Kriege und bewaffnete Konflikte 2012
Ein erster Überblick. Von Wolfgang Schreiber *
Im Folgenden dokumentieren wir den Überblick über das Kriegsgeschehen 2011, den Wolfgang Schreiber für die AKUF verfasst hat. Er ist im Dezember 2012 veröffentlicht worden und kann - zusammen mit einer Reihe von Grafiken und Übersichten - auf der Website der AKUF heruntergeladen werden: AKUF Analysen, Nr. 11, Dezember 2012 [externer Link]
Im Jahr 2012 ist die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen. Sie verringerte sich um drei auf nunmehr 34 und auch die Zahl der Kriege sank um einen auf 24.
Der Höhepunkt des Kriegsgeschehens seit 1945 wurde nach den Daten der AKUF 1992 mit damals 55 Kriegen erreicht. Diese Zahl hat sich bis 2010, wo noch 23 Kriege gezählt wurden, mehr als halbiert. Nicht ganz so deutlich sank die Gesamtzahl der Kriege und bewaffneten Konflikte, die 1993 erstmals mit 63 erfasst wurde und auf 33 im Jahr 2010 zurückging. Dieser Rückgang ist trotz einiger Schwankungen vergleichsweise kontinuierlich verlaufen. Lediglich 1997, 2005 und 2011 waren jeweils zwischenzeitliche Anstiege der Zahl der kriegerischen Konflikte zu verzeichnen (siehe Grafik 1). Im Gegensatz zu 1997 und 2005, wo auch im jeweiligen Folgejahr ein weiterer Anstieg zu beobachten war, ging die Zahl der kriegerischen Konflikte 2012 wieder zurück. Ob dies eine Rückkehr zum allgemeinen Trend der letzten 20 Jahre zu weniger Kriegen und bewaffneten Konflikten bedeutet, lässt sich nicht prognostizieren. Einerseits lässt sich das Entstehen neuer Kriege kaum verlässlich voraussagen. Andererseits ist ungewiss, ob ein auch 2012 in mehreren Fällen zu beobachtendes Nachlassen der Kampfhandlungen oder auch Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zur Beendigung dieser kriegerischen Konflikte führen wird.
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr
Fünf kriegerische Konflikte wurden 2011 beendet und finden sich daher nicht in mehr in dieser Übersicht für das Jahr 2012. Nur kurz hatte der Krieg in der Côte d’Ivoire gedauert. Amtsinhaber Laurent Gbagbo hatte Ende November 2010 die Präsidentschaftswahl verloren, sich jedoch geweigert abzutreten. In den folgenden Monaten starben über 200 Anhänger des Wahlsiegers Alassane Ouattara durch die Gewalt von Polizei und Militär. Ende Februar wurde schließlich der seit sechs Jahren bestehende Waffenstillstand zwischen den beiden Konfliktparteien gebrochen. Mitte April wurde Gbagbo schließlich – mit Unterstützung der UN-Mission ONUCI – von den Rebellen gefangen genommen und der Krieg wenige Tage später beendet.
Auch zwei bewaffnete Konflikte erwiesen sich nur von kurzer Dauer und wurden 2012 nicht fortgeführt. Im Jemen wurden 2011 Proteste wie in vielen anderen arabischen Ländern zunächst mit Gewalt durch Polizei und Militär unterdrückt. Im Mai und noch einige weitere Male im Laufe des Jahres griffen jedoch Kämpfer verschiedener Stämme sowie abtrünnige Teile des Militärs gegen die Regierung ein, sodass sich ein bewaffneter Konflikt entwickelte. Nach schwierigen Verhandlungen wurde hier ein schrittweiser Rückzug des langjährigen Präsidenten Ali Saleh erreicht.
Anfang Februar 2011 fanden Kämpfe zwischen Truppen Thailands und Kambodschas in einem strittigen Grenzgebiet um den zum Weltkulturerbe zählenden Hindu-Tempel Preah Vihear statt. Nachdem zunächst ein Waffenstillstand geschlossen wurde, ereigneten sich neue Kämpfe Ende April/Anfang Mai in einem 150 Kilometer entfernten Grenzgebiet. Obwohl Thailand eine internationale Beobachtung ablehnte, konnte auch diese zweite Phase der Kämpfe nach einigen Tagen beendet werden.
