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Geld für Militär hat mit Sicherheit nichts zu tun

120 Aktionen in 36 Ländern finden am weltweiten Aktionstag gegen Militärausgaben statt – LINKE plädiert für radikale Kürzung des deutschen Militärhaushalts

Von Stephan Fischer *

Deutschlands Rüstungsindustrie profitiert von steigenden Militärausgaben – vor allem in Nordafrika.

»Wissen Sie, was mit Ihren Steuern passiert? Von jedem Dollar Einkommenssteuer werden 27 Cent für militärische Zwecke ausgegeben, aber nur zwei Cent für Bildung.« Zu lesen sind die Worte auf einem Flugblatt, wie es zum 4. Globalen Aktionstag gegen Militärausgaben in St. Louis, Missouri verteilt wird. Ein Friedensmarsch im kenianischen Nairobi, ein öffentliches Symposium im japanischen Parlamentsgebäude in Tokyo oder eine Mahnwache für die Opfer der niederländischen Rüstungsexporte: In 36 Ländern demonstrierten am Montag Menschen mit 120 Aktionen von über 100 Organisationen gegen die weltweit auf höchstem Niveau verharrenden Rüstungsausgaben, die 2013 nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI bei 1,75 Billionen Euro lagen. Mit Abstand die höchsten Ausgaben für das Militär weisen weiterhin die USA auf, die »Rüstungsweltmeister und -olympiasieger gleichzeitig sind«, so Reiner Braun, Vorsitzender der IALANA, der Juristen gegen Atomwaffen.

Laut Paul Walker, US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Aktivist gegen Chemiewaffen, ist das US-Verteidigungsbudget von 225 Milliarden Dollar im Jahr 1995 auf heute fast 600 Milliarden gestiegen. Walker, der selbst bis 1995 im Streitkräfteausschuss des Repräsentantenhauses mitarbeitet, erläutert, warum die Militärausgaben trotz Schuldenobergrenzen und automatischen Budgeteinschnitten nicht sinken: »Die Obama-Regierung steht zwar unter hohem Druck, die Bundesausgaben, und damit auch die Ausgaben für das Militär, zu senken. Das ist aber schwierig, da die Vereinigten Staaten sehr stark von den hohen Militärausgaben abhängig sind. Überhaupt nicht aus militärischen Gründen, sondern aus sozio-ökonomischen Gründen.« Der übergroße Teil der Ausgaben habe überhaupt nichts mit der nationalen Sicherheit, sondern mit Jobs in den Staaten zu tun.

Die Konversion des sehr militärisch geprägten Budgets in einen produktiveren, zivileren Haushalt bliebe die größte Herausforderung: Heute würden mehr als die Hälfte aller frei verfügbaren Mittel des US-Haushalts für militärische Zwecke ausgegeben.

Jan van Aken, stellvertretender Parteivorsitzender der LINKEN und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, lenkt den Blick auf den deutschen Anteil der weltweiten Militärausgaben: »Warum ist Deutschland auf Platz sieben?« 2012 lag die Bundesrepublik Deutschland noch auf dem neunten Platz weltweit. »Deutschland ist von Freunden umzingelt und in einer solchen Sicherheitssituation sind wir als LINKE nach wie vor dafür, den Militärhaushalt radikal zu kürzen. Unser Vorschlag der jährlichen Kürzung um zehn Prozent besteht weiter, sie würde an unserer Sicherheitssituation überhaupt nichts ändern.«

Van Aken fügt hinzu: »Eigentlich muss heute ein Festtag im Hause Gabriel, dem Wirtschaftsministerium, sein.« Denn natürlich hätten auch die gestiegenen Militärausgaben in anderen Staaten ganz viel mit Deutschland zu tun. Er verweist auf Algerien und Ägypten, deren Militärausgaben laut SIPRI im letzten Jahr massiv gestiegen seien. Allein Algerien hätte in den letzten beiden Jahren deutsche Waffenexportgenehmigungen im Wert von knapp einer halben Milliarde Euro bekommen. Für Schiffe, gepanzerte Fahrzeuge und ganze Panzerfabriken »made in Germany«. Im Falle Ägyptens sei Deutschlands Position »heuchlerisch«: Während der deutsche Zoll die Lieferung von polnischen Panzerfahrzeugteilen im Hamburger Hafen blockiere, vergebe die Bundesregierung gleichzeitig die Genehmigungen für den Bau von zwei U-Booten und bürge sogar noch mit 700 Millionen Euro dafür. »Das ist eine absurde Situation«, so der LINKEN-Politiker.

