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Zunahme bewaffneter Konflikte durch Klimawandel? Wissenschaftler streiten über neue Studie

Ein Beitrag von Verena Gonsch aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Christoph Heinzle (Moderator der Sendung):
Kriege, bewaffnete innerstaatliche und gesellschaftliche Konflikte können viele Gründe haben: den Kampf um politische Macht, wirtschaftliche Ressourcen, den Konflikt zwischen Volksgruppen und Ideologien. Doch kann auch der weltweite Klimawandel bewaffnete Konflikte auslösen? Diese Frage ist in der Konfliktforschung seit Jahren sehr umstritten. Bisher gab es keinen Beweis für die These. Doch jetzt haben New Yorker Forscher das erste Mal ein systematisches Muster dafür entdeckt. Ihr Artikel in der Forschungszeitschrift Nature legt zumindest einen statistischen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Krieg nahe. Doch nun streiten Wissenschaftler darum, ob die spektakuläre These auch substanziell zu untermauern ist. Verena Gonsch berichtet:


Manuskript Verena Gonsch

„Christkind“ heißt das Phänomen und verheißt damit Frieden und Wohlstand. Doch der alle paar Jahre auftauchende „El Niño" beschert den Ländern, die betroffen sind vor allem Dürre, Überschwemmungen und Hitzeperioden. Für die Forscher von der Universität Columbia ist „El Niño" dabei ein Gradmesser für den Klimawandel. Sie behaupten: In vielen Ländern, in denen „El Niño" in den letzten 60 Jahren aufgetaucht ist, gab es kurz darauf bewaffnete Konflikte. Danach hat „El Niño" das Risiko für einen Bürgerkrieg in insgesamt 90 tropischen Ländern verdoppelt. Betroffen sind dabei die Kontinente Amerika, Afrika und Asien. Als Beispiel nennen die Wissenschaftler den Konflikt im Tschad 1997, als Mitglieder des Volks der Tubu sich gegen die Zentralregierung erhoben. Auch im Jahr 1982, als die Guerilla-Organisation „Leuchtender Pfad“ in Peru immer mehr Anschläge verübte, habe ein „El Niño" gewütet. Dieser habe vor allem in den Bergen Perus zu Missernten geführt und könnte so den Konflikt angeheizt haben. Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik findet die Ergebnisse der Forscher erstaunlich:

O-Ton Brzoska
„Es hatte niemand bisher eine so klare statistische Verbindung zwischen Klimaphänomenen und bewaffneten Konflikten herstellen können. Es ist nicht so richtig erklärbar. Es ist ein Puzzle und dieses Puzzle wird nun dazu führen, dass viele Kollegen versuchen werden, dieses aufzulösen.“

Zu denken gibt dem Konfliktforscher dabei, dass die statistischen Ergebnisse zeigen, dass sofort nach dem „El Niño" die Kämpfe in den jeweiligen Ländern begonnen haben. In den 80er Jahren waren das vor allem die Kriege in Afrika, in den 50er und 60er Jahren bewaffnete Auseinandersetzungen in Südostasien. Diese These lasse sich mit den bisherigen klassischen Konflikttheorien nicht stützen, denn diese gehen davon aus, dass Kriege unter anderem aus rassistischen oder aus wirtschaftlichen Motiven geführt werden, um sich beispielsweise Rohstoffe eines anderen Landes zu sichern. Die Amerikaner bieten nun mit ihrer Untersuchung eine neue Theorie an:

O-Ton Brzoska
„Dass man sagt, dass möglicherweise in besonders warmen Zeiten die Aggressivität steigt, da gibt es ja auch durchaus Studien, die das für andere kleinere Zusammenhänge belegt haben, allerdings in der Konfliktforschung ist das bisher noch nicht untersucht worden. Und damit dann Konflikte einfach früher stattfinden, nämlich dann stattfinden, wenn es besonders warm ist. [Dass] „El Niño" gar keine Kriegsursache ist, sondern nur ein Anlass, wenn es besonders warm ist, dann Kriege, die sonst möglicherweise sonst später stattfinden, früher zu beginnen.“

Bekannt ist dieses Phänomen bisher vor allem aus der Kriminalitätsforschung. Polizisten wissen, dass die Neigung zu aggressivem Verhalten bei Hitze oder drohendem Gewitter besonders hoch ist und in dieser Zeit die meisten Gewaltdelikte verübt werden.

Dabei sagen die Autoren der Studie nicht, dass das Klima allein die Kriege auslöst. Ihre These ist, dass bei sozialen Spannungen das Klima den Ausschlag zum Ausbruch von Konflikten geben kann.