Zwei weitere bewaffnete Konflikte wiesen jeweils eine längere Vorgeschichte auf. In Nigeria kämpften seit Ende der 1990er Jahre diverse lokale Gruppen im Niger-Delta für eine größere Teilhabe an den Einnahmen aus der Erdölförderung in diesem Gebiet. Die kriegerische Gewalt nahm in den letzten Jahren sukzessive ab und 2012 wurden keine entsprechenden Kampfhandlungen mehr berichtet.
In der pakistanischen Provinz Belutschistan kämpften seit 2005 mehrere Gruppen für die Unabhängigkeit der Region. Auch hier gingen die Kampfhandlungen in den letzten Jahren deutlich zurück. Allerdings blieb die Provinz von kriegerischer Gewalt betroffen, da sie auch zum Operationsgebiet der pakistanischen Taliban gehört (vgl. S. 6).
Den fünf 2011 beendeten kriegerischen Auseinandersetzungen standen 2012 zwei neue gegenüber. Von diesen erhielt der Krieg in Mali die größere Aufmerksamkeit. Diese begann Mitte Januar als Aufstand der von Tuareg geführten Rebellengruppe Mouvement National pour la Libération de l’Azawad (MNLA), die die Unabhängigkeit Nordmalis erreichen wollte. Diese ging ein Bündnis mit drei islamistisch ausgerichteten Gruppierungen ein. Die Rebellen profitierten dabei auch von der Uneinigkeit in der Hauptstadt, wie mit der Rebellion umzugehen sei. Ein Putsch im März, der sich gegen das zögerliche Verhalten des Präsidenten in der Frage der Rebellion richtete, begünstigte diese letztlich: Die Rebellen konnten die ungewisse Situation ausnutzen und Anfang April den kompletten Norden des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Allerdings zerbrach das Bündnis zwischen den nach Unabhängigkeit strebenden Tuareg-Rebellen und den islamistischen Gruppen spätestens Anfang Juni. Dabei hatten die Tuareg-Rebellen schnell das Nachsehen und wurden von den Islamisten aus allen wichtigen Gebieten des Nordens verdrängt. Eine von der UNO prinzipiell autorisierte und von der westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS geplante Interventionstruppe wird wohl frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2013 zum Einsatz kommen. Allerdings ist bis dahin auch eine Verhandlungslösung nicht ausgeschlossen. Sowohl die Tuareg-Rebellen als auch zwei der drei islamistischen Gruppen trafen sich 2012 regelmäßig mit Vermittlern.
Der zweite neue kriegerische Konflikt des Jahres 2012 fand zwischen Sudan und Südsudan statt. Er stand im Zusammenhang mit der im Juli 2011 erreichten Unabhängigkeit Sudsudans. Dabei blieben einige territoriale Fragen ungeklärt. Im Zentrum der Streitigkeiten stand dabei die Provinz Abyei. Bewaffnete Auseinandersetzungen fanden dabei im April und Mai statt, bevor sich die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch setzten. Ende September wurde zwar keine endgültige Lösung des Grenzkonflikts erreicht, aber zumindest eine entmilitarisierte Zone eingerichtet.
Regionale Verteilung
Aufgrund der Veränderungen gegenüber dem Vorjahr war Afrika mit 13 kriegerischen Konflikten die 2012 von organisierten Kämpfen zahlenmäßig am stärksten betroffene Weltregion. Dahinter folgten der Vordere und Mittlere Orient mit 11 und Asien mit 9 kriegerischen Konflikten. In Lateinamerika war ein Krieg zu verzeichnen.
In Afrika wurden im Vorjahr ein Krieg und ein bewaffneter Konflikt beendet. Da die einzigen beiden neu eskalierten kriegerischen Konflikte in Afrika stattfanden, blieb deren Zahl mit 13 gegenüber dem Vorjahr unverändert. Davon waren neun Kriege und vier bewaffnete Konflikte.
In Somalia wurden die islamistischen Rebellen der Al-Shabaab weiter zurückgedrängt. Ende September verloren sie mit der Hafenstadt Kismayo ihre bis dahin bedeutendste noch verbliebene Basis. Trotzdem blieb Al-Shabaab auch in der Hauptstadt Mogadischu, aus der sie im Vorjahr vertrieben worden war, in Form von diversen Anschlägen präsent. Formal wurde die Übergangsperiode der Transitional Federal Government (TFG) mit der Wahl einer neuen Regierung im September beendet.
