Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Panzer aus Kassel

Demo gegen Rüstungsexport an Saudi-Arabien fand gute Resonanz / Widerstand auch in Bremen


Am 16. Juli 2011 fand erstmals seit vielen Jahren wieder eine Demonstration und Kundgebung gegen die Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann in Kassel statt. Dazu hatte ein Bündnis aufgerufen, das auf Initiative des Kasseler Friedensforums kurzfristig zusammenfand. Sowohl regionale als auch überregional fand die Aktion große Beachtung: So gabe es Berichte in der Frankfurter Rundschau, Hessischen Allgemeinen, der jungen Welt, dem Neuen Deutschland sowie dem Hessischen Rundfunk (Nachrichtensendungen Rundfunk und Bericht in der Hessenschau). Die Veranstalter konnten zufrieden sein. Sie werden, wie das Friedensforum mitteilte, weiter machen. Zunächst mit einem Appell an die Stadt Kassel, unter den massenhaft Unterschriften gesammelt werden sollen; sodann mit Info-Veranstaltungen (z.B. eine Podiumsdiskussion mit kontroversen Standpunkten) und konkreten Initiativen in Richtung auf die Rathausparteien, die sich bisher in großes Schweigen hüllen.

Im Folgenden eine Auswahl an Artikeln aus und über Kassel, ergänzt um einen Kommentar, der zum gleichen Thema in der Bremer Ausgabe der taz erschien.


Rund 250 Menschen protestieren gegen Panzerverkauf *

Gegen möglich Panzer-Lieferungen nach Saudi-Arabien haben am Samstag (16. Juli) in Kassel rund 250 Menschen protestiert. Sie liefen vom Rathaus der hessischen Großstadt zum Firmengelände des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW).

"Achtung Werkausfahrt“ steht an einem Tor unweit der Kasseler Uni. Was für ein Werk das ist, ist nicht gleich zu erkennen. Weiter drin im Hof hängt ein Schild, das drei Buchstaben zeigt: KMW – kurz für das Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei-Wegmann. Panzer, meint einer der Demonstranten, könne man sehen, wenn man das Gelände auf Google Earth von oben ansehe.

Rund 250 Demonstranten sind am Samstag vor das Kasseler Rathaus gekommen, um gegen einen Export von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien zu protestieren. Organisationen der Friedensbewegung und die Linkspartei haben zu der Aktion aufgerufen, die bis zum Standort des Leopard-Herstellers KMW führt. Peter Strutynski, Sprecher des Kasseler Friedensforums, freut sich über die Resonanz. Die Demo hatte nur wenige Tage Vorlauf. Es sind Ferien. Und in Gießen wird parallel gegen Nazis demonstriert.


Um Geld und Aufwand zu sparen, stellen Rüstungskonzerne wie der Leopard-2-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann gewöhnlich schon lange vor konkreten Verhandlungen über einen Rüstungsdeal eine Voranfrage, um zu klären, ob später mit einer Ausfuhrgenehmigung zu rechnen ist. Um Geld und Aufwand zu sparen, stellen Rüstungskonzerne wie der Leopard-2-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann gewöhnlich schon lange vor konkreten Verhandlungen über einen Rüstungsdeal eine Voranfrage, um zu klären, ob später mit einer Ausfuhrgenehmigung zu rechnen ist.



Viele, die sich dem Protest in Kassel anschließen, gehören zum festen Stamm der Friedensdemonstranten. Aber nicht alle. „Es gibt nicht so oft Krauss-Maffei-Wegmann-Demos in Kassel“, sagt etwa Joe Finer zu seiner Motivation, diesmal dabei zu sein. Er sei sowieso gegen die Rüstungsindustrie. Und jetzt verkaufe KMW auch noch Panzer an Saudi-Arabien – „ein brutales Regime“, das gerade dabei geholfen habe, die Proteste in Bahrain niederzuschlagen. Auch bei Kerstin Wolff haben die Nachrichten über den Saudi-Arabien-Deal besondere Empörung ausgelöst. Dass ein Bundessicherheitsrat entscheidet, wohin Deutschland Waffen liefert, aber die Entscheidungskriterien nicht einmal dem Parlament offen legt, entspreche „nicht dem, was ich unter Demokratie verstehe“, so die Wissenschaftlerin. „Das muss im Bundestag diskutiert werden.“ Und jetzt gehe es auch noch um Waffen für Angola.

