"Krieg an den Rändern"
Imperialismus und Gewalt von Sarajevo bis Kuito
Joachim Becker/ Gerald Hödl/ Peter Steyrer (Hg.): KRIEG AN DEN RÄNDERN. Imperialismus und Gewalt von Sarajevo bis Kuito
Promedia Verlag, Wien 2005; br., großes Format, 280 S., Euro 24,90, sFr. 42,30 (ISBN 3-85371-237-1)
Mit Beiträgen u.a. von Rudolf Burger, Klaus Theweleit, Käthe Kratz, Wolfram Manzenreiter und Walter Schicho
Aus der Verlagsankündigung:
Die Überwindung des "Kalten Krieges" hat den heißen Krieg zum Mittel für die Durchsetzung ökonomischer, politischer und kultureller Interessen werden lassen. An den Rändern der Welt ist daraus ein lang andauernder, ein permanenter Krieg geworden. Den AutorInnen des vorliegenden Bandes geht es um weit mehr als die Analyse der strukturellen Gewalt, die dem kapitalistischen Weltsystem inhärent ist. Es geht ihnen um manifeste, kollektive, (para)militärische, kurz: um die das beginnende 21. Jahrhundert prägende physische Gewalt und ihre Protagonisten. Diese soll sowohl in innerstaatlichen als auch in zwischenstaatlichen Konflikten analysiert werden. Die zentralen Fragestellungen entwickeln sich aus der Dialektik von militärischer und ökonomischer Macht, jeweils in sozio-ökonomischer und historischer Perspektive.
Staatszerfall, das Aufkommen von Privatarmeen und fundamentalistische Gewalt sind zu Merkmalen von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den Peripherien geworden. Damit haben, so die verbreitete Meinung, die Kriege der Gegenwart eine neue Qualität erreicht. In den Zentren der Welt ertönt dagegen der Ruf nach "humanitären" Militärinterventionen. Ein so genannter "Krieg gegen den Terror" soll der Unordnung an den Rändern, im Süden und im Osten, ein Ende zu setzen.
Die AutorInnen fragen nach der Souveränität der Kriegsbeteiligten, verweisen auf Traditionslinien, die in die Zeit des Kolonialismus zurückreichen und zeigen komplexe Begründungszusammenhänge für die neue Gewalt auf. Geographisch spannt sich dabei der Themenbogen von der atomaren Drohgebärde im Konflikt zwischen Indien und Pakistan über die Destabilisierungskriege und ihre Erben in Angola/Mocambique bis zur Rolle Japans als Konkurrent oder Brückenkopf der US-Interventionen.
Die Herausgeber:
Joachim Becker, Jahrgang 1960, ist Ökonom und Politikwissenschaftler und als ao. Univ.-Prof. am Institut für Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik der Wirtschaftsuniversität Wien tätig. Er arbeitet zu Fragen der internationalen politischen Ökonomie wie auch zu Kriegen in der Dritten Welt. Zuletzt brachte er im Promedia Verlag (gemeinsam mit Andrea Komlosy) den Band "Grenzen weltweit. Zonen, Linien, Mauern im historischen Vergleich" heraus.
Gerald Hödl, geboren 1965 in Graz, ist Historiker und arbeitet als freier Wissenschaftler und Universitätslektor in Wien. Zuletzt übersetzte er für den Promedia Verlag: Immanuel Wallerstein, Das Moderne Weltsystem II. Der Merkantilismus.
Peter Steyrer, Jahrgang 1961, studierte Publizistik in Wien. Er ist Mitbegründer der Deserteursberatung für geflohene Kriegsdienstverweigerer und des Personenkomitees für Neutralität und arbeitet als EU-Koordinator im Grünen Klub im Parlament in Wien.
Rezension
Rückkehr der Söldner
Ein Sammelband über Triebkräfte militärischer Aggressionen gegen periphere Regionen der spätkapitalistischen Gesellschaft
Die in der jüngsten Vergangenheit geführten Kriege gegen periphere Regionen der Welt – genannt werden im soeben erschienenen Band »Krieg an den Rändern« die Aggressionen gegen Rest-Jugoslawien, gegen Afghanistan und gegen den Irak – sind für die Herausgeber Anlaß, sich grundsätzlich mit Fragen des Krieges in der spätkapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das Buch enthält 14 Beiträge von 16 österreichischen und deutschen Autorinnen und Autoren – zum Teil Analysen zu Triebkräften kriegerischer Konflikte der Gegenwart, zum Teil konkrete Fallstudien zu vergangenen oder noch immer tobenden Kriegen.
