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Einschränkung des Rüstungshandels in Sicht? Die Erwartungen an den geplanten UN-Waffenhandelsvertrag

Ein Beitrag von Tim Aßmann aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderation):
Seit Jahren bemühen sich die Vereinten Nationen, den Handel mit Sturmgewehren, Panzerfäusten und anderen Waffen zu kontrollieren und einzuschränken. Ziel ist ein Waffenhandelsabkommen – ein sogenannter Arms Trade Treaty ATT. Nach mehreren Vorbereitungskonferenzen beginnen in der kommenden Woche [2. Juli] in New York Verhandlungen über eine solche Vereinbarung. Zu den Erfolgsaussichten des Treffens – Tim Aßmann:


Manuskript Tim Aßmann

Wenn Brian Wood in New York sein wird, um die Verhandlungen über das Waffenhandelsabkommen zu beobachten, wird ihm das immer noch etwas unwirklich vorkommen. Wood kümmert sich bei Amnesty International um Rüstungskontrolle. Darauf, dass sich die Staatengemeinschaft an einen großen Tisch setzt und über den Handel mit konventionellen Waffen diskutiert, haben Wood und andere lange hingearbeitet:

O-Ton Wood (overvoice)
„Als wir vor einigen Jahren von der Idee eines Waffenhandelsabkommens sprachen, wurden wir ausgelacht. Nicht nur von Regierungen, sondern auch von anderen Organisationen der Zivilgesellschaft und von Forschern und Thinktanks. Sie hielten das für eine verrückte Idee. Wie sollte das je funktionieren. Aber jetzt hat sich das geändert. Wir schauen jetzt ganz anders auf die Sache.“

Der Wille, einheitliche Regeln für den Handel mit Panzern, Gewehren, Granaten und anderen sogenannten konventionellen Waffen zu finden, ist bei der Mehrheit der Staaten da. Vor allem afrikanische und asiatische Regierungen drängen auf möglichst strenge Vorgaben. Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass es zwar Nichtverbreitungsabkommen für nukleare, chemische oder biologische Waffen gibt, nicht aber für die Rüstungsgüter, die in Konflikten weltweit immer noch am meisten Schaden anrichten.

Ursache für das Fehlen eines solchen Vertrages ist natürlich auch, dass viele Staaten daran lange kein Interesse hatten:

O-Ton Moritan (overvoice)
„Mehr als 90 Staaten sind irgendwie an der Waffenproduktion beteiligt, seien es nun kleine, leichte Waffen, Komponenten oder auch Munition und Sprengstoffe. 45 Prozent der weltweit verkauften Waffen werden in den USA hergestellt. Noch einmal 40 Prozent der Waffenversorgung verteilen sich auf Russland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und China. Außerdem werden auch einige aufstrebende Exporteure immer wichtiger.“

Sagt Roberto Garcia Moritan. Der argentinische Diplomat sitzt einer Kommission der Vereinten Nationen vor, die seit rund zwei Jahren das Waffenhandelsabkommen vorbereitet. Ein Arbeitspapier Moritans bildet die Vorlage für die Verhandlungen von New York. Es sieht vor, dass sich alle Unterzeichner dazu verpflichten, allgemein gültige Genehmigungsverfahren für Waffenexporte einzuführen. So sollen Rüstungs-Ausfuhren in Krisenregionen und Gebiete unterbunden werden, in denen Menschenrechte und das Völkerrecht verletzt werden. Moritans Vorlage umfasst alle konventionellen Waffen und auch die dazugehörige Munition. Nur so kann aus Sicht der Befürworter des Moritan-Papiers das Abkommen wirkungsvoll sein. Das ist auch die deutsche Haltung vor den Verhandlungen, betont Jörg Ranau. Er ist der Leiter Exportkontrolle im Auswärtigen Amt und deutscher Verhandlungsführer in New York:

O-Ton Ranau
„Für uns, für die Bundesregierung ist vollkommen klar: Selbstverständlich müssen Kleinwaffen mit dabei sein und selbstverständlich muss auch Munition mit dabei sein. Für uns ist das ein Muss.“

Aber dem deutschen Verhandlungsführer ist auch klar, dass Maximalforderungen in New York kaum durchzusetzen sein werden. Ranau drückt es diplomatisch aus und spricht von der Skepsis einiger Staaten gegenüber dem Vertrag. Michael Brzoska, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg wird deutlicher:

O-Ton Brzoska
„Ich bin da sehr skeptisch, dass es wirklich eine Einigung aller geben wird. Ich denke aber, dass es möglich ist, bis auf wenige Staaten, zu vereinbaren, um welche Waffensysteme es gehen wird. Der Knackpunkt wird die Munition sein. Da werden einige Staaten nicht mitmachen d.h. Munition würde dann, wenn man wirklich viele Staaten dabei haben will, nicht dabei sein.“

