Regierung will Waffen in den Krieg liefern
Grünen-Abgeordnete gegen Aufrüstung irakischer Kurden / Linkspolitiker van Aken: »Steinmeier heuchelt«
Von René Heilig und Christian Klemm *
Die Bundesregierung bereitet Waffenlieferungen nach Irak zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestätigten nach einer Kabinettssitzung am Mittwoch, man sei grundsätzlich bereit, Waffen und Munition für den Kampf gegen die Islamistenmiliz IS in Irak zur Verfügung zu stellen. Die Verteidigungsministerin wird prüfen, welche Waffen Deutschland bereitstellen kann und was von den irakischen Kurden benötigt wird. Über konkrete Lieferungen soll ein Fünfergremium des Kabinetts entscheiden.
Bisher hatte die Bundesregierung neben humanitärer Hilfe auch militärische Ausrüstung wie Schutzwesten, Helme und Nachtsichtbrillen oder Kleinlaster zugesagt.
Der Bundestag soll über die Ausschüsse für Äußeres und Verteidigung informiert werden. Möglicherweise werden Haushälter hinzugezogen. Die Grünen fordern dagegen ein Bundestagsmandat für eine Waffenlieferung. Auch in ihrer Fraktion ist eine solche umstritten. Die Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger hat sich dagegen ausgesprochen, denn es gebe ein »gewaltiges Risiko, dass die Waffen über kurz oder lang in die falschen Hände geraten und die Konflikte noch blutiger machen«. Im nd-Gespräch hielt sie aber die Lieferung von Helmen, Fahrzeugen oder Schutzwesten für sinnvoll. Angesichts der dramatischen Lage sei »eine schnelle und riesige Anstrengung bei humanitärer Hilfe dringend notwendig«.
»Ja, wir müssen den Kurden unbedingt helfen. Dort sterben Menschen, weil sie nicht genug zu essen haben, weil Medikamente fehlen«, erklärte Jan van Aken, Außenpolitikexperte der Linksfraktion. Er ist auch gegen Waffenlieferungen, denn »die würden den Krieg nur eskalieren und noch mehr Menschenleben fordern«. Van Aken griff den Außenminister an: »Herr Steinmeier heuchelt. Ich kann ihm einfach nicht glauben, dass es ihm um die Menschen geht.« Seit Monaten verweigere er den Kurden in Syrien jede Hilfe, sie bekämen nicht einmal Medikamente. Zudem, so van Aken, liefen die aktuellen Hilfsflüge der Bundeswehr nach Erbil nicht ordentlich. In dieser Situation wolle Steinmeier jetzt auch noch Waffen liefern.
In der Tat gibt es von Anfang an große Schwierigkeiten beim Transport deutscher Hilfsgüter nach Erbil, der türkischen Hauptstadt in Irak. Am Mittwoch hat die Bundeswehr den Start von drei Flugzeugen mit rund 20 Tonnen Lebensmitteln an Bord stoppen müssen. Grund: Die Türkei hat den deutschen Flugzeugen keine Genehmigung zum Überflug ihres Staatsgebiets erteilt, bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Er betonte jedoch, dass es keinerlei Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit der Verärgerung Ankaras über die aufgeflogenen Spitzelaktivitäten des Bundesnachrichtendienstes gegen die Türkei gebe. Die Bundesregierung sei bemüht, das Problem zu lösen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag 21. August 2014
»Luci« an die Front
Kurden wollen Waffenhilfe, doch wie weit sollte man ihnen entgegenkommen?
Von René Heilig **
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, den Kurden in Nordirak Waffen und Munition zu liefern. Deutschland wird am Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) beteiligt. Mit welchem Wissen?
Die Entscheidung, die das Kabinett am Mittwoch gefällt hat, ist keine. Man einigte sich auf ein aufschiebendes Jein und folgte damit der Position der Kanzlerin. Die läuft darauf hinaus, Zeit zu gewinnen und Verbündeten in der EU und der NATO bei der Lieferung von Waffen den Vorrang zu lassen.
Diese Position vertritt offensichtlich auch die Verteidigungsministerin, obwohl Ursula von der Leyen (CDU) die erste Regierungspolitikerin war, die massive militärische Hilfe aufbieten wollte. Waffen im eigentlichen Sinn will von der Leyen nur schicken, wenn man einen Genozid verhindern muss. Bei aller widerlichen Grausamkeit der IS-Milizen – an dem Punkt ist man offensichtlich zum Glück noch nicht.
Insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) engagiert sich für die Belieferung der Peschmerga mit Waffen aus Deutschland. Denn, so bläute er es seinen zum Teil unwilligen Genossen in der SPD ein: Die Kurden in der Region seien »das wichtigste Bollwerk gegen die Mörderbanden« des Islamischen Staates. Wenn sie von den islamischen Terroristen überrannt würden, seien »die Staatlichkeit des Irak und die Stabilität der gesamten Region in Gefahr«, so der Außenamtschef.
Abgesehen davon, dass es in der Region – siehe Syrien – gar keine Stabilität mehr gibt, festzuhalten ist: So schlecht, wie die Lieferbefürworter behaupten, sind die Peschmerga nicht ausgerüstet. Sie haben vor allem simpel zu bedienende leichte und robuste Infanteriewaffen aus sowjetischer oder vergleichbarer Produktion. Solche werden auch von den IS-Milizen genutzt, die erbeuteten US-Hightech-Geräte verwenden sie bis auf die Humvee- und andere gepanzerte Fahrzeuge kaum. Weil sie nicht in ihre Taktik kleiner, schneller Verbände passen.
Als die – im Gegensatz zu den kurdischen Kämpfern hochmotivierten – IS-Milizen plötzlich von der irakischen Hauptstadt abließen und sich gen Norden wandten, überraschten sie die Peschmerga-Verbände, die als effektive Truppe galten. Der Überraschungseffekt ist vorbei.
Den Elite-Ruf hatten sich die so Attackierten in den langen Kriegen gegen die irakischen Streitkräfte in den 1960er, 70er und 80er Jahren erworben. Seither ist die Truppe, wie Experten meinen, aus vielen Gründen träge geworden. Und sie folgt befehlsgemäß einem Kalkül, das nach politischer wie militärischer Aufwertung als Vorleistung verlangt.
Vermutlich sind die Peschmerga deshalb relativ zurückhaltend. Dabei verfügen sie über Dutzende leichte Kampfhubschrauber, mit denen sie die IS-Einheiten unter Druck setzen können. Warum werden sie nicht eingesetzt? Auch schickten die Kurden offenbar keine Transporthubschrauber ins Gebirge, um den fliehenden Jesiden zu helfen. Ähnlich ist das bei der irakischen Luftwaffe. Deren Mi-17 fliegen Angriffe auf kurdische Stellungen. Nur weil man die mit denen der IS verwechselt?
Was die Kurden in Irak aus militärischer Sicht wirklich brauchen, ist ein moderner militärischer Drill, die Einweisung in neue Kampftaktiken. Man kann ahnen, wozu die USA derzeit rund tausend Militärberater im Land haben. Gebraucht wird eine geeinte Führung nicht gegen sondern mit den Resten der irakischen Armee und vor allem geeignete Munition.
Die aber hat Deutschland eigentlich nicht zu bieten. Das Kalaschnikow-Kaliber 7,62mm ist hierzulande ungebräuchlich. Wohl aber gibt es das in Polen oder anderen Ostblock-NATO-Staaten. Und auf dem Weltmarkt bekommt man solche Patronen wie die für andere Sowjet-Kaliber billig. Statt also Waffen zu liefern, von denen man nicht weiß, wer sie wann gegen wen wofür wendet, werben westliche Geheimdienstexperten für eine substanzielle Finanzhilfe. Die ist weniger auffällig.
Gebraucht werden auf große Distanz effektiv wirkende panzerbrechende Waffen. Die deutsch-französische »Milan«-Rakete ist im Gespräch. Sie ist in deutschen Depots verfügbar und soll bei der Bundeswehr ohnehin bis 2016 ausgesondert werden. Doch mit der Lieferung ist es nicht getan. Wer bildet Schützen aus?
Bei anderen von von der Leyen angesprochenen Gerätschaften ist die Bundeswehr nicht so gut ausgestattet. In der Tat sind viele der vorhandenen Schutzwesten alt und so schwer, dass sie bei beweglicher Kampfführung hinderlich sind. Die »Light and Ultra Compact Identify Equipment-Nachtsichtbrillen – kurz »Luci« – wären verfügbar. Ohne sie kann man nachts nur schwerlich töten, mit ihnen schon. Wie viel ist also das Attribut »nichtletal« wert?
