Vergewaltigung ist Alltag in Krisengebieten – UN-Aktionsplan will diese Logik durchbrechen / 14 national action plans
Von Petra Tabeling *
Sexuelle Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten nimmt weltweit zu. Die Auswirkungen auf die Leben
betroffener Frauen sind massiv. Die Vereinten Nationen rufen daher zu einer globalen Kampagne
auf.
Hinter den Statistiken verbergen sich kaum erträgliche Schicksale: Während des Bürgerkrieges in
Ruanda vor zwölf Jahren wurde fast jede dritte Frau vergewaltigt, in Liberia gab die Hälfte der
befragten Frauen in Flüchtlingslagern an, dort sexuelle Gewalt erlebt zu haben. In Bosnien-
Herzegowina waren bereits vor zehn Jahren 40.000 Vergewaltigungen dokumentiert. Die Liste der
Grausamkeiten ist lang und mit vielen Namen beschriftet: Uganda, Demokratische Republik Kongo,
Kolumbien, Tschetschenien stehen genauso darauf wie der Balkan und arabische Länder. Genaue
Statistiken fehlen, doch die Zahlen zeigen, wie häufig Vergewaltigung als perfides Kriegsinstrument eingesetzt wird.
Folgen mit Langzeitwirkung
Die Peiniger gehen bestialisch vor, wie Fälle in Ruanda, Kongo oder Sudan zeigen. Die Frauen
werden brutal verstümmelt, misshandelt, Geschlechtsteile werden abgetrennt. Wer das überlebt, ist
körperlich und psychisch gezeichnet. Dazu kommen massive Langzeitfolgen. Die Betroffenen leiden
unter gesundheitlichen Folgen und werden von ihren Peinigern schwanger – unzählige Kinder
stammen aus Vergewaltigungen. Zudem erkranken viele der vergewaltigten Frauen tödlich: Die HIVRate stieg in einigen Ländern explosionsartig an, vor allem in den zentralafrikanischen Ländern. In Ruanda etwa wurden 1994 fast eine Million Tutsis von Hutu-Milizen und Helfershelfern ermordet.
»Zwei Drittel der Frauen erkrankten an HIV, ein Drittel liegt heute im Sterben«, kommentiert Thoraya Obeid, Direktorin des Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), »und das ist nur ein Land. Jetzt multiplizieren Sie das um ein Vielfaches.«
Hinzu kommt die gesellschaftliche Ächtung der Opfer: Aus Schande und Scham werden die Frauen
von der Familie oder den Ehemännern verstoßen. Das wiederum entlässt sie in die Armut, viele
müssen als Prostituierte arbeiten – eine endlose Spirale der Demütigungen.
Gewalt gegen Frauen ist seit der Antike ein Mittel der kriegsführenden Parteien, ihre
Machtansprüche durchzusetzen. Nach Angaben von Amnesty International waren 69 Länder
zwischen 1989 und 1997 an über einhundert bewaffneten Konflikten beteiligt. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass die Gewalt in Zukunft noch weiter zunehmen wird, weil auch globale Konflikte
wachsen, so die Vereinten Nationen. »Jeder auf dieser Welt weiß, dass sexuelle Gewalt in solchen
Situationen falsch ist, doch bislang tut man kaum etwas dagegen«, kritisierte Obeid kürzlich in
Brüssel auf dem ersten internationalen Symposium gegen sexuelle Gewalt in Krisen- und
Kriegsgebieten.
Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt
Über 200 Delegierte aus 14 Ländern, darunter humanitäre Fachkräfte, Anwälte, Regierungsvertreter,
Mediziner und Polizeivertreter vor allem aus Zentralafrika sowie aus Kolumbien, Indonesien, Sri
Lanka, Bosnien und den palästinensischen Autonomiegebieten trafen sich, um einen nationalen
Aktionsplan ins Leben zu rufen. »Die Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das die Welt angeht und
daher muss es auch so behandelt werden«, forderte Obeid.
Dazu gehört auch die wachsende Problematik sexueller Gewalt in Flüchtlingslagern. Nach Angaben
des Flüchtlingskommissariates der Vereinten Nationen (UNHCR) mussten im Jahr 2004 über 34
Millionen Menschen weltweit vor Kriegen flüchten. In Uganda etwa flohen über 1,6 Millionen vor dem seit zwanzig Jahren andauernden Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Rebellen.
Besonders Frauen und junge Mädchen sind in Flüchtlingslagern ungeschützt. Übergriffe gehören
zum Alltag. Sie werden beim Feuerholzholen angegriffen, vergewaltigt. Die Zahl der entführten
Kinder wird auf über 30 000 geschätzt – junge Mädchen werden als Sexsklaven gehalten, wie
Judithe Mirembe, vom »Christian Childrens Fund« in Kampala, einem der Partnerprojekte des
UNFPA, berichtet: »Eine ganze Schule wurde gekidnappt, und eine der 14-jährigen Schülerinnen
kam als Mutter von drei Kindern wieder zurück. Sie wurde immer wieder von Soldaten vergewaltigt.