Im benachbarten Äthiopien blieb die an Somalia grenzende und von ethnischen Somalis bewohnte Ogaden-Region umkämpft. Über die Intensität der Kämpfe zwischen den Rebellen der Ogaden National Liberation Front (ONLF) und der äthiopischen Armee herrscht aufgrund einer massiven Informationsblockade seitens der Regierung wenig Klarheit. Zwei schwedische Journalisten, die im Kriegsgebiet recherchiert hatten und Ende 2011 wegen Unterstützung von Terrorismus zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren, wurden im September begnadigt und freigelassen. Ebenfalls im September begannen Gespräche zwischen Regierung und Rebellen, die allerdings Mitte Oktober erfolglos abgebrochen wurden.
Im Osten der Demokratischen Republik Kongo entstand mit der M23 eine neue Rebellengruppe. Diese bezieht sich mit ihrem Namen auf eine frühere Rebellengruppe, mit der am 23. März 2009 eine Friedensvereinbarung geschlossen worden war. Die nicht eingehaltenen damaligen Zusagen der Regierung und insbesondere die gescheiterte Integration ehemaliger Rebellen in die Armee bilden den Hintergrund für die erneute Rebellion. Dabei löste die M23 die Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR), die aus Milizen hervorgegangen sind, die für den Völkermord in Ruanda von 1994 verantwortlich waren, als wichtigsten militärischen Gegner der Regierung ab. Mitte November gelang es den M23-Rebellen Goma, die Hauptstadt der Provinz Nordkivu, einzunehmen. Sie räumten diese allerdings nach internationalem Druck und Versprechungen der Regierung zu ernsthaften Verhandlungen Anfang Dezember wieder.
Auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo, vor allem aber in der Zentralafrikanischen Republik kämpft die ugandische Armee in Zusammenarbeit mit den Streitkräften der betroffenen Staaten gegen die Lord’s Resistance Army (LRA). Der 1995 begonnene Krieg gegen die LRA wurde 2006 vorübergehend beendet und die Rebellen zogen sich für Friedensverhandlungen in Lager im Kongo und Südsudan zurück. Allerdings eskalierte der Krieg im Dezember 2008 erneut, kehrte allerdings nicht wieder nach Uganda zurück, sondern wird seither ausschließlich auf fremdem Territorium ausgetragen.
Der Krieg in der Zentralafrikanischen Republik schien 2012 zunächst weitgehend beendet zu sein. Auch die letzte noch aktive Rebellengruppe, die Convention des Patriotes pour la Justice et la Paix (CJCP), schloss Ende August einen Friedensvertrag mit der Regierung. Jedoch wurde dieser von einem Teil der CJCP nicht anerkannt. Auch Faktionen anderer früherer Rebellengruppen wurden im November erneut aktiv und eroberten einige Orte im Norden des Landes. In der zweiten Dezemberhälfte rückten die Rebellen in Richtung der Hauptstadt Bangui vor.
Der Sudan blieb 2012 Schauplatz von zwei Kriegen. Die Kämpfe in der Region Darfur vor allem mit Rebellen der Justice and Equality Movement (JEM) dauerten das ganze Jahr über an. Ende Oktober gelang es den Rebellen sogar, Al-Fascher, die Hauptstadt der Provinz Norddarfur, anzugreifen. Neben Darfur entwickelte sich in den südlichen Grenzprovinzen, insbesondere Südkordofan und Blauer Nil, nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Juli 2011 noch ein zweiter Kriegsschauplatz im Sudan. Dort hielten die Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und der Sudan People’s Liberation Army – North (SPLA-N), dem nördlichen Ableger der früheren südsudanesischen Rebellengruppe SPLA, 2012 unvermindert an.
Im Südsudan kämpften Abspaltungen der nunmehr regierenden SPLA auch 2012 gegen die Regierung. Zwar konnte mit den Anhängern des früheren Generals George Athor Ende Februar ein Abkommen geschlossen werden. Dafür wurde in der zweiten Jahreshälfte die Miliz des ehemaligen Generals David Yau Yau aktiv.