Verstoß gegen Richtlinien

„Rüstungsexporte tragen dazu bei, dass Deutschland Exportweltmeister bleibt“, prangert Peter Strutynski bei er Auftaktkundgebung an. Die Bundesregierung verstoße mit einem Okay für den Panzer-Deal gegen deutsche und europäische Richtlinien, die Lieferungen in Spannungsgebiete ebenso verbiete wie in Staaten, mit „problematischer Menschenrechtslage“. In ein Land wie Saudi-Arabien „Waffen zu liefern, kann eigentlich nur ein Bekloppter machen“, urteilt er – der Applaus ist kräftig. Auch die frühere Regierung bekommt ihr Fett weg. Die habe mit Mubaraks Ägypten Waffengeschäfte gemacht – auch wenn SPD und Grüne in Berlin nun „so weit das Maul aufreißen“.

Von Parteien ist auf der Kasseler Demo nur die Linke deutlich erkennbar vertreten. Der Stadtverordnete Axel Selbert erzählt, er sei einmal als „Netzbeschmutzer“ beschimpft worden, als er im Kasseler Parlament auf einen Zusammenhang zwischen steigenden Gewerbesteuereinnahmen und Gewinnen der „Kriegsindustrie“ hingewiesen habe. Man habe ihm vorgeworfen, er verunglimpfe die Mitarbeiter entsprechender Unternehmen.

Auf rund 3000 wird die Zahl derer geschätzt, die in Kassel bei KMW, Rheinmetall und Zulieferern in der Rüstungsindustrie arbeiten. Die Demonstranten fordern, zivile Geschäftsfelder für diese Beschäftigten aufzubauen. Ursula Wöll ist extra aus Wetzlar angereist, weil ihr das Thema so wichtig ist. „In der Gewerkschaft gab es früher Arbeitskreise für Konversion“, sagt sie vor dem KMW-Zaun. Darum müsse es endlich auch wieder gehen.

* Aus: Frankfurter Rundschau, 18. Juli 2011


Kassel: Protest gegen Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien

Kassel. Rund 250 Menschen haben am Samstagmittag in Kassel gegen die von der Bundesregierung geplante Lieferung von 200 Leopard 2-Panzern nach Saudi-Arabien protestiert. **

Dr. Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum nahm vor dem Rathaus den Bundessicherheitsrat in die Verantwortung, der hinter verschlossenen Türen das Panzergeschäft abgesegnet hat. Damit verstoße Deutschland gegen seine eigenen Rüstungsexport-Kriterien, die Waffenlieferungen in Spannungsgebiete sowie an Länder, in denen die Lage der Menschenrechte problematisch ist, verböten.

Strutynski warf dem Kasseler Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) vor, der einzige Konzern zu sein, bei dem ausschließlich Rüstung produziert werde, und nur ans Geschäft zu denken. „Wir dürfen nicht zulassen, dass im Rathaus geschwiegen wird“, forderte er die Kommunalpolitik dazu auf, Druck auf das Unternehmen zu machen, seine Produktpalette Schritt für Schritt zu demilitarisieren. Der Protestzug endete vor dem KMW-Gelände an der Wolfhager Straße. (bho)

** Aus: hessisch-Niedersächsische Allgemeine (HNA), 18. Juli 2011


Keine Kriegswaffen aus Kassel

Protest gegen geplante Panzerlieferung nach Saudi-Arabien und Rüstungsschmiede vor Ort

Von Hans-Gerd Öfinger ***


Gegen die Ausfuhr von 200 modernen Leopard-2-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien und deren Produktion in einer örtlichen Rüstungsschmiede regt sich Widerspruch in der Nordhessenmetropole Kassel. Am heutigen Samstag wollen Friedensgruppen und politische Organisationen den Protest auf die Straße tragen.

Initiator der Demonstration und Kundgebung in der Innenstadt ist das Kasseler Friedensforum, das in den letzten Tagen durch die Meldungen über eine Exportgenehmigung für die Panzer durch den Bundessicherheitsrat aufgeschreckt wurde und sofort einen lokalen Bezug herstellte. Schließlich werden die Panzer bei der Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG (KMW) produziert. KMW entstand 1999 aus dem Zusammenschluss des traditionsreichen Kasseler Rüstungsherstellers Wegmann mit dem Münchner Krauss-Maffei-Konzern. Seit 2000 hält Siemens 49 Prozent der KMWAnteile. KMW gilt als europäischer Marktführer bei Panzern und gepanzerten Fahrzeugen.

Weil es die Existenz dieser hochmodernen Rüstungsschmiede vor ihrer Haustür nicht weiter hinnehmen will, sammelt das Kasseler Friedensforum nun Unterschriften für einen Appell an Oberbürgermeister, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Darin wird die Rathausspitze zur Unterstützung des Protestes »gegen den Export von Kriegswaffen aus Kassel in Spannungsgebiete und an Regime mit einer problematischen Menschenrechtssituation« aufgefordert. Ebenso verlangen die Friedensaktivisten von der Kommunalpolitik Rückendeckung für die Forderung nach einer Demilitarisierung der Produktion in örtlichen Rüstungsunternehmen durch Aufbau ziviler Geschäftsfelder sowie politische Initiativen in Land und Bund zur grundlegenden Abkehr von der Rüstungsproduktion.