In der Wissenschaftsszene hat die Studie sofort sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Das Friedensforschungszentrum Oslo, das die Daten geliefert hat, distanzierte sich von den Ergebnissen: Die Studie unternehme keinen Versuch zu erklären, warum der El Niño-Zyklus mit Konflikten zusammenhängt. Auch die Klimaforscher selbst sind erst einmal skeptisch. Prof. Maria Manez Costa vom Climate-Service Center fordert weitere Forschungsstudien, um die These zu untermauern:

O-Ton Costa
„Immer wenn es Probleme mit den natürlichen Ressourcen gibt, gibt es Konflikte. Immer wenn es Knappheit gibt, gibt es Konflikte. Das ist eine Sache, die man nicht so schnell korrelieren sollte.“

Auch Prof. Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg kann keinen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten erkennen:

O-Ton Graßl
„Das ist nicht gesagt, denn bisher hat es nicht einen einzigen Krieg um Wasser gegeben, obwohl Wasserknappheit extrem häufig vorkommt, weltweit, schon immer vorkam, und inzwischen intensiver geworden ist.“

Allerdings kennt die Konfliktforschung bereits historische „Klimakriege“. Diese liegen jedoch schon einige Jahrhunderte zurück. Noch einmal Michael Brzoska: vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Brzoska
„Es gibt Studien, die für die kleine Eiszeit im späten Mittelalter in Europa diesen Zusammenhang belegen. Da wurde es besonders kühl in Europa, und es gab besonders viele, sowohl zwischenstaatliche als auch innerstaatliche Konflikte. Und auch für China sind schon mal solche Untersuchungen gemacht worden. Allerdings immer für kältere Zeiten, nicht für Erwärmung, sondern für kältere Zeiten. Und auch natürlich zu Zeiten, in denen die gesellschaftlichen Bedingungen andere waren als sie heute herrschen, vor allem die Bedeutung der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion deutlich größer war als sie heute ist.“

Jürgen Scheffran ist Professor für Geographie an der Universität Hamburg. Er war Ende September auf einem Fachkongress in Südafrika und berichtet von den dortigen Ergebnissen:

O-Ton Scheffran
„Die Tagung in Südafrika hat ergeben, dass es bisher gewisse statistische Zusammenhänge gibt zwischen der Zunahme von Dürren und der Zunahme von Konflikten in Teilen Afrikas. Die sind bisher eben noch nicht sehr stark die Signale, aber sie könnten in Zukunft noch weiter verstärkt werden.“

Ebenso gebe es Hinweise, dass Überschwemmungen diese Konflikte verschärften. Die Nature-Ergebnisse hält Scheffran für plausibel. Denn auch er glaubt, dass der Klimawandel oft als Katalysator für kriegerische Auseinandersetzungen wirkt, die sich aus vielfältigen Gründen aufgebaut haben. Allerdings fordert er jetzt einen weitergehenden Ansatz für die Forschung:

O-Ton Scheffran
„Die Forschung geht zum einen dahin, die Datenlage zu verbessern, so dass man nicht nur große Kriege nimmt und zum zweiten geht es darum, die Fallstudien in bestimmten Brennpunkten des Klimawandels zu verstärken. Das heißt man muss in die Region gehen, mit den Menschen reden und die Kausalketten und Zusammenhänge besser verstehen, wie das nun konkret abläuft.“

Die Konflikt- und die Klimaforschung stehen also beim Thema „Klimawandel und Konflikte“ noch ziemlich am Anfang. Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik verweist in diesem Zusammenhang auch auf den „arabischen Frühling“ vom letzten Jahr. Dort hätten Wissenschaftler ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Klimaphänomenen und den Aufständen in den jeweiligen Ländern herausgefunden:

O-Ton Brzoska
„Kollegen machen das, indem sie vor allem darauf verweisen, dass in den Jahren vor dem arabischen Frühling die Nahrungsmittelpreise weltweit sehr stark gestiegen waren, und dass das durchaus ein Anlass war, dass die Menschen in diesen Ländern sehr unzufrieden waren mit ihrer Situation. Wobei man sich allerdings fragen muss, ob eben die Veränderung der Nahrungsmittelpreise so stark durch Klimawandelphänomene beeinflusst worden war. Es gab solche Dürren in einigen Ländern. Die großen Feuer in Russland. Aber es waren natürlich auch andere Phänomene, die dazu beigetragen haben, dass die Nahrungsmittelpreise so gestiegen sind.“

Zum Beispiel die Spekulation auf dem Weltmarkt, die gestiegene Nachfrage aus China und die Ausweitung der Herstellung von Biodiesel. Der Klimawandel ist also auch bei diesen Konflikten nur einer von mehreren Faktoren gewesen.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 10. Oktober 2011; www.ndrinfo.de


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