Fahrzeuge nannte die Ministerin auch. Doch wie gelangen sie an die Front? Mit Transall-Maschinen? Die sind ohnehin für so lange Lieferstrecken ungeeignet. Jeder gecharterte Airbus transportiert wesentlich mehr und schneller humanitäres und anderes Hilfsmaterial nach Erbil. Auch so gesehen ist die »Spedition Bundeswehr« dafür also nicht die erste Wahl.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag 21. August 2014
Ohne parlamentarische Kontrolle
Bundesregierung will in den Irak Waffen für den Kampf gegen Terrorgruppe Islamischer Staat liefern ***
Die Bundesregierung bereitet Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) vor. »Wir sind im Grundsatz bereit, im Rahmen unserer Möglichkeiten Waffen und Munition bereitzustellen«, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Mittwoch bei einem gemeinsamen Auftritt mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Berlin. »Wir sehen die Risiken, die damit verbunden sind«, sagte Steinmeier vor dem Hintergrund, daß es kaum möglich sein dürfte, zu kontrollieren, in welche Hände solche Waffen geraten. Bei der Lieferung werde man deshalb bei Art und Umfang mit Augenmaß vorgehen. Alexander Neu, Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuß, kritisierte die geplante Lieferung gegenüber jW: »Die Linke lehnt den Rüstungsexport ab. Hier wird die Gelegenheit der Krise genutzt, um der Öffentlichkeit Waffenlieferungen als etwas Sinnvolles zu vermitteln.«
Laut von der Leyen wird innerhalb der nächsten Woche geprüft, welche Waffen geliefert werden können. Dann solle entschieden werden. Mit der Unterstützung solle erreicht werden, daß sich die Kurden gegen die IS-Angriffe zur Wehr setzen können. Unter Federführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), von der Leyen und Steinmeier über die Vorgehensweise entschieden.
Der Bundestag soll über die Lieferungen lediglich unterrichtet werden und nicht entscheiden. Die Grünen forderten dagegen ein Bundestagsmandat. »Die Bundesregierung darf eine mögliche Lieferung von tödlichen Waffen nicht ohne das Parlament beschließen«, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt Spiegel online. Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sprach sich für eine Bundestagsbeteiligung aus. »Ich glaube, das geht nicht am Parlament vorbei«, sagte er im ZDF-Morgenmagazin.
*** Aus: junge Welt, Donnerstag 21. August 2014
Zynische Außenpolitik
Aert van Riel über geplante Waffenlieferungen nach Irak ****
Aller Voraussicht nach wird die Bundesregierung bald Waffen in den Norden Iraks liefern, um dort kurdische Kämpfer gegen die islamistischen IS-Milizen zu unterstützen. Vorher könnte sich die Koalition noch einer Debatte im Bundestag stellen. Dies wird nicht nur von Oppositionellen, sondern auch von Politikern der Koalition gefordert. Rechtlich dürfte es zwar möglich sein, die Waffen auch ohne ein Bundestagsmandat zu liefern. Aus Sicht der Bundesregierung würde aber für eine Abstimmung im Parlament sprechen, dass dadurch die Legitimation ihrer Entscheidung gestärkt würde. Großen Widerstand müssen Union und SPD in ihren Fraktionen wohl ohnehin nicht fürchten.
Dagegen herrscht in der Opposition Skepsis gegenüber den geplanten Waffenlieferungen – mit gutem Grund. Denn der IS kann nicht allein mit militärischer Gewalt gestoppt werden. Man muss sich auch mit den Ursachen beschäftigen, warum die Milizen so stark geworden sind. Heute machen sie ihr Geld vor allem mit dem Verkauf von Erdöl und Schutzgelderpressung. Zudem hat der IS aus Golfstaaten wie Saudi-Arabien Unterstützung erhalten. Angesichts des brutalen Vorgehens des IS wirken die Aussagen von Unions-Abgeordneten, die vor einigen Wochen Saudi-Arabien als »Stabilitätsanker in der Region« bezeichnet hatten, geradezu zynisch. Eine Bundestagsdebatte zu den Waffenlieferungen könnte den Blick auf die Widersprüche in der deutschen Außenpolitik lenken.
**** Aus: neues deutschland, Donnerstag 21. August 2014 (Kommentar)
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