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Deutsche Waffen gegen "Arabischen Frühling"

Amnesty International verurteilt Rüstungsexporte in Spannungsgebiete

Von Olaf Standke *

Friedliche Proteste im Nahen Osten und in Nordafrika werden nach Angaben von Amnesty International (AI) auch mit deutschen Waffen unterdrückt. Die Bundesrepublik und 16 weitere Staaten hätten in den vergangenen Jahren massiv Rüstungsexporte in die Spannungsregion genehmigt, erklärte die Menschenrechtsorganisation gestern in Berlin.

Als libysche Rebellen im August in einer Gaddafi-Residenz deutsche G 36-Sturmgewehre fanden, war die Aufregung groß. Denn dorthin hätten sie angesichts der doch so strengen Berliner Exportrichtlinien niemals gelangen dürfen. Inzwischen gibt die Waffenschmiede Heckler&Koch an, dass ihre Gewehre aus einer Ägypten-Lieferung stammen. Die damalige Bundesregierung hatte 2003 die Ausfuhr erlaubt.

Auch diesen Vorgang hat die Menschenrechtsorganisation im Blick, wenn die Waffenhandelsexpertin Helen Hughes »vom großen Versagen bestehender Kontrollmechanismen für Waffenexporte« spricht. Diese Schlupflöcher belegten, »wie dringend ein internationales Waffenhandelsabkommen gebraucht wird, das den Schutz der Menschenrechte ganz oben anstellt«. Genau den aber haben viele Länder mit ihren Rüstungsexporten in die Spannungsregion massiv vernachlässigt, wie die Amnesty-Untersuchung zeigt.

Die hundertseitige Studie analysiert die Waffenverkäufe nach Bahrain, Ägypten, Libyen, Syrien und Jemen seit 2005. Verkauft wurden Raketen, Gewehre, Munition oder Tränengas. Zu den Hauptlieferanten gehört neben den USA, Russland und Großbritannien auch Deutschland. So habe die Bundesregierung Exportgenehmigungen im Wert von 77 Millionen Euro erteilt, errechnete Amnesty, u. a. für Kleinwaffen, Munition und Militärfahrzeuge.

Die Gefahr, dass die Machthaber mit diesen Rüstungsgütern ernsthafte Verstöße gegen die Menschenrechte begehen, sei schon zur Zeit der Lieferung bekannt gewesen, beklagt der Report. Die Waffen, Munition und andere Ausrüstung seien dann nachweislich eingesetzt worden, als Polizei und Soldaten »friedliche Demonstranten getötet, verletzt oder willkürlich verfolgt haben«.

Trotzdem gehen die schmutzigen Geschäfte weiter. Derzeit prüfen etwa die USA Lieferungen im Wert von 53 Millionen Dollar an den Golfstaat Bahrain. Auf dem Einkaufszettel stehen u. a. 44 bewaffnete geländegängige Fahrzeuge des Typs »Humvee« und mobile Abschussrampen. Die notwendige Spezialausbildung gibt es dazu. »Es ist Heuchelei, wenn die US-Regierung einerseits Gewalt gegen Demonstranten in Syrien verurteilt, jedoch bei ähnlichen Vorkommnissen gegenüber Bahrain Nachsicht übt«, kritisiert Friedensforscherin Natalie Goldring von der Washingtoner Georgetown-Universität.

* Aus: neues deutschland, 20. Oktober 2011


Die wichtigsten Waffenlieferanten fünf arabischer Staaten:

L I E F E R L Ä N D E R / E M P F Ä N G E R L Ä N D E R

Bahrain Egypt Libya Syria Yemen
Belgien x xx
Bosnien & Herzegowina x x
Bulgarien x x x
Deutschland x x x x
Finnland x x
Frankreich x x x x
Großbritannien x x x
Italien x x x x x
Niederlande x x
Österreich x x x x
Russland x x
Schweiz x x
Serbien x x
Slowakei x x
Spanien x x
Tschechische Rep. x x
USA x x x

Quelle: amnesty international: ARMS TRANSFERS TO THE MIDDLE EAST AND NORTH AFRICA, 2011, S. 8

Schamlose Politik

Von Olaf Standke **

Die Vorgabe ist eindeutig: Exportgenehmigungen sind ausgeschlossen, wenn ein hinreichender Verdacht vorliegt, dass Rüstungsgüter zur inneren Repression oder zu systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden. Doch alle Bundesregierungen der vergangenen Jahre kümmerten die eigenen Richtlinien wenig, wenn sich gute Geschäfte machen ließen oder politischer Profit winkte. Etwa im Nahen Osten oder in Nordafrika. Es wird auch nicht besser, wenn Deutschland mit dieser Politik nicht alleine steht, wie ein gestern von Amnesty International veröffentlichter Report zeigt.

