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Rüstungsbeschaffung - Bleibt doch alles beim Alten?

Ein Beitrag von Otfried Nassauer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Ein Dauerproblem ist die Rüstungsplanung. Fast alle Waffensysteme werden immer wieder teurer als geplant und viel zu spät an die Truppe ausgeliefert. Ursula von der Leyen hat das Thema jetzt zur Chefsache gemacht. Doch dass nun alles besser wird, darf bezweifelt werden. Otfried Nassauer sagt, warum:


Manuskript Otfried Nassauer

Eines ist klar: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr hat ein Problem. Immer noch und immer wieder. Vom Schützenpanzer HS 30 und dem Starfighter bis zum Eurofighter und dem Puma der Gegenwart. Noch immer gilt, worüber sich Helmut Schmidt bereits als Verteidigungsminister 1971 mokierte, als er eine grundlegende Neuordnung des Rüstungsbereichs anordnete und feststellte. Zitat :

Zitat Helmut Schmidt
„Bei einer Reihe von Rüstungsprojekten der Vergangenheit waren erhebliche Verzögerungen, unangenehme Kostensteigerungen und beachtliche technische Fehlleistungen aufgetreten.“

Immer das gleiche Bild: Vor dem Vertragsabschluss verspricht die Industrie das Blaue vom Himmel und liefert danach in schöner Regelmäßigkeit zu spät, zu teuer und zu schlecht. Der schwarze Peter landet nicht bei den Schuldigen, sondern verschwindet unauffindbar im Bermudadreieck der Beteiligten, also zwischen Industrie, Bundeswehr und ziviler Beschaffungsbürokratie.

Es scheint, als wolle Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Stier bei den Hörnern packen: Noch nicht einmal drei Monate im Amt, da hatte die neue Ministerin bereits alle für die Rüstungsbeschaffung verantwortlichen Top- Beamten entlassen. Sie billigte keinen der vorgelegten Sachstandsberichte zu großen Rüstungsprojekten. Die Begründung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Zitat:

Zitat von der Leyen
„Viele Großprojekte halten weder Zeit- noch Finanzrahmen ein. (...) Das ist kein haltbarer Zustand.“

Der Zustand ist in der Tat unhaltbar. Über 30 Prozent der für 2013 vorgesehenen Beschaffungsausgaben von 5,1 Milliarden Euro konnten nicht ausgegeben werden. Allein eine Milliarde für den Eurofighter. Außerdem jeweils dreistellige Millionenbeträge für das Transportflugzeug A400M, die Hubschrauber NH90 und Tiger sowie für den Schützenpanzer Puma. Teilbeträge wurden notdürftig zur Verstärkung von Forschung und Entwicklung umgebucht, aber der größte Teil des bereitgestellten Geldes konnte einfach nicht abfließen. Die Ursachen waren unterschiedlich: Die Industrie konnte nicht zeitgerecht liefern. Änderungen bei den Beschaffungsprogrammen wurden notwendig. Oder es gab technische Probleme. Der Schützenpanzer Puma wurde beispielsweise wegen Mängel von der Bundeswehr nicht abgenommen und konnte nicht wie geplant in Serie gehen. Ursula von der Leyen räumte das in der Haushaltsdebatte in der vergangenen Woche ein. Zugleich verharmloste sie aber auch die Schwierigkeiten:

O-Ton von der Leyen
„Das bedeutet – das Komplexe, was ich eben gesagt habe, vielleicht etwas einfacher –: Wir sparen sozusagen heute für morgen aufgrund der einmaligen Verzögerungen, die gestern stattgefunden haben.“

Mit anderen Worten: Die Verteidigungsministerin weiß, dass die im vergangenen Jahr nicht abgeflossenen Haushaltsmittel in der Zukunft zusätzlich anfallen. Der Verteidigungshaushalt muss ab 2016 also höher ausfallen als bislang geplant. Zugleich beschönigt von der Leyen das Problem, wenn sie von „einmaligen Verzögerungen“ spricht. Bei keinem dieser Großvorhaben kam es 2013 zum ersten Mal zu Verzögerungen oder Minderleistungen. Es handelt sich dabei keineswegs um einen einmaligen Sonderfall, sondern um ein sich wiederholendes Problem. Das weiß eigentlich auch die Verteidigungsministerin.

Denn nach der ersten Sitzung des neueingerichteten Rüstungsboards im Februar entschied Ursula von der Leyen, das Beschaffungswesen zu reformieren. In ihrem Ministerium waren immer wieder Schwierigkeiten verschwiegen worden. Die CDU-Politikerin:

O-Ton von der Leyen:
„Ich stelle allerdings fest, dass dieser Prozess der Klarheit und Transparenz bei Rüstungsvorhaben im Haus noch nicht gelebt wird und deshalb muss ich sowohl strukturelle als auch personelle Veränderungen vornehmen.“

Von der Leyen kündigte an, dass externe Berater dem Ministerium helfen sollen, Management und Controlling solcher Projekte zu verbessern. Doch eine Unternehmensberatung kann nur dann hilfreiche Vorschläge machen, wenn ihr ein Auftrag mit den richtigen Fragen erteilt wird. Außerdem sind für eine so anspruchsvolle Aufgabe genug Zeit und ausreichende Mittel notwendig. Nur dann kann man zu den eigentlichen Ursachen der Probleme im Rüstungsbereich vordringen.

