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Für das Leben produzieren - nicht für den Tod!

Reiterinnen und Reiter für den Frieden fordern Konversion - Aktion in Kassel

Anfang August kamen die Reiterinnen und Reiter für den Frieden bei ihrem Friedensritt 2001 nach Kassel, wo sie sich auf Einladung des Kasseler Friedensforums ein paar Tage aufhalten und an verschiedenen Aktionen teilnehmen. Eines der Themen: Konversion von Kasernen und von Rüstungsproduktion. Hierzu besuchten die Reiter/innen mit rund 15 Pferden am 3. August die Marbachshöhe in Kassel, ein vor einigen Jahren geräumtes Bundeswehrgelände (hier befanden sich zwei große Kasernen), das sich inzwischen zu einem ansehnlichen zivilen Wohngebiet mit eingestreutem Kleingewerbe, zwei Schulen und einem Technologie- und Gründerzentrum entwickelt hat. Zwei "reitende Boten" begaben sich zu einem von den Passanten bestaunten Ritt quer durch die Stadt, um bei der Kasseler Rüstungsschmie4de Krauss-Maffei Wegmann (hier werden u.a. die berüchtigten Leopard-Panzertürme sowie die Panzerhaubitze 2000 produziert) zwei gleichlautende Briefe an Geschäftsleitung und Betriebsrat abzugeben. Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut des Briefs.

An die Firmenleitung und die Beschäftigten
der Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG, Kassel

Für das Leben produzieren - nicht für den Tod!

Sehr geehrte Damen und Herren,
anlässlich eines Friedensritts durch die nordhessische Region haben die "Reiterinnen und Reiter für den Frieden" zusammen mit dem Kasseler Friedensforum das ehemalige Kasernen-gelände an der Marbachshöhe in Kassel besucht. Die Teilnehmer/innen waren beeindruckt von den Fortschritten, die bei der Konversion der ehemaligen Hindenburg- und Wittich-Kaserne in ein ziviles Wohn- und Gewerbegebiet in wenigen Jahren gemacht wurden. Die Marbachshöhe ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass es sich für die Menschen lohnt, Militär abzubauen und stattdessen in die Entwicklung besserer Wohn- und Lebensverhältnisse zu investieren.

Frieden ist aber nicht nur Abwesenheit von Militär, Frieden erwächst letztlich nur, wenn man dem Krieg seine materielle Basis entzieht. In Kassel wird bis zum heutigen Tag für den Krieg produziert: Radpanzer, Kampfpanzer, Panzerhaubitzen, Transportpanzer und Zubehör: Das alles gehört zur Angebotspalette der beiden größten Kasseler Rüstungsbetriebe Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Landsysteme (die frühere Henschel Wehrtechnik). In beiden Betrieben, die ausschließlich mit Rüstungsproduktion befasst sind, arbeiten zur Zeit etwa 1.600 Beschäftigte. Für die strukturschwache Stadt Kassel mit Arbeitslosenquoten zwischen 15 Pro-zent im Sommer und 20 Prozent in den Wintermonaten sind das wichtige Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten.

Dennoch ist zu überlegen, ob der Stadt Kassel und ihren Bewohner auf längere Sicht damit gedient ist, wenn an der Rüstungsproduktion festgehalten wird. Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse aus den 80er und frühen 90er Jahren lassen eher den Schluss zu, dass sich Rüstungsproduktion gesamtgesellschaftlich nicht rechnet. Denn hier werden Güter produziert, die niemand zum Leben braucht, Güter, die man nicht essen, mit denen man sich nicht kleiden und in denen man auch nicht wohnen kann. Waffen herzustellen ist ungefähr so, als würde man die entsprechenden Werte ins Meer werfen. Und aus der Geschichte der Stadt Kassel im Zweiten Weltkrieg geht hervor: Kassel war wegen seiner Garnison und seiner dominanten Rüstungsindustrie bevorzugtes Zielgebiet der Alliierten. Die Folge: eine weitgehend zerstörte Stadt nach den verheerenden Bombenangriffen im Oktober 1943 mit Tausenden zivilen Opfern.