Aus Angst vor den Entführungen schlafen viele Kinder deshalb nicht in den Unterkünften, sondern
im Freien. Das macht sie erneut zu leichten Opfern sexueller Gewalt.« Sind Justiz- und
Polizeiapparat zusammengebrochen, bleiben die Täter straffrei. Auch dann, wenn die Überlebenden
Scham und Schweigen überwinden.
Bewusstsein schaffen und strategische Allianzen schließen zwischen Regierungen, Justiz,
Gesundheitsversorgung, Polizei und Medien ist daher das Hauptanliegen des Brüsseler
Aktionsplanes. Als eines der ersten Länder hat Liberia bereits Maßnahmen ergriffen. Der
Bürgerkrieg hat das Land in große Armut geführt, diese nährt wiederum die Frustration und
Verzweiflung und die häusliche Gewalt, die nach Angaben der Welthungerhilfe rapide angestiegen
ist.
Die erste gewählte weibliche Staatspräsidentin Liberias, Ellen Johnson-Sirleaf, sagte dem Kampf
gegen Armut und sexuelle Gewalt bereits in ihrer Antrittsrede Anfang dieses Jahres den Kampf an
und legte einen konkreten Aktionsplan vor. Darin geht es um zusätzliche Hilfsangebote für Opfer,
Gesetzesänderungen, spezielle Fortbildungen für Justiz und die Polizei. Auch Kongo arbeitet an
einem solchen Aktionsplan. In der westsudanesischen Provinz Darfur wird derzeit mit internationalen Friedenstruppen verhandelt, die einen Begleitschutz für Frauen in den Flüchtlingscamps stellen sollen. Dies sind erste Schritte, doch es bleibt noch viel zu tun, damit der Brüsseler Aktionsplan kein Papiertiger bleibt.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Juli 2006
23 June 2006
BRUSSELS, Belgium — Delegates from more than 30 countries called today for urgent action to prevent and respond to sexual violence in conflict and post-conflict areas.
The representatives of governments, the European Commission, civil society and the United Nations drafted a call to action on the final day of the International Symposium on Sexual Violence in Conflict and Beyond. The draft statement calls on governments, international organizations and civil society to prioritize the issue of sexual violence in all humanitarian, peacebuilding and development efforts in countries affected by conflict.
“There must be zero tolerance for acts of gender-based violence and zero tolerance for complacency by governments and other institutions responsible for the safety and well-being of women, men and children affected by conflict,” states the agreement. It outlines some 20 actions to be taken, ranging from ending impunity for perpetrators to developing national action plans to address the issue.
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The three-day symposium was co-convened by UNFPA, the European Commission and the Government of Belgium.
“We must address this issue with hope, passion and compassion,” said UNFPA’s Executive Director, Thoraya Ahmed Obaid. “We can talk about this issue until we’re blue in the face, but if the leadership of governments doesn’t insist that this issue is on the table, we won’t make progress. Governments must live up to their promises to make ending sexual violence a priority.”
Representatives from 14 conflict-affected countries presented their national action plans, addressing sexual and gender-based violence at the symposium. Delegates from Bosnia and Herzegovina, Burundi, Central African Republic, Colombia, the Democratic Republic of the Congo, Haiti, Indonesia, Liberia, the Occupied Palestinian Territory, Rwanda, Sierra Leone, Sri Lanka, Sudan and Uganda recounted their experience and efforts to combat sexual violence and its effects on survivors, families and communities attempting recovery and reconstruction. They asked for renewed support from international donors and humanitarian agencies in their fight against such crimes.
“The challenge is not only to raise awareness of violence against women, but to maintain a long-term commitment by all these actors to address gender-based violence as an impediment to economic development, a public health problem and a violation of fundamental human rights,” said Armand De Decker, Belgian Minister of Cooperation and Development, in a statement at Friday’s closing ceremony.
The call to action notes that a lack of consistent political action and reliable funding has hindered efforts to address sexual violence in conflict and recovery settings, so that the needs of vulnerable populations are not being met adequately. Participants called for a more long-term, holistic approach to meet the health, education, legal, psychosocial and security concerns of affected populations.
Women, youth and other vulnerable populations, including refugees and internally displaced people must be involved in national plans to address sexual and gender-based violence. Plans should include strategies on sexual and reproductive, health including HIV/AIDS prevention, treatment and care. The prevention of gender-based violence in national plans would be considered as an indicator of good governance.
“Sexual violence is unacceptable and should stop now,” said Lieve Fransen, Head of Human and Social Development for the European Commission. “Let’s keep ourselves accountable and stop gender-based violence not only for ourselves but for our children and their future.”
Many of the national delegates said they valued the sharing of lessons learned from their colleagues around the globe at the symposium and planned to use the information in their countries.
“I’ve learned that most of the challenges I’m facing are universal. It’s very healthy to know that you’re not alone in the field,” said Judith Mirembe of the Christian Children’s Fund working in the northern Uganda on gender-based and domestic violence.
“It’s an issue that touches everyone – men and women,” agreed Admiral Jaime Parra, from the Colombian Ministry of Defence. “As a member of the military, I want to put an end to a problem that affects everyone. We have to work very hard so that people have solid knowledge of the importance of respect so they don’t commit acts of violence and take advantage of their power.”
Source: www.unfpa.org
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