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Zu große Erwartungen? Beratungen über einen globalen Waffenhandelskontrollvertrag

Interview mit Robert Lindner, Oxfam *

Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Der Handel mit Rüstungsgütern ist ein lukratives Geschäft. So manches Waffensystem findet sich allerdings auf dem Schwarzmarkt wieder und kann schnell in falsche Hände geraten. Seit einiger Zeit gibt es daher Bestrebungen, mit einem internationalen Vertrag den weltweiten Waffenhandel zu kontrollieren. In diesem Monat kommen in New York Regierungsvertreter zu einer Vorbereitungskonferenz zusammen. Für diesen sogenannten Arms Trade Treaty ATT macht sich besonders die Nichtregierungsorganisation Oxfam stark. Über die Bemühungen, ein solches Vertragswerk auf den Weg zu bringen, habe ich mit dem Oxfam-Mitglied Robert Lindner gesprochen. Ich habe Robert Lindner zunächst gefragt, wie so ein Abkommen aussehen könnte:


Interview Flocken / Lindner

Lindner: Es wird ein Rahmenvertrag sein. So wie ich das sehe, wird es eigentlich ein relativ schlankes Dokument sein. Es geht darum, Mindeststandards zur formulieren, die die einzelnen unterzeichnenden Staaten in ihren nationalen Kontrollsystemen anwenden und umsetzen müssen. Das heißt, das Herzstück dieses Vertrages werden Genehmigungskriterien sein, also Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein ganz spezielles Transfergeschäft genehmigt werden darf. Und natürlich müssen auch die Rüstungsgüter definiert werden. Was verstehen wir eigentlich jetzt unter Waffen- oder Rüstungsgütern? Und es muss geregelt werden, wie diese Bestimmungen dann in der Praxis umgesetzt werden.

Flocken: Einige Staaten haben bereits Rüstungsexportvorschriften und auch entsprechende Richtlinien. Auch die Europäische Union hat einen sogenannten Verhaltenskodex für Rüstungsexporte. Vor diesem Hintergrund: warum ist da noch ein Waffenhandelsvertrag notwendig? Es gibt ja bereits Richtlinien.

Lindner: Es gibt Richtlinien, wie Sie sagen. Aber es sind eben nur Richtlinien. Es gibt zwar eine Tendenz zur Legalisierung, zum Beispiel wurde der von Ihnen angesprochene EU-Verhaltenskodex vor einigen Jahren umgewandelt in ein rechtlich verbindliches Kontrollinstrument. Aber letztlich ist das eben auch nur relativ unverbindlich. Es dauert sehr lange, bis die nationalen Systeme dem angepasst werden. Und es ist eben auf bestimmte Regionen beschränkt. Die EU hat ein relativ gut funktionierendes, Instrument mit dieser gemeinsamen Position. Und es gibt noch ein paar andere Regionen. Zum Beispiel sogar in Westafrika, im südlichen Afrika. Aber diese Systeme, diese Regelungssysteme funktionieren noch nicht so richtig gut in der Praxis. Und es gibt Gegenden und Länder, in denen es solche Abkommen überhaupt nicht.

Flocken: Was würde denn ein Waffenhandelsvertrag konkret für die restriktiven Rüstungsexportrichtlinien Deutschlands bedeuten? Hat er konkrete Auswirkungen oder bleibt alles beim Alten? Werden die Richtlinien noch schärfer, oder welche Auswirkungen hätte ein Waffenhandelsvertrag?

Lindner: Das hängt natürlich davon ab, wie dieser Waffenhandelsvertrag, dieses Kontrollabkommen ausfallen wird. Ich denke, wir können sicher sein, sollte das Waffenhandelskontrollabkommen ATT ein sehr schwacher Kompromiss sein, also sehr niedrige Kontrollstandards vorschreiben, dann dürften die relativ hohen Kontrollstandards in Deutschland sicherlich bestehen bleiben. Also, es wird nicht die Rede davon sein, dass hohe Standards nach unten angepasst werden. Es kann nur umgekehrt gehen.

Flocken: Aber es gibt die Befürchtung, dass einige Rüstungsfirmen sagen: wir orientieren uns am Waffenhandelsvertrag und nicht mehr an den Rüstungsexportrichtlinien.

