Eine Barriere für den Waffenhandel
Entscheidende Verhandlungsrunde beginnt heute im UN-Hauptquartier
Von Wolfgang Kötter *
Im Hauptsitz der Vereinten Nationen am East River in Manhattan wird ab heute (2.–27. Juli) über einen Weltvertrag zur Begrenzung des internationalen Waffentransfers verhandelt. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat zwar im vergangenen Jahr den Anstieg der Weltrüstungsausgaben gebremst, aber dessen ungeachtet boomt der Handel mit konventionellen Waffen weiterhin und überschreitet jährlich deutlich die Marke von 300 Milliarden Euro. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI ist das Volumen der globalen Waffengeschäfte in den vergangenen fünf Jahren um fast ein Viertel gewachsen. Auf die beiden größten Rüstungsexporteure USA und Russland entfällt mehr als die Hälfte der weltweiten Lieferungen. Danach platzieren sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Größte Waffenimporteure sind Indien, gefolgt von Südkorea, Pakistan, China und Singapur. Gegen diesen verhängnisvollen Trend soll nun eine rechtliche Barriere errichtet werden.
Zivilgesellschaft gegen Rüstungsexporte
Das Projekt eines globalen Waffenhandelsvertrages (Arms Trade Treaty) begann als sich im Jahre 2003 die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Hilfsorganisation OXFAM und das Internationale Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen IANSA zur Kampagne "Waffen unter Kontrolle!" zusammenschlossen. Darin fordert über eine Million Menschen in mehr als 170 Ländern ein „kugelsicheres“ völkerrechtlich verbindliches Waffenhandelsabkommen. Sie setzen ihre Regierungen mit vielfältigen Aktionen unter Druck. "Rüstungsgüter dürfen nicht geliefert werden, wenn die Gefahr besteht, dass sie zu schweren Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen beitragen", so der Amnesty-Rüstungsexperte Mathias John. "Ein wirksames Abkommen muss eine nachvollziehbare Prüfung vor der Exportgenehmigung und eine effektive Endverbleibskontrolle vorsehen. Außerdem muss es alle Rüstungsgüter erfassen, auch Munition und Elektroschockwaffen." Unterstützt werden die Aktivisten auch von 15 Friedensnobelpreisträgern, unter ihnen Erzbischof Desmond Tutu, dem ehemaligen IAEA-Chef El-Baradei und die Organisation Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW. In Deutschland fordert seit Mai vergangenen Jahres die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, Waffenexporte grundsätzlich zu verbieten. „Militärausgaben verleiten dazu, Waffen auch einzusetzen“, so Bündnissprecherin Christine Hoffmann. „Diesen Kreislauf wollen wir stoppen. Wir wollen den Opfern eine Stimme geben und den Tätern Gesicht und Namen: Wir werden Menschen aus Ländern, in die deutsche Rüstungskonzerne Waffen exportiert haben, als Zeuginnen und Zeugen einladen, um bei Veranstaltungen zu informieren, zu welchem Leid deutsche Waffen geführt haben. Wir werden die Verantwortlichen benennen und fordern ein Rüstungsexportgesetz im deutschen Grundgesetz.“
Der Lange Weg zum Waffenhandelsvertrag
Ein weltweiter Vertrag soll vor allem Waffenverkäufe verhindern, die zu brutalen Verletzungen von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts missbraucht werden oder eine nachhaltige Entwicklung in den Empfängerländern behindern. Die vier Vorbereitungstagungen haben in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet. Unter der Leitung jetzigen Konferenzpräsidenten Roberto García Moritán aus Argentinien entstand ein Textgerüst mit möglichen Elementen eines zukünftigen Vertrages. Es enthält Formulierungen zu Prinzipien, Zielen, Kriterien, Umfang und Erfüllung. Angestrebt wird ein Rahmenvertrag, der Mindeststandards formuliert, die die einzelnen Mitgliedstaaten in ihren nationalen Kontrollsystemen anwenden und umsetzen müssen. Im Zentrum sollen Genehmigungskriterien stehen, die zu erfüllen sind, damit ein Waffen- und Rüstungsverkauf stattfinden darf. Als