Jahrelang wurden große Mengen Waffen in Spannungsgebiete geliefert, obwohl man wusste, dass sie auch gegen die Protestbewegung eingesetzt werden. So hat Berlin zwar in UN-Gremien die Menschenrechtslage in Algerien kritisiert, zugleich jedoch schamlos weiter milliardenschwere Rüstungsprojekte wie den Bau von Transportpanzern für das Bouteflika-Regime genehmigt. Da behauptet man, solidarisch mit den Völkern in der Region zu sein, nimmt aber in Kauf, dass mit dem gelieferten Kriegsgerät friedliche Demonstranten getötet, verletzt oder willkürlich verfolgt werden. Amnesty hat die Bundesregierung jetzt für diese Politik scharf kritisiert. Die Untersuchung der Organisation zeigt aber auch, wie dringend nötig ein internationales Waffenhandelsabkommen ist, das den Schutz der Menschenrechte zur obersten Priorität erklärt.

** Aus: neues deutschland, 20. Oktober 2011 (Kommentar)

Dokumentiert: Die Presseerklräung von amnesty:

UNTERDRÜCKUNG DES "ARABISCHEN FRÜHLINGS" MIT DEUTSCHEN WAFFEN? ***

19.10.2011 - Deutschland und 16 weitere Staaten haben große Mengen Waffen in den Nahen Osten und nach Nordafrika geliefert, die jetzt zur Unterdrückung friedlicher Proteste eingesetzt werden. In einem heute veröffentlichten Bericht zählt Amnesty International allein deutsche Exportgenehmigungen im Wert von 77 Millionen Euro auf, unter anderem für Kleinwaffen, Munition und Militärfahrzeuge.

Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 2005 bis 2009. "Diese Waffenlieferungen sind genehmigt worden, obwohl schon damals ein erhebliches Risikos bestand, dass mit diesen Waffen Menschenrechtsverletzungen begangen werden", sagt Mathias John, der Rüstungsexperte der Organisation.

In der hundertseitigen Studie untersucht Amnesty Rüstungslieferungen nach Ägypten, Bahrain, Jemen, Libyen und Syrien. Die wichtigsten Exportstaaten waren neben Deutschland Belgien, Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Russland, Tschechien und die USA. Sie alle lieferten Waffen, Munition und andere Ausrüstung, mit deren Hilfe Polizei und Militär friedliche Demonstranten getötet, verletzt oder willkürlich verfolgt haben.

"Wenn jetzt Waffenembargos verhängt werden, dann kommt das zu spät und ist zu wenig," erklärt John. "Unsere Untersuchung macht erneut deutlich, dass die bestehenden Exportkontrollen nicht ausreichen. Wir brauchen dringend ein wirksames internationales Waffenhandelsabkommen. Dabei muss gelten: Es dürfen keine Rüstungsgüter geliefert werden, wenn das Risiko besteht, dass der Empfänger damit schwere Menschenrechtsverletzungen begeht."

Amnesty fordert die Bundesregierung auf, sich weiterhin für ein umfassendes internationales Waffenhandelsabkommen einzusetzen. Notwendig sei aber auch, dass Deutschland schon jetzt eine verbindliche Menschenrechtsklausel anwendet. "Die Regierung muss den Bundestag in den Genehmigungsprozess einbeziehen und über ihre Maßnahmen zur Sicherung der Menschenrechte bei Exportgenehmigungen Rechenschaft abgelegen," so John.

Zum ganzen Bericht (englisch):

ARMS TRANSFERS TO THE MIDDLE EAST AND NORTH AFRICA [externer Link, pdf]
LESSONS FOR AN EFFECTIVE ARMS TRADE TREATY. Amnesty International 2011




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