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Geschäft mit dem Tod boomt

Globaler Waffenhandel wuchs um 24 Prozent / Deutschland drittgrößter Exporteur

Von Olaf Standke *

Der weltweite Waffenhandel wuchs in den vergangenen fünf Jahren um fast ein Viertel, so das Friedensforschungsinstitut SIPRI in einem am Montag (19. März) vorgelegten Report. Deutschland ist der drittgrößte Exporteur.

Trotz schwächelnder Wirtschaft will die indische Regierung ihre Militärausgaben im nächsten Fiskaljahr um 17 Prozent auf umgerechnet 29,4 Milliarden Euro und damit stärker als zuletzt Peking erhöhen, wie aus dem jetzt vorgelegten Haushalt für 2012/2013 hervorgeht. Die benachbarten Atommächte Indien und Pakistan liefern sich seit Langem einen Rüstungswettlauf, doch sieht Delhi inzwischen auch China als Herausforderung. Dabei habe Pakistan pikanterweise verstärkt chinesische Rüstungsgüter wie Schiffe und Kampfflugzeuge gekauft, sagt SIPRI-Experte Mark Bromley. Indien wird zu 80 Prozent von Russland beliefert.

Wie der gestern veröffentlichten Bericht der Stockholmer Friedensforscher nachweist, sind heute die fünf größten Waffenimporteure in Asien zu Hause; im Untersuchungszeitraum 2007 bis 2011 wurden 44 Prozent der globalen Rüstungseinfuhren in dieser Region registriert. Erst dann folgten Europa mit 19 Prozent, der Nahe Osten mit 17, Amerika mit elf und Afrika mit neun Prozent.

Insgesamt nahm der Handel mit konventionellen Waffen laut SIPRI im Vergleich zum Zeitraum 2002-2006 weltweit um 24 Prozent zu. Größter Waffenimporteur ist danach Indien mit zehn Prozent Anteil, gefolgt von Südkorea (sechs), Pakistan und China (jeweils fünf) und Singapur (vier). Und der Trend ist ungebrochen. Größter Posten im neuen indischen Rüstungsetat ist die geplante Anschaffung von 126 Kampfflugzeugen für rund 15,3 Milliarden Euro, wobei sich Delhi für den französischen Jet »Rafale« und damit gegen den »Eurofighter« entschieden hat - trotz eines Werbebriefs von Kanzlerin Angela Merkel.

Doch müssen sich die deutschen Waffenschmieden nicht grämen: Die Bundesrepublik ist mit neun Prozent Weltmarktanteil weiter drittgrößter Rüstungsexporteur. Mit 30 Prozent stammen die meisten Kriegsgüter aus den USA, die mit offiziell 671 Milliarden Dollar (gut 510 Mrd. Euro) 2011 zudem so viel Geld für ihr Militär ausgaben wie kein anderes Land. Die Waffenausfuhren aus Russland liegen bei 24 Prozent.

Die hiesige Rüstungsindustrie steigerte ihre Ausfuhren um 37 Prozent - das ist die höchste Zuwachsrate aller Exporteure. Weltweit wurden Waffen an 63 Länder verkauft, die wichtigsten Absatzmärkte waren Griechenland, Südkorea und Südafrika. »Die Bundesregierung heizt an führender Stelle erneut auf unverantwortliche Weise das weltweite konventionelle Wettrüsten an«, kritisierte gestern Paul Russmann, Sprecher der bundesweiten Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!«. Sie gieße so Öl ins Feuer bestehender Konflikte, wie pax-christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann erklärte.

* Aus: neues deutschland, 20. März 2012


Waffengeschäft boomt

Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlicht "Trendbericht" über Verkauf von Kriegsgerät. USA, Rußland und Deutschland bleiben die großen drei Exporteure

Von Rüdiger Göbel **


Von wegen Wirtschaftskrise! Der Verkauf von Kriegsgerät boomt und wächst. In den vergangenen fünf Jahren erhöhte sich das Volumen der Rüstungsgeschäfte weltweit im Vergleich zum Zeitraum 2002 bis 2006 um 24 Prozent. Das teilte das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI am Montag (19. März) in seinem aktuellen »Trendbericht« mit. Auf die USA und Rußland entfallen mit 30 und 24 Prozent zusammen mehr als die Hälfte der globalen Rüstungsexporte. Deutschland belegt mit neun Prozent Platz drei und liegt damit vor Frankreich (acht Prozent) und Großbritannien (vier Prozent).

