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Mission Impossible? Vereinte Nationen wollen internationalen Waffenhandel kontrollieren

Ein Beitrag von Dirk Eckert im NDR Forum "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
An Waffen herrscht weltweit kein Mangel. Der Nachschub funktioniert bestens. Das zeigen die zahlreichen bewaffneten Konflikte in dieser Welt. Die Vereinten Nationen wollen jetzt versuchen, Waffenlieferungen zu erschweren – durch einen Waffenhandelsvertrag. Ein ehrgeiziges Vorhaben. Dirk Eckert berichtet:

Manuskript Dirk Eckert

Jede Minute stirbt ein Mensch durch Waffen. Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass weltweit 650 Millionen Kleinwaffen im Umlauf sind, und sprechen deshalb von einer regelrechten Waffenschwemme. Konventionelle Waffen sind für sie „die wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit“, denn die Opfer sind, gerade in Bürgerkriegen, oft Zivilisten.

Als besonders betroffen gelten Länder wie Afghanistan, Somalia, Sudan und der Kongo. Als die am weitesten verbreitete Waffe gilt die AK-47, besser bekannt als Kalaschnikow. Experten schätzen, dass 95 Prozent aller Kalaschnikows, die in Afrika in Gebrauch sind, von anderen Kontinenten importiert worden sind. Im Osten des Kongo sind zum Beispiel Kalaschnikows aus bulgarischer, chinesischer, rumänischer, russischer und serbischer Produktion aufgetaucht.

Ein Ende des Waffenbooms ist anscheinend nicht in Sicht: Die Finanzkrise hat zwar zahlreiche Wirtschaftsbereiche schwer getroffen. Ausgerechnet der Rüstungsmarkt sei davon aber bisher verschont geblieben, warnte die Nichtregierungsorganisation Oxfam im Oktober. Der Export von schweren konventionellen Waffen sei zwischen 2004 und 2008 sogar um 21 Prozent gestiegen im Vergleich zum Zeitraum 2000 bis 2004.

Eine Lösung des Problems könnten weltweite Rüstungsexportkontrollen sein, um wenigstens zu verhindern, dass Waffen in die Hände von Terroristen und Warlords gelangen. Nichtregierungsorganisationen und immer mehr Regierungen sprechen sich daher für einen weltweiten Waffenhandelsvertrag aus – einen Arms Trade Treaty. Jeglicher Waffenhandel – vom Maschinengewehr bis zum Militärflugzeug – soll durch ein weltweit geltendes, rechtlich verbindliches Abkommen kontrolliert werden.

„Waffen unter Kontrolle“ heißt eine entsprechende Kampagne von zahlreichen Hilfsorganisationen aus über 100 Ländern, an der zum Beispiel Oxfam und Amnesty International beteiligt sind. Auch viele Prominente unterstützen die Initiative, darunter Friedensnobelpreisträger wie der Holocaust-Überlebende Elie Wiesel, der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter und der Dalai Lama. Ihr Engagement hat sich nun ausgezahlt. Anna MacDonald von Oxfam zog im Juni auf einer Konferenz des britischen Außenministeriums Bilanz:

O-Ton MacDonald (overvoice)
„Als wir 2003 mit der Kampagne begonnen haben, da haben drei Regierungen die Idee eines Waffenhandelsvertrages unterstützt. Heute sind es 153, die bei der UNO dafür gestimmt haben. Die Kampagne hat gewirkt.“

Im November haben sich dann 153 der 192 UN-Mitgliedsstaaten im Abrüs-tungsausschuss der Vereinten Nationen dafür eingesetzt, einen Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels auszuarbeiten. Nur Simbabwe war dagegen. Unter den Ländern, die sich enthalten haben, waren China, Indien, Iran, Russland, Saudi-Arabien und Pakistan, aber nicht die USA. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte kurz zuvor bekannt gegeben, dass die Vereinigten Staaten die Verhandlungen aktiv unterstützen werden. Damit wurde die Blockade-Politik der Vorgängerregierung unter George W. Bush beendet, die noch 2006 bei der UNO gegen ein Waffenhandelsabkommen gestimmt hatte.