Doch auch mittelfristig ist es nicht sinnvoll auf Rüstung zu setzen. Es gibt kaum eine andere Branche, die so unsicher ist wie die Rüstungsindustrie. Entweder die Aufträge kommen von der Regierung oder die Rüstungsfirmen suchen ihr Heil im Export. Da ist es dann letztlich egal, an wen geliefert wird: In den letzten beiden Jahren wurden deutsche Exportgenehmigungen in Länder erteilt, deren Menschenrechtssituation alles andere als zufriedenstellend ist, z.B. an Albanien, Algerien, Aserbeidschan, Bangladesch, Belarus (Weißrussland), Elfenbeinküste, Ecuador, Georgien, Indonesien, Israel, Jemen, Jordanien, Kasachstan, Kenia, Kolumbien, (Süd-)Korea, Kuwait, Libanon, Malaysia, Mazedonien, Nepal, Nigeria, Oman, Pakistan, Peru, Philippinen, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Simbabwe, Sri Lanka, Syrien, Tansania, Thailand, Tunesien, Uganda, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate. Und um auf Kassel zurück zu kommen: Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Landsysteme haben sich vor einem Jahr stark dafür gemacht, dass der Leopard II an die Türkei und dass Radfahrzeuge vom Typ Fuchs an die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert werden - Demokratie und Menschenrechte hin oder her!

Die einseitige Orientierung auf Rüstungsaufträge führte schon in der Vergangenheit dazu, dass Kapazitäten eingeschränkt, Beschäftigte entlassen oder dass Kurzarbeit verfügt werden mussten. Wie unsicher die Rüstungsbranche ist, kann man daran erkennen, dass in den letzten 15 Jahren in Kassels ziviler Industrie nur jeder fünfte, in den beiden Rüstungsbetrieben aber jeder zweite Arbeitsplatz abgebaut wurde. Dabei hatten beide Unternehmen unsinnigerweise ihre sonstigen zivilen Geschäftsfelder (bei Wegmann wurden z.B. noch Ende der 80er Jahre Straßenbahnen gebaut) bis auf Null abgebaut. Die Unternehmen wurden damit dem zivilen Marktgeschehen entzogen und die Beschäftigten zu Geiseln der Unternehmenspolitik und der Auftragsvergabe des Verteidigungsministeriums gemacht.

Wir plädieren für einen anderen Weg: Für den Frieden in der Welt einzutreten, heißt auch Schluss zu machen mit der Produktion von Kriegswaffen, Schluss zu machen mit dem Export des Todes, mit der Versorgung jedweden Regimes mit Waffen und anderen Rüstungsgütern. Die Entwicklung ziviler Geschäftsfelder in den betroffenen Unternehmen wäre langfristig lohnender und könnte hochwertige Arbeitsplätze in Kassel sichern.

1987 haben auf einer gemeinsamen Veranstaltung Vertreter der Friedensbewegung, der IG Metall und Betriebsräte der beiden Rüstungsbetriebe an die Unternehmen appelliert, in eine Diskussion über die Umwandlung der Rüstungsproduktion in die Produktion sinnvoller ziviler Güter einzutreten. Dazu waren die Unternehmensleitungen nie bereit. Wir appellieren noch-mals an alle Beteiligten und Betroffenen, diese für die Region lebenswichtige Diskussion erneut anzustoßen. Es darf nicht sein, dass die Beschäftigten in den Rüstungsbetrieben immer wieder zum Spielball einer einseitig auf Rüstung orientierten Geschäftspolitik degradiert werden. Das Wort Konversion hatte einst einen guten Klang in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion. Es scheint heute aus der Mode gekommen zu sein. Helfen Sie mit, dass dieser Trend wieder umgekehrt wird. Kassel hat mehr und anderes zu bieten als Panzerhaubitzen und Kampfpanzer. Wer es wirklich ernst meint mit dem Frieden mit immer weniger Waffen und wer es ernst meint mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in Kassel, muss sich heute Gedanken machen über zivile Alternativen zur Rüstung. An der Konversion führt kein Weg vorbei.

Kassel, den 2. August 2001

Für die ReiterInnen f. den Frieden:
Ute Radermacher

Für das Kasseler Friedensforum:
Dr. Peter Strutynski

Kasseler Friedensforum, c/o DGB, Spohrstr. 6, 34117 Kassel
ReiterInnen für den Frieden, c/o Ute Radermacher, Auf den Steinen 3, 51709 Marienheide

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