Michael Kellner, politischer Geschäftsführer der Grünen, forderte mit Blick auf die Verfassungsklage von Bundestagsabgeordneten zu den Rechten der Abgeordnete Änderungen im Umgang mit Rüstungsexporten: Der Bundestag sollte vorher über anstehende Exportentscheidungen informiert werden und außerdem ein Vetorecht erhalten. Kellner plädierte außerdem für das Verbot von Hermes-Botschaften.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. April 2014


Gabriel als Panzersperre

Keine »Leos« für Saudi-Arabien – wie mutig folgt der Vizekanzler dem Ratschlag von Helmut Schmidt?

Von René Heilig **


Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel soll einen Panzer-Export nach Saudi-Arabien gestoppt haben. Die Union schäumt. Nicht nur wegen möglicherweise ausbleibender Euro-Milliarden für die Industrie.

Schon zu Zeiten, in denen Helmut Schmidt der alten Bundesrepublik als Kanzler diente, baggerten saudi-arabische Herrscher um deutsche »Leoparden«. Doch stets fand sich für die deutsche Seite ein gewichtiger Grund, den Rüstungsdeal nicht abzuschließen: Israel.

Nicht nur der begehrte Panzertyp wurde modifiziert, auch Israel gab – wohlkalkuliert – den Widerstand auf. Zudem hat man einen Weg gefunden, um die unter Rot-Grün im Jahr 2000 beschlossenen Rüstungsexportrichtlinien zu umgehen. Eigentlich stünden die gegen die Lieferung. Saudi-Arabien, der Despotenstaat, käme wegen der Menschenrechtslage und seiner Rolle bei der Niederschlagung von Unruhen in der Region als Waffenkunde deutscher Firmen nicht infrage. Wie passend, dass die von Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall produzierten Leopard-Panzer in Spanien in Lizenz vom Band rollen.

Das Geschäft mit dem modernsten Typ Leopard 2A7+ hat einen Umfang von rund 18 Milliarden Euro. Am 2. Juli 2011 – also in der schwarz-gelben Regierungsära – soll der deutsche Bundessicherheitsrat einem Export von bis zu 200 »Leos« bereits zugestimmt haben. Im März dieses Jahres hätten sich das saudische Verteidigungsministerium und die spanische Regierung zunächst einmal auf die Lieferung von 150 Panzern geeinigt, heißt es nun.

Doch dem stellt sich plötzlich der sozialdemokratische Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel in den Weg, berichtet »Bild am Sonntag«. Jüngst sah Gabriel keinen Grund, den Export von Patrouillenbooten für die saudische Kriegsmarine zu verbieten. Nun baut er sich als Panzersperre auf. Kann das sein?

Denkbar, denn der für die Exportfreigabe zuständige Minister muss ob der Spanien-Produktion keinen Protest der Gewerkschaften wegen ausbleibender Beschäftigung befürchten und kann dennoch versuchen, ein SPD-Wahlkampfversprechen einzulösen.

Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums teilte lediglich mit, dass die Bundesregierung grundsätzlich keine Auskünfte zu einzelnen Verfahrensstufen möglicher Ausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern gebe. Abgeordnete nach Details zu fragen, kann man sich sparen. Die sollen zwar das Handeln der Regierung kontrollieren, doch was im Bundessicherheitsrat beraten und entschieden wird, geht auch sie nichts an.

In dem Bundessicherheitsrat hat Wirtschaftsminister Gabriel eine Stimme. Auch andere Minister aus sogenannten Schlüsselressorts dürfen mitreden. Das geheime Machtwort steht der Kanzlerin zu. Gegen diese Geheimpolitik mehren sich Stimmen. Dazu gehört die von Altkanzler Helmut Schmidt. In einem Aufsatz, der im vergangenen Dezember in der »Zeit« erschien, erinnert er daran, dass Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur ist. Eine Entwicklung, die »mir sehr missfällt. Und die von der kommenden Koalition in Berlin gestoppt werden muss.«

Der Altkanzler macht geltend, zu seiner Regierungszeit seien im Bundessicherheitsrat militärisch-strategische Aspekte der Sicherheit erörtert und teilweise entschieden worden. Immerhin herrschte damals Kalter Krieg und Geheimhaltung war auf jeder Seite der europäischen Trennlinie politisches Alltagsgeschäft.

Warum aber noch immer Geheimniskrämerei? Weil es bei den Rüstungsdeals nicht nur ums Geldverdienen, sondern auch um strategische Fragen geht? Schmidt ahnt es, denn er schreibt: »Die Unlust der heutigen Deutschen, Soldaten in fremde Länder zu schicken, die kann ich allerdings sehr gut verstehen.« Doch er halte es »für abwegig, statt Soldaten Waffen zu schicken«.

Das sehen Merkel und ihre Strategen im Kanzleramt offenbar gänzlich anders. Sie setzen darauf, dass man durch die Schaffung guter politischer Beziehungen – und Rüstungslieferungen gehören ganz gewiss als Türöffner dazu – geopolitischen Einfluss erlangen kann.