Am 2. Dezember 2009 votierte auch die UN-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit dafür, Verhandlungen über einen Waffenhandelsvertrag zu beginnen. Die Initiatoren der entsprechenden Resolution waren Argentinien, Australien, Costa Rica, Finnland, Japan, Kenia und Großbritannien. Das Außenministerium in London setzt dabei auch auf die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. Der britische Außenminister David Milliband:

O-Ton Milliband (overvoice)
„Ein Waffenhandelsvertrag könnte ein bedeutender Beitrag sein, Gewalt gegen Zivilisten weltweit zu bekämpfen genauso wie Gewalt gegen UN-Friedenstruppen. Das ist ein sehr wichtiger Moment. Denn zu oft wurde die Debatte darüber geführt, ob es überhaupt einen Waffenhandelsvertrag geben soll. Es ist sehr bedeutend, dass wir jetzt eine Koalition haben aus Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Industrie, die alle ein starkes, transparentes und effektives internationales Kontrollsystem für konventionelle Waffen wollen.“

Welche Bestimmungen in einem Waffenhandelsvertrag stehen und wie die Handelskontrolle praktisch umgesetzt werden kann, soll nach dem Votum der UN-Generalversammlung bis zum Jahr 2012 ausgehandelt werden. Auf einer Vertragskonferenz könnte dann der endgültige Vertragstext beschlossen werden. Die Kampagne der Nichtregierungsorganisationen hat bereits fünf Punkte benannt, die ein Waffenhandelsvertrag ihrer Ansicht nach unbedingt enthalten muss: Staaten dürfen Waffenexporte nicht genehmigen,
  • wenn damit wahrscheinlich Menschenrechtsverletzungen begangen werden oder das internationale humanitäre Recht verletzt wird,
  • wenn sie die nachhaltige Entwicklung gefährden und Korruption fördern,
  • wenn damit unter Verletzung der UN-Charta und bestehender Verträge bewaffnete Konflikte ausgelöst oder verschlimmert werden,
  • wenn damit Gewaltverbrechen unterstützt werden,
  • und wenn die Waffen für die genannten Zwecke oder für den Terrorismus missbraucht werden könnten.
Das Recht der Staaten auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta würde durch den Vertrag aber nicht berührt werden. Um dieses Recht wahrnehmen zu können, dürfen Staaten auch Waffen kaufen. Es geht beim angestrebten Waffenhandelsvertrag also nicht darum, jegliche Rüstungsexporte zu unterbinden, wohl aber um einheitliche Maßstäbe. Robert Lindner von Oxfam:

O-Ton Lindner
„Das sind Regeln, die auch in vielen internationalen Deklarationen festgeschrieben sind, aber sie haben sehr unterschiedlichen Bindungscharakter. Und das ist genau das Problem. Was wir wollen, ist ein Abkommen, das alle bereits vorhandenen Standards zusammenfasst und in Bezug auf Rüstungstransfer logisch für alle verpflichtend macht.“

Allerdings lehnen wichtige Waffenexporteure wie Russland internationale Kontrollmechanismen noch ab. Unter den Staaten, die gegen die entsprechende Resolution stimmten, sind ausgerechnet Länder aus dem Nahen Osten wie Ägypten, Iran, Saudi-Arabien und Pakistan. Und aus Lateinamerika verweigerten sich Venezuela, Kuba, Bolivien und Nicaragua. Die Nichtregierungsorganisationen hoffen jedoch, dass der Waffenhandelsvertrag - erst einmal ratifiziert - immer mehr Mitglieder finden wird. Und sie setzen auf weiteren politischen und gesellschaftlichen Druck.

Bleibt die Frage, von wem weltweite Regeln eigentlich durchgesetzt werden sollen. Die Kampagne „Waffen unter Kontrolle“ betont, dass der weltweite Vertrag nur als Ergänzung zu bereits bestehenden Exportkontrollen funktioniere. Als Beispiel wird der 1998 von der EU eingeführte sogenannte Code of Conduct genannt. Er enthält Regeln für die Ausfuhr von Rüstungsgütern aus EU-Ländern. Auch das britische Außenministerium geht davon aus, dass der ausgehandelte Waffenhandelsvertrag durch die nationale Gesetzgebung umgesetzt werden muss. Ein Waffenhandelsvertrag wäre so gesehen vor allem ein Versuch, für die verschiedenen lokalen und regionalen Exportkontrollen gemeinsame, verbindliche Maßstäbe zu schaffen.

Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 24. April 2010; www.ndrinfo.de


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