Das Verteidigungsministerium hat sich wiederholt externe Berater ins Haus geholt. Deren Rat führte aber bislang meist nur dazu, dass an den Symptomen der Probleme herum kuriert wurde, die Ursachen derselben aber nicht aufgespürt oder angerührt wurden. Sollte es diesmal besser werden?

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Ausschreibung für die externe Beratung. Sie erfolgte im vergangenen Monat. Diese Woche sollten die Angebote eingereicht werden. Bis Ende Juni soll das beste Angebot ausgewählt und ein Vertrag unterzeichnet werden. Dann wird drei Monate Zeit sein, den Auftrag auszuführen. Bereits Ende September sollen die Ergebnisse vorgelegt werden. Drei vage große Arbeitsaufträge haben die Berater: Sie sollen eine „Risiko- und Frühwarnanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ vorlegen, den – wie es heißt - „Projektreview eines zentralen Projekts“ durchführen und „Handlungsempfehlungen für Management und Organisationsentwicklung“ entwickeln.

Doch sowohl die Zeitplanung als auch die Aufgabenstellung wecken Zweifel, ob die Beratung eine grundlegende Reform des Beschaffungswesens vorbereiten kann. Die Arbeit der Berater soll während der Haupturlaubszeit in den Sommerferien erledigt werden. Das lässt Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen und vor allem zu der Vielzahl zuständiger Behördenmitarbeiter erwarten. Für letztere wurde ja vermutlich keine umfassende Urlaubssperre verhängt. Und reichen drei Monate überhaupt für eine gründliche Analyse der gewaltigen Probleme? Wohl kaum.

Problematisch ist auch die Aufgabenstellung. Ein Beispiel: Nur ein Vorhaben soll mit einem sogenannten Projektreview, also einer genaueren, detaillierten Projektanalyse untersucht werden. Es gibt aber zwei sehr verschiedene Arten von Rüstungsprojekten: Nationale und multinationale. Beide weisen sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen und Durchführungsprobleme auf. Verbesserungsvorschläge für nationale Projekte sind auf internationale Vorhaben in der Regel nicht übertragbar. Das gilt auch umgekehrt. Nur ein einzelnes Rüstungsvorhaben gründlich zu prüfen, greift also viel zu kurz.

Zeitplan und Aufgabenstellung wecken damit Zweifel, ob die externe Beratung überhaupt ein Ergebnis haben kann, das die Probleme des Beschaffungswesens löst. Ist das überhaupt gewollt?

Auffällig ist ein weiterer Punkt: Angesichts der Probleme bei der Rüstungsbeschaffung wäre es eigentlich sinnvoll, wenn vorübergehend kein neues Großprojekt begonnen würde. Denn jedes Vorhaben, das unter den bisher geltenden Rahmenbedingungen neu aufgelegt wird, bekäme wohl ähnliche Geburtsfehler in die Wiege gelegt, wie die bereits laufenden Vorhaben.

Die Koalitionsparteien sehen das offenbar anders. Die SPD hat in der vergangenen Woche Vorschläge gemacht, wo bei der Neuausrichtung der Bundeswehr nachgesteuert werden sollte. Dabei ging es auch um neue Beschaffungsprojekte. Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, im Bundestag:

O-Ton Arnold:
„Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argument. Wir haben schon viel Geld ausgegeben, auch für die Weiterentwicklung – Stichwort MEADS. Die deutsche Wirtschaft hat im Bereich Sensorik und bei anderen Technologien auf dem Weltmarkt die Marktführerschaft inne bzw. besitzt hohe Fähigkeiten. Deshalb wäre es klug, die bodengebundene Luftverteidigung zu einem Schwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik zu machen und den Bündnispartnern anzubieten.“

Arnold will den Transporthubschrauber NH90 lieber in der ursprünglich geplanten Stückzahl kaufen und fordert damit indirekt ein neues Großvorhaben, die Beschaffung eines eigenständigen Marinehubschraubers. Der SPD-Politiker befürwortet außerdem die Entwicklung einer europäischen Großdrohne. Natürlich kostet das alles Geld und deshalb fordert er, den Verteidigungshaushalt ab 2017 moderat zu erhöhen.

