Das Kriegsgeschehen des Jahres 2004
Bilanz unverändert: 42 Kriege und bewaffnete Konflikte - Am stärksten betroffen sind Asien und Afrika
Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg
veröffentlicht fortlaufend Daten und Analysen zum weltweiten Kriegsgeschehen und gibt
ein Jahrbuch aller Kriege und bewaffneten Konflikte ("Das Kriegsgeschehen") heraus.
AKUF 2005: Das Kriegsgeschehen 2004. Daten und Tendenzen der Kriege und
bewaffneten Konflikte. Herausgegeben von Wolfgang Schreiber, Wiesbaden: VS –
Verlag für Sozialwissenschaften (erscheint im Frühjahr 2005).
Im Folgenden dokumentieren wir eine Kurzfassung der Ergebnisse für das Jahr 2004, die von der AKUF Ende letzten Jahres als Pressemitteilung herausgegeben wurde.
P r e s s e m i t t e i l u n g
der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
Universität Hamburg
Die "Normalität" des Kriegsgeschehens
Zahl der Kriege konstant geblieben
13. Dezember 2004
Das Kriegsgeschehen des Jahres 2004
Allgemeine Trends
Nach Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung
(AKUF) wurden im Jahr 2004 weltweit 42 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt.
Gegenüber dem Vorjahr hat sich diese Zahl damit nicht verändert. Allerdings wurden
sieben kriegerische Konflikte beendet und ebenso viele neu begonnen.
Beendet wurden die beiden Kriege in Liberia und der Zentralafrikanischen Republik.
Gleiches gilt für die bewaffneten Konflikte in Kongo-Brazzaville und Mazedonien, auf
den Salomonen und Sri Lanka sowie zwischen Indien und Pakistan. Neue kriegerische
Konflikte waren in Jemen, im kurdischen Teil der Türkei, im Süden Thailands, in Haiti, in
Äthiopien, in der georgischen Region Südossetien und zwischen muslimischen und
christlichen Milizen in Nigeria zu verzeichnen.
Die von organisierten Kämpfen am stärksten betroffenen Weltregionen sind zwar nach
wie vor Asien und Afrika mit 15 bzw. 13 kriegerischen Konflikten. Mit 11 Kriegen und
bewaffneten Konflikten weist aber auch der Vordere und Mittlere Orient eine große
Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen auf. In Lateinamerika waren drei
kriegerische Konflikte zu verzeichnen. Damit bestätigt sich auch im Jahr 2004 die
regionale Ungleichverteilung des weltweiten Kriegsgeschehens: Weit über 90 Prozent
aller Kriege seit 1945 fanden in der „Dritten Welt“ statt.
Dabei spielen der Kampf um die Macht im Staat und Sezessionsbestrebungen die
Hauptrolle. Diese innerstaatlichen Kriege dominieren das Kriegsgeschehen der letzten
50 Jahre. Zwischenstaatliche Auseinandersetzungen wie zuletzt der Irakkrieg und der
bewaffnete Konflikt zwischen Indien und Pakistan dagegen bilden die Ausnahme.
Überblick
Wie im Vorjahr hat sich die öffentliche Aufmerksamkeit auch im zuende gehenden Jahr
vor allem auf den Krieg im Irak konzentriert. Die von vielen vorausgesagte Eskalation
nach dem Ende der Hauptkampfhandlungen zwischen März und Mai 2003 hat sich im
Jahr 2004 fortgesetzt. Dabei kämpfte eine Vielzahl von bewaffneten Gruppierungen
gegen die Besatzungstruppen unter Führung der USA bzw. gegen die von diesen
eingesetzte irakische Übergangsregierung.
Die gravierendste humanitäre Krise weltweit wies 2004 die sudanesische Region Darfur
auf. Der dortige Krieg hatte zu Beginn des Jahres 2003 begonnen. International wurde
vor allem diskutiert, inwieweit die Ermordungen und Vertreibungen der Bevölkerung in
Darfur einen Völkermord darstellen. Umgekehrt proportional zu diesem
schwerwiegenden Vorwurf steht das Vorgehen der internationalen Gemeinschaft, die
sich bisher nicht auf ein Waffenembargo gegen die Kriegsparteien einigen konnte.
Zwei Kriege konnten im Jahr 2003 beendet werden. In der Zentralafrikanischen
Republik wurden die Kämpfe durch einen militärischen Sieg der Rebellen unter General
François Bozizé im März 2003 beendet. In Liberia dagegen führten neben militärischen
Erfolgen der beiden Rebellenbewegungen LURD und MODEL auch massiver
diplomatischer Druck zu Rücktritt und Exil von Präsident Charles Taylor im August
2003. Seither wird eine Übergangsregierung von einer fast 15.000 Mann umfassenden
UN-Blauhelmmission unterstützt. Bei den fünf 2003 beendeten bewaffneten Konflikten
in Kongo-Brazzaville, Mazedonien, auf den Salomonen und Sri Lanka sowie zwischen
Indien und Pakistan handelte es sich um frühere Kriege, bei denen Zahl und Intensität
der Kampfhandlungen bereits in den Vorjahren schrittweise zurückgegangen waren und
die im Jahr 2004 nicht mehr als Krieg oder bewaffneter Konflikt einzustufen waren.