Lindner: Nein, das kann so nicht sein, weil jedes einzelne Land ja nach wie vor die nationale Hoheit und sein eigenes Kontrollsystem hat. Es wird auch kein Zwang bestehen. Es wäre völlig inakzeptabel, die nationalen Kontrollsysteme nach unten anzupassen. Es kann nur umgekehrt sein. Also es wird, das ist auch der Tenor in den internationalen Verhandlungen, eben Mindeststandards geben. Die können aber dennoch relativ anspruchsvoll ausfallen und wir hoffen, dass die relativ hohen Standards, die wir in Deutschland haben, die natürlich auch nicht perfekt sind, diesem Waffenhandelskontrollabkommen zugrunde gelegt werden. Aber auch wenn es nur die EU-Standards sind, wäre damit schon einiges erreicht.

Flocken: Welche Waffen sollen denn in dem anzustrebenden Waffenhandelsvertrag erfasst werden? Nur Kriegswaffen, wie Panzer, Kriegsschiffe oder auch leichte Handwaffen? Beispielsweise Waffen von Polizeikräften. Wie weit soll der Vertrag gehen?

Lindner: Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, für die ich arbeite, wissen durch ihre Arbeit vor Ort in Spannungsgebieten, dass die meisten Opfer nicht durch klassische Kriegswaffen hervorgerufen werden. Es ist natürlich wichtig, Panzer, Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe usw. zu erfassen. Also diese sieben Kategorien, die vom UN-Großwaffenregister geführt werden. Es handelt sich um klassische Kriegswaffen, die man als Angriffswaffen kennt, für die es ja schon mehr oder weniger Kontrollregelungen gibt. Zu kurz kommt aber der ganze Bereich der Kleinwaffen und leichten Waffen. Das sind also Pistolen, Gewehre, Sturmgewehre. Also Schusswaffen, die in diesen Konflikten, in diesen kleinen schmutzigen Kriegen, wirklich zum Einsatz kommen. Und das gehört natürlich in den Vertrag mit hinein. Denn die humanitären Probleme werden vor allem durch diese kleinen Waffen erzeugt. Nicht zu vergessen sind auch Polizeiwaffen, also sogenannte nicht-tödliche Waffen. Zum Beispiel Elektroschlagstöcke oder auch Gummigeschossgewehre. Damit wird ein enormer Schaden, enormes Leid angerichtet. Das wurde zum Beispiel bei der Niederschlagung von Aufstands-Bewegungen in Libyen und in anderen Ländern im Nahen und Mittleren Osten deutlich.

Flocken: Wenn man sich zusätzlich auf diese Kleinwaffen konzentriert, macht es das nicht sehr schwierig, ein Abkommen zu erreichen? Denn da gibt es ja sicher großen Widerstand von der Rüstungslobby oder den Waffenherstellern.

Lindner: Kleinwaffen sind nicht mal so sehr umstritten. Also es gibt sicherlich Waffenlobbys, zum Beispiel in den USA, die das natürlich äußerst kritisch sehen, einfach aufgrund ihrer Überzeugung. Die haben Angst, dass dann auch der Binnenhandel mitkontrolliert würde. Das ist aber nicht der Fall. Also es gibt schon einen sich langsam herausbildenden Konsens, dass diese kleinen Waffen, Schusswaffen kontrolliert werden müssen und nicht nur die klassischen Großwaffen wie Panzer, Schiffe, Raketen usw. Es gibt aber einige Kategorien, über die wir noch gar nicht gesprochen haben, die aber auch extrem wichtig sind. Das sind Waffen oder Rüstungsgüter, die man sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke einsetzen kann.

Flocken: Zum Beispiel?

Lindner: Sogenannte Dual-use-Güter. Das ist ein ganzer großer Bereich der Elektronik. Das sind Steuerungssysteme, Lenksysteme für Raketen und andere Lenkwaffen. Das sind Kommunikationssysteme zum Teil sehr spezialisierte Systeme. Wir reden jetzt nicht über den normalen Computerchip. Und da ist die Frage, wie werden diese Dual-use-Teile von dem Empfänger, von dem Käufer bzw. von dem Endverwender eingesetzt.

Flocken: Das Vorbereitungstreffen vom 11. bis 15. Juli in New York gilt als entscheidend, ob im kommenden Jahr, im Sommer 2012, ein unterschriftsreifes Dokument auf einer Staaten-Konferenz präsentiert werden kann. Wo werden die Knackpunkte auf dieser Vorbereitungskonferenz in diesem Monat sein?

