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Erst Waffenlieferungen, dann Ausbilder?

Aufrüstung der Kurden in enger Abstimmung mit EU-Verbündeten

Von René Heilig *

Deutschland ist einer der drei weltgrößten Waffenexporteure. Seit vielen Jahren liefert Deutschland auch in Kriegs- und Krisengebiete und pfeift so bewusst auf die eigenen Rüstungsexportrichtlinien.

Als es noch den Kalten Krieg gab, war es für keine Seite einfach, in Kriegen und anderen Scharmützeln Partei zu ergreifen. Doch es fanden sich Möglichkeiten. So übernahm der Bundesnachrichtendienst (BND) nicht selten die Rolle des Exporteurs. Ab 1965 beauftragte man beispielsweise die Hamburger Hausfirma Dobbertin und später die Werkzeug-Außenhandel GmbH – in deren Vorstand der Adjutant Hitlers und Agent Gehlens Gerhard Engel saß – Waffen an Pakistan zu liefern, das gerade im Krieg gegen Indien war.

Auch Nigeria, wo im sogenannten Biafra-Krieg zwei Millionen Menschen umgebracht wurden, war Empfängerland. Man rüstete den international geächteten Apartheidstaat Südafrika ebenso wie Rhodesien aus, belieferte die Militärjunta in Griechenland. Berlin unterstützte Kroatien im Balkankrieg. In den Rüstungsexportberichten der Regierung taucht ganz selbstverständlich das atomar bewaffnete Israel als Abnehmer auf, Südkorea ist gleichfalls Empfängerland. Beide Staaten liegen in Krisen- und Kriegsgebieten.

Was ist nun neu, wenn es um Lieferungen nach Irak geht? Die Art und Weise der Abwicklung. Man lässt sich von kurdischen Politikern Wunschlisten geben, zeigt zunächst Zurückhaltung und will nur nichtletale Güter liefern. Zugleich betont Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), man sei im Grundsatz bereit, »im Rahmen unserer Möglichkeiten Waffen und Munition den Kämpfern im Nordirak zur Verfügung zu stellen, die sich ISIS entgegenstellen«.

Was wird ausgewählt? Die Empfänger müssen »damit umgehen können«, sagt die Ministerin. Und: Man handle »pragmatisch, schnell, zweckmäßig«. Die Lieferscheine schickt man nach Bagdad, weil die Bundesregierung nur an Staaten liefern darf. Die Transportmaschinen werden unterdessen im Kurdengebiet entladen. Erstmals liefert man damit Kriegswaffen regierungsoffiziell an eine nicht-staatliche Miliz, nämlich an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer. In der Nacht zum Freitag belud die Bundeswehr statt ihrer Transall-Transporter eine größeren AN-124 des SALIS-Vertragspartners mit Hilfsgütern, demnächst dann wohl mit Waffen.

Umgehen können die kurdischen Kämpfer vor allem mit Waffen sowjetischen Typs. Die finden sich aber nicht mehr in den Bundeswehrarsenalen. Unter anderem deshalb, weil man nach der Auflösung der DDR-Armee Waffen und Gerät im Wert von 1,5 Milliarden Mark an den NATO-Partner Türkei verschenkt hat. Dazu gehörten 100 000 Panzerfäuste, 5000 Maschinengewehre, über 250 000 Maschinenpistolen sowie 450 Millionen Schuss Munition. Ankara setzte diese Geschenke im Kampf gegen die Kurden, insbesondere die der PKK ein. Nun ist die PKK – die weiter auf der Verbotsliste des Bundesinnenministeriums steht – plötzlich wichtig, weil auch sie ihre Kämpfer gegen die IS-Terroristen ausschickt.

Die Peschmerga-Kämpfer wünschen sich panzerbrechende Waffen. »Milan«-Raketen – eine deutsch-französische Entwicklung – wären in Bundeswehrdepots ausreichend vorhanden. Doch da der Krieg gegen die IS-Milizen den Kampf der Kurden für einen eigenen Staat und damit auch gegen die Türkei nur pausieren lässt, fürchtet man sich in Berlin schon jetzt vor der Meldung: Kurdische »Milan«-Rakete (Made in Germany) trifft türkischen »Leopard«-Panzer (Made in Germany). Waffen, die Deutschland jetzt an temporär Verbündete nach Irak liefert, können sich schon morgen gegen NATO-Partner oder sogar die eigenen Soldaten richten.

