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Verjüngungskur für Kernwaffen

SIPRI-Bericht: Weltweit 4400 nukleare Sprengköpfe einsatzbereit

Von Olaf Standke *

Nicht weniger als 4400 nukleare Sprengköpfe sind derzeit weltweit einsatzbereit, jeder zweite befindet sich sogar in erhöhter Alarmbereitschaft. Insgesamt erfasste SIPRI Anfang dieses Jahres 19 000 Sprengköpfe in acht Staaten; neben den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat Russland (10 000 Sprengköpfe), USA (8000), Frankreich (300), China (240) und Großbritannien (225) sind das Indien (80-100), Pakistan (90-100) und Israel (80), die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben haben. Nordkorea bezeichnet sich in seiner im April geänderten Verfassung selbst als Atommacht. SIPRI vermutet, dass das Land über 30 Kilogramm Plutonium verfüge, was für bis zu acht Sprengköpfe reichen würde.

Damit schrumpften die weltweiten Bestände gegenüber dem Vorjahr zwar um über 1500 Sprengköpfe, und von den offiziellen Atommächten vergrößere nur China sein Nukleararsenal. Doch zeigten alle Kernwaffenstaaten kaum mehr als rhetorischen Willen, ihre Kernwaffen aufzugeben, wie der SIPRI-Experte Shannon Kile betont. Der Abbau ist fast ausschließlich dem neuen START-Abkommen geschuldet - Russland hat seine Arsenale um 1000 nukleare Sprengköpfe verkleinert, die USA reduzierten ihre um 500.

Verschrottet würden nur veraltete und inzwischen unbrauchbare Kernwaffen, so die SIPRI-Kritik, während zugleich umfassende Modernisierungen laufen oder geplant sind. Die USA etwa entwickeln »Mini-Nukes« und verlängern die Lebensdauer ihrer Atomwaffen. Dabei sollen auch die in Deutschland stationierten B-61-Bomben zu praktisch strategischen Waffen umgewandelt werden. Russland setzt u. a. auf die neue Interkontinentalrakete Topol-M und atomar bestückte U-Boote der Klasse Borej. Indien und Pakistan wiederum bauen ihre Produktion von spaltbarem Material und neuen Trägersystemen aus.

Für Schlagzeilen sorgt gerade das von Tel Aviv offiziell weder bestätigte noch dementierte israelische Arsenal. Denn Israel soll deutsche U-Boote des Typs »Dolphin« von der Howaldtswerke-Deutsche Werft in Kiel mit atomar bestückten Marschflugkörpern aufrüsten. Der Fraktionschef der LINKEN im Bundestag Gregor Gysi verurteilte am Montag diese Waffenlieferungen in das nahöstliche Spannungsgebiet und forderte von der Bundesregierung sofortige Aufklärung.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. Juni 2012


Tödliche Währung

Von Olaf Standke **

Wenn es, wie in dieser Woche bei der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, um Teherans Nuklearprogramm geht, hat man oft den Eindruck, es gebe keine größere atomare Gefahr als die noch nicht existierende iranische Bombe. Das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hat sich jetzt die vielen längst vorhandenen Kernwaffen vorgenommen - und sieht keine ermutigenden Zeichen für einen Ausweg aus dem Pandämonium des nuklearen Irrsinns. Denn nichts anderes sind die weltweit gezählten 19 000 atomaren Sprengköpfe, von denen 4400 einsatzbereit sind, allen voran in Russland und in den USA. Ein globales Vernichtungspotenzial, das ausreicht, um die ganze Erde zu zerstören und die Menschheit auszulöschen.

Doch der Appell von Tomihisa Taue, Bürgermeister der vom atomaren Feuersturm gezeichneten japanischen Stadt Nagasaki, diese »Unmenschlichkeit von Kernwaffen zu bedenken«, scheint ungehört zu verhallen. Dass die Zahl der nuklearen Sprengköpfe im vergangenen Jahr leicht geschrumpft ist, kann nur auf den ersten Blick Hoffnung machen: Verschrottet wird lediglich, was überholt und unbrauchbar ist. Gleichzeitig werden jenseits aller Abrüstungsrhetorik Milliarden verpulvert, um die Arsenale zu modernisieren und eine neue Generation von Atomwaffen zu kreieren. Sie bleiben die »harte Währung für internationalen Status und Macht«, wie es die SIPRI-Experten formulieren.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 5. Juni 2012


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