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"Die Welt ist nicht friedlicher geworden"

Auch wenn sich die Zahl der kriegerischen Konflikte leicht verringert hat, gibt es keinen Grund zur Entwarnung

Von Olaf Standke *

Nach den am Donnerstag vorgelegten Untersuchungsergebnissen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg (AKUF) sind im ablaufenden Jahr 2008 weltweit 40 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt worden -- der niedrigste Stand seit 1993. Doch Grund zur Entwarnung sehen die Wissenschaftler nicht.

Aus der Sprache der Diplomatie sei der Begriff des Krieges »weitgehend verdrängt«, sagt Jochen von Bernstorff vom Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Wenn Truppen marschieren und Bomben abgeworfen werden, dann wird in der Presse gemeinhin zwar von Krieg geschrieben. Diplomaten bemühen in Anlehnung an die Gründungscharta der Vereinten Nationen, die laut Präambel »die Geißel des Krieges« überwinden will, lieber Umschreibungen: »Bruch des Friedens«, »Aggression«, »bewaffneter Konflikt«. Friedens- und Konfliktforscher haben ihrerseits Definitionen entwickelt, um die bewaffneten Kämpfe in der Welt analysieren und systematisieren zu können.

Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft verfolgt das Kriegsgeschehen seit Jahrzehnten und hat in ihrer Untersuchung für das Jahr 2008 insgesamt 40 Kriege und bewaffnete Konflikte erfasst. Die weitaus meisten allerdings sind vergessen und schaffen es nicht in die Schlagzeilen, wobei Asien mit 15 gewalttätigen Krisen nach wie vor die am stärksten betroffene Weltregion vor dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika ist.

Insgesamt, so AKUF-Sprecher Wolfgang Schreiber, »sind das zwei Konflikte weniger als im Vorjahr, und die Zahl befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit 1993«. Nicht mehr kriegerisch ausgetragen wurde etwa der Konflikt um die Unabhängigkeit Westpapuas von Indonesien, der bereits 1963 begann und zuletzt deutlich an Intensität verlor. Gleichfalls beendet wurden die Auseinandersetzungen zwischen libanesischen Sicherheitskräften und der islamistischen Gruppierung Fatah al-Islam, die im Vorjahr zu einem regional begrenzten Krieg um ein palästinensisches Flüchtlingslager im Norden Libanons geführt hatten.

Doch sei die Entwicklung in diesem Jahr keineswegs uneingeschränkt positiv verlaufen, betont Schreiber. Im August eskalierten zum Beispiel die bewaffneten Auseinandersetzungen in der georgischen Region Südossetien zum Krieg zwischen Georgien und Russland. Andere Kriege seien 2008 zumindest zeitweise mit deutlich größerer Intensität geführt worden als noch ein Jahr zuvor. Dazu zählen die Hamburger Forscher vor allem Afghanistan, »wo das in den letzten Jahren zu beobachtende Erstarken der Taliban anhielt und mit einer Intensivierung und Ausbreitung des Krieges im Land einherging«.

In Sudan wiederum drangen Rebellen aus Darfur kurzzeitig bis in Vororte der Hauptstadt Khartum vor. Nachdem in Somalia die islamistischen Gruppen Ende 2007 von ihrer faktischen Herrschaft vor allem durch das Eingreifen Äthiopiens vertrieben worden waren, gelang es ihnen 2008, weite Teile des Landes wieder unter Kontrolle zu bringen. In Sri Lanka strebte die Regierung nach Erfolgen gegen die tamilischen Rebellen einen endgültigen militärischen Sieg an. Und im Osten der Demokratischen Republik Kongo eskalierten zuletzt die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen.

»Die meisten Kriege sind sehr verhärtete, langjährige Konflikte«, meint auch Lotta Mayer vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung. Viele würden noch lange Zeit von der Politik der USA unter Bush beeinflusst, der im Kampf gegen den Terrorismus zu häufig auf Gewalt gesetzt habe. Man könne nicht davon sprechen, »dass die Welt friedlicher geworden wäre«, unterstreicht Wolfgang Schreiber und verweist dabei auch auf eine Reihe von gewaltsam ausgetragenen Konflikten in diesem Jahr, die noch nicht als Kriege oder bewaffnete Konflikte zu bezeichnen seien. Dazu gehörten unter anderem die Auseinandersetzungen nach den Wahlen in Kenia, die Zusammenstöße zwischen Anhängern von Regierung und Opposition in Bolivien oder jüngst die Anschläge in Bombay. Selbst Weltbank und IWF warnen inzwischen vor der »Gefahr von neuen Kriegen« durch die weltweite Ernährungskrise und den fortschreitenden Klimawandel.

Im Schnitt kommen nach Untersuchungen des UN-Entwicklungsprogramms Jahr für Jahr 52 000 Menschen direkt in Kriegen oder Bürgerkriegen um, 740 000 Menschen sterben an den direkten und indirekten Folgen von Waffengewalt. Die humanitären, sozialen und wirtschaftlichen Schäden werden auf mehrere Milliarden Euro jährlich geschätzt. Trotzdem setzen auch die reichen Industriestaaten weiter auf militärische Gewalt und Hochrüstung. Eine gescheiterte Strategie nennt dies das »Friedensgutachten 2008«, denn sie trage weder zur Lösung politischer Konflikte bei, noch behebe sie deren Ursachen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2008


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