Roderich Kiesewetter, CDU-Außenpolitiker im Bundestag und Oberst der Bundeswehr, betont zurecht, dass in dem im Jahr 2000 beschlossenen Grundsatzpapier zum Rüstungsexport Hintertüren eingebaut sind. Deutsche außen- und sicherheitspolitische Interessen lassen problematische Lieferungen zu. Doch Kiesewetter sagt auch: »Waffenlieferungen allein sind kein politisches Gesamtkonzept.« Der Militär wünscht sich ein robustes Mandat der UNO und damit ausländische Bodentruppen, die die Konfliktparteien entwaffnen können. Zur aktuellen Debatte sagte der Oberst in der »Schwäbischen Post«: »Liefern und wegschauen geht nicht.« Er kann sich einen Bundeswehreinsatz vorstellen. Der Einstieg wäre schnell gemacht. »Wenn wir militärisches Gerät liefern, müssen wir auch bereit sein, Bundeswehrtechniker und Ausbilder zu stellen.« Das jedoch bezeichnet die Regierung öffentlich als ausgeschlossen.

Möglicherweise kann man ja, was die »Milan«-Rakten betrifft, auf eine erprobte Arbeitsteilung zurückgreifen. 2009 unterzeichnete die deutsch-französische EADS-Firma »Eurocopter« einen von Paris und Berlin gebilligten Vertrag zur Lieferung von 24 Kampfhubschraubern des Typs EC 635 an Irak. Bei Lieferung 2011 war das Empfängerland eindeutig ein Krisengebiet. Also übernahm Frankreich die Ausbildung der Piloten und die Wartung der Maschinen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betont dieser Tage immer wieder, bei den Waffenlieferungen an die Kurden werde man sich »auf das engste mit unseren europäischen und internationalen Partnern abstimmen«. Auch Kooperation eröffnet Wege in den Krieg.

* Aus: neues deutschland, Freitag 22. August 2014


Sondersitzung für Waffenhilfe

Regierung will Kurden aufrüsten: Grüne und CSU wollen im Bundestag zustimmen

Von Rüdiger Göbel **


Wegen der geplanten deutschen Waffenhilfe an kurdische Peschmerga-Milizen im Nordirak wird der Bundestag wohl kommende Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte Spiegel online, zwar sei eine Mandatierung nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz bei den geplanten Waffenlieferungen nicht notwendig. Doch sei die »politische Bedeutung« der Entscheidung so groß, »daß eine parlamentarische Beratung geboten erscheint«.

Die Bundesregierung hatte am Mittwoch ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, Waffen an kurdische Verbände zu liefern, um diese in ihrem Kampf gegen die Gruppe »Islamischer Staat« (IS) zu unterstützen. Bei Kurdenvertretern stößt die Aussicht auf hochwertiges Kriegsgerät »Made in Germany« auf helle Begeisterung. Der stellvertretende irakische Ministerpräsident Rodsch Schawais mahnte am Donnerstag im Deutschlandfunk, die Rüstungshilfe müsse nur schnell kommen.

Während Grüne und CSU sich für die Sondersitzung des Bundestages stark machten, um den Waffenlieferungen letztlich zustimmen zu können, lehnt Die Linke das Ansinnen ab. Deren Fraktionschef Gregor Gysi forderte am Donnerstag »gravierende gesetzliche Einschränkungen« für Rüstungsexporte, über die der Bundestag beraten müsse. Ausfuhren in den Nahen Osten müßten generell verboten werden. »Die Aussagen der Grünen und der anderen, wonach Deutschland bei einer Waffenlieferung an die Kurden im Irak erstmalig Waffen in ein Land lieferte, das sich im Kriegszustand befindet, sind eindeutig falsch und leicht zu widerlegen«, so Gysi. »Zu jeder Zeit wurden Waffen an Israel geliefert, obwohl die israelische Regierung immer wieder erklärt, sich im Kriegszustand zu befinden. So rechtfertigt sie auch ihre Blockade des Gazastreifens. Diese Genehmigungen scheiterten bei der Regierung von Gerhard Schröder auch in keinem Fall an den Grünen.«