Neu zu verzeichnen war 2012 ein bewaffneter Konflikt zwischen Sudan und Südsudan. Im Zentrum dieser Auseinandersetzungen stand dabei die Provinz Abyei, deren Zugehörigkeit mit der Unabhängigkeit Südsudans im Juli 2011 nicht geklärt wurde.
Im Norden Nigerias weiteten sich die Aktionen der islamistischen Boko Haram aus. Gleich am 1. Januar forderten die Rebellen alle Christen aus dem Süden Nigerias auf, den Norden zu verlassen. Ebenfalls noch im Januar ereignete sich in Kano der blutigste Anschlag des Jahres mit über 200 Todesopfern. Einerseits versuchten die Sicherheitskräfte als Hintermänner weiterhin Ausländer verantwortlich zu machen, indem sie nach diesem Anschlag 160 Tschader vorübergehend inhaftierten. Andererseits vermutete Präsident Goodluck Jonathan öffentlich Sympathisanten von Boko Haram innerhalb der Elite von Politik und Sicherheitskräften Nigerias.
Im Senegal hatte 2012 eine Beruhigung des Konflikts mit den nach Unabhängigkeit strebenden Rebellen der Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance (MFDC) Bestand. Trotzdem ereigneten sich vor allem in der ersten Jahreshälfte mehrere, wenn auch kleinere Zusammenstöße.
In dem 2011 neu eskalierten bewaffneten Konflikt in Burundi sind mehrere Rebellengruppen aktiv. Sporadische Kampfhandlungen zwischen diesen und der Armee fanden 2012 sowohl auf dem Territorium der Demokratischen Republik Kongo als auch in Grenzgebieten Burundis statt.
Neu eskaliert ist 2012 ein Krieg in Mali. Dieser wurde zunächst von separatistischen Rebellen für die Unabhängigkeit Nordmalis geführt, wurde allerdings im Laufe des Jahres zunehmend zu einer Herausforderung durch islamistische Gruppierungen.
Kriegerische Konflikte im VMO
Im Vorderen und Mittleren Orient (VMO) wurde im Vorjahr ein bewaffneter Konflikt beendet. Damit wurden 2012 im VMO elf kriegerische Auseinandersetzungen, davon sieben Kriege und vier bewaffnete Konflikt, geführt.
Von allen Kriegen im VMO erhielt der in Syrien 2012 die größte Aufmerksamkeit. Seit März 2011 fanden ausgehend von den Städten Daraa, Homs und Hama von der Regierung gewaltsam unterdrückte Massenproteste statt. Im Herbst 2011 eskalierten diese mit Gründung der Free Syrian Army (FSA) zum bewaffneten Konflikt, um 2012 das Ausmaß eines Krieges zu erreichen. Ab Ende Juni erreichten die Kämpfe das Wirtschaftszentrum Aleppo und die Hauptstadt Damaskus und die Regierung verlor zunehmend die Kontrolle über Teile des Landes. Im November einigten sich die bis dahin stark zersplitterten Rebellen nach einwöchigen Verhandlungen und äußerem Druck auf die Bildung einer gemeinsamen Vertretung.
Der Krieg in Afghanistan stand auch 2012 im Zeichen von für 2014 angekündigten Truppenabzügen der International Security Assistance Force (ISAF). Erste Stützpunkte wurden an afghanische Sicherheitskräfte übergeben. Die Eröffnung eines Taliban-Büros in Katar Mitte Januar führte bislang nicht zu sichtbaren Verhandlungen. Das ganze Jahr hindurch kam es zu Kampfhandlungen mit und Anschlägen durch die Rebellen. Auf der anderen Seite stieg die Zahl der Drohneneinsätze seitens der USA 2012 auf einen neuen Höhepunkt. In Afghanistan wurden erstmals mehr Drohnen eingesetzt als in Pakistan.
Auch der Irak blieb 2012 von Gewalt geprägt. Ziel von Anschlägen der irakischen Al-Qaida wurden sowohl Angehörige und Einrichtungen des schiitischen Bevölkerungsteils als auch der Sicherheitskräfte. Darüber hinaus wurde der Irak von vielfältigen Konflikten geprägt: Vizepräsident al-Haschemi wurde im September in Abwesenheit wegen der Organisation von Morden politischer Gegner zum Tode verurteilt. Die Türkei verweigerte jedoch die Auslieferung. Auch zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Zentralregierung kam es zu Spannungen, die für mehrere Monate zur Einstellung der Öllieferungen aus dem kurdischen Norden führten.
