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"Offizielle Todeserklärung"

15 NATO-Staaten wenden den KSE-Vertrag nicht mehr an *

Nach jahrelangem Siechtum droht einem wichtigen Abrüstungsvertrag in Europa das Ende. 15 NATO-Staaten informieren Russland nicht mehr über ihre konventionelle Rüstung. Moskau tut das schon seit 2007 nicht mehr.

Ein Kernstück der Rüstungskontrolle in Europa steht vor dem Kollaps. Deutschland, die USA und 13 weitere NATO-Staaten informieren Russland ab sofort nicht mehr über Bewaffnung, Zustand und Stationierung ihrer konventionellen Streitkräfte. Sie wenden den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) nicht mehr an. Das sagten NATO-Diplomaten am Mittwoch in Brüssel.

Damit reagierten sie darauf, dass Russland schon 2007 den Vertrag aussetzte und der Pflicht zur wechselseitigen Unterrichtung seither nicht mehr nachkam. Die 15 NATO-Staaten hinterlegten bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien eine offizielle Mitteilung. Bei der 28 Mitglieder zählenden NATO hieß es, auch andere Bündnispartner wollten dem Schritt der 15 folgen.

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, hatte zuvor in Washington erklärt, die USA seien jetzt an einem Punkt, an dem es nicht mehr in ihrem Interesse sei, »der russischen Seite weiter Informationen zu liefern, die nicht erwidert werden«.

Der KSE-Vertrag war im November 1990 von den Mitgliedern der NATO und des damaligen Warschauer Vertrags geschlossen worden. Er begrenzt die Zahl von Kampfpanzern, gepanzerten Kampffahrzeugen, Artilleriewaffen, Kampfflugzeugen und -hubschraubern. Zugleich schreibt er die gegenseitige Information über die Stationierung von Waffen und Truppen vor. Nach Auflösung des Warschauer Vertrages wurde 1999 eine Anpassung des Vertrages ausgehandelt. So sollten die Obergrenzen nicht mehr für zwei Bündnisse, sondern für bestimmte Staaten und geografische Gebiete gelten. Dieser angepasste Vertrag wurde von den NATO-Staaten jedoch nie ratifiziert. Sie argumentierten, Russland sei seiner Verpflichtung zum Truppenabzug aus Moldova und Georgien (gemeint sind deren abtrünnige Gebiete, die Dnjestr-Republik, Abchasien und Südossetien) nicht nachgekommen. Moskau erklärte daraufhin im Dezember 2007, es werde den KSE-Vertrag nicht mehr anwenden. Als Begründung dienten auch die US-amerikanischen Pläne für eine Raketenabwehr in Europa. Russische Experten halten den KSE-Vertrag nun für endgültig erledigt. »Das ist die offizielle Erklärung über den Tod des Abkommens«, sagte Generaloberst Leonid Iwaschow, Präsident der Akademie für geopolitische Probleme in Moskau. Die Reaktion der USA habe jedoch keine Folgen für die bilateralen Beziehungen. Russland hatte zuletzt immer wieder einen neuen KSE-Vertrag gefordert.

* Aus: neues deutschland, 24. November 2011

Meldungen aus Russland zum Thema

Teilweiser Nato-Ausstieg aus KSE-Vertrag schadet Russland nicht - Außenamt

Die Entscheidung der Nato-Länder, die Erfüllung einzelner Verpflichtungen aus dem Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) einzustellen, schadet laut dem russischen Außenministerium den Interessen Russlands nicht, macht es aber erforderlich, das weitere Schicksal der Kontrolle über die konventionellen Waffen in Europa zu klären.

Die USA und einige andere Nato-Länder haben dieser Tage angekündigt, mit den militärischen Jahresberichten an Russland und mit der Erfüllung einiger anderer Verpflichtungen aus dem KSE-Vertrag aufzuhören. Dieser Schritt wird mit der Notwendigkeit begründet, auf das seit 2007 in Russland geltende Moratorium für die Erfüllung von Bestimmungen des KSE-Vertrages zu reagieren.

