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Händler des Todes

Rüstungsexporte als Mittel deutscher Außenpolitik: schädlich und unmoralisch

Von Lühr Henken und Peter Strutynski *

Wieder ging ein Raunen durch den deutschen Blätterwald, als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass der Bundessicherheitsrat offenbar ein milliardenschweres Rüstungsgeschäft mit dem Golfemirat Katar genehmigt hat. Es geht um die Lieferung von 62 modernen Leopard-2-Kampfpanzern und 24 Panzerhaubitzen („das modernste Artilleriesystem der Welt“). Beide Systeme werden von der größten deutschen Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (München und Kassel) in Kooperation mit Rheinmetall (ebenfalls in Kassel) hergestellt. Das politische Nasenrümpfen legte sich aber bald wieder. Immerhin geht es um einen Auftrag im Wert von 1,9 Mrd. EUR, was den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Ernst Hinsken (CSU), zu der Bemerkung veranlasste: „Damit werden deutsche Arbeitsplätze gesichert.“ Und moralische Bedenken gegen den Waffendeal wischte er in Stammtischmanier beiseite: „Wenn Deutschland nicht liefert, liefern andere“. (Süddeutsche Zeitung, 19.04.2013)

Damit sind wir schon mitten im Thema: Was bedeutet der deutsche Rüstungsexport, wie ist er zu kontrollieren, wie ist er politisch und ethisch zu bewerten, welche Folgen hat er in der Welt?

Das unabhängige Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI führt die Bundesrepublik Deutschland auf Platz 3 der weltweit größten Waffenexporteure nach den USA und Russland. Damit ist Deutschland in der EU der größte Exporteur des Todes. Dies bezieht sich auf die Summe der Exporte der letzten fünf Jahre. Allerdings belegt Deutschland 2011 und 2012 nur noch die Plätze 6 bzw. 5 weltweit. SIPRI ermittelte zuletzt sogar eine Halbierung der Ausfuhren gegenüber den Vorjahren. Deutet sich damit möglicherweise eine Trendwende an, die auf eine Reduktion des deutschen Rüstungsexports hinweist? Mit Sicherheit nicht.

Denn die von der Bundesregierung veröffentlichten Werte für erteilte Ausfuhrgenehmigungen, die meist erst Jahre später tatsächlich erfolgen, weisen in die Höhe. Ein Vergleich der Beträge für die beiden letzten Jahrfünfte weist ein Plus von 25 Prozent aus und dabei ist der letzte Wert für 2011 (10,8 Mrd. Euro) fast doppelt so hoch wie der des Vorjahres (5,5 Mrd. Euro) und stellt damit den zweithöchsten Betrag überhaupt dar. Darüber hinaus lag die Summe der zur Absicherung der Exporte von der Regierung gewährten Hermes-Bürgschaften 2012 um 800 Millionen Euro höher als 2011. Sechs Rüstungsgeschäfte wurden mit 3,3 Milliarden Euro abgesichert.

Dabei fällt auf, dass vor allem die Genehmigungen in die sog. etwa 100 Drittländer – also in jene Länder, die weder der NATO noch der EU oder ihnen gleichgestellte Länder angehören – ganz besonders angestiegen ist. Dabei wird in den im Jahr 2000 erlassenen „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen“ ausdrücklich betont, dass „der Export von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern“ in diese „Drittländer“ „restriktiv gehandhabt“ werden soll. Ein Vergleich der beiden letzten Jahrfünfte ergibt ein Plus von 73 Prozent. Innerhalb dieser Gruppe der „Drittländer“ sticht insbesondere der Zuwachs an Ausfuhrgenehmigungen in die Vereinigten Arabischen Emirate um 245 Prozent und um 313 Prozent nach Saudi-Arabien heraus. Für 2012 teilt die Bundesregierung auf Anfrage des Abgeordneten Jan van Aken (Die Linke) mit, dass für Saudi-Arabien Ausfuhren für 1,24 Mrd. Euro genehmigt wurden. Das ist so viel wie in den vier Jahren zuvor zusammen. Und die öffentlich ruchbar gewordenen Exportabsichten von Kampfpanzern und Kriegsschiffen an den Golf sind darin noch nicht einmal enthalten, weil sie noch nicht offiziell genehmigt wurden.

