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Rüstungsgeschäft mit Türkei

Widerstand in der SPD? Außenminister Fischer für Kompromisse

Die Lieferung einer Gewehrmunitionsfabrik an die Türkei bleibt Gesprächsstoff in Berlin. Der Tenor der meisten Kommentare in den überregionalen Zeitungen geht dahin, dem Deal die Zusage nicht zu verweigern, da die Türkei als NATO-Mitglied Gleichbehandlung mit anderen NATO-Staaten verdient. Die Menschenrechtsfrage müsse demgegenüber zurückstehen. Fragt sich nur, warum dann die Bundesregierung Richtlinien für den Rüstungsexport erlassen hat, in denen die Menschenrechtssituation der potenziellen Empfängerländer ausdrücklich als Kriterium für die Exportentscheidung benannt wurde.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 26.08.2000 u.a.:

Nach der Grünen-Verteidigungsexpertin Angelika Beer kündigte am Freitag (25.08.)auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Simmert an, er werde die Entscheidung der Bundesregierung nicht mittragen, einer deutschen Firma die Lieferung von Anlagen für eine Munitionsfabrik in die Türkei zu genehmigen. Die Exportgenehmigung sei angesichts der Menschenrechtssituation in der Türkei nicht vertretbar, sagte der jugendpolitische Sprecher der Grünen.

Auch in der SPD-Bundestagsfraktion gibt es dem Vernehmen nach erhebliche Widerstände gegen das Geschäft. Am Freitag war es aber nicht möglich, eine Stellungnahme zu bekommen. Wie zu hören war, wird das Thema jedoch auf einer Klausurtagung der Fraktion Anfang September zur Sprache kommen. Der SPD-Verteidigungsexperte Manfred Opel verteidigte die Liefergenehmigung. Er sieht wie der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller darin keinen Verstoß gegen die neuen Richtlinien für den Rüstungsexport.

Simmert beklagte, dass die Bundestagsfraktion der Grünen nicht über die anstehende Entscheidung informiert worden sei. Hier habe es, wie bei dem Streit um die Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Türkei, erneut Kommunikationsdefizite gegeben. Jetzt müsse die Fraktion der Grünen nach Wegen suchen, wie der Export doch noch verhindert werden könne.

Der Fraktionschef der Grünen, Rezzo Schlauch, sieht dafür jedoch keine Handhabe. "Die Fraktion hat keine Möglichkeit, an dieser Entscheidung etwas zu ändern, weil hier nach Recht und Gesetz entschieden wurde", sagte ein Sprecher Schlauchs. Da die alte Bundesregierung in diesem Fall bereits positive Vorentscheidungen getroffen habe, habe der Bundessicherheitsrat rechtlich keine andere Wahl gehabt, als die Genehmigung zu erteilen.

Die Spitze der Bundestagsfraktion war seinen Angaben zufolge allerdings sehr wohl vorab über den Fall informiert. Sowohl der Fraktionsvorstand als auch der zuständige Arbeitskreis hätten gewusst, dass es eine entsprechende Voranfrage der hessischen Firma Fritz Werner aus dem Jahr 1997 gab und die Frage zur endgültigen Entscheidung anstand. Die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates seien jedoch geheim, sagte der Sprecher. "Das macht die Sache nicht schöner, aber so ist die Gesetzeslage", sagte er. Ähnlich äußert sich der Grünen-Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. Er sagte aber auch: "Unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte würde man solche Geschäfte nicht anbahnen."

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) warnte davor, die Exportgenehmigung vorschnell und überhitzt zu beurteilen. Solche Entscheidungen trügen "auch Kompromisscharakter". Die hessische Landesregierung kritisierte den aufkommenden Streit. Es könne nicht sein, dass lange vorbereitete und im Prinzip genehmigte Ausfuhrgeschäfte durch "rot-grüne Koalitionsscharmützel" gefährdet würden, sagte der hessische Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Franz Josef Jung (CDU) am Freitag in Wiesbaden.

Gegenüber der Rheinischen Post äußerte sich Claudia Toth

Claudia Roth ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte. Sie kritisierte die Entscheidung des Bundessicherheitsrats: "Ich glaube wirklich nicht, dass diese Form der Entscheidungen in geheim tagenden Gremien eine Vertrauen erweckende Politik möglich macht." Die Ausfuhrgenehmigung sei "nicht nachvollziehbar". Im Hessischen Rundfunk forderte Claudia Roth, Leitmotov der Rüstungsexportpolitik müssten die Menschnrechte sein. "Die Bundesregierung ist aufgefordert zu erläutern, wie eine solche Entscheidung fallen konnte." In der Frankfurter Rundschau hieß es am 26.08.2000 u.a.:

Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) hat das neuerliche Rüstungsgeschäft mit der Türkei verteidigt. Die türkische Seite habe sich mit "mehreren Voranfragen seit 1997" an die Bundesregierung gewandt, die "alle positiv beschieden wurden", sagte Müllers Sprecherin Regina Wierig am Freitag in Berlin. Dadurch seien "rechtliche Verpflichtungen" entstanden. Müller sagte der Rheinpfalz, die Lieferung verstoße nicht gegen die neuen Rüstungsexport-Richtlinien, sonst hätte der Bundessicherheitsrat nicht zugestimmt. In diesem Papier heißt es, dass die Bundesregierung Exporte ablehnt, "bei denen hinreichender Verdacht besteht, dass sie ... zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden". Auch in der SPD-Fraktion gab es Widerspruch. "Aus menschenrechtlicher Situation betrachte ich die Genehmigung als zu früh", urteilte der Abgeordnete Rudolf Bindig. Die Türkei befinde sich bei der Menschenrechtslage "in einer Umbruchphase".