Neben dem Krieg im sudanesischen Darfur wurden in Afrika noch 12 weitere
kriegerische Konflikte ausgetragen. Neu waren dabei Unruhen und bewaffnete
Auseinandersetzungen in der äthiopischen Gambela-Region in den ersten Monaten des
Jahres zu verzeichnen. Von den anderen Schauplätzen kriegerischer
Auseinandersetzungen im östlichen Afrika (Somalia und Uganda) und dem an den
Sudan grenzenden Tschad waren zwar positive Entwicklungen, bislang aber keine
entscheidenden Veränderungen zu berichten.
Auch die Konflikte im zentralen und südlichen Afrika (Kongo-Kinshasa, Burundi und
Angola) wiesen im Wesentlichen keine Unterschiede zu den Vorjahren auf, wobei die
Folgen des Eindringens ruandischer Truppen in den Kongo Anfang Dezember noch
nicht absehbar sind. In der Côte d’Ivoire herrschte über weite Teile des Jahres ein
„eingefrorener“ Kriegszustand, der im Herbst nochmals für wenige Tage zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen der Regierungsseite und den französischen Überwachungstruppen führte. Im übrigen Westafrika wurde der bewaffnete Konflikt im
Senegal fortgeführt und die Lage in Nigeria erwies sich einmal mehr als instabil, indem
sich – zusätzlich zum andauernden Konflikt im Niger-Delta – nach über einjähriger
Pause – erneut muslimische und christliche Milizen bekämpften.
Von den 15 kriegerischen Konflikten in Asien wurden allein sechs in Indien
ausgetragen. Der Kaschmirkrieg im Nordwesten Indiens ist von diesen ohne Zweifel der
bekannteste. Aber auch im Osten des Landes kämpfen verschiedene Rebellengruppen
für eine Sezession vom Zentralstaat. Die größte Dynamik wies 2004 der so genannte
Naxaliten-Konflikt auf, in dem mehrere „maoistische“ Rebellengruppen für eine
Veränderung des politischen Systems kämpfen. Diese Gruppen konnten ihr
Operationsgebiet 2004 deutlich vergrößern. Im benachbarten Königreich Nepal wurden
intensive Kampfhandlungen zwischen den ebenfalls „maoistischen“ Aufständischen und
der Regierung geführt.
Neu zu verzeichnen waren im Jahr 2004 Anschläge muslimischer Rebellen im Süden
Thailands. Im Verlauf des Konflikts wurde vereinzelt auch von Kampfhandlungen mit
thailändischen Sicherheitskräften berichtet. Unverändert fortgesetzt wurden die
bewaffneten Auseinandersetzungen auf den Philippinen und in Indonesien, in Myanmar
(Birma) und Laos sowie zwischen militanten Sunniten und Schiiten in Pakistan.
Der Vordere und Mittlere Orient wies dieses Jahr mit drei neuen Konflikten die größte
zahlenmäßige Veränderung im weltweiten Kriegsgeschehen auf: In Jemen fanden von
Mitte Juni bis Mitte September intensive Kämpfe zwischen einer islamistischen Gruppe
und Regierungstruppen statt. Im Südosten der Türkei wurde die kurdische Gruppierung
Kongra-Gel aktiv, nachdem der Krieg des türkischen Staates mit der
Vorläuferorganisation PKK 2001 beendet worden war. In Georgien wurden neben dem
Dauerkrisenherd Abchasien auch aus Südossetien über Kampfhandlungen berichtet.
Im Palästina-Konflikt standen trotz weiterhin verübter Selbstmordanschläge und
militärischen Übergriffen Israels politische Ereignisse im Vordergrund des öffentlichen
Interesses. Für den weiteren Verlauf des Konfliktes bleibt insbesondere abzuwarten,
wie groß die Zäsur auf palästinensischer Seite durch den Tod von Jassir Arafat ist.
Ohne jegliche Aussicht auf eine Lösung erwies sich auch 2004 der Konflikt zwischen
tschetschenischen Rebellen und der russischen Armee. In Afghanistan haben die
Kampfhandlungen im Vergleich zu den Vorjahren weiter zugenommen. Wenig
Veränderung gab es dagegen bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in Algerien
und Libanon.
