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Ausnahmen beim Fracking

EU-Parlament will Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Bauprojekten ausweiten

Von Haidy Damm *

Mit 332 zu 311 Stimmen hat das EU-Parlament gestern einen Vorschlag für eine Reform der Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) angenommen. Das betrifft auch Schiefergas-Bohrungen. Greenpeace kritisiert »Verwässerungen«.

Die Abstimmung fiel knapp aus. Mit nur 21 Stimmen Mehrheit votierte das EU-Parlament einem Vorschlag des Berichterstatters Andrea Zanoni zu, die seit 25 Jahren bestehenden UVP-Richtlinien zu überarbeiten. Das Europaparlament will Bauprojekte künftig stärker auf ihre Folgen für die Natur prüfen lassen. Demnach müssten Unternehmen umfassend belegen, welche Folgen der Bau ihrer Brücken oder Fabriken für die Artenvielfalt und den Klimawandel hat.

In der Debatte am Dienstag stand allerdings ein Thema im Vordergrund: Sollen Schiefergasprojekte ebenfalls in allen Phasen auf ihre Umweltverträglichkeit überprüft werden? Im Ergebnis konnten Konservative und Liberale Ausnahmen für Bohrungen zur Vorbereitung von Fracking mit 335 zu 305 Stimmen durchsetzen.

Besonders konservative Abgeordnete aus Polen, Großbritannien und Deutschland hatten sich in der Aussprache vehement gegen UVP bei Schiefergasprojekten ausgesprochen. Eine Ausweitung sei »wachstumsschädigend«, sagte etwa der deutsche EU-Abgeordnete der Europäischen Volksparteien, Herbert Reul. Sein polnischer Parteikollege Konrad Szymanski sprach von einem »bürokratischen Alptraum«.

Der EU-Abgeordnete Paul Nuttall (»Europa der Freiheit und der Demokratie«) aus Großbritannien sieht die in seinem Land begonnenen Projekte in Gefahr. »Bei uns liegen die größten Schiefergasvorhaben in Europa, wir wollen damit einfach weitermachen«.

Die europäischen Sozialisten stimmten für die neuen Richtlinien. So warnte die belgische EU-Abgeordnete Kathleen van Brempt (Progressive Allianz der Sozialisten & Demokraten) vor unkritischen Vergleichen mit dem sogenannten Schiefergas-Boom in den USA. »Aus diesem Traum kann schnell ein Alptraum werden«. Ihr tschechischer Mitstreiter Pavel Poc sagte in Richtung der Konservativen: »Einige Kollegen hier scheinen eher die Interessen der großen Unternehmen schützen zu wollen als die der europäischen Bürger«.

Zanoni selbst wollte nicht von einer Entscheidung für oder gegen Fracking sprechen. Wasser sei zu wertvoll, um es in Gefahr zu bringen mit einer Technik wie Fracking, sagte er: »Alles was wir wollen ist eine Prüfung der Auswirkungen auf die Umwelt.« Nach der Abstimmung zeigte sich der italienische Abgeordnete zufrieden: »Wir werden diese wichtige Richtlinie bezüglich der neuen Prioritäten wie den Schutz der Biodiversität in Europa überarbeiten. Fracking weckt Befürchtungen. Wir legen daher klare Richtlinien vor, um Interessenskonflikte zu vermeiden und die Öffentlichkeit einzubeziehen.«

Als »Verwässerungen« kritisierte die Umweltorganisation Greenpeace die beschlossenen Ausnahmen: »Es ist enttäuschend, dass trotz der eindeutigen Mehrheit der Experten im Umweltausschuss sich nun Industriepolitiker durchsetzen«, sagte Julia Kerschbaumsteiner, Energiesprecherin von Greenpeace. Es dürfe keine finanziellen Anreize geben, »die Fracking in Europa erleichtern, sondern es braucht klare Bekenntnisse für die Energiewende, die ohne diese kaum erforschte und gefährliche Fördermethode auskommt«.

Im November vergangenen Jahres hatte das Parlament bereits zwei nicht-bindende Entschließungen zu den Auswirkungen der Schiefergasförderung auf Umwelt, Industrie und Energiewirtschaft verabschiedet. Als nächsten Schritt wird jetzt mit den Mitgliedstaaten über eine Reform der Richtlinien verhandelt. Polen, Deutschland, Österreich und Großbritannien haben bereits Probebohrungen bewilligt. Andere Staaten wie Frankreich und Bulgarien hatten sich gegen den Abbau von Schiefergas ausgesprochen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Oktober 2013


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