Staatszerfall
Im ersten Beitrag des Bandes versuchen sich die drei Herausgeber des Bandes an einer ökonomischen Untersuchung verschiedener Phasen der Kriegs- und Militärgeschichte: Feudalabsolutistische Söldnerheere spielten eine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung der kapitalistischen Lohnarbeit, während die Kriege der bürgerlichen Nationalstaaten auf Zwangsrekrutierung der männlichen Bevölkerung sowie auf einer rigide durchgesetzten Kriegswirtschaft beruhten. In der spätkapitalistischen Gesellschaft der Gegenwart nun ist eine Tendenz zurück zur Söldnerarmee unübersehbar. Kriege werden zunehmend durch Plünderung finanziert. Die militärischen Auseinandersetzungen verselbständigen sich, dienen primär nicht mehr zur Durchsetzung politischer Ziele, sondern der persönlichen Bereicherung ihrer Akteure.
Klaus Theweleit weist in seinem Beitrag u. a. am Zerfall der jugoslawischen Föderation nach, daß die ethnischen Konflikte eben nicht auf einem Zusammenprall unterschiedlicher kultureller Identitäten beruhten. Diese Identitäten waren zum großen Teil erpreßt, wurden zum Zwecke der Installation uneingeschränkter Herrschaft eines Mafia-Clans zunächst einfach behauptet und dann gegen widerstrebende Bevölkerungsgruppen gewaltsam durchgesetzt. War der Bürgerkrieg einmal in Gang gesetzt, blieb den bis dahin Unbeteiligten nur noch die Wahl, sich entweder einer der kämpfenden Parteien unterzuordnen – oder aber zu flüchten.
Herfried Münkler vertritt in seinem Beitrag zur »asymmetrischen Kriegführung« die These, der in der Gegenwart zunehmende Terrorismus wäre eine Folge »postheroischer Kriegführung«. Das ursprüngliche Konzept widerständiger Bevölkerungsgruppen zur allmählichen Schaffung befreiter Gebiete durch eine in schwer zugänglichen Regionen operierende Guerilla sei angesichts der Technisierung des Kriege obsolet geworden. Beim Zusammenstoß zwischen dem hochqualifizierten Kampfpiloten und dem schlecht bewaffneten Dschungelkrieger gerate letzterer immer mehr in die Rolle des wehrlosen Opfers, während ersterer zum tendenziell unverwundbaren Akteur werde. Mit dem Umschlag von der Guerilla zur Terrororganisation kehre sich die Entwicklung wieder um. Durch einen Verzicht auf eigenes Territorium und Minimalisierung der eigenen Logistik erweise sich die Terrorzelle gegenüber dem Militärapparat als zunehmend unangreifbar, während dieser der Aufgabe immer weniger gewachsen sei, sämtliche potentiellen Angriffsziele gegen Anschläge zu schützen. Der Autor fürchtet, daß unerklärte Terrorkriege das 21. Jahrhundert wesentlich bestimmen werden.
Schattenökonomie
Peter Lock analysiert in seinem Beitrag »Zur Zukunft des Krieges« das sozialökonomische Phänomen der »Schattenglobalisierung« als Hintergrund der meisten gegenwärtigen Konfliktherde. In den meisten Regionen der Welt verfielen die nationalstaatlich geprägten Volkswirtschaften unter dem Druck des Weltmarktes. Eine Überlebensstrategie der davon betroffenen Bevölkerungsgruppen sei die Herausbildung einer halbkriminellen Schattenökonomie. Dies gehe zwangsläufig mit bewaffneten Konflikten einher, mit Kämpfen zwischen verschiedenen, die Schattenwirtschaft dominierenden Clans einerseits, mit Aktionen des Militärs gegen die das Überleben sichernden Netzwerke dieser Ökonomie andererseits. Militärische Expeditionen nähmen zu, da diese Wirtschaftsbereiche von intakten Regierungen als Operationsraum des Terrorismus wahrgenommen würden. Der Autor bezweifelt allerdings, daß sich eine im schattenökonomischen Netzwerk verlorengegangene Staatlichkeit mittels militärischer Interventionen wieder herstellen läßt. Aus dem Beispiel des Kosovo ließe sich eher eine Tendenz zur Konsolidierung bisheriger Konfliktherde durch Kriminalisierung der Gesellschaft ableiten.
In weiteren Beiträgen werden unter anderem Hintergründe des zwischen China, Südkorea und Japan schwelenden Konfliktes beleuchtet, der Bürgerkrieg in Algerien analysiert und die Destabilisierungspolitik der kapitalistischen Großmächte gegen die prosozialistischen Regierungen Angolas und Moçambiques dargestellt. Einen etwas aus dem Rahmen fallender Beitrag bildet die Sammlung authentischer Briefe eines braven österreichischen Familienvaters, den die Logik des Krieges zu Hitlers willigem Vollstecker machte.
Gerd Bedszent
Aus: junge Welt, 28.11.2005
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