eines der umstrittensten Themen erwies sich in der bisherigen Diskussion, welche Waffen in den Vertrag einbezogen werden und wie sie definiert werden sollen. Viele Staaten favorisieren die sieben Kategorien des bestehenden UN-Registers für konventionelle Waffen als Grundlage. Das wären gepanzerte Kampffahrzeuge, Kampfpanzer, großkalibrige Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe sowie Raketen einschließlich ihrer Start- und Abschusssysteme. Anderen geht das aber nicht weit genug. Sie verlangen ebenfalls die Einbeziehung sogenannter Kleinwaffen und leichter Rüstungen, deren Gesamtzahl weltweit auf über 875 Mio. geschätzt wird. Durch derartige Waffen wie Mörser und Minen, Sturmgewehre und Maschinenpistolen, Revolver und Handgranaten sterben täglich unzählige Menschen, ob in bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen, im privaten Streit oder durch Verbrechen. Kleinwaffen sind laut Internationalem Roten Kreuz für 95 Prozent der Getöteten heutiger Kriege verantwortlich. Kontrovers ist ebenfalls, ob auch der Handel mit Munition von dem Vertrag erfasst werden soll. Die USA verlangen beispielsweise, dass nur Waffen erfasst werden, nicht aber Munition. Diese Forderung stößt auf deutlichen Widerspruch der europäischen und lateinamerikanischen sowie vieler afrikanischer Staaten. China und Ägypten wollen sogar Kleinwaffen vom Vertrag ausnehmen. Zu den noch offenen Fragen gehört ebenfalls, ob es eine Kontrollinstitution geben wird, die die Erfüllung der Vertragsverpflichtungen überwacht.
Konsens – pro und kontra
Heftig wurde auf der letzten Vorbereitungssitzung im vergangenen Februar auch darüber gestritten, wie die Konferenz ihre Entscheidungen trifft. Die Befürworter eines starken und wirksamen Vertragstextes wie Mexiko, die meisten europäischen und afrikanischen Staaten aber auch die Karibik-Gruppe sprachen sich für Mehrheitsentscheidungen aus. Andere Staaten, darunter die USA, Russland, China, Syrien, Iran und Kuba, vertraten die Meinung, dass ihre nationalen Interessen bei so einer heiklen Frage wie Waffenexporten nur durch einmütige Beschlüsse gewahrt werden könnten.
Schließlich einigte man sich darauf, substantielle Beschlüsse im Konsens zu fassen. Für Verfahrensfragen hingegen reichen bereits zwei Drittel der Stimmen, wenn der Konferenzpräsident feststellt, dass alle Bemühungen um Einigkeit ausgeschöpft sind. Konsens bedeutet, dass eine Entscheidung als akzeptiert gilt, wenn eine Mehrheit einverstanden ist und keiner der übrigen Teilnehmer einen offiziellen Einwand erhebt. Doch das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Einmütig verabschiedete Verpflichtungen erhöhen einerseits die Chance, dass möglichst viele Staaten dem ausgehandelten Vertrag auch beitreten werden. Andererseits erhält aber jeder einzelne Staat praktisch ein Vetorecht und kann den gesamten Verhandlungsprozess blockieren, wenn ihm eine bestimmte Regelung missfällt. Angesichts dessen befürchten nun viele Befürworter das Scheitern des Waffenhandelsabkommens. Die Sorge ist nicht unberechtigt, dennoch zeigen andere Beispiele, dass es Wege gibt, um die Blockade eines Abrüstungsvertrages zu überwinden bzw. zu umgehen.
Ein Waffenhandelsvertrag ist möglich
Als in den 1990er Jahren in der Genfer Abrüstungskonferenz der nukleare Teststoppvertrag ausgehandelt wurde, verweigerte Indien in letzter Minute seine Zustimmung zum fertigen Vertragstext und bestand darauf, den Teststopp-Vertrag mit einem nuklearen Abrüstungsplan zu verbinden. Da die Konferenz also keinen Konsens zur Überweisung des Vertrages an die UN-Vollversammlung erreichen konnte, ergriff eine Staatengruppe unter Führung von Australien die Initiative und brachte den ausgearbeiteten Textentwurf in der Vollversammlung ein, diese nahm ihn im September 1996 mit überwältigender Mehrheit an. Heute gehören dem Teststoppvertrag 157 Staaten an, zu seinem Inkrafttreten fehlen allerdings noch acht Staaten.