Mittlerweile haben sich auch viele Friedensgruppen gegen die Pläne der Merkel-Regierung gestellt. »Pro Asyl« steuerte derweil einen Vorschlag bei, der Waffenhilfe ein humanitäres Mäntelchen umzuhängen: Auf dem Rückweg könnten die Transall-Maschinen doch für den Transport von Flüchtlingen nach Deutschland genutzt werden

** Aus: junge Welt, Freitag 22. August 2014


SPD-Linke warnen vor Aufrüstung

Forderung nach Truppen der Vereinten Nationen

Von Aert van Riel ***


Die Ankündigung der Bundesregierung, Waffen an Kurden in Nordirak zu liefern, die gegen die brutal vorgehenden islamistischen IS-Milizen kämpfen, stößt im linken Flügel der SPD auf Kritik. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Swen Schulz sagte dem »nd«: »Ich habe zu dem Thema nicht alle Informationen. Das ist auch ein Problem, weil der Bundestag nicht umfassend beteiligt ist. Aber nach meinem bisherigen Kenntnisstand halte ich es für einen Fehler, Waffen an die Kurden zu liefern.« Am Ende wisse man nie, gegen wen sich die Waffen richten, gab Schulz zu bedenken. Als Alternative brachte er ein militärisches Eingreifen der Vereinten Nationen auf Grundlage eines UN-Mandats ins Spiel, gegebenenfalls auch mit Beteiligung der Bundeswehr. »Ein solches Vorgehen wäre jedenfalls klarer und kontrollierter, als Waffen zu liefern«, meinte Schulz.

Auf die Risiken der geplanten Waffenlieferungen hatten zuvor in der SPD bereits die Abgeordnete Hilde Mattheis, die sich ebenfalls den Einsatz von UN-Truppen vorstellen kann, und der stellvertretende Parteichef Ralf Stegner hingewiesen. Die Waffen könnten später in weiteren Konflikten eingesetzt werden, womöglich sogar gegen die Lieferanten. Stegner erinnerte im Deutschlandfunk daran, dass westliche Staaten Saddam Hussein gegen die iranischen Ajatollahs aufgerüstet hatten und sich später im Irak-Krieg mit diesen Waffen auseinandersetzen mussten. Stegner befürchtet, dass als neuer Konflikt bald ein Kampf um einen unabhängigen kurdischen Staat ausbrechen könne, der sich dann vielleicht gegen den Zentralstaat Irak richten werde. Anstatt Waffen zu liefern, hält auch Stegner ein direktes militärisches Eingreifen für sinnvoller. Die Luftschläge der US-Amerikaner gegen den IS lobte er als »unmittelbare Nothilfe«. Für ihr Eingreifen in Irak hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den USA freie Hand gelassen. Ein UN-Mandat war aus seiner Sicht hierfür nicht erforderlich.

Ein anderer prominenter Vertreter des linken SPD-Flügels verteidigte hingegen den Kurs der Großen Koalition. Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte im Deutschlandradio Kultur: »Ich glaube, die Regierung handelt verantwortungsvoll.« Die Entscheidung, Waffen zu liefern, sei »sehr bemerkenswert« und »wahrscheinlich auch wegweisend«. Annen deutete an, dass die kritischen Stimmen nur eine Minderheit der Sozialdemokraten repräsentieren. Der Außenpolitiker äußerte seine Überzeugung, dass die Bundesregierung die Unterstützung der SPD-Fraktion habe.

Derweil hat die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Yasmin Fahimi, die Gegner der Waffenlieferungen zu Mäßigung aufgerufen. Ihr sei es wichtig, dass man niemandem Leichtfertigkeit unterstelle, sagte Fahimi der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Dieser Ordnungsruf richtete sich offenbar an Stegner, der vor wenigen Tagen in einem Text, der auf seiner Website veröffentlicht wurde, kritisiert hatte, »wie leicht sich manche das mit deutschen Waffenlieferungen machen«.

Bald dürfte die SPD auch intern über das Thema diskutieren. Am Samstag kommt das Präsidium mit der Fraktionsspitze und den sozialdemokratischen Bundesministern zu einer Klausurtagung in Berlin zusammen.

