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Auf dem Weg in eine neue Ölkrise?

Despoten immer wichtiger im globalen Ölgeschäft / Förderung auf lange Sicht schwieriger

Von Hermannus Pfeiffer *

Zu den geologischen und ökologischen Unsicherheiten bei der Ölförderung kommen politische hinzu. Autokratische Regierungen werden immer wichtiger im weltweiten Ölgeschäft, während Multis an Einfluss verlieren.

Am helllichten Tag landen zwei graue Transall-Maschinen der Bundeswehr inmitten der libyschen Wüste. Die Soldaten an Bord evakuieren 200 Deutsche und EU-Bürger aus einem Camp der BASF-Tochtergesellschaft Wintershall und fliegen sie nach Kreta aus. »Wir sind unglaublich erleichtert«, sagte Wintershall-Vorstandsvorsitzender Rainer Seele hinterher und dankte der Bundesregierung. In Berlin war die Entscheidung für die Mission am vergangenen Freitagabend gefallen, nachdem immer mehr Europäer in das komfortable Wintershall-Wüstencamp geflüchtet waren. Es besitzt eine eigene Landebahn. Die Ölförderung wurde laut Firmenangaben eingestellt. Fast 400 »lokale Mitarbeiter« überwachen nun die weiträumige Hochtechnologie-Anlage im gelben Wüstensand.

Der deutsche Konzern war schon vor Gaddafis Machtübernahme im Lande. Seit 1958 fördert Wintershall Erdöl in Libyen. Vor fünf Jahren gab es aus Tripolis den Zuschlag für ein weiteres Explorationsgebiet im Südosten des Landes mit fünf Millionen Einheimischen und fast zwei Millionen Ausländern, die für die Ölindustrie arbeiten. Wintershall fördert zudem im Offshore-Feld »Al Jurf« vor der libyschen Küste im Mittelmeer.

Andere Lieferanten könnten in die Bresche springen

Sollte Libyen längere Zeit als Lieferant ausfallen, könnte Heizöl, Benzin und Diesel zwischen Rostock und München irgendwann knapp werden. Das Land ist mit rund zehn Prozent Marktanteil Deutschlands viertgrößter Erdöllieferant. Doch Leon Leschus, Energieexperte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes (HWWI), warnt vor Panikmache: »Selbst ein langfristiger Ausfall von Libyen wäre verkraftbar, weil Deutschland Rohöl auch von vielen anderen Ländern bezieht.« Die drei Hauptlieferanten Russland – auch dort ist Wintershall aktiv –, Norwegen und Großbritannien könnten in die Bresche springen, ist Leschus überzeugt. Und auch die OPEC-Staaten hätten noch genügend freie Kapazitäten, um die 1,6 Millionen Barrel, die Libyen pro Tag liefert, auszugleichen. Weltweit ist der nordafrikanische Staat ohnehin ein kleinerer Akteur. Etwa zwei Prozent beträgt sein Anteil an der globalen Erdölförderung von täglich 89 Millionen Barrel.

Allerdings weisen die aktuellen Sorgen auch auf ein reales Problem hin: Die Bedeutung der Despoten im globalen Öl-Monopoly dürfte weiter zunehmen. Die Hitliste der Reserven führen mit Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten fünf Staaten an, die nicht gerade als demokratische Musterrepubliken gelten, sondern mehr oder weniger autokratisch regiert werden. Arabische Staaten und der Mittlere Osten geben auch den Ton in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) an. Auf diese entfällt etwa zwei Drittel der Förderung weltweit. Tendenz steigend, da viele Nicht-OPEC-Mitglieder den Höchststand bei ihrer Ölförderung bereits überschritten haben dürften, während die meisten OPEC-Mitglieder noch länger aus dem vollen Schöpfen können.