Die alte Bundesregierung hatte kurz vor dem Machtwechsel auch genehmigt, dass die Türkei eine eigenständige Produktion von Gewehren der deutschen Firma Heckler & Koch aufbauen darf. Beide Projekte stehen im Zusammenhang damit, dass die türkischen Streitkräfte von den deutschen G-3-Gewehren des Kalibers 7,62 Millimeter auf das in der Nato gängige Kaliber 5,56 umrüsten. Die Bundeswehr etwa hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums seit Ende 1996 das kleinere Kaliber eingeführt. Dadurch könne man mehr Munition mitnehmen, man habe weniger Rückschlag und die Ausbildung sei leichter. Nach Angaben der Firma Fritz Werner kommt die Türkei mit dem Umstieg auf das kleine Kaliber "ihren Verpflichtungen als Nato-Partner nach". Ein "kürzlich veröffentlichter Nato-Erlass" verordne die Umstellung der Gewehrmunition. Die Nato wies dies zurück. Das Bündnis lege Wert auf eine gewisse Standardisierung der Munitionsarten, sagte Sprecher Frank Salis. Es gebe aber keinen Zwang, "eine Munitionsfabrik zu bauen".

Hans-Ulrich Klose

Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, fordert die Lockerung der Exportbestimmungen der Bundesregierung. Rüstungsexporte an NATO-Mitglieder müssten grundsätzlich erlaubt sein. "Wenn man mit einem Land in einem Bündnis ist, dann kann man einem solchen Land die Rüstungsgüter nicht verweigern." Außerdem: Wenn Deutschland die Munitionsfabrik nicht liefere, würde sie von den Franzosen oder Engländern geliefert. Denn die Türkei müsse ja ihrer Bündnisverpflichtung nachkommen können. Es zeuge von einer "gespaltenen Moral", so Hans-Ulrich Klose, wenn die Deutschen sagten, "wir sind uns zu fein, lass das die Engländer und Franzosen machen".

Und Rainer Balcerowiak in der jungen welt kommentierte - wie gewohnt gegen den Mainstream des deutschen Blätterwaldes - am 26.08.2000:

Kaum war die Entscheidung des Bundessicherheitsrates über die Lieferung von Maschinen zur Munitionsherstellung an die Türkei bekannt geworden, hob sich zum x-ten Mal der Vorhang für das grüne Schmierentheaterstück »Wir protestieren«. Sogar die kriegspolitische Sprecherin Angelika Beer kroch aus ihrem spanischen Urlaubsschützengraben, um der Regierung ein heldenhaftes »Das trage ich nicht mit« entgegenzuschleudern. Da werden der aber gewaltig die Knie schlottern. Denn Frau Beer wedelt zornbebend mit einem Papier, das »Richtlinien für die Erteilung von Rüstungsexportgenehmigungen« betitelt ist. In dem steht geschrieben: »Genehmigungen werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, daß diese zur internen Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen mißbraucht werden.«

Daß die mit deutscher Technik hergestellte Munition vom türkischen Militär auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden wird, steht natürlich außer Frage, Doch wen interessiert das schon? Die NATO bestimmt nicht, denn die braucht die Türkei als Eckpfeiler ihrer geopolitischen Strategie. Die Bundesregierung auch nicht, denn die will sich ihre unter Rot-Grün erworbene Position als NATO- Musterknabe bestimmt nicht von ein paar sentimentalen Ex- Pazifisten zerreden lassen. Auch die Maschinenfabrik Fritz Werner, die seit Jahrzehnten die Inkarnation der Metapher vom Tod als einem Meister aus Deutschland ist, wird sich mehr für die 90 Millionen auf ihrem Geschäftskonto als für dahingemetzelte kurdische Dorfbewohner interessieren.

Die Grünen haben 1998 ihren langgehegten Traum von der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene realisieren können. Selbstredend wurde der Passus in der Koalitionsvereinbarung mit der SPD, der die Erfüllung aller eingegangenen Bündnisverpflichtungen beinhaltet, ohne mit der Wimper zu zucken unterzeichnet. Das kam einem faktischen NATO- Beitritt der Partei gleich. Natürlich wissen das auch Frau Beer und all die andern olivgrünen Kröten- und Menschenrechtsfreunde. Außerdem fällt es schwer, Leuten, die sich vor nicht allzu langer Zeit für die NATO-Aggression gegen Jugoslawien, an der selbstverständlich auch der NATO- Partner Türkei teilnahm, stark gemacht haben, auch nur ein Quentchen ehrlichen Engagements für Menschenrechte abzunehmen. Auch als Seelenmassage für die eigene Klientel eignet sich das Schmierenstück wohl kaum noch: Wer heute noch die Grünen unterstützt, sollte eigentlich wissen, woran er ist.



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