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Große Rüstungskoalition

Die Bundeswehr will neue Hubschrauber, die SPD lieber gleich ein paar mehr, die Linke sorgt sich um die "Führungskultur". Nur die Technik spielt nicht mit

Von Sebastian Carlens *

Die Freunde haben sich beschwert: »Es ist an der Zeit, den (historischen) Ballast hinter sich zu lassen und mehr Verantwortung zu übernehmen« - genauso zitierte dpa den US-General Ben Hodges, Kommandeur der amerikanischen Heerestruppen in Europa, am Dienstag abend in Berlin. Der »Ballast«, die Nazivergangenheit, ist schließlich hinderlich, wenn Verantwortung in erster Linie militärisch definiert wird.

Der Zeitpunkt für seine Ermahnung an die allzu geschichtsbewussten Bundestagsabgeordneten war präzise gewählt, die Predigt aber überflüssig. Denn die ganz große Koalition der Rüstungswilligen existiert längst. Am Mittwoch nachmittag hat der Haushaltsausschuss des Bundestages getagt, seine Mitglieder beschlossen die Anschaffung von 186 Hubschraubern der Typen NH90, MH90 und »Tiger« für die Bundeswehr. Kaufpreis: knapp neun Milliarden Euro. Ursprünglich war noch mehr geplant, doch die Bundeswehr-Reform verringerte den Bedarf der Militärs. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold sagte dem Südwestrundfunk gestern vormittag, er sei mit dem Deal deshalb nicht ganz zufrieden, »aber jetzt müssen wir auch irgendwo mithelfen, die Dinge wegzuräumen, damit die Bundeswehr die neuen Geräte dann tatsächlich erhält«. Er spielte damit auf Verzögerungen an, die beim Hersteller Airbus Helicopters, der den Transporthubschrauber NH90 liefern soll, auftraten. 22 davon sollen nach Arnolds Vorstellungen noch außerplanmäßig erworben werden, um den sogenannten »multinationalen Hubschrauberverband« Medevac zu unterstützen. Stückpreis: unbekannt.

Die Staatssekretärin für Rüstung im Verteidigungsministerium (BMVg), Katrin Suder, schrieb dem ebenfalls am Mittwoch tagenden Verteidigungsausschuss, bislang gebe es keine konkreten Zusagen von Staaten, die sich an dem Verband beteiligen wollten. Wie aus Kreisen des Gremiums zu erfahren war, sollen Belgien, die Niederlande, Norwegen, Italien und baltische Staaten Interesse bekundet haben. Aufgabe des Verbandes wären medizinische Evakuierung und »taktischer Lufttransport«, berichtete die Nachrichtenagentur dpa.

Der Wille zur Rüstung ist da, doch die Technik macht Probleme. Die Hubschrauber »Tiger« und NH90 wurden gegen Ende des Kalten Krieges konzipiert - vor drei Jahrzehnten. Suder musste einräumen, dass Hubschrauber NH90 noch häufiger als bislang schon bekannt Triebwerksprobleme hatten. Die Bundeswehr verfügt zur Zeit über 38 Geräte dieses Typs. In ihrem Schreiben heißt es: »Die Firma Airbus Helicopters informierte das BMVg über weitere Fälle von Triebwerk-Stagnation.« International seien demnach insgesamt 19 Vorfälle bekannt. Bei den NH90 der Bundeswehr seien entsprechende Beschädigungen des Triebwerks in insgesamt fünf Fällen entdeckt worden. Der ebenfalls auf der Kaufliste stehende Marine-Hubschrauber MH90 fliegt zwar, ist jedoch nicht hochseetauglich. Dies hatte der Spiegel Ende Februar aus einem internen Gutachten des Luftfahrtamts der Bundeswehr zitiert. Laut international gültigen Bestimmungen darf die Maschine nicht über der Nord- und Ostsee eingesetzt werden – dem eigentlich angedachten Aktionsgebiet.

Vorsitzende des Haushaltsausschusses ist seit 2014 die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch. Anstatt sich über diesen durch technische Unfähigkeit erzwungenen Pazifismus zu freuen, sorgt sie sich um das Militär: »Wer der Bundeswehr mehr Geld verspricht, ohne die unhaltbaren Zustände in der Bundeswehr zu ändern, handelt verantwortungslos«, kritisierte Lötzsch die Anschaffungspläne. Sie beklagt »fehlende Führungskultur, fehlende Transparenz und Integrität sowie mangelnde politische Verantwortung« im Verteidigungsministerium.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. März 2015


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