Die größten Rüstungsimporteure sind die verfeindeten Nachbarländer Indien und Pakistan sowie Südkorea. Saudi-Arabien hat 2010 und 2011 für 60 Milliarden Dollar F-15-SA-Kampfjets in den USA bestellt und in der BRD rund 200 Leopard-Kampfpanzer geordert. Die diktatorisch regierenden Ölscheichs dürften in den kommenden Jahren an die Spitze der sogenannten Empfängerländer rücken. China, das im Zeitraum 2002-2006 noch die meisten Waffen weltweit importiert hatte, ist aktuell auf den vierten Platz zurückgefallen – die Volksrepublik hat die eigene Waffenproduktion ausgebaut und das Rüstungsexportvolumen in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt.

Im vergangenen Monat hatte SIPRI Daten über die Geschäfte der 100 führenden Waffenkonzerne veröffentlicht. Demnach wurde im Jahr 2010 – für 2011 liegen noch keine Zahlen vor – Kriegsgerät im Wert von rund 411 Milliarden Dollar (etwa 310 Milliarden Euro) gehandelt. Die Liste der Großunternehmen wird von US-Firmen dominiert. An der Spitze steht Lockheed Martin, die 2010 Rüstungsgüter im Wert von 35,7 Milliarden Dollar verkaufte. Zum Vergleich: Das deutsche Unternehmen Rheinmetall hat Kriegsgerät im Wert von knapp 2,7 Milliarden Dollar verkauft und liegt damit auf Platz 31. Desweiteren gehören die deutschen Konzerne Krauss-Maffei Wegmann, ThyssenKrupp, Diehl und MTU Aero Engines zu den Großen.

»Die Bundesregierung heizt an führender Stelle mit ihren Waffenlieferungen erneut auf unverantwortliche Weise das weltweite konventionelle Wettrüsten an«, kommentierte Paul Russmann, Sprecher der bundesweiten Kampagne »Aktion Aufschrei«, die SIPRI-Zahlen vom Montag. Die Bundesrepublik exportierte unter anderem U-Boote und Fregatten. Die wichtigsten Absatzmärkte waren den schwedischen Friedensforschern zufolge Griechenland, Südkorea und Südafrika. Unklar ist, inwiefern die deutschen U-Boot-Geschenke an die israelische Kriegsmarine in der Statistik berücksichtigt werden. »Wer wie die Bundesregierung immer mehr Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge und Kampfpanzer in Kriegs- und Krisenregionen liefert und weiter liefern will, gießt nicht nur zusätzlich Öl ins Feuer bestehender Konflikte, sondern konterkariert auch die Bemühungen der Vereinten Nationen, den Waffenhandel mit einem Waffenhandelsvertrag einzuschränken«, erklärte Christine Hoffmann von der »Aktion Aufschrei«. Der deutsche Weltmarktanteil von neun Prozent am Waffenhandel mache den »Ausverkauf jeglicher Rüstungsexportkontrolle deutlich« und stelle das Grundgesetz auf den Kopf. »Es wird höchste Zeit für ein grundsätzliches Verbot der Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern«, so Hoffmann.

»Die Bundesregierung macht sich mitschuldig an den unzähligen Toten in den Kriegen dieser Welt«, kommentierte Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, am Montag den aktuellen SIPRI-Rüstungsbericht (siehe Interview). Notwendig seien klare Verbote und gesetzliche Regelungen gegen Rüstungsexporte. Dem schloß sich auch Katja Keul, Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, an. Notwendig sei ein »starker internationaler Vertrag gegen den Waffenhandel«.

** Aus: junge Welt, 20. März 2012


"Gesetz gegen Exporte notwendig"

Deutsche Firmen liefern Waffen in Spannungsgebiete. Ein Gespräch mit Jan van Aken ***

Jan van Aken ist außenpolitischer ­Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI hat eine neue Studie zum Waffenhandel veröffentlicht. Welche Rolle nimmt die Bundesrepublik in dem Geschäft ein?

