Weniger Kriege, doch nicht mehr Optimismus
Heidelberger Institut legte Konfliktbarometer 2010 vor
Von Olaf Standke *
Die Zahl der gewaltsamen Auseinandersetzungen ist weltweit weiter rückläufig, so das Fazit des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK), das am Mittwoch (15. Dez.) sein »Konfliktbarometer 2010« vorstellte. Doch warnen die Forscher zugleich vor allzu viel Optimismus.
Ein Zusammenschluss von 19 Hilfswerken hat jetzt nachdrücklich vor erneuten Überfällen der »Lord's Resistence Army« in der Weihnachtszeit gewarnt. Sowohl 2008 als auch 2009 habe die aus Uganda stammende Miliz im Nordosten Kongos und in den angrenzenden Gebieten Sudans wie der Zentralafrikanischen Republik im Dezember Massaker an der Bevölkerung verübt. Das ist nur einer der oft vergessenen bewaffneten Konflikte, die die Heidelberger Friedensforscher seit 1991 erfassen und untersuchen. Gestern präsentierten sie mit dem »Conflict Barometer 2010« ihre aktuellen Daten und Analysen.
Das Institut zählte unter den 363 beobachteten Konflikten 126 bewaffnete Krisen und 28 hochgewaltsame Auseinandersetzungen, die durch massiven Einsatz organisierter Gewalt charakterisiert sind und gravierende Folgen haben. Obwohl die Zahl dieser Konflikte von 39 im Jahr 2008 und 33 im Vorjahr weiter zurückgegangen ist, warnen die Wissenschaftler wie schon ihre Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Hamburger Universität vor übermäßigem Optimismus: Daraus könne »nicht geschlossen werden, dass die Welt friedlicher geworden sei«, betonte Lotta Mayer, Mitglied des HIIK-Vorstands. Schließlich sei zugleich die »Zahl der gewaltsamen Krisen um mehr als zehn Prozent gestiegen« – mit der Gefahr »einer weiteren Eskalation auf kriegerisches Niveau«. Zumal Kriminalität, soziale Ungleichheit, Armut und Hunger weiterhin den Nährboden für neue Konflikte und Kriege bildeten.
Mit je neun hochgewaltsamen Auseinandersetzungen sind der Nahe und Mittlere Osten sowie Asien nach der Analyse des Heidelberger Instituts die meistbetroffenen Regionen der Erde, gefolgt von Afrika südlich der Sahara mit fünf. In Pakistan etwa führte das Militär eine Großoffensive gegen die Taliban. Insgesamt gab es dort 2010 rund 6800 Todesopfer, über 2000 mehr als im Vorjahr. Wie fünf weitere hochgewaltsame Konflikte werden diese Kämpfe von den Forschern als Kriege eingestuft.
So existiert heute ein regelrechter Konfliktgürtel von der afrikanischen Nordküste über das Horn von Afrika, die arabische Halbinsel, Afghanistan und Pakistan bis hin zur koreanischen Halbinsel, China und Myanmar. Dabei stünden diese Konflikte in vielfältigen Zusammenhängen miteinander, beispielsweise durch Schmuggel von Waffen, Drogen oder Rohstoffen, transnationale Zusammenarbeit von bewaffneten Gruppierungen oder das Übergreifen von Auseinandersetzungen auf Nachbarländer.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2010
Der "kleine" Tod
Von René Heilig **
Südsudan. Das Foto zeigt Kinder in viel zu großen Uniformen, die nach NVA-Erbmasse ausschauen. Schuhe haben die Bürschlein nicht, wohl aber Kalaschnikows und G-3-Gewehre von Heckler&Koch. Eigentlich dürften zumindest die deutschen Sturmgewehre dort nicht sein, denn, so heißt es im gestern veröffentlichten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung: »Die Sicherung des Endverbleibs erhält mit ausführlichen Regeln größeres Gewicht als zuvor. Dadurch soll verhindert werden, dass die exportierten Rüstungsgüter in falsche Hände fallen.« Egal wo – Waffen sind nicht nur, aber besonders bei Kindern immer in falschen Händen.
Empörend ist, mit welcher Frechheit die Bundesregierung vorgibt, sich um den Endverbleib deutscher Waffen zu sorgen. Sie tut – nach eigenem Eingeständnis – nicht das Geringste, um das Vagabundieren deutscher Schießprügel zu unterbinden. Der jährliche Exportbericht – es ist nunmehr der elfte – ist auch in anderen Fragen eine Farce. Vergeblich sucht man nach Lizenzvergaben. Nicht ein Wort steht darin über den Vor-Ort-Service in Kriegsgebieten, der für Rüstungskonzerne immer wichtiger wird. Im Gegenteil. Man brüstet sich damit, weniger Großgerät in die Welt geschickt zu haben. Wer aber den Begriff Kleinwaffen aufruft, erschrickt: 80 Fundstellen beziehen sich auf das Wort »Maschinenpistole«. Und man liest so viele Gründe, deutsche Ausfuhr- und Kontrollgesetze zu verletzen, um selbst übelste Regimes mit Mordwerkzeug zu beliefern.
** Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2010 (Kommentar)
Pressemitteilung „Conflict Barometer 2010“
Krisen und Kriege 2010: Heidelberger Institut zählt 28 hochgewaltsame Auseinandersetzungen sowie 126 gewaltsame Krisen weltweit
Heidelberg, 15. Dezember 2010. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK)
präsentiert mit dem "Conflict Barometer 2010" seine aktuellen Daten und Analysen zum diesjährigen
globalen Konfliktgeschehen. Unter den insgesamt 363 beobachteten Konflikten zählen die
Politikwissenschaftler 28 hochgewaltsame Konflikte, das heißt Auseinandersetzungen, die sich durch
massiven Einsatz organisierter Gewalt auszeichnen sowie gravierende Folgen nach sich ziehen. Sechs
dieser hochgewaltsamen Konflikte werden als Kriege eingestuft: In Pakistan führt das Militär eine
Großoffensive gegen die Taliban. Insgesamt fordert dieser Krieg im Jahr 2010 etwa 6.800 Menschenleben
und damit über 2.000 mehr als im letzten Jahr. In Kampfhandlungen zwischen Taliban und der afghanischen
Regierung sterben über 1.200 Zivilisten sowie fast 700 Soldaten der internationalen Truppen - die höchste
internationale Opferzahl seit Beginn des US-amerikanischen Einsatzes in Afghanistan 2001. Im Irak kommen
bei Anschlägen durch militante sunnitische Gruppierungen über 3.000 Menschen ums Leben. Bei
Auseinandersetzungen zwischen militanten islamistischen Gruppierungen und der somalischen Regierung
kommen alleine in Mogadischu zwischen Januar und Oktober etwa 2.200 Zivilisten ums Leben. In der
sudanesischen Region Darfur werden allein im Mai etwa 440 Menschen getötet. Die Auseinandersetzungen
zwischen Drogenkartellen und der mexikanischen Regierung eskalieren zum ersten Krieg der Region Nordund
Südamerika seit 2003. Alle genannten Konflikte werden bereits seit Jahren hochgewaltsam
ausgetragen.
Obwohl die Zahl der hochgewaltsamen Konflikte von 33 im Vorjahr auf 28 zurückgegangen ist, warnen die
Forscher vor übermäßigem Optimismus: „Aus dem zahlenmäßigen Rückgang der hochgewaltsamen
Konflikte von 33 auf 28 Fälle kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Welt friedlicher geworden sei“,
betont Lotta Mayer, Mitglied des HIIK-Vorstands. „Die Anzahl der gewaltsamen Krisen ist um mehr als 10%
auf derzeit 126 Fälle gestiegen. Krisen bergen zwar das Potential einer friedlichen Beilegung, jedoch ebenso
das einer weiteren Eskalation auf kriegerisches Niveau in sich.“ Darüber hinaus stellen Kriminalität, soziale
Ungleichheit, Armut und Hunger weiterhin zentrale Bedrohungen von Frieden und Sicherheit dar und bilden
einen Nährboden für neue Konflikte.
Mit je neun hochgewaltsamen Konflikten sind der Vordere und Mittlere Orient sowie Asien die
meistbetroffenen Regionen der Erde, gefolgt von Afrika südlich der Sahara mit sechs. Die gewaltsamen
Konflikte dieser Regionen bilden einen Konfliktgürtel von der afrikanischen Nordküste über das Horn von
Afrika, die arabische Halbinsel, Afghanistan und Pakistan bis zur koreanischen Halbinsel, China und
Myanmar. Dabei stehen die Konflikte in vielfältigen Zusammenhängen miteinander, beispielsweise durch
Schmuggel von Waffen, Drogen oder Rohstoffen, transnationale Zusammenarbeit von bewaffneten
Gruppierungen oder das Übergreifen von Konflikten auf Nachbarländer.
Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) widmet sich seit 1991 der Erforschung,
Dokumentation und Auswertung innerstaatlicher und internationaler politischer Konflikte weltweit. Das
jährlich erscheinende "Conflict Barometer" gibt einen Überblick über die aktuelle Entwicklung gewaltsamer
und nichtgewaltsamer Konflikte. Die aktuelle Publikation kann unter www.hiik.de kostenlos heruntergeladen
werden (ab 15. Dezember 2010, 12 Uhr).
Zurück zur Seite "Kriege, Neue Kriege"
Zur "Kriege, Geschichte des Krieges"
Zurück zur Homepage