„Es gibt nichts Dramatisches an dieser Entscheidung der Mitgliedsländer der Allianz. Allerdings wurde dafür ein nicht ganz geeigneter Moment gewählt, da nach Wegen zum Wiederaufleben des Regimes der Kontrolle über die konventionellen Waffen in Europa aktiv weiter gesucht wird…

Die Entscheidung der Staaten der Nordatlantischen Allianz, die den russischen Interessen nicht schadet, macht es notwendig, die Anstrengungen aller beteiligten Länder zur Bestimmung des weiteren Schicksals des Regimes der Kontrolle über die konventionellen Waffen in Europa zu verstärken“, so der Kommentar.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. November 2011


Rüstungskontrolle: Moskau will KSE-Vertrag wieder in Kraft setzen

Russland zeigt sich weiterhin optimistisch hinsichtlich des auf Eis liegenden Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE). Neue Verhandlungen könnten laut Vizeaußenminister Sergej Rjabkow noch in diesem Jahr anlaufen.

„Noch vor einigen Monaten konnte noch keine Rede davon sein, dass ein Rahmendokument in Sicht ist, das uns, wie wir hoffen, ermöglichen wird, in vollem Format Verhandlungen über die zukünftige Kontrolle über die konventionellen Streitkräfte in Europa zu beginnen“, sagte Rjabkow in Washington Journalisten. Zur Vorbereitung eines solchen Dokuments finden momentan „effektive“ russisch-amerikanische und auch mehrseitige Treffen in Wien statt, so der russische Vizeaußenminister.

Ihm zufolge tragen die Seiten in der Diskussion über den neuen KSE-Vertrag den Veränderungen, die sich in Europa seit der Auflösung des Warschauer Pakts zugetragen haben, Rechnung. Eine solche Veränderung betrifft etwa die Senkung der nationalen Obergrenzen für bestimmte Waffenarten.

„Wir müssen einen Wegfall der sogenannten Flankenbeschränkungen aus dem vorigen Vertrag erreichen, die eine Diskriminierung Russlands darstellen. Außerdem müssen wir erreichen, dass die Kontrolle über die konventionellen Waffen in Europa als ein Prozess stattfindet, der von der politischen Regulierung dieses oder jenes Konflikts unabhängig ist“, betonte Rjabkow.

Im Dezember 2010 hatte Vizeaußenminister Alexander Gruschko RIA Novosti mitgeteilt, Moskau hoffe auf den Beginn von vollwertigen Verhandlungen zur Wiederbelebung des KSE-Vertrags im Jahr 2011.

Der KSE-Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, der die Anzahl von Panzern, Panzerwagen, großkalibriger Artillerie, Kampfjets und -hubschraubern begrenzt, war 1990 zwischen dem damaligen Warschauer Pakt und der Nato unterzeichnet worden.

Ein Jahr später zerfiel die Sowjetunion. 1999 wurde beim OSZE-Gipfel in Istanbul ein modifizierter KSE-Vertrag unterzeichnet, der den neuen Realitäten Rechnung tragen sollte.

Am Vertrag sind insgesamt 30 Staaten beteiligt, doch bisher wurde er nur von Russland, Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine ratifiziert. Mit der Aufnahme osteuropäischer Staaten in die Nato ist das vom Vertrag proklamierte Kräftegleichgewicht mittlerweile hinfällig.

Im Dezember 2007 setzte Russland den KSE-Vertrag einseitig aus, da die Partnerländer ihre Verpflichtungen nicht eingehalten und die in Istanbul vorgenommenen Änderungen an dem Abkommen nicht ratifiziert hätten.

Stein des Anstoßes für Russland ist unter anderem die sogenannte Flankenregelung, die etwa die russischen Truppenstärken in der Kaukasus-Region eingeschränkt hätte. Der KSE-Flankenbereich umfasst Norwegen, die russischen Militärbezirke (MB) Leningrad und Nordkaukasus, Griechenland, die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Moldawien, den MB Odessa (Ukraine), Armenien, Aserbaidschan und Georgien.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 29. Januar 2011




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