Die tatsächlich erfolgte Ausfuhr von Kriegswaffen in diese so genannten Drittländer ist ebenfalls besorgniserregend. So erreichte die Kriegswaffenausfuhr im letzten Berichtsjahr 2011 mit einem Wert von 843 Mio. Euro ein Allzeithoch. Das war fast doppelt soviel wie 2010 und fast fünfmal soviel wie 2009. Damit landeten etwa zwei Drittel der deutschen Kriegswaffenausfuhr 2011 in den „Drittländern“, ein Drittel (genau für 447 Mio. Euro) ging an NATO- und EU-Mitglieder. Von restriktiver Handhabe kann ganz und gar nicht die Rede sein.

Aus den Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung:

„Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden.
Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der UN-Charta vorliegt.“

[Anmerkung: Artikel 51 UN-Charta erlaubt die militärische Selbstverteidigung eines Staates, bis sich der UN-Sicherheitsrat der Sache angenommen hat.]



Panzer nach Saudi-Arabien und Katar

Der Nahe Osten, Südasien und Südkorea sind Spannungsgebiete. Trotzdem wird dorthin geliefert was das Zeug hält. Im Juni 2011 war bekannt geworden, dass der Bundessicherheitsrat - ein geheim tagender Ausschuss der Bundesregierung, dem die Kanzlerin und acht Minister angehören - einer Voranfrage Saudi-Arabiens auf Lieferung von 270 Kampfpanzern des Typs LEOPARD 2 A7+ einstimmig zugestimmt habe. Die Regierung hat dazu bisher jede Stellungnahme verweigert. Eine formelle Exportgenehmigung von Wirtschaftsminister Rösler liegt ebenfalls noch nicht vor. Der Deal könnte also noch abgeblasen werden. Andererseits hat der Generalunternehmer Krauss-Maffei Wegmann den Panzer in der saudischen Wüste bereits erproben lassen.

Die Bundesregierung schickt sich also an, schwere Waffen direkt in „Spannungsgebiete“ zu liefern. Merkel hat das sogar öffentlich begründet. Im „Bergedorfer Gesprächskreis“ der Körber-Stiftung sagte sie im September 2011:
„Wenn die Bundesrepublik davor zurückschreckt, militärisch zu intervenieren‚ dann reicht es in der Regel nicht, an andere Länder und Organisationen Worte der Ermutigung zu richten. Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein. […] Wir sollten aber versuchen, einen Schritt weiterzugehen. Wenn wir uns im atlantischen Bündnis einig sind, dass die Nato nicht alle Konflikte lösen kann und dass den aufstrebenden Schwellenländern und Regionalorganisationen mehr Verantwortung zukommt, dann sollten wir im Bündnis bei den Rüstungsexporten auch schrittweise zu einer gemeinsamen Politik kommen.“ (DER SPIEGEL 10.10.11)
Diese neue außenpolitische Leitlinie wird seither als „Merkel-Doktrin“ bezeichnet. Im Oktober 2012 machte die Kanzlerin in Strausberg vor der Bundeswehrführung sogar den Versuch, diese Doktrin als Mittel der Friedenspolitik zu verkaufen: „Wer sich der Friedenssicherung verpflichtet fühlt, aber nicht überall auf der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen kann, der ist auch dazu aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen.“ Dies schließt eben auch „Unterstützung bei der Ausrüstung“ ein.“

Merkels neue Weltsicht lautet demnach: Rüstungsexporte dienen dem Frieden. Also: Frieden schaffen mit mehr Waffen.

Was sind das für Panzer, die nach Saudi-Arabien exportiert werden sollen? Krauss-Maffei Wegmann (KMW) bietet seit 2005 den Typ LEOPARD 2 A7+ an, von denen Saudi-Arabien 270 Stück kaufen will. KMW bewirbt ihn wörtlich als „Kampfpanzer des 21. Jahrhunderts“, mit dem sich die „neuen Herausforderungen“ wie, so wörtlich, „asymmetrische Bedrohungen, zum Beispiel Terroristen, Sprengfallen (IED's) oder Einzelpersonen“ bekämpfen lassen. Speziell auf den Stadt- und Ortskampf ausgerichtet, erhielt der A7+ einen ungewöhnlichen Tarnanstrich, der den Verhältnissen in Innenstädten angepasst ist. Mit ihm werden, so KMW, die Soldaten „optimal auf neue Einsatzszenarien vorbereitet“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt die Fähigkeiten dieses Panzers so: Mit dem MG kann „man auch steil nach oben schießen – beispielsweise in engen Straßen gegen Feinde auf Hausdächern. Neue Munition, die zeitverzögert explodiert, wirkt auch hinter Mauern. Außerdem kann der Panzer rundum gegen Panzerfaustangriffe gewappnet werden, das Fahrwerk wurde verbessert, eine Kühlanlage sorgt auch in heißen Ländern für erträgliche Temperaturen.“ (FAZ 06.07.2011) Also quasi eine uneinnehmbare mörderische Festung. Auf die 120mm-Glattrohrkanone von Rheinmetall wird selbstverständlich nicht verzichtet. Rheinmetall bietet für den A7+ ein um 1,30 m verkürztes Rohr an, weil die kürzere Waffe beim Einsatz in engen Straßen und Gassen von Vorteil sei.