Mit Haiti war in Süd- und Mittelamerika war erstmals seit Jahren wieder ein neuer
kriegerischer Konflikt zu verzeichnen. Dieser führte zu Beginn des Jahres 2004 zum
Exil des Präsidenten Bertrand Aristide. Ohne wesentliche Veränderungen blieben die
Auseinandersetzungen in Kolumbien zwischen zwei „linksgerichteten“
Rebellengruppierungen und der Regierung.
Die kriegerischen Konflikte im Jahr 2004
| Beginn | Einstufung 2004* |
Asien | | |
Indien (Assam) | 1997 | Krieg |
Indien (Bodos) | 1997 | Krieg |
Indien (Kaschmir) | 1990 | Krieg |
Indien (Nagas) | 1975 | Bewaffneter Konflikt |
Indien (Naxaliten) | 1997 | Krieg |
Indien (Tripura) | 1999 | Krieg |
Indonesien (Aceh) | 1999 | Krieg |
Indonesien (West-Papua) | 1965 | Bewaffneter Konflikt |
Laos | 2003 | Krieg |
Myanmar | 1948 | Krieg |
Nepal | 1999 | Krieg |
Pakistan | 2001 | Bewaffneter Konflikt |
Philippinen (Mindanao) | 1998 | Krieg |
Philippinen (NPA) | 1970 | Krieg |
Thailand | 2004 | Bewaffneter Konflikt |
Vorderer und Mittlerer Orient | | |
Afghanistan (Bürgerkrieg) | 1978 | Krieg |
Afghanistan („Anti-Terror-Krieg“) | 2001 | Krieg |
Algerien | 1992 | Krieg |
Georgien (Abchasien) | 1992 | Bewaffneter Konflikt |
Georgien (Südossetien) | 2004 | Bewaffneter Konflikt |
Irak | 1998 | Krieg |
Israel (Palästina) | 2000 | Krieg |
Jemen | 2004 | Krieg |
Libanon (Südlibanon) | 1975 | Bewaffneter Konflikt |
Russland (Tschetschenien) | 1999 | Krieg |
Türkei (Kurden) | 2004 | Krieg |
Afrika | | |
Angola (Cabinda) | 2002 | Bewaffneter Konflikt |
Äthiopien | 2004 | Bewaffneter Konflikt |
Burundi | 1993 | Krieg |
Côte d’Ivoire | 2002 | Krieg |
Kongo-Kinshasa (Ituri) | 1997 | Bewaffneter Konflikt |
Kongo-Kinshasa (Kivu) | 1997 | Bewaffneter Konflikt |
Nigeria (Niger-Delta) | 2003 | Bewaffneter Konflikt |
Nigeria (Religiöser Konflikt) | 2004 | Bewaffneter Konflikt |
Senegal (Casamance) | 1990 | Bewaffneter Konflikt |
Somalia | 1988 | Krieg |
Sudan | 2003 | Krieg |
Tschad | 1966 | Bewaffneter Konflikt |
Uganda | 1995 | Krieg |
Süd- und Mittelamerika | | |
Haiti | 2004 | Bewaffneter Konflikt |
Kolumbien (ELN) | 1964 | Krieg |
Kolumbien (FARC) | 1965 | Krieg |
* Zur Definition von Krieg bzw. Bewaffneter Konflikt siehe die folgenden Hinweise
AKUF-Kriegsdefinition
"Krieg" definiert die AKUF in Anlehnung an den ungarischen Friedensforscher István
Kende (1917-1988) als einen „gewaltsamen Massenkonflikt, der alle folgenden
Merkmale ausweist:
-
(a) an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte
beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär,
paramilitärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt;
-
(b) auf beiden
Seiten muss ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation der Kriegführenden und
des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte
bewaffnete Verteidigung oder planmäßige Überfälle (Guerillaoperationen,
Partisanenkrieg usw.);
-
(c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer
gewissen Kontinuität und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstöße, d.h.
beide Seiten operieren nach einer planmäßigen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe
auf dem Gebiet eines oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie
dauern.“
Kriege gelten als beendet, soweit Kampfhandlungen dauerhaft, d.h. für
mindestens ein Jahr, eingestellt bzw. nur unterhalb der Schwelle der AKUF-Kriegsdefinition
fortgesetzt werden.
Bei einem
"bewaffneten Konflikt" handelt es sich um gewaltsame
Auseinandersetzungen, bei denen die Kriterien der Kriegsdefinition nicht in vollem
Umfang erfüllt sind.
Anschrift von AKUF:
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung
Universität Hamburg
Allende-Platz 1, D-20146 Hamburg
Ihre Ansprechpartnerin: Dr. Ulrike Borchardt
Tel. +49 40 42838-3689; Fax +49 40 42838-2460
E-Mail akuf@sozialwiss.uni-hamburg.de
Homepage:
www.akuf.de
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