Lindner: Auf der Tagesordnung wird der Komplex der Umsetzung, der praktischen Anwendung stehen. Also solche Fragen wie: welche Berichte müssen die einzelnen Staaten zur Umsetzung dieser Bestimmungen anfertigen? Oder: Soll es ein Sekretariat geben, das diese Informationen verwaltet? Sollen diese Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden? Soll es Sanktionsmechanismen geben, wenn ein Unterzeichnerstaat gegen die Bestimmungen dieses Abkommens verstößt? Oder soll es auch Hilfen geben, also richtige Unterstützungsprogramme für Staaten, die es sich gar nicht leisten können, solche anspruchsvollen Kontrollsysteme aufzubauen? Alles das steht auf der Tagesordnung. Es werden aber sicherlich auch noch zwei andere sehr wichtige Komplexe eine Rolle spielen, die seit letztem Jahr diskutiert werden. Das sind die Genehmigungskriterien und der Regelungsumfang. Also die Frage, welche Waffen und Rüstungsgüter sollen denn überhaupt kontrolliert werden?

Flocken: Ein Streitpunkt ist aber auch die sogenannte Endverbleibsklausel, das heißt, diese Klausel soll sicherstellen, dass die Waffen, die beispielsweise an einen NATO-Partner geliefert werden, auch dort verbleiben und nicht später im Nahen Osten oder in anderen Krisenregionen auftauchen. Ist denn dort eine Lösung in Sicht?

Lindner: Das ist ein ganz zentraler Punkt. Und das fällt eben in diesen dritten Komplex, der im Juli verhandelt werden soll. Da gibt es gute Beispiele innerhalb der EU. Zu nennen sind aber auch andere Staaten. Die USA haben da sehr anspruchsvolle Regelungen.

Flocken: Können Sie ein Beispiel nennen, wie das funktionieren könnte?

Lindner: Innerhalb der EU funktioniert das so: da kann ein Transfer, also ein Waffenexport, nur dann über die Bühne gehen, wenn ein Dokument des Endverwenders vorliegt. Beispielsweise über eine bestimmte Armee-Einheit, die zum Beispiel die gelieferten Sturmgewehre aus Deutschland empfängt. Das ist ein typischer Fall. Dann weiß man, wo diese Gewehre liegen, und von wem sie verwendet werden. Da diese Waffen ja alle eine eigene Seriennummer tragen müssen, lässt sich schnell feststellen, wenn sie ganz woanders verwendet werden. Ein Beispiel: Es gibt in Mexico die Unruheregion Chiapas. Dort tauchten G36-Gewehre aus deutscher Produktion auf, die da nie hätten hinkommen dürfen. Es gibt zwar G36-Gewehre, die in den letzten Jahren legal, mit Genehmigung nach Mexiko exportiert worden sind. Aber bestimmte Provinzen, wie zum Beispiel Chiapas, waren davon ausgenommen. Trotzdem sind sie dort aufgetaucht. Das muss dann untersucht werden, zum Beispiel anhand dieser Endverbleibsdokumente. Geklärt werden muss: Wer trägt die Verantwortung, dass diese Waffen aus dem eigenen Bestand dieses Endverwenders weitergereicht worden sind? Man kann dann sehr schnell und relativ einfach eine Indizien- oder Beweiskette erstellen, und schließlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Flocken: Es ist ja dann zudem schwierig, diese Waffen, die eigentlich dort auftauchen, wo sie nicht hingehören und nicht hingeliefert werden dürften, wieder einzusammeln.

Lindner: Das ist wohl wahr. Aber dann wird sich der Exporteur oder die Genehmigungsbehörde, also in dem Fall die Bundesregierung oder das Bundesausfuhramt sehr genau überlegen müssen, ob beim nächsten Antrag, beim Folgeantrag für vergleichbare oder andere Waffensysteme an den gleichen Empfänger, eine Genehmigung erteilt werden kann. Also diese Möglichkeit gibt es durchaus, dass man diese Empfänger dann auf eine Art schwarze Liste setzt. Flocken: Der Export von Waffensystemen und Rüstungsgütern ist ein riesiges Geschäft, ein Milliardengeschäft. Insbesondere die USA und Russland sind dort sehr engagiert. Wie stellen sich denn diese großen Rüstungsexportländer zu dem angestrebten Waffenhandelsvertrag?