Der Rüstungshandel hat enorm zugenommen, in den vergangenen fünf Jahren um fast ein Viertel im Vergleich zum Zeitraum davor; Deutschland steht unter den Waffenexporteuren an dritter Stelle. Rund zehn Prozent aller weltweiten Rüstungsausfuhren stammen aus der Bundesrepublik. Die Branche ist hierzulande schneller als anderswo gewachsen, die deutschen Waffenproduzenten haben die Konkurrenz aus Ländern wie Frankreich oder Großbritannien überholt.

Warum boomt der Handel gerade jetzt? Der Kalte Krieg ist schließlich vorbei.

Heute gibt es mehr »heiße Kriege«. Ehemalige Frontstaaten wie die Bundesrepublik sind zwar nicht mehr bis an die Zähne bewaffnet, und unser Militär wird zahlenmäßig verkleinert. Die freiwerdenden Kapazitäten in der Rüstungsproduktion fließen aber in den Export. Das hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ganz offiziell zu seiner Politik gemacht. Was hier weniger verkauft wird, soll im Ausland abgesetzt werden.

Wohin werden die Waffen »Made in Germany« geliefert?

Die Ausfuhren gehen in über 130 Länder. Das ist ein Weltmarkt. Es gibt natürlich Unterschiede. Große Abnehmer sind NATO-Staaten oder gleichgestellte Nationen wie Australien oder Japan. Den Löwenanteil davon machen traditionell die Türkei und Griechenland aus. Diese Länder rüstet die Bundesrepublik gegeneinander auf. In jüngster Zeit schwangen sich Golfstaaten zu den Hauptimporteuren auf; so waren im letzten Jahr die Vereinigten Arabischen Emirate die Nummer eins. Auch Saudi-Arabien vergibt gigantische Aufträge nach Deutschland.

Für Griechenlands Schuldendienst werden Milliarden Euro Steuermittel ausgegeben. Ist der Rüstungshaushalt Athens von den dortigen Budgetkürzungen betroffen?

Es ist richtig, Griechenland finanziell unter die Arme zu greifen. Dafür ist es legitim, Bedingungen zu stellen. Eine davon müßte aber heißen, daß der Rüstungshaushalt heruntergefahren wird. Der Militäretat Athens ist prozentual zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gerechnet doppelt so hoch wie im Rest der EU, und dennoch werden weiter Waffen geordert. Da gibt es keine Einschränkungen, während Löhne und Renten gesenkt werden. Das ist ein skandalöser Zustand.

Welche Güter führt die deutsche Rüstungsindustrie aus?

Die großen Summen werden im Schiffbau umgesetzt, also bei Fregatten und U-Booten. Auch Schnellboote und Panzer sind sehr teuer. Deutlich weniger kosten Kleinwaffen wie Maschinenpistolen oder Sturmgewehre, etwa die Produkte von Heckler & Koch. Dafür sind sie umso verbreiteter und werden regelmäßig gegen Zivilisten gerichtet. Sie verursachen weltweit die meisten Toten und sind die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts. Dazu kommen weitere militärische Güter wie Nachtsichtgeräte oder auch Software. Jährlich werden Rüstungsexporte mit einer Auftragssumme zwischen fünf und acht Milliarden Euro genehmigt.

Die Golfmonarchien sind die neuen Großkunden. Nach welchen Kriterien lassen die Behörden die Abnehmerländer zu?

Faktisch gibt es so gut wie keine Einschränkungen. Sonst würden keine 130 Länder beliefert werden. Lediglich Embargos gegen Nationen wie den Iran, Nordkorea oder China werden eingehalten. Die Aufrüstung der Staaten des Golfkooperationsrats ist bemerkenswert hoch.

Wofür brauchen die so viele Waffen? Für Interventionen wie in Libyen oder möglicherweise Syrien?

Das ist schwierig zu sagen. Das zeigt sich am Beispiel Saudi-Arabiens. Dort wird eine deutsche Sturmgewehrfabrik gebaut und ein Sicherheitszaun um das ganze Land errichtet. Außerdem werden Leopard-Panzer dorthin verschifft. Die können schon rein geografisch nicht gegen den Iran eingesetzt werden, wohl aber gegen Israel, gegen Aufstände in Nachbarstaaten wie Bahrain und – dem Bautyp nach – gegen die eigene Bevölkerung. Der Zaun wiederum ist zur inneren Repression ungeeignet.