Ob Gabriel gegen diese Strategie aufmuckt? Man darf trotz der Quasi-Ermunterung durch seinen Genossen Helmut Schmidt skeptisch sein.

Wie allumfassend über Rüstungsexporte strategische Abhängigkeiten entstehen und genutzt werden können, haben die USA und Saudi-Arabien demonstriert. Einmal abgesehen von einigen terroristischen »Ausrutschern« waren und sind die in jeder Weise bestechlichen saudischen Fürsten für Washington nicht nur Abnehmer verschiedenster extrem teurer Rüstungsgüter und damit Garanten für gigantische Profite der High-Tech-Industrie. Sie sind auch verlässliche politische Bündnispartner wider arabische Frühlingsblüten. Und sie finanzieren in Abstimmung mit Washington die übelsten politischen Prozesse – egal ob es um Afghanistan, Nicaragua oder Iran geht.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. April 2014


Klage für mehr Transparenz

Bundessicherheitsrat in der Kritik von Abgeordneten

Am Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über das Recht des Bundestags auf mehr Informationen bei Rüstungsexporten. Zuständig ist der Zweite Senat. Hintergrund ist das bereits 2011 offenkundig gewordene Bemühen, 200 Leopard-Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu verkaufen. Geklagt haben die Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth und Katja Keul. Sie fühlen sich unzureichend informiert.

Welch groteske Auswirkungen die Geheimpolitik der Regierung bisweilen hat, zeigte sich im Juli 2011. Der damals zuständige Staatssekretär Hans-Joachim Otto verweigerte dem fragenden Abgeordneten Ströbele immer wieder eine Antwort darauf, ob die Regierung – wie von der Presse behauptet – plane, Saudi-Arabien Leopard-Kampfpanzer zu liefern.

Die Bundesregierung macht generell geltend, dass Entscheidungen über die Genehmigung solcher Exporte laut Grundgesetz allein ihr zustehen. Doch nicht einmal das stimmt. Lediglich einige Kabinettsmitglieder entscheiden als Bundessicherheitsrat. Neben der Kanzlerin und dem Chef des Kanzleramts gehören die Minister des Auswärtigen, der Verteidigung, der Finanzen, des Inneren, der Justiz, der Wirtschaft, sowie der für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu diesem Gremium. Wenn nötig, wird der Generalinspekteur der Bundeswehr hinzugerufen.

Nicht nur im Fall der beabsichtigten und nun womöglich gebremsten Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien mauert die Bundesregierung. »Leos« werden auch nach Katar, nach Indonesien und in andere Staaten geliefert, die laut Rüstungsexportrichtlinien eigentlich als Empfänger deutscher Waffen tabu sein müssten. Auch über U-Boot-Bauten für Israel, Lizenzvergaben für Handfeuerwaffen oder Ersatzteillieferungen für Kampfflugzeuge erfahren die Abgeordneten und deren Wähler nur, was sie aus den Medien entnehmen können.

Der Widerspruch zwischen Regierungshandeln und Kontrollmöglichkeit des Parlaments ist so grundsätzlicher Art, dass er nun durch Organstreitverfahren geklärt werden soll. hei




Nichts tun kann auch teuer sein

René Heilig zweifelt am Personalmanagement der Bundeswehr ***

Man darf Zahlen nicht zu sehr trauen. Zwar hat das Stockholmer SIPRI-Institut im vergangenen Jahr einen weltweiten Rückgang der Rüstungsausgaben um 1,9 Prozent errechnet, doch in Nahost, Asien und Afrika gibt man umso mehr für Todeswerkzeug aus. Auch wenn wir uns an die deutsche Nase fassen, kann keine Zufriedenheit aufkommen. Erstens weil Deutschland das einzige westeuropäische Land mit einer leichten Steigerung der Militärausgaben ist. Und zweitens weil hierzulande noch immer Geld verschleudert wird, als ob man zu viel davon hätte. Vor allem bei Rüstungsprojekten und Militäreinsätzen könnte man manchen dicken Strich durch die Rechnung machen.

Doch beim Bund verursachen sogar jene, die nichts tun, enorme Kosten, meint der Linkspartei-Haushälter Michael Leutert und schaut dabei auf die Zivilen bei der Bundeswehr. In den vergangenen Jahren hat man zwar die Truppe drastisch reduziert. Doch neben rund 183 000 Bewaffneten leistet man sich weiter 87 513 zivile Mitarbeiter, von denen 16 304, das sind fast 20 Prozent, sogenanntes nicht aktives Personal sind. Grob gesagt: Sie sind bezahlt überflüssig. Ohne eigene Schuld blockieren sie Stellen und verhindern, dass chronisch unterbesetzte Behörden im sozialen, im Bildungs- oder im sogenannten Ausländerbereich Mitarbeiter einstellen können.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 15. April 2014 (Kommentar)


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