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Kirchen prangern deutsche Rüstungsexporte an

"Entwicklung und Menschenrechte müssen Vorrang vor wirtschaftlichen und militärischen Interessen haben"

Die beiden großen Kirchen haben die steigenden deutschen Rüstungsexporte kritisiert. Die Ausfuhr habe Ende der neunziger Jahre wieder deutlich zugenommen, erklärte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) bei der Präsentation ihres 4. Rüstungsexportberichts am 18. Dezember 2000 in Berlin. Demnach wurden im Jahr 1999 Kriegswaffen im Wert von 2,85 Milliarden Mark an das Ausland verkauft. 1998 betrug der Export solcher Waffen lediglich 1,3 Milliarden Mark.

Insgesamt wurden 1999 Rüstungsgüter in Höhe von 6,6 Milliarden Mark ausgeführt. Das waren 1,2 Milliarden mehr als im Vorjahr. "Eine derartige Zunahme hat wohl niemand von der rot-grünen Regierung erwartet", sagte hierzu der katholische GKKE-Vorsitzende, Prälat Karl Jüsten. Die Kirchen forderten die Regierung auf, künftig weniger Waffenexporte zu genehmigen. Entwicklung und Menschenrechte müssten Vorrang vor wirtschaftlichen und militärischen Interessen haben.

Doch die Kirchenvertreter fanden auch anerkennende Worte für die Bundesregierung. Positiv sei etwa, dass im Januar erstmals seit 18 Jahren schärfere Richtlinien für den Export von Rüstungsgütern eingeführt worden seien. Auch habe die Regierung im September einen eigenen Bericht über die Rüstungs-Ausfuhren vorgelegt. Mit den darin gemachten Angaben liege die Regierung im Vergleich zu anderen Staaten im "gelben Bereich", erklärte die GKKE. Die Bundesregierung sei aber noch steigerungsfähig: Es gebe aber zahlreiche Länder, die viel konkretere Angaben zu ihren Waffenexporten machten.

Wichtigste Abnehmer deutscher Rüstungsgüter waren 1999 die Türkei und Israel. Ein Viertel des Gesamtexports ging aber laut dem Bericht an Entwicklungsländer. "Entgegen amtlichen Bekundungen verkauft Deutschland Waffen nicht nur an harmlose und friedliche Staaten", sagte das Mitglied der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte, Michael Brzoska. Die Bundesregierung verfolge zwar in der Tat eine restriktive Rüstungsexportpolitik, Deutschland gehöre aber dennoch zu den fünf größten Waffenexporteuren der Welt.

"Besonders fragwürdig" sei auch, dass 1999 von Deutschland aus Kleinwaffen mit Munition auch in Länder geliefert wurden, "in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden und die in inneren Konflikten stehen". Zwar betrage der Wert solcher Lieferungen "nur" 22 Millionen DM, aber dies dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass von solchen Waffen große Gefahren ausgingen. Selbst gelieferte Jagd- und Sportwaffen können bei internen Konflikten eingesetzt werden. Die Willensbekundungen von Rot-Grün gegen die Verbreitung von Kleinwaffen stünden in Widerspruch zu den tatsächlichen Zahlen im Bericht des Bundesregierung.

Der Vorsitzende der Fachgruppe Bernhard Moltmann warnte, dass die anstehende Bundeswehr-Reform einen "erneuten Schub bei den Rüstungsexporten" auslösen könnte. Er forderte deshalb die Regierung auf, Waffen, die im Zuge der Reform ausgemustert würden, nicht an andere Länder zu verkaufen, sondern zu verschrotten.

"Wir möchten Bewusstsein beeinflussen und verändern", sagte der Vorsitzende der gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, Stefan Reimers von der Evangelischen Kirche, und forderte die Bundesregierung zu einer wirklich restriktiven Rüstungsexportpolitik auf.

Die Pressekonferenz der GKKE wurde sehr stark beachtet und fand einen großen Niederschlag in der überregionalen Presse. In einem Kommentar der Frankfurter Rundschau vom 19. Dezember 2000 heißt es, es sei "beschämend, dass sich der Ausfuhrwert von kriegswaffen 1999 verdoppelte. Wieder einmal zählte die wegen ihrer Menschenrechtspolitik zu Recht am Pranger stehende Türkei zum Kreis der besten Kunden."

Andrea Kolling, Mitarbeiterin der in Bremen ansässigen BUKO-Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport", zeigte sich gegenüber der "jungen welt" angesichts dieser Fakten weniger überrascht: Die Kontinuität in der Außenpolitik sei zu Beginn von der neuen Regierung, namentlich von Außenminister Fischer, ja ausdrücklich angekündigt worden. Überraschen könne allenfalls die so "deutliche Steigerung" bei der Ausfuhr von Kriegswaffen.

Ein prominentes Regierungsmitglied ließ sich dahingehend vernehmen, dass er es nicht verstehe, dass "die Bundesregierung Waffen in die Türkei liefert, von denen man ja nicht ausschließen kann, daß mit ihrer Hilfe Frauen und Kinder zusammengeschossen werden. Das ist eine gottserbärmliche Politik. Wir sind der Auffassung, daß die Waffenexporte schlicht eingestellt werden sollten und daß es eine absolut restriktive Handhabung geben muß". Das Zitat stammt von Verteidigungsminister Scharping. Doch das war zu Oppositionszeiten.
Pst

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, junge welt, Hessische Allgemeine, alle vom 19. Dezember 2000

Nachfolgend dokumentieren wir noch ein Interview, das in der jungen welt mit einem Vertreter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) gemacht wurde.