Traditionell größere Aufmerksamkeit erhält der Konflikt zwischen Israel und verschiedenen palästinensischen Gruppen, obwohl er in der Regel trotz regelmäßiger bewaffneter Auseinandersetzungen nicht als Krieg wahrgenommen wird. Vor allem die einwöchige Eskalation nach der Tötung des Hamas-Militärchefs Ahmed al-Jaabari wurde 2012 jedoch als kriegerischer Konflikt wahrgenommen. Politisch rückten zwei Ereignisse in den letzten Wochen des Jahres der Konflikt ins Zentrum internationaler Aufmerksamkeit. Zum einen erkannte die UN-Generalversammlung Palästina den Status eines beobachtenden Nichtmitglieds-Staates zu; zum anderen riefen die Pläne der israelischen Regierung zum Ausbau der Siedlungen ungewohnt deutlichen Protest bei westlichen Staaten hervor.
Im Jemen besetzte Al-Qaida in the Arabian Peninsula (AQAP) 2012 zeitweise einige Orte im Süden des Landes. Auch in der Hauptstadt Sanaa waren die Rebellen aktiv und verübten im Mai einen Selbstmordanschlag auf eine Militärparade. Dabei starben über 100 Menschen. Schrittweise stieg auch die Verwicklung der USA in den Krieg, indem die Zahl der Drohnenangriffe ausgeweitet wurde.
Die Gewalt in den nordkaukasischen Republiken der Russischen Föderation hielt auch 2012 an. Hier kämpfen islamistische Rebellen für ein Kaukasisches Emirat. Neben Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien war auch Kabardino-Balkarien erneut von dem Konflikt betroffen. Das Jahr wurde durch kleinere Militäroperationen in der gesamten Region und Anschläge der Rebellen geprägt.
Im Krieg zwischen der Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) kam es weiter zu Kämpfen zwischen PKK-Kämpfern und Regierungstruppen. Auch griff das türkische Militär im Laufe des Jahres wiederholt PKK-Basen im Nordirak an. Seit dem Ende von Gesprächen Mitte Juni 2011 wurden mehr als 800 Menschen in dem Konflikt getötet. Erste Anzeichen für eine Entspannung gab es Mitte November 2012, als mehrere Hundert PKK-Häftlinge einen zweimonatigen Hungerstreik beendeten, nachdem dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan wieder erlaubt wurde, seine Anwälte zu treffen.
Weniger bekannt, aber auch weniger intensiv geführt als der Kurdenkonflikt in der Türkei ist der im Iran. Nach einer iranischen Offensive im September 2011 hat die eng mit der PKK zusammenarbeitenden Partiya Jiyana Azada Kurdistanê (PJAK) einen einseitigen Waffenstillstand erklärt. 2012 kam es allenfalls noch sporadisch zu Kampfhandlungen.
Im Vorjahr hatte der Krieg in Libyen auch aufgrund der NATO-geführten Luftangriffe eine große öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Und wenige Tage nach der Tötung des bisherigen Machthabers Muammar al-Ghaddafi am 20. Oktober konnte der Krieg nach etwa acht Monaten Dauer als beendet angesehen werden. Trotzdem hielt die Gewalt in Libyen seitdem an. Milizen der siegreichen Opposition kämpften in verschiedenen Teilen des Landes gegeneinander. Insbesondere der Süden erwies sich in dieser Hinsicht als so unruhig, dass die im November gebildete neue Regierung Mitte Dezember die Grenzen zu den südlichen Nachbarn schloss. Die meiste Aufmerksamkeit erregte zweifellos ein Angriff mutmaßlicher Islamisten auf das US-Konsulat in Bengasi am 11. September, bei dem US-Botschafter Stevens getötet wurde.
In Algerien ging die Zahl der Anschläge und bewaffneten Zusammenstöße zwischen den islamistischen Rebellen der Al-Qaïda au Maghreb Islamique (AQMI) und staatlichen Sicherheitskräften weiter zurück. Im Vorjahr wurden die Operationen der südlichen Einheiten der AQMI in Mauretanien, Mali und Niger noch dem Konflikt in Algerien zugerechnet. 2012 wurde dieser Teil der AQ-MI allerdings einer der wesentlichen Akteure des Krieges in Mali.