Sind Lieferungen in Spannungsgebiete nicht untersagt?

Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. So haben deutsche Firmen im vorletzten Jahr für 97 Millionen Euro Waffen nach Indien geliefert und für die gleiche Summe nach Pakistan. Denn Fragen wie Menschenrechte oder militärische Spannungen müssen gegen außen- und sicherheitspolitische Interessen abgewogen werden – und diese Interessen gewinnen dabei immer. Tatsächlich wäre ein Gesetz notwendig, das genau solche Exporte generell verbietet. Die Friedensbewegung schafft gerade Bewußtsein in diese Richtung.

Interview: Mirko Knoche

*** Aus: junge Welt, 20. März 2012

RISE IN INTERNATIONAL ARMS TRANSFERS IS DRIVEN BY ASIAN DEMAND, SAYS SIPRI

(Stockholm, 19 March 2012) The volume of worldwide arms transfers in 2007– 2011 was 24 per cent higher than in 2002–2006 and the five largest arms importers in 2007–2011 were all Asian states, according to new data on international arms transfers published today by Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).

Asia and Oceania accounted for 44 per cent of global arms imports, followed by Europe (19 per cent), the Middle East (17 per cent), the Americas (11 per cent) and Africa (9 per cent).

India was the world’s largest recipient of arms, accounting for 10 per cent of global arms imports. The four next largest recipients of arms in 2007–2011 were South Korea (6 per cent of arms transfers), Pakistan (5 per cent), China (5 per cent) and Singapore (4 per cent).

‘Major Asian importing states are seeking to develop their own arms industries and decrease their reliance on external sources of supply,’ said Pieter Wezeman, senior researcher with the SIPRI Arms Transfers Programme. ‘A large share of arms deliveries is due to licensed production.’

China shifts from imports to exports

China, which was the largest recipient of arms exports in 2002–2006, fell to fourth place in 2007–11. The decline in the volume of Chinese imports coincides with the improvements in China’s arms industry and rising arms exports.

Between 2002–2006 and 2007–11, the volume of Chinese arms exports increased by 95 per cent. China now ranks as the sixth largest supplier of arms in the world, narrowly trailing the United Kingdom.

‘While the volume of China’s arms exports is increasing, this is largely a result of Pakistan importing more arms from China’, said Paul Holtom, director of the SIPRI Arms Transfers Programme. ‘China has not yet achieved a major breakthrough in any other significant market.’

Arab spring has limited impact on arms transfers

Major suppliers continued to deliver weapons to countries affected by the events of the Arab Spring. Despite a review in 2011 of its arms transfer policies towards the region, the USA remains a major supplier to both Tunisia and Egypt. In 2011, the USA delivered 45 M-1A1 tanks to Egypt and agreed to deliver 125 more.

Russia supplied 78 per cent of Syria’s imports in 2007–11. During 2011 Russia continued deliveries of Buk-M2E SAM systems and Bastion-P coastal defence missile systems to Syria, as well as securing an order for 36 Yak-130 trainer / combat aircraft.

These deliveries contributed to a 580 per cent increase in the volume of Syrian arms imports between 2002–2006 and 2007–11.

‘The transfer of arms to states affected by the Arab Spring has provoked public and parliamentary debate in a number of supplier states. However, the impact of these debates on states' arms export policies has, up to now, been limited,’ states Mark Bromley, senior researcher with the SIPRI Arms Transfers Programme.

Other notable developments
  • In 2011 Saudi Arabia placed an order with the USA for 154 F-15SA combat aircraft, which was not only the most significant order placed by any state in 2011 but also the largest arms deal for at least 2 decades.
  • Greece’s arms imports decreased by 18 per cent between 2002–2006 and 2007–11. In 2007–11 it was the 10th largest arms importer, down from being the 4th largest in 2002–2006. Greece placed no new order for major conventional weapons in 2011.
  • Venezuela’s arms imports increased by 555 per cent between 2002–2006 and 2007–11 and it rose from being the 46th largest importer to the 15th largest.
  • The volume of deliveries of major conventional weapons to states in North Africa increased by 273 per cent between 2002–2006 and 2007–11. Morocco’s imports of major weapons increased by 443 per cent between 2002–2006 and 2007–11.
The comprehensive annual update of the SIPRI Arms Transfers Database is accessible from today at www.sipri.org.




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