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Deutsche Waffenexporte: Gabriel bekräftigt sein Jein

Grundsatzrede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik offenbarte das Dilemma des Bundeswirtschaftsministers

Von Fabian Lambeck *

Gabriels Rede bot kaum Anhaltspunkte dafür, dass deutsche Rüstungsexporte nun restriktiv gehandhabt werden. Selbst IS-Unterstützer wie Saudi-Arabien und Katar erhalten nach wie vor Waffen.

Es schlagen zwei Herzen in der Brust des Sigmar Gabriel. Da ist zum einen das Herz der SPD-Chefs, der seinen Sozialdemokraten zum Image einer Friedenspartei verhelfen möchte und deshalb deutsche Rüstungsexporte als »Geschäft mit dem Tod« brandmarkte. Das zweite Herz ist das des Bundeswirtschaftsministers, der die deutsche Rüstungsindustrie und ihre Arbeitsplätze eigentlich protegieren müsste. Insofern war die Grundsatzrede, die Gabriel am Mittwoch in den Räumen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hielt, der Versuch, beiden Herzen gleichermaßen zu folgen. Doch die im Vorfeld als »richtungsweisend« angekündigte Rede erwies sich größtenteils als fader Aufguss bereits bekannter Sentenzen des schwergewichtigen Sozialdemokraten.

Seine Kernthese etwa, wonach Rüstungsexporte kein Instrument der Wirtschaftspolitik, sondern der Außen- und Sicherheitspolitik seien, hatte er bereits im Juli formuliert. Gabriel sieht die Zuständigkeit für die unappetitlichen Exporte beim Außenministerium und würde sie wohl allzu gern an seinen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier delegieren. Doch in dieser Legislatur dürfte es nichts mehr werden mit dem Outsourcing von Verantwortung.

Auch Gabriels Ankündigung, Rüstungsexporte in Länder außerhalb von EU und NATO einzuschränken, ist nicht neu. Tatsächlich hatte er das im Sommer ähnlich formuliert und damals die Lieferung eines Gefechtsübungsstands an Russland gestoppt. Gabriel verwies in diesem Zusammenhang auf das Grundgesetz und das sich daraus ableitende Kriegswaffenkontrollgesetz. Demzufolge gebe es auf Genehmigungen für Waffenausfuhren »keinen Anspruch«. Ein Export in Drittstaaten, die nicht zur NATO oder zur westlichen Wertegemeinschaft gehörten, sei »restriktiv zu handhaben«.

Bereits im Sommer machte ihm die Rüstungsindustrie deshalb die Hölle heiß. Kein Wunder, gingen doch 2013 etwa 60 Prozent aller deutschen Waffenlieferungen in Drittstaaten wie Katar, Saudi-Arabien und Indonesien. Selbst als Rheinmetall und Co. ihre Betriebsräte nach Berlin schickten, um Gabriel die beschäftigungspolitischen Auswirkungen seiner neuen Exportbeschränkung deutlich zu machen – angeblich sind 98 000 Arbeitsplätze in Gefahr –, blieb der Minister standhaft. Zumindest offiziell.

Die jüngsten Exportgenehmigungen lassen Zweifel aufkommen an der zur Schau gestellten Zurückhaltung. Erst vor wenigen Tagen nickte der Bundessicherheitsrat den Export von Transportpanzern und Spähfahrzeugen nach Katar ab. Grünes Licht gab es auch für die Ausfuhr von Bergepanzern, Waffenstationen und Aufklärungssystemen nach Saudi-Arabien. Die beiden Golfmonarchien werden despotisch regiert, heizen den Krieg in Syrien an und gelten als Unterstützer von islamistischen Terrorgruppen wie dem IS.

Die Deals stehen im Widerspruch zur neuen Exportethik des Ministers, der am Mittwoch gar den marxistischen Historiker Eric Hobsbawm zitierte. Oder eben doch nicht. Man muss es nur dialektisch begründen. So betonte Gabriel, dass es durchaus »legitime Interessen« gebe, »welche Exporte rechtfertigen können«. Er wandte sich gegen einen generellen Stopp deutscher Rüstungsexporte in die arabische Welt. Sie seien »ein Element im Rahmen einer Strategie«. Da man gleichzeitig auch die kurdischen Peschmerga, die den den IS bekämpfen, mit Waffen unterstützt, bleibt die deutsche Strategie für Laien rätselhaft.

