilometer zurückwarf und sie auch vor Leningrad und im Süden der Front zum Rückzug zwang.

Doch Hitler und sein militärisches und ziviles Gefolge planten weiter den Vormarsch zum Irak und Iran, gar nach Indien. Dazu waren 1200 Kilometer bis Baku zu marschieren, von dort 800 Kilometer bis nach Mossul und Kirkuk und weitere 800 Kilometer bis zum Persischen Golf. In Nordafrika rechneten die Militärs mit Rommels Vorrücken über den Suez-Kanal in Richtung auf den Golf. Im Indischen Ozean würde man schließlich mit dem japanischen Bundesgenossen zusammentreffen.

Hitlers Nahost-Feldzug

Überraschend gelangte das deutsch-italienische Korps unter Rommel Ende Juni 1942 bis El Alamein, der letzten zur Verteidigung ausgebauten britischen Stellung vor Kairo und dem Suez-Kanal – 120 Kilometer vor Alexandria, 250 Kilometer vor dem britischen Middle-East-Hauptquartier in Kairo. Vor El Alamein aber, in der glutheißen Wüste, blieb das ausgepumpte Korps endgültig liegen. Hitler tönte euphorisch, jetzt müsse ganz Ägypten den Engländern entrissen werden und dann werde man, zugleich über den Kaukasus angreifend, „das ganze Orientgebäude des britischen Reiches zum Einsturz“ bringen.

Die Technische Brigade Mineralöl

Göring ließ einen gewaltigen militärisch-technischen Apparat unter seiner Oberleitung zusammenstellen, die sogenannte Technische Brigade Mineralöl (TBM), die später über 6000 deutsche Kräfte, Offiziere, Soldaten und zivile Fachkräfte, zählte und für die weitere 6000 sowjetische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene arbeiteten.

Bis Anfang August gerieten Rostow und das Kubangebiet in deutsche Hand. Am 9./10. August fiel Majkop. Aber das Ölrevier lag 50 bis 60 Kilometer südwestlich im urwaldähnlichen Kaukasus. Weder die deutschen Truppen noch die Öltrupps der TBM kamen gegen den unbeugsamen Widerstand der Roten Armee und die Partisanen voran.

Die Niederlage bei Stalingrad und die sowjetische Offensive in Richtung Rostow bedeutete das Ende des gesamten Kaukasus-Feldzuges. Als die Rote Armee im Dezember von Wolga und Don auf Rostow zustieß, wurde aus dem Rückzug eine Frage von Leben und Tod, sollte nicht die gesamte Heeresgruppe A ein ähnliches Schicksal erleiden wie die 6. Armee in Stalingrad. Der Rückzug gelang erst in letzter Minute. Mitte Januar begann die Räumung des Majkoper Ölreviers. Was zu zerstören war, wurde zerstört. Zehntausende Tonnen Material der TBM gingen verloren. Im August 1942 stieß das Gros der Heeresgruppe A weiter nach Osten vor, nach Grozny mit dem zweiten Ölrevier am Nordkaukasus. Hundert Kilometer vor Grozny blieben die Panzer stecken. Weder Grozny noch die Stadt Ordshonikidse (Vladikavkaz) wurden erreicht. Die Ölleute der TBM, insgesamt über 1500 Mann, zogen im Oktober erfolglos ab. Mehr als ein kleines Stück Ölfeld (Malgobek) bekamen sie nicht zu Gesicht. Von den unerreichbaren Hauptfeldern sahen sie nur Luftaufnahmen.

Rückzug auch aus Treibstoffmangel Grozny galt den Militärs im August 1942 nur als eine schnell zu überwindende Etappe auf dem Weg nach Baku und in den Nahen Osten. Der 1. Panzerarmee war befohlen, über Grozny zum Nachschubhafen Machackala, sodann weiter auf Baku vorzustoßen und später bis Tbilisi. Diese Pläne zerschlugen sich sämtlich nach kürzester Zeit, als es nicht gelang, den immer hartnäckigeren sowjetischen Widerstand vor Grozny und am Terek zu brechen. Wegen Treibstoffmangel musste ein ganzes Panzerkorps zugunsten anderer Teile der 1. Panzerarmee stillgelegt werden.

Von den vernichtenden Niederlagen in Stalingrad und am Kaukasus und der gleichzeitigen Vertreibung aus Ägypten erholte sich die Wehrmacht nicht mehr. Die berüchtigte „Zange“ war zerbrochen und damit auch der Krieg um Öl verloren. Die 1200 Kilometer lange Barriere des Kaukasus konnten die Deutschen an keiner Stelle überwinden. Keines der bedeutenden Ölfelder wurde erobert bzw. konnte wieder in produktiven Betrieb genommen werden. Kein einziger Pass über den Kaukasus war gehalten oder gar überschritten worden. Das Ufer des Kaspischen Meeres und die Küstenstraße und die Bahn nach Baku wurden nicht erreicht. Der Traum von der Erdölgroßmacht Deutschland war endgültig ausgeträumt.

Weitere Infos:
Eine ausführliche Abhandlung des Autors über das Thema ist im März 2006 im Leipziger Universitätsverlag erschienen unter dem Titel: Krieg um Öl. Ein Erdölimperium als deutsches Kriegsziel 1938 - 1943


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal Nr. 4, Juli/August 2006

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