Zivile Geschäftsbereiche, wie sie früher einmal bei Wegmann bestanden hätte, müssten wieder aufgebaut werden, heißt es in einem Flugblatt des Friedensforums. Die Beschäftigten dürften nicht länger »Geisel der Rüstungslobby« sein, sondern hätten »ein Recht, ihre hohen Qualifikationen und ihre gute Arbeit für die Produktion sinnvoller ziviler Produkte einzusetzen«. An einen Staat, in dem Folter üblich sei, Menschenrechte nichts wert und Frauen rechtlos seien, dürften keine Panzer geliefert werden, so der Appell.

Mit ihrem Aufruf an die SPD-geführte Kasseler Stadtregierung beziehen sich die Friedensfreunde auch auf die Geschichte der Industriestadt. So wurde Kassel, einst wichtige Wehrmachtsgarnison und Rüstungsstandort, 1943 durch Luftangriffe weitgehend zerstört. Dabei kamen 10 000 Menschen ums Leben. 1945 wurde die Rüstungsproduktion zunächst verboten. Verantwortliche Unternehmer wurden vorübergehend interniert. Die weit verbreitete Sehnsucht nach Frieden und Abrüstung kam auch in den 1980er Jahren zum Vorschein, als Kassel per Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur »atomwaffenfreien Zone« erklärt wurde. Oberbürgermeister war damals der spätere hessische Ministerpräsident und Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD).

Die hessische Linksfraktion, die den Aufruf zum Protest gegen die KMW-Panzerproduktion unterstützt, möchte nach Angaben ihres Pressesprechers Thomas Klein das Thema nach der parlamentarischen Sommerpause im Wiesbadener Landtag zur Sprache bringen. Fraktionschef Willi van Ooyen erinnerte daran, dass Anfang der 1980er Jahre die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eine Anfrage Saudi-Arabiens zum Erwerb von Leopard-Panzern unter Hinweis auf eine Gefährdung Israels abgelehnt habe. »In Sonntagsreden den Mut der Menschen loben, deren Widerstand gegen autoritäre Regimes von Panzern gebrochen wird, und montags mit den Unterdrückern tödliche Geschäfte abschließen«, kritisierte van Ooyen die Haltung der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien.

Demo: Samstag, 16. Juli, 11.00 Uhr am Kasseler Rathaus

*** Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2011


Bremer Waffen, Bremer Geld

Gastkommentar: Wieland von Hodenberg über Lürssen ****

Kurz nachdem die geplante Panzerlieferung an Saudi-Arabien bekannt geworden war, kündigte Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Angola ein weiteres skandalöses Rüstungsgeschäft an: Die Bremer Kriegsschiffswerft Lürssen wird sechs bis acht Schnellboote zu einem Stückpreis von bis zu 25 Millionen Euro an das korrupte Regime des Diktators José Eduardo dos Santos liefern.

Angeblich sollen die Patrouillenboote dem Schutz vor "Piratenüberfällen" an der angolanischen Küste und der Sicherung einiger Offshore-Windkraftanlagen dienen. In Wahrheit geht es um Öl, Diamanten und Mineralien, und um die Machtabstützung des Regierungsclans. Diese Militärunterstützung dient natürlich auch dem deutschen Kapitalinteresse nach Absicherung "seiner" Ressourcen.

Die Lieferung der Schnellboote ist Teil der seit Jahren geübten Praxis der Bundesregierung, Militärstrukturen in ganz Afrika aufzubauen, um kriegerische Operationen zur Durchsetzung einer prowestlichen Ordnung auf dem Kontinent von einheimischen Soldaten ausführen zu lassen. Dies soll Kosten sparen und das Leben deutscher Soldaten schonen - frei nach dem verwerflichen Motto "Hannemann, geh du voran!"

Alle Kriegsschiffsprojekte kommen nach einer gemeinsamen Erklärung Berlins mit dem "Bundesverband der Deutschen Industrie" zustande. Federführend ist dabei Friedrich Lürssen, der Vorsitzender des BDI-Ausschusses "Verteidigungswirtschaft" ist.

Deutsches Kriegsgerät kommt bei Verletzungen von Völker- und Menschenrecht zum Einsatz. Die Bundeskanzlerin muss aufhören, auf Wunsch von Waffenlobbyisten wie Friedrich Lürssen Rüstungsgeschäfte zu betreiben!

**** Wieland von Hodenberg ist Sprecher des Bremer Friedensforums.

Aus: taz Bremen, 18. Juli 2011


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