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"Die Welt ist nicht friedlicher geworden"

Heidelberger Forscher zählten 2012 weltweit 396 Konflikte, 18 davon waren Kriege

Von Olaf Standke *

Die Zahl der Kriege ist laut einer am Donnerstag vorgestellten Studie des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) 2012 leicht gesunken. Die Wissenschaftler stuften weltweit 18 Konflikte als Kriege ein, zwei weniger als 2011. Doch stieg ihre Zahl in der Eskalationsstufe »begrenzte Kriege« deutlich an: »Daher kann man nicht davon sprechen, dass die Welt friedlicher geworden ist.«

Das aktuelle Konflikt-Barometer (englisch) kann hier heruntergeladen werden:

http://hiik.de (pdf-Datei) [externer Link; 5,3 MB]



Mitten in Damaskus sind am Donnerstag kurz hintereinander drei Autobomben detoniert, Dutzende Menschen starben. Zuvor sollen nach Angaben von Regimegegnern bei einem Angriff der syrischen Luftstreitkräfte östlich der Hauptstadt 24 Menschen ums Leben gekommen sein. Bei einem Gefecht in der nordafghanischen Stadt Kundus sind laut offizieller Mitteilung vier Aufständische sowie zwei Polizisten getötet und ein deutscher Soldat verletzt worden. Knapp sechs Wochen nach Beginn des Kriegseinsatzes in Mali meldete Paris den Tod eines zweiten Soldaten; über 20 Islamisten starben bei den jüngsten Kämpfen. Und in der indonesischen Unruheprovinz Papua haben separatistische Rebellen gestern acht Soldaten getötet.

Diese Informationen über aktuelle Kriege und Konflikte dieser Welt haben es zumindest noch in die Nachrichtenagenturen geschafft, von vielen anderen gewaltsamen Auseinandersetzungen nimmt die breite Öffentlichkeit kaum Notiz. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) versucht da seit vielen Jahren mit seinem »Conflict Barometer« gegenzusteuern. Gestern haben die Wissenschaftler ihre aktuellen Daten und Analysen zum globalen Konfliktgeschehen im Jahr 2012 präsentiert.

Sie ordnen dabei die bewaffneten Auseinandersetzungen weltweit in fünf Intensitätsstufen ein - »Krieg« ist die höchste. Entscheidend für diese Einordnung sind die eingesetzten militärischen Mittel sowie die Folgen des Konflikts, von getöteten Menschen bis hin zu großen Flüchtlingsströmen. Die gute Nachricht: Die Zahl der Kriege ist gegenüber dem Vorjahr gesunken. Hatten die Friedensforscher 2011 noch 20 erfasst, stuften sie für das abgelaufene Jahr 18 Konflikte als Kriege ein, in 15 Staaten und vier Weltregionen. Elf von ihnen wurden bereits 2011 als Kriege geführt, sieben weitere eskalierten erst danach auf die höchste Intensitätsstufe.

Neben 17 innerstaatlichen gab es erstmals seit 2008 auch wieder einen Krieg zwischen zwei Staaten: die Kämpfe zwischen Sudan und Südsudan in Afrika. Zudem starben bei Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in Südsudan 2012 mindestens 1000 Menschen. Überhaupt wurden auf dem schwarzen Kontinent südlich der Sahara mit neun erneut die meisten Kriege gezählt; fünf toben im Nahen und Mittleren Osten, drei in Asien und Ozeanien und einer in Amerika. Der europäische Kontinent bleibt wie schon in den Jahren zuvor von Kriegen verschont, sorgt dafür aber wie US-amerikanische Waffenschmieden mit Rüstungsexporten in Krisenregionen immer wieder für - überaus profitable - Brandbeschleuniger. 80 Prozent aller Todesopfer in derzeitigen Konflikten sind Zivilisten; die meisten davon sterben durch den Einsatz von Kleinwaffen, auch deutschen. Allerdings hätten in Europa sozio-ökonomische Konflikte im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise wie etwa in Rumänien und Griechenland zu gewaltsamen Oppositionskonflikten und Staatskrisen geführt.

Die mit Abstand meisten Todesopfer (65 000) forderten die Kämpfe in Nahost. Allein der andauernde Bürgerkrieg in Syrien soll nach UNO-Angaben bisher 55 000 Menschenleben gekostet haben. Bis zu 2,8 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor den Kämpfen. Dabei setzen sich in der Region die Konflikte im Zuge des »Arabischen Frühlings« unter den neuen Regierungen fast ungebremst fort.

Ungeachtet aller politischen Sonntagsreden und Ankündigungen gehen nach Einschätzung der Konfliktforscher auch die Kriege in Afghanistan und Irak mit unverminderter Intensität weiter. In Pakistan forderte der Krieg zwischen islamistischen Gruppierungen und der Regierung über 4000 Menschenleben. Hunderte Tote hätten Drohnen-Angriffe der USA im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet verursacht.

Unter den insgesamt weltweit beobachteten 396 Konflikten zählen die Heidelberger Politikwissenschaftler 43 hochgewaltsame, nach ihrer Definition durch organisierten massiven Waffeneinsatz sowie gravierende Folgen für die Bevölkerung geprägte Auseinandersetzungen bis hin zu begrenzten Kriegen, deren Zahl 2012 um sechs gestiegen sei. Für HIIK-Vorstandsmitglied Simon Ellerbrock jedenfalls ist klar: »Man kann nicht davon sprechen, dass die Welt friedlicher geworden ist.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Februar 2013


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