In Tadschikistan wurde ein bewaffneter Konflikt im Distrikt Rascht im März 2011 beendet. Überraschend eskalierte 2012 im Juli ein Konflikt in der Autonomen Provinz Gorno Badachschan. Die Kämpfe wurden allerdings bereits Mitte August wieder beendet, nachdem der Anführer der Rebellen aufgegeben hat.
Kriegerische Konflikte in Asien
In Asien waren im Vergleich zum Vorjahr zwei bewaffnete Konflikte weniger zu verzeichnen. Damit wurden 2012 in Asien noch neun kriegerische Auseinandersetzungen, davon sieben Kriege und zwei bewaffnete Konflikte, geführt.
Indien blieb das Land mit den meisten kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit. Im Jahr 2012 wurden dort noch zwei Kriege und zwei bewaffnete Konflikte ausgetragen. Zum bedeutendsten Krieg in Indien entwickelten sich in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen mit den als Naxaliten bezeichneten maoistischen Rebellen. Diese waren 2012 in fünf der 28 Unionsstaaten Indiens in größerem Maßstab aktiv, vor allem in Chhattisgarh und Jharkhand. Im Vergleich zu den Vorjahren ging die Gewalt aber deutlich zurück. Trotzdem wurden in diesem Krieg 2012 fast 400 Menschen getötet.
Der nicht zuletzt wegen seiner Verbindung zum indisch-pakistanischen Konflikt bekannteste unter den Kriegen in Indien ist der Kaschmirkrieg. Trotz dieser Brisanz hat sich der Konflikt in den letzten Jahren stetig abgeschwächt. Im Vergleich zum Vorjahr an Intensität verloren haben ebenfalls die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nordosten Indiens, in den beiden Unionsstaaten Assam und Manipur.
Pakistan verzeichnete 2012 nur noch einen Krieg. Dieser forderte aber mehr Todesopfer als die meisten anderen Kriege. Über 6.000 Menschen verloren hier ihr Leben. Knapp die Hälfte von diesen wurde in den Federally Administered Tribal Areas (FATA) getötet, die das Hauptoperationsgebiet mehrerer Gruppen sind, die unter dem Namen Taliban zusammengefasst werden.
Zwei Kriege geringeren Ausmaßes waren auch 2012 noch auf den Philippinen zu verzeichnen. Diese beiden Kriege begannen jeweils bereits 1970. Im Süden des Landes kämpfen Rebellen der philippinischen Muslime für mehr Autonomie der Region Mindanao. Die Moro Islamic Liberation Front (MILF) als größte Rebellengruppe führte das ganze Jahr über Friedensverhandlungen mit der Regierung, die Mitte Oktober zu einer Vereinbarung führten. Kompliziert wird eine Lösung dieses Konflikts allerdings durch das Entstehen neuer Gruppen: So spaltete sich 2011 eine Gruppe unter dem Namen Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) von der MILF ab. Weiterhin aktiv blieb darüber hinaus die islamistische Abu Sayyaf. Im zweiten Krieg ist die New People’s Army (NPA) als militärischer Arm der Communist Party of the Philippines (CPP) aktiv. Hier ereigneten sich das ganze Jahr über Kämpfe mit Sicherheitskräften von Polizei und Militär.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Myanmar, dem früheren Birma, begannen bereits 1948. Der Konflikt eskalierte nach einer kurzen Phase des Rückgangs der Kampfhandlungen 2003 erneut zum Krieg. Diverse Rebellenbewegungen ethnischer Gruppen kämpfen dabei für die Unabhängigkeit. Zwischen der Karen National Union (KNU) und der Regierung wurde im Januar 2012 ein Waffenstillstand geschlossen, der im April zu einer weitergehenden Vereinbarung führte. Die Kachin Independence Organization (KIO) war die einzige Rebellengruppe, die 2012 regelmäßig in bewaffnete Auseinandersetzungen mit Regierungstruppen verwickelt war. Wie auch in den Vorjahren fand dieser weltweit am längsten andauernde kriegerische Konflikt weniger Beachtung als die allgemeine Menschenrechtslage in Myanmar. Hier wurde der jahrelang unter Hausarrest stehenden Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi erlaubt, Anfang April bei Nachwahlen für einen Sitz im Parlament zu kandidieren. Sie war dabei erfolgreich, wie auch die Opposition insgesamt, die 43 der 45 neu zu besetzenden Sitze erringen konnte.