Hier blockiert vor allem der größte Waffenexporteur der Welt. Die USA sind zwar unter Barack Obama nicht mehr strikt gegen ein internationales Abkommen zum Handel mit konventionellen Waffen. Washington steht ihm aber sehr skeptisch gegenüber. Wahlkämpfer Obama muss Rücksicht auf die heimische Industrie nehmen. Doch die USA sind nur ein Mitglied in der Allianz der Staaten, die das Erreichen eines wirksamen Abkommens schwierig machen könnten, sagt Rüstungsexperte Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Es ist eine Kombination aus großen Waffenhändler-Staaten. Russland, das sich da bisher am Stärksten geäußert hat, aber auch in den USA gibt es Bedenken und die Chinesen haben sich bisher ebenfalls sehr zurück gehalten. Aber auch sie sind nicht so besonders begeistert von vielen Dingen. Die Kombination dieser Staaten mit einigen Empfängerstaaten, die denken, dass sie möglicherweise Nachteile bekommen, wenn eben die Exporteure stärker auf die Exporte gucken – das betrifft durchaus Staaten, die jetzt auch schon Schwierigkeiten haben wie Iran, Saudi-Arabien, alle Staaten, denen viele andere Staaten Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, wo viele andere Staaten eine innere Instabilität sehen – diese Staaten werden auch nicht begeistert sein von einem starken Waffenhandelsabkommen.“

Wie stark so eine Vereinbarung sein kann, hängt maßgeblich von ihrer Umsetzung in den Unterzeichner-Staaten ab. Das Moritan-Papier sieht vor, dass sich alle Länder selbst und eigenständig darum kümmern. Das lässt viel Ermessensspielraum. Wann ist die Menschenrechtslage in einem Empfängerland wirklich problematisch? Wann besteht die Gefahr, dass zum Beispiel gelieferte Kampfpanzer auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden? Hier erlaubt die Moritan-Vorlage den Vertrags-Staaten zu viel Freiraum, befürchtet Amnesty-Experte Brian Wood:

O-Ton Wood (overvoice)
„Es ist nicht außerhalb des Vorstellbaren, dass einige der Regeln zwar vereinbart, dann aber nicht eingehalten werden. Oder dass man sich zwar auf einen Vertragstext einigt, die Staaten ihn dann aber lange Zeit nicht ratifizieren. Das Ringen um ein Waffenhandelsabkommen endet nicht nach dem Juli. Es muss weiter gehen.“

Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Oxfam wünschen sich ein Abkommen, das sich auf alle Arten von Waffenmärkten und bereits auf die Vermittlung solcher Geschäfte erstreckt. Allerdings ist unmittelbar vor den New Yorker Verhandlungen sehr viel nüchterner Realismus bei den Organisationen festzustellen. Sie wissen, dass sie Abstriche werden machen müssen. Entscheidend ist aber für alle, dass ein großes Maß an Transparenz in einem möglichen Abkommen verankert wird. Die Staaten müssten detailliert offen legen, welche Art von Waffenausfuhren genehmigt wurden, sagt Peter Herby, Abrüstungsexperte beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes:

O-Ton Herby (overvoice)
„Wir möchten, dass so viele Informationen wie möglich bereitgestellt werden. Vorgesehen sein muss: Was wird geliefert? Welche Mengen? An Wen?“

Vorstellbar wäre eine Information nach Vorbild des deutschen Rüstungsexportberichtes. Doch der ist vielen Nichtregierungs-Organisationen nicht genau genug und vielen Staaten zu genau. Der deutsche Verhandlungsführer Jörg Ranau gibt im Vorfeld der Gespräche schon mal eine mögliche Minimallösung vor:

O-Ton Ranau
„Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Öffentlichkeit oder andere Regierungen eben die Möglichkeit erhalten, nachzufragen: was habt ihr denn da gemacht und warum habt ihr exportiert.“

Das wäre dann ausgewählte Information auf Nachfrage und möglicherweise eben auch nur unter Staaten. Für Paul Holtom ist das zu wenig. Der Brite ist Experte für Waffenhandel beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI:

O-Ton Holtom (overvoice)
„Die Herausforderung für mich ist, wie Staaten zur Verantwortung gezogen werden können. Es wird kein Abkommen über eine übergeordnete internationale Instanz geben. Das wird nicht passieren. Aber ich habe die Hoffnung, dass Staaten untereinander Druck ausüben vor einer sehr viel breiteren Öffentlichkeit. Zu der dann nicht mehr nur die Export-Länder gehören, sondern auch die Import-Staaten und die Länder in der Region, in die die Waffen gehen. Ich glaube, es wird eine völlig neue Dynamik geben und das wäre der Zusatznutzen.“

Rund drei Wochen soll in New York verhandelt werden. Am Ende der Gespräche wird wahrscheinlich kein verbindliches Abkommen stehen, befürchtet Rüstungsexperte Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska:
„Ich glaube, dass das nur in einem wirklichen Glücksfall gelingen kann. Als wahrscheinlicher sehe ich an, dass wir am Ende einen Text haben werden, dem viele zustimmen können, wo aber auch viele Staaten sagen, da müssen wir noch weiter drüber nachdenken und einige auch sagen, das werden wir nicht unterschreiben. Und da man ja das Konsensprinzip hat, wird man dann in New York eben kein Abschlussdokument haben, aber man kann ja weiterverhandeln.“

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 30. Juni 2012; www.ndrinfo.de


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