*** Aus: neues deutschland, Freitag 22. August 2014


Subtil donnern die Stiefelabsätze

Uwe Kalbe über eine »Zäsur« der medienpolitischen Wahrnehmung ****

Die Kurdenkämpfer sind schlecht ausgerüstet, aber wenigstens wettergegerbt, die Angreifer des Islamstaates rollen in apokalyptischer Formation an, um ihre barbarische Herrschaft zu errichten. Wie eine »albtraumhafte Nachstellung aus dem 7. Jahrhundert« mutet dem Reporter von »Spiegel online« die Szenerie an, die er sich von Zeugen des Geschehens schildern ließ – zu denen er offenbar nicht selbst gehört.

Die Sympathien sind klar verteilt in diesem Bürgerkrieg in Irak, der angeblich ein Kampf der Kulturen ist, so dass die Verteilung von Waffen schon nur noch wie eine notwendige Vollendung des Bildes wirkt, das man selbst gezeichnet hat. Die Medien treiben die Politik an. So als hätten sie die Kurdenverbände nicht vor kurzem selbst noch als Inbegriff separatistischer Unberechenbarkeit geschildert, als steckten nicht immer noch Mitglieder der kurdischen PKK in deutschen Gefängnissen, allein wegen Mitgliedschaft in dieser angeblich terroristischen Vereinigung.

Grusel ist das Treibmittel solcher Recherchen. Es ist sicher nicht einfach, der Abscheu ein wenig Abstand zu verleihen, wenn das Grauen so real ist. Und doch ist dieser Abstand notwendig. Der Historie wegen, um mit der Beschwörung des 7. Jahrhunderts nicht einer späten Parteinahme für die nicht weniger barbarischen Horden der Kreuzritter das Wort zu reden. Und der Gegenwart wegen. Um dem Strudel zu entkommen, in den eine zunehmende Flut von Kommentaren den Leser und Zuschauer, aber auch Kommentatoren selbst zieht.

»Nur die Üblichen rufen weiter nach Gebetskreisen, Aspirin und Bäckereien und nach einem Abwarten, dass das Morden weiter ermöglicht«, kommentiert der Mann vom SWR in der »Tagesschau« die Entscheidung über Waffenlieferungen an die Kurden. Und jubelt: »Das ist ein Politikwechsel. Deutsche Waffen in Kriegsgebiete: Das wird von jetzt an kein Tabu mehr sein. Dieser Bruch ist notwendig.«

Von einer Zäsur ist jetzt allenthalben die Rede. Mit dem Beschluss, Waffen an die Kurden zu liefern, sei eine neue Qualität der deutschen Außenpolitik erreicht. Was ist mit der Wirklichkeit der bisherigen Waffenlieferungen in internationale Krisen- und Spannungsgebiete?

Eine Zäsur? Leider ja. Ab sofort wird jede Diskussion über deutsche Außenpolitik an dieser Wegmarke justiert werden. An dieser Zäsur der medialen Militarisierung. Die Friedensorganisation IPPNW kritisiert den »erneuten Tabubruch deutscher Außenpolitik«. Bestimmt nicht in der Absicht, diese Wegmarke zum »Point of no return« zu machen. Aber die parallel zu Claus Kleber im ZDF definierte Markierung eines Tabubruchs wird damit ungewollt einbetoniert.

Ob dies ein zwar folgerichtiges, aber im Grunde spontanes Ergebnis bisheriger Debatten ist oder ein absichtsvoll eingefädeltes Unterfangen, ist dabei eine müßige Überlegung. Im März schrieb der inzwischen verstorbene Frank Schirrmacher über die »Eskalations- und Herzschlagssteigerungssemantik« der Medien. Diese folge »Automatismen, die durch moderne Kommunikationssysteme sich atemberaubend beschleunigt haben«. In einer Spirale von Reaktion und Gegenreaktion vollziehe sich die Meinungsbildung in atemberaubender Geschwindigkeit und nach fester Regel. Offenbar sind auch Eskalationsstufen messbar.

Nicht nach »Kriegsgeschrei und dem Donnern von Stiefelabsätzen« müsse man heute in der Sprache suchen, schrieb Schirrmacher. Das bedeutet allerdings nicht, dass man dabei nicht fündig würde.

**** Aus: neues deutschland, Freitag 22. August 2014 (Kommentar)


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