In Thailand streben muslimische Rebellen die Unabhängigkeit des Südens des Landes an. In den vorangegangenen Jahren wurde vor allem ziviles staatliches Personal von den Rebellen angegriffen. 2012 waren vermehrt Angriffe und Anschläge auf Angehörige von Polizei und Militär zu verzeichnen. Die Regierung verlängerte 2012 mehrfach den Ausnahmezustand in den südlichen Provinzen.
Kriegerische Konflikte in Lateinamerika
In Lateinamerika war 2012 – wie auch im Jahr zuvor – noch ein Krieg zu verzeichnen.
Obwohl die Guerilla in Kolumbien in den letzten Jahren geschwächt wurde, dauerte der Krieg zwischen der Regierung und den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) an. Trotz anhaltender Kämpfe gab es 2012 verschiedene Signale zur Beendigung des Krieges. Anfang April ließen die FARC die letzten zehn Gefangen gehaltenen Soldaten und Polizisten frei, behielten allerdings in der Vergangenheit entführte Zivilisten. Zunächst Mitte Oktober in Oslo und ab Mitte November in Havanna begannen Friedensgespräche zwischen FARC und Regierung. Auf einen von den Rebellen einseitig verkündeten zweimonatigen Waffenstillstand ab 20. November ging die Regierung allerdings nicht ein, sondern setzte ihre Militäraktionen fort.
Weitere Gewaltkonflikte
Auch 2012 war eine ganze Reihe von gewaltsam ausgetragenen Konflikten zu beobachten, die nicht unter die Definitionen von Krieg und bewaffnetem Konflikte fallen. Die folgenden Beispiele sind rein exemplarisch zu verstehen und erheben insbesondere keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Zu diesen Konflikten gehörte vor allem – wie bereits in den vergangenen Jahren – die Gewalt zwischen den verschiedenen Drogenbanden in Mexiko. Diese Konflikte forderten 2012 erneut mehr Todesopfer als die meisten Kriege. Auch in anderen Staaten Zentralamerikas ist bereits seit Jahren ein hohes Gewaltniveau zwischen rivalisierenden Banden zu verzeichnen.
Wechselseitige Übergriffe von Milizen verschiedener Bevölkerungsgruppen waren in mehreren Ländern zu beobachten. In Nigeria zeichneten hierfür muslimische und christliche Milizen verantwortlich; in Myanmar waren es buddhistische und muslimische und im Libanon sunnitisch-muslimische und alawitische Milizen. In Kenia verlief die Konfliktlinie nicht zwischen Religionsgruppen, sondern zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern. In allen diesen Fällen gab es mehrere Dutzend bis zu über 100 Todesopfern und die Übergriffe erstreckten sich jeweils über mehrere Monate.
Einige zeitlich beschränkte Gewaltkonflikte erhielten kurzfristig eine öffentliche Aufmerksamkeit: Im Verlauf einer Landbesetzung Mitte Juni in Paraguay starben knapp 20 Bauern und Polizisten, woraufhin der Senat Präsident Fernando Lugo des Amtes enthob. Im August wurden 34 streikende Bergarbeiter in Südafrika durch Polizisten getötet, was das Ansehen des seit Ende der Apartheid politisch unangefochtenen regierenden ANC nachhaltig schädigte. Ebenfalls im August wurde in Ägypten durch Islamisten ein Anschlag auf einen Grenzposten zu Israel verübt. Dabei und bei der anschließenden Militäraktion kamen über 40 Menschen ums Leben.
* Quelle: AKUF (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg). Den gesamten bericht mit Grafiken und Tabellen erhalten Sie hier:
AKUF Analysen, Nr. 11, Dezember 2012 [externer Link].
Literaturhinweis:
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF): Das Kriegsgeschehen 2012. Daten und Tendenzen der Kriege und bewaffneten Konflikte, hrsg. von Wolfgang Schreiber, Wiesbaden: VS-Verlag
(in Vorbereitung; erscheint 2013)
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