Auch im Streben nach einem Verbot von Anti-Personenminen gelang es, die Verschleppungstaktik der Verweigerer zu durchkreuzen. Aus Protest gegen die Unfähigkeit der offiziellen Diplomatie im UN-Rahmen starteten Kanada, Schweden, Norwegen, Belgien Mexiko, Österreich und Südafrika den „Ottawaprozess“ und handelten innerhalb kurzer Zeit die Konvention zum Verbot von Antipersonenminen aus. Sie wurde 1997 in Kanadas Hauptstadt unterzeichnetet und ist seit 1999 rechtswirksam. Nach diesem Vorbild wurde auch die Ächtung der verheerenden Streumunition erreicht. Die internationale Zivilgesellschaft reagierte auf die Weigerung der Regierungen, im Rahmen der Inhumanen-Waffen-Konvention ein Verbot von Streumunition zu erreichen mit dem "Oslo-Prozess". Eine breite Koalition verbündete sich mit abrüstungswilligen Staaten wie Norwegen, Neuseeland, Österreich, Peru und Mexiko. Nach mehreren Verhandlungsrunden wurde 2008 der Vertrag in Oslo unterzeichnet und trat 2010 in Kraft. So wünschenswert ein Erfolg der heute beginnenden Verhandlungen auch ist, sollte es in den nächsten vier Wochen in Genf dennoch nicht gelingen, einen Vertrag auszuhandeln, bleiben immer noch alternative Wege zu einem internationalen Waffenhandelsabkommen offen.
Hauptprinzipien für ein internationales Waffenhandelsabkommen
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Alle internationalen Rüstungstransfers müssen von anerkannten Staaten genehmigt werden. Sie müssen in Übereinstimmung mit deren nationalen Gesetzen und Verfahrensregeln durchgeführt werden und den völkerrechtlichen Verpflichtungen entsprechen.
- Staaten dürfen internationale Rüstungstransfers nicht genehmigen, wenn diese gegen die völkerrechtliche Verpflichtungen verstoßen würden.
- Internationale Rüstungstransfers dürfen nicht genehmigt werden, wenn sie tatsächlich oder wahrscheinlich für Völkerrechtsverletzungen genutzt werden.
- Vor der Genehmigung von Rüstungstransfers sind Staaten zur Berücksichtigung der wahrscheinlichen Verwendung der Rüstungsgüter sowie weiterer Faktoren verpflichtet.
- Alle Staaten müssen nationale Jahresberichte über ihre internationalen Rüstungstransfers einer zukünftigen Internationalen Registrierungsbehörde vorlegen, die diese veröffentlicht.
- Es werden gemeinsame Standards für spezifische Kontrollmechanismen folgender Bereiche erstellt:
a) alle Importe und Exporte von Rüstungsgütern;
b) Aktivitäten bei Vermittlung von Rüstungsgeschäften;
c) Transfers von Waffen aus Lizenzproduktion; und
d) den Transithandel und den Umschlag von Rüstungsgütern.
Staaten müssen Vorgehensweisen zur Überwachung der Durchsetzung und zur Revision erarbeiten, um die vollständige Implementierung der Prinzipien zu stärken.
Quelle: „Waffen unter Kontrolle“
Folgende fünfzehn Friedens-Nobelpreisträger haben einen offenen Brief für ein internationales Waffenhandelsabkommen unterzeichnet:
American Friends Service Committee, Amnesty International, Oscar Arias, Mohammad El Baradei, Shirin Ebadi, Adolfo Pérez Esquivel, José Ramos Horta, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Dalai Lama, Mairead Corrigan Maguire, Rigoberta Menchú, Desmond Tutu, Lech Walesa, Betty Williams und Jody Williams.
* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien in: neues deutschland, Montag, 2. Juli 2012
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