Lindner: Das ist sehr unterschiedlich. Die USA haben vor anderthalb Jahren eine bemerkenswerte Wende vollzogen. Unter der alten Bush-Administration gab es einen sehr großen Widerstand gegen jegliche Bemühungen, den internationalen Waffenhandel zu kontrollieren. Das angestrebte Waffenhandelsabkommen wurde von den USA regelrecht boykottiert. Das hat sich unter der Obama-Regierung geändert. Allerdings gibt es immer noch Vorbehalte. Zum Beispiel wollen die USA nicht, dass Kleinwaffen-Munition kontrolliert wird. Also man ist für die Kontrolle von Kleinwaffen, von Gewehren, Pistolen, aber man ist nicht für die Kontrolle der Munition - aus verschiedenen Gründen. Das hat, soweit wir das einschätzen, vor allem einen innenpolitischen Hintergrund. Die mächtige Waffenlobby sieht eigene Interessen gefährdet. Die Haltung der anderen Staaten: Russland hat in der Tat sehr große Interessen als Waffenhersteller und Rüstungs-Exporteur. Russland „leidet“ sehr stark unter dem Problem, dass Waffen aus russischer Produktion, zum Beispiel die berühmten Kalaschnikow Sturmgewehre, illegal oder ohne Genehmigung der russischen Regierung, nachgebaut werden. Dasselbe passiert auch mit anderen Waffensystemen. Daher hat Russland ein starkes wirtschaftliches Interesse, dass zumindest dieser Aspekt besser kontrolliert wird. Russland ist hingegen skeptisch und zurückhaltend, was wirksame internationale Kontrollen über das eigene Exportgebaren angeht. Russland gehört zu den Ländern, die sich eine Einmischung von außen, insbesondere durch die internationale Gemeinschaft oder die UN in sogenannte innere Angelegenheiten, verbitten. Es gibt noch weitere Länder, die man aufzählen könnte. Natürlich China. Aber auch der Iran ist sehr skeptisch, aber auch Pakistan und Israel. Es gibt eine ganze Reihe von Staaten, die diesen Waffenhandelsvertrag als einen Anschlag auf die nationale Souveränität missverstehen.

Flocken: Bei den Verträgen zur Ächtung von Anti-Personenminen und zum Bann von Streubomben sind die USA und Russland nicht Vertragsunterzeichner. Sie sind aber zuversichtlich, dass die Großmächte diesmal durchaus einen Waffenhandelsvertrag unterzeichnen würden.

Lindner: Das ist noch völlig offen. Bei den USA gab es, wie gesagt diesen Politikwechsel. Ich denke, es wird einfach davon abhängen, ob diese genannten roten Linien, die die USA gezogen haben, eingehalten werden oder nicht. Die Position der Nichtregierungsorganisationen ist, einen hohen Kontrollstandard zu erreichen. Wir wollen zum Beispiel, dass auch die Kleinwaffen-Munition kontrolliert wird. Und wenn der Preis dafür ist, dass die USA nicht beitreten, dann ist das sicherlich ein hoher Preis. Andererseits zeigen die Beispiele vom Landminenabkommen und vom Streumunitionsabkommen, dass auch wenn große Hersteller und Handelsstaaten wie die USA, Russland, China usw. den Vertrag nicht unterzeichnen bzw. ihm nicht beitreten, dass der Handel mit diesen Waffen dennoch sehr stark eingeschränkt ist. Der offizielle Handel mit Landminen ist jedenfalls so gut wie zum Erliegen gekommen.

Flocken: Wenn alles optimal läuft für den Waffenhandelsvertrag, wann könnte der Vertrag Ihrer Einschätzung nach frühestens in Kraft treten?

Lindner: So wie es aussieht gibt es im nächsten Jahr eine große Verhandlungskonferenz in New York. Wenn alles gut läuft, dann könnte Ende Juni 2012 der Text stehen. Dann würde das Abkommen zur Unterschrift ausgelegt werden. Und bis so ein Vertrag ratifiziert wird, kann es dann sicherlich noch mal über ein Jahr oder auch länger dauern. Aber es kann natürlich auch sein, dass im kommenden Jahr kein Kompromiss oder kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt wird. Und dann kann es sein, dass dieser ganze Prozess noch einmal anfängt. Nicht völlig von neuem - aber zumindest muss noch einmal grundsätzlich verhandelt werden.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 2. Juli 2011; www.ndrinfo.de


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