Steigende Rüstungsexporte nicht weiter schlimm?

jW sprach mit Niklas Schörning, Rüstungsexperte der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

F: Nach dem sogenannten »Rüstungsexportbericht 2000« der »Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung« hat sich die Ausfuhr von Kriegsgerät aus Deutschland im Jahr 1999 mehr als verdoppelt. Ist die internationale Lage denn so unsicher geworden?

Nein, diese Zahl geht vor allen Dingen auf den Export von Schiffen zurück, die monetär natürlich sehr große Posten darstellen. Insgesamt würden wir darin keine qualitative Veränderung sehen.

F: Hauptempfänger ist nach der genannten Studie die Türkei. Welche Erkenntnisse haben Sie über den Einsatz des Gerätes in dem Land?

Wie gesagt, es handelte sich überwiegend um Schiffe, die sich nicht gerade eignen, um innere Repressionen auszuüben. Insoweit sehen wir diese Posten nicht so kritisch wie z.B. den Export des Leopard-Panzers oder die Hilfe für eine Munitionsfabrik.

F: Die Kritik der Studie ist Ihrer Meinung nach also überzogen?

Grundsätzlich stimmen wir der Studie zu, vor allem in der Forderung nach mehr Transparenz deutscher Rüstungsexporte. Die Studie weist damit auf einen offensichtlichen Rückstand der Regierungspolitik hin.

F: Inwiefern sollten Rüstungsexporte denn transparenter werden?

Im letzten vorliegenden Rüstungsexportbericht der Bundesregierung werden nicht besonders viele Daten genannt. Im europäischen Vergleich liegt der Bericht da eher im Mittelfeld, nicht nur bei der Menge, auch bei der Genauigkeit der Daten.

F: Sie fordern also mehr Informationen über die exportierten Güter?

Und über die Kriterien, nach denen die Entscheidungsprozesse im Rüstungsexportbereich ablaufen. Darüber muß die Öffentlichkeit informiert werden. Wer entscheidet wann auf Basis welcher Kriterien? An wen wird geliefert? Das sind bislang weitgehend offene Fragen.

F: Ein Kriterium der »neuen deutschen Außenpolitik« sollen Menschenrechte sein. Ein recht breit zu definierender Begriff, oder?

Dieses Entscheidungskriterium ist natürlich sehr schwammig. Wir gehen davon aus, daß man diesen Spielraum bei der Bundesregierung auch ausnutzt. Grundsätzlich muß man aber sagen, daß das Wort »Menschenrechte« in den Rüstungsexportrichtlinien der alten Bundesregierung gar nicht auftauchte. Insoweit kann man also schon von einer Verbesserung sprechen. Aber es ist noch nicht konkret genug.

F: Was sollte denn darunter verstanden werden?

Die Achtung des Individuums und der persönlichen Entfaltungsfreiheit. Dazu trägt auch die Regierungsform bei. Menschenrechte werden vor allen Dingen in einer Demokratie gewahrt, deshalb sollte die Frage entscheiden, ob es sich um eine anerkannte Demokratie handelt oder nicht.

F: Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer bei den Exporten ein? Durch internationale Kooperation wäre es ja auch denkbar, daß ein deutscher Panzer in Spanien gebaut und von dort aus exportiert wird.

Die von der Bundesregierung veröffentlichten Zahlen decken sich weitgehend mit denen internationaler Forschungsinstitute. Inwieweit aber solche Geschäfte über Drittländer laufen, geht aus vorliegenden Studien nicht hervor.

F: Fließt der Export von Bauteilen für Kriegsgerät in die Statistiken ein?

Der wird mit erfaßt. Man unterscheidet zwischen Kriegswaffen und Rüstungsgütern. Kriegswaffen bezeichnet Endgeräte, die zum Töten verwendet werden. Rüstungsgüter können auch Bauteile sein.

F: Wie weit ist die Kontrolle von »Dual use«-Gütern gegeben, Produkten also, die als zivile Exportgüter deklariert werden, im Endeffekt aber Rüstungsvorhaben dienen?

Bei diesen Gütern werden vom Bundesausfuhramt sehr scharfe Kontrollen durchgeführt. Wir gehen davon aus, daß diese Problematik auf europäischer Ebene sehr strikt geregelt ist. Wir gehen aber auch davon aus, daß falsche Auszeichnungen in Einzelfällen noch auftreten.

F: Ihre Darstellung klingt nicht so negativ, wie im Rüstungsexportbericht der Kirchen. Trotzdem prophezeien Sie einen Anstieg der Exporte. Warum?

Wir gehen auch von einem Anstieg aus, weil die Bundeswehr umstrukturiert wird und wahrscheinlich ein ähnlicher Effekt entsteht, wie wir ihn Anfang der 90er Jahre hatten: Altes Bundeswehrgerät wird exportiert. Das ist zweifelsohne ein großes Problem, denn die Regel »Verschrotten vor Export« muß gewahrt werden.

F: Gibt es denn keine internationale Einschränkungen von Exporten?

Es gibt solche internationalen Übereinkünfte. Aber diese haben wie die meisten internationalen Übereinkünfte nur einen unverbindlichen Charakter. Dementsprechend schwach ist ihre Schutzwirkung.

(Interview: Harald Neuber)

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