Fazit: Die Verteidigungsministerin will ab 2016 mehr Geld, um die Probleme der Rüstungsbeschaffung aus den Vorjahren zu lösen. Der Koalitionspartner SPD will ab 2017 mehr Finanzmittel, um Neuvorhaben anstoßen zu können. Zugleich aber wird die überfällige strukturelle Reform des Beschaffungswesens halbherzig angegangen. Das Ergebnis ist absehbar: Es wird zwar mehr Geld geben, die Probleme bei den Rüstungsprojekten werden aber bleiben. Die Bundeswehr bekommt auch künftig ihre Waffensysteme viel zu spät, viel zu teuer und oft schlechter als bestellt.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 19. April 2014; www.ndr.de/info


Eurofighter – weniger kosten mehr

Rechnungshof kritisiert mangelnde Transparenz, Industrie mit steigendem Umsatz

Von René Heilig **


Der Bundesrechnungshof hat seine Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes vorgelegt. Wieder gab es arge Schelte für das Militär.

Vor Wochen bereits hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) festgestellt, dass es in ihrem Haus keine Durchsicht gibt bei den wichtigsten Rüstungsprojekten. Sie ordnete eine Tiefenprüfung durch externen Experten an. Doch noch bevor per Ausschreibung feststeht, wer Ordnung schaffen kann, moniert der Bundesrechnungshof seltsame Kostensteigerungen beim teuersten Rüstungsprojekt, dem Eurofighter.

1997 wollte die Bundeswehr 180 derartige Maschinen kaufen. Kostenpunkt: 11,8 Milliarden Euro. Im Zuge der Bundeswehrreform stellte man fest, dass 140 Jets ausreichen. Wer jetzt glaubt, mit Subtraktion bei den Kosten weiter zu kommen, irrt. Denn die ursprünglich geplanten 11,8 Milliarden Euro sind »nahezu vollständig ausgeschöpft«, sagt der Bundesrechnungshof. Um sich dann dem Begriff »Lebenswegkosten« zuzuwenden. Damit bezeichnet man jene Ausgaben, die über den gesamten Lebensweg eines Waffensystems entstehen und dem einsatzfähigen System zugerechnet werden können. Für das System Eurofighter setzt das Verteidigungsministerium noch einmal 30 Milliarden Euro an.

Da haben die Rechnungsprüfer doch sehr gestaunt. Denn obwohl die Anzahl der Maschinen um 40 unter dem ursprünglichen Soll liegt, sind die Lebenswegkosten offenbar doppelt so hoch wie zu Beschaffungsbeginn. Besonders gestiegen seien die Betriebsausgaben, insbesondere die für Materialerhaltung. Darüber hinaus zeichne sich »ein erheblicher Bedarf an ergänzenden Entwicklungen und Beschaffungen ab, der erst zu einem kleinen Teil in Haushalt und Finanzplan abgebildet« sei. Klar, dass die Pfennigfuchser vom Rechnungshof anregen, die Lebenswegkosten neu zu ermitteln. Ob sich die Hoffnung auf Kostensenkung erfüllt?

Am gestrigen Dienstag nannte die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie ihre Ergebnisse für 2013. Sie konnte sich insgesamt »sehr gut entwickeln«. 2013 betrug das Umsatzwachstum der Gesamtbranche 7,8 Prozent. Der Gesamtumsatz erreichte ein Volumen von 30,6 Milliarden Euro. Im Vorjahr gab man sich noch 28,4 Milliarden Euro zufrieden.

Nach zwei Jahren rückläufiger Entwicklung habe auch das »Branchensegment Verteidigung und Sicherheit – militärische Luftfahrt« erstmalig wieder positive Zahlen geschrieben. Man konstatierte ein Umsatzplus von 7,2 Prozent. Die absoluten Zahlen liegen bei 6,8 Milliarden Euro. Damit erreichte man einen Gesamtumsatzanteil von 22 Prozent.

Was den Eurofighter betrifft, so streicht die Industrie heraus, dass der bei der Deutschen Luftwaffe bis zum Jahresende 2013 insgesamt 40 000 Flugstunden erfolgreich absolviert hat. »Die Industrie hat den Lieferplan für Eurofighter in 2013 übererfüllt.«

Doch der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) zeigt auch Sorgenfalten. Eine im ersten Quartal 2014 durchgeführte Blitzumfrage bei den Mitgliedsunternehmen habe ergeben, dass zwei Drittel der Firmen die langfristige Zukunft dieser Teilbranche »als mäßig oder gar als schlecht« einstufen. Erste Firmen hätten gar »ihre Geschäftsfeldaktivitäten in der militärischen Luftfahrtindustrie aufgeben«. Sinkende, bestenfalls stagnierende Verteidigungshaushalte in Europa und die Folgen der Bundeswehrreform seien Gründe für die schlechte Prognose der Geschäftsentwicklung. Neue umfangreiche Entwicklungsvorhaben fehlen.

Das kann sich möglicherweise rasch ändern. Lobbyisten – gerade die des BDLI – nutzen die Konflikte in und um die Ukraine bereits kräftig, um öffentlich eine unzureichende Bewaffnung und Ausrüstung westlicher Armeen zu konstatieren.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. April 2014


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