Abhängigkeit ist trotz Ölkrisen weiter gewachsen

Seit den Ölkrisen 1973 und 1979/80, die deutlich machten, welche Probleme Lieferengpässe haben können, hat die Abhängigkeit der Wirtschaft vom schwarzen Gold paradoxerweise noch zugenommen. So sorgt die Globalisierung für deutlich mehr Güterverkehr rund um die Erde. »Die Nachfrage nach Öl – ohne Biokraftstoffe – wird beständig zunehmen und sich 2035 auf circa 99 Millionen Barrel pro Tag belaufen«, erwartet die Internationale Energieagentur (IEA). Während in den Industriestaaten die Nachfrage abnehmen dürfte, kommt das Nettowachstum aus den Schwellen- und Entwicklungsländern, dabei beinahe die Hälfte allein aus China. Wobei das Wachstum hauptsächlich vom Verkehrssektor ausgeht. Immer mehr Flugzeuge und Schiffe kreuzen den Globus, und in diesem Jahr wird die Autoindustrie weltweit voraussichtlich 60 Millionen Wagen herstellen – mehr als je zuvor. Und auch die Chemische Industrie, siehe BASF-Wintershall, verbraucht seit den 1970er Jahren immer mehr Rohöl für die Herstellung von Kunststoffen und Zwischenprodukten.

Und was ist mit dem viel beschworenen »Peak Oil«? Ob das globale Ölfördermaximum, wie Umweltschützer und zahlreiche Geologen argumentieren, bereits 2010 überschritten wurde, bleibt umstritten. Wirtschaftsnahe Szenarien gehen eher von einem Anstieg der Förderung zumindest bis 2035 aus. Allerdings werden, wie selbst der Ölkonzern BP schätzt, die als gesichert geltenden und zum heutigen Marktpreis förderbaren Reserven in gut fünf Jahrzehnten aufgebraucht sein. Doch werden ständig weitere Reserven an den Küsten und in der Tiefsee entdeckt oder vermutet. Zahlen nennen die Ölkonzerne öffentlich jedoch nicht – »aus Wettbewerbsgründen«, wie Sprecherin Gabriele Radke von ExxonMobil sagt. Intern wird bei Multis schon mal 300 Jahre als Endzeit der Ölära genannt. Für die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover übertreffen die wahrscheinlichen Ressourcen die sicheren Reserven um das Dreifache: Zusammen mit den Reserven wäre Erdöl dann frühestens in 200 Jahren am Ende. Allerdings sind die ungesicherten Reserven nur zu sehr hohen Kosten hebbar – ganz abgesehen von den massiven Umweltrisiken, wie die Ölpest im Golf von Mexiko nach der Explosion der BP-Ölplattform »Deepwater Horizon« im vergangenen Jahr deutlich machte.

In den kommenden Jahren könnte das kriegsgebeutelte Irak in wieder verstärkt auf den Markt drängen. Und Brasilien möchte neu in die Spitze der Ölförderländer aufsteigen. An der brasilianischen Atlantikküste sollen vor allem staatliche Konzerne das Öl in der Tiefsee fördern. Seit den Ölkrisen hat die Bedeutung der multinationalen Konzerne wie BP, Exxon und Total abgenommen. Immer mehr Staaten sind dazu übergegangen, in eigener Regie den schmierigen Reichtum aus dem Heimatboden zu ernten. Dagegen setzen Bundesregierung und EU-Kommission in ihren Energiestrategien vor allem auf freie Märkte, Welthandel und bilaterale Abkommen mit Ölförderländern.

Zu den jungen Akteuren wie Brasilien könnten noch alte Lagerstätten treten, die früher aus technischen Gründen nur zu etwa 20 Prozent ausgebeutet wurden, zukünftig jedoch zu mehr als 80 Prozent geleert werden könnten. Hinzu kommen nicht-konventionelle Reserven, wie Teersand und Ölschiefer in den USA und Kanada, und absehbar synthetische Ersatzstoffe für Rohöl.

Hoher Preis erzwingt sparsamen Einsatz

Ob alle diese Ressourcen tatsächlich eines Tages genutzt werden, hängt vor allem vom Preis für Rohöl und Benzin ab. Dieser, da sind sich die Experten nahezu einig, dürfte langfristig und nachhaltig erheblich steigen. Ein durchaus wünschenswerter Trend, denn je teurer der kostbare Rohstoff, desto sparsamer wird er eingesetzt und desto leichter haben es regenerative Energieträger, sich am Markt durchzusetzen. Ein stofflicher Engpass beim Rohöl wäre in absehbarer Zeit nur dann zu erwarten, wenn Gaddafis Gegenspieler in Saudi-Arabien ausfielen. Das autokratisch regierte Königreich liefert jede zehnte Tonne Öl, die auf der Welt verbraucht wird.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2011


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