Zum Schluss seiner Rede wandte sich Gabriel persönlich an die hiesigen Waffenschmieden. Er forderte den Erhalt von »nationalen Kernkompetenzen« der Rüstungsindustrie und empfahl dieser einen strikten Konsolidierungskurs sowie »verstärkte Industriekooperationen« auf EU-Ebene. Gabriel riet den Rüstungsfirmen, sich stärker auf Demokratien als Kunden zu konzentrieren und zivile Geschäftsfelder zu erschließen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Oktober 2014

Zur Rede Gabriels:

"Wer über die Rüstungswirtschaft reden will, darf über Außen- und Sicherheitspolitik nicht schweigen"
Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik




Pandoras Büchse füllen

Vizekanzler Gabriel nennt Leitlinien für deutsche Rüstungsexporte. Waffenlieferungen in Krisenregionen nicht ausgeschlossen. Öffentliche Debatte soll Proteste ersticken.

Von Johannes Supe **


Die Welt blickt auf den kurdischen Kampf in Kobani, die Bundesregierung schaut auf die Absatzmärkte der deutschen Rüstungsindustrie. In Berlin hielt Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auf Einladung der »Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik« am Mittwoch ein Referat zu den Leitlinien der deutschen Rüstungsexportpolitik. Darin deutete er eine Ausweitung der Lieferungen in Krisenregionen an.

In der Wahrnehmung des für Waffenexporte zuständigen Gabriel ist die deutsche Handhabung derselben »restriktiv«. Die Bundesregierung bleibe bei der grundsätzlichen Haltung, keine Rüstungsgüter an Drittstaaten außerhalb von EU, NATO und engen Verbündeten zu liefern. Gerade in den Nahen Osten seien, so Gabriel, bereits zu viele Waffen entsendet worden. Erst das Übermaß der verfügbaren Tötungswerkzeuge ermögliche viele Konflikte, darunter den aktuellen um den Islamischen Staat. »Die Büchse der Pandora ist randvoll gefüllt mit Waffen«, erklärte der Vizekanzler.

Ein Verzicht auf die Sendung deutschen Mordgeräts in dieselbe Region bedeutet das allerdings nicht. Kunstvoll konstruierte Gabriel den Begriff »inklusiver Staaten«, die, »auch wenn sie keine Demokratien sind«, versuchten, gesellschaftliche Probleme durch Beteiligung ihrer Bevölkerung zu lösen. An diese seien, so Gabriel, Waffenlieferungen zulässig – im Gegensatz zu jenen Nicht-Demokratien, welche dieselben Waffen zur inneren Repression verwenden könnten.

Was für den Vizekanzler eine »differenzierte Betrachtung der Einzelfälle« ist, steht im Gegensatz zu den »Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern«. In diesen ist ein Lieferverbot für jene Regionen verankert, »die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht«. Laut Gabriel würde die sogenannte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) allerdings auch diese Rüstungsentsendungen rechtfertigen. Entsprechend sei die Verschickung von Munition, Gewehren und Panzerfäusten an die nordirakischen Kurden, die sich im Kampf mit dem IS befinden, kein Tabubruch. »Das ist eine Nothilfe, die wir uns immer offenhalten müssen«, sagte Gabriel. Warum gerade die gut gerüsteten und eher türkeifreundlichen Peschmerga, weit ab von Kobani, diese Hilfe bräuchten, ließ der Vizekanzler offen.

Statt dessen kündigte er eine Propagandaoffensive gegen den »verschämten Umgang« mit diesem Thema an. Zunächst solle der Rüstungsbericht der Bundesregierung nun zwei- statt nur einmal jährlich erscheinen. Auch wolle die Bundesregierung mit einem »transparenteren Vorgehen in Rüstungsfragen« eine öffentliche Debatte um selbige anstoßen. Auch Organisationen der Zivilgesellschaft sollen dabei miteinbezogen werden. Ziel sei das Bekenntnis zu nationalen und EU-Interessen im Geschäft mit Waffen. Um den Verdacht zu vermeiden, die Rüstungspolitik könne wirtschaftlichen Interessen folgen, soll der Export von Rüstungsgütern ab der nächsten Legislatur dem Außen- statt wie bisher dem Wirtschaftsministerium obliegen.

Gerüstet zeigte sich der Vizekanzler auch für den Fall, dass die »Verankerung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Gesellschaft« nicht gelingt. Deutschland müsse sich auf den Weg zur Europäisierung der Rüstungsindustrie begeben, erklärte Gabriel. Durch die Einbindung der deutschen Armee und Waffenindustrie in EU-Strukturen würde der Bundestag einen Teil der nationalen Souveränität verlieren. Das Parlament hätte kurzerhand nichts mehr zu sagen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. Oktober 2014


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