Ausgerechnet Saudi-Arabien interessiert sich für diesen einzigartigen Panzertyp. Dieses feudal-repressive Königreich, dessen absolutistischer Herrscher über dem Gesetz steht, dessen Staatsbürger der Scharia unterworfen sind, wo Parteien, Gewerkschaften, Streiks, ja selbst Demonstrationen verboten sind. Saudi-Arabien ist das Zentrum des sunnitischen Fundamentalismus, dessen Staatsreligion der Wahabismus ist. Das Wahabiten-Regime unterstützt weltweit den Salafismus, eine besonders fanatische und intolerante Spielart des Islamismus.

amnesty international über Saudi-Arabien:

„Tausende von Menschen, die in den vergangenen Jahren aus Sicherheitsgründen festgenommen worden waren, befanden sich 2011 noch immer in Haft. […] Folter und grob ungerechte Gerichtsverfahren waren noch immer an der Tagesordnung. Gerichte verhängten erneut grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen, die auch vollstreckt wurden, vor allem Auspeitschungen. […] Mindestens 82 Gefangene wurden hingerichtet.“ (Aus: ai, Länderreport 2012)



Zieht man die Rüstungsexportrichtlinien zu Rate, die sich die Bundesregierung selbst gegeben hat, so verbietet sich der Panzerdeal mit einem solchen Staat. Es heißt dort nämlich:

„Genehmigungen für Exporte nach KWKG (Kriegswaffenkontrollgesetz) und/oder AWG (Außenwirtschaftsgesetz) kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen und bei hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zu innerer Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.“

Aber keine Regel ohne Ausnahme. In den Richtlinien heißt es an anderer Stelle:

„Der Export von Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland […] für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.“

Und der Export nach Saudi-Arabien oder nach Katar liegt augenscheinlich im deutschen Interesse. „Riad sei ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus und gegen eine nukleare Bewaffnung Irans sowie im Nahost-Prozess. Allerdings gebe es erhebliche Defizite im Menschenrechtsbereich“, verkündete die Kanzlerin laut faz.net im Fernsehsender Sat 1 am 8. Juli 2011. Die hehren menschenrechtlichen Grundsätze werden schnell zur Makulatur, wenn geostrategische oder wirtschaftliche Interessen im Spiel sind.

Das absolutistisch regierte Emirat Katar ist eine an Saudi-Arabien grenzende Halbinsel von der Größe des Kosovo im Persischen Golf und innenpolitisch ähnlich repressiv verfasst wie sein großer Nachbar. Katar erhält schon seit vielen Jahren Kleinwaffen und Munition aus Deutschland. Als jedoch im Mai 2009 der Bundessicherheitsrat der damaligen großen Koalition die Ausfuhr von 36 LEOPARD 2-Kampfpanzern nach Katar genehmigte, kam das einem Tabubruch gleich. Zum ersten Mal sollten schwere Kriegswaffen in das Spannungsgebiet am Golf geliefert werden. Erst zwei Jahre später wurde bekannt, dass der Bundessicherheitstrat kurz danach im Sommer 2009 auch der Lieferung von 24 Panzerhaubitzen 2000 zugestimmt hatte. (welt.de 18.7.11) Bis Ende 2011 ist die Lieferung von Panzern und Haubitzen laut SIPRI-Register nicht erfolgt. Auch 2012 wurde nicht geliefert. Erst im April 2013 wurde der Vertrag perfekt gemacht.

Wie ist diese gigantische Aufrüstung des kleinen Landes zu erklären? Katar beherbergt das Zentrum der US-Streitkräfte am Persischen Golf mit dem regionalen Hauptquartier des Central Command und dem Luftwaffenkommando. Beide sind u.a. für den Iran zuständig. 16 Prozent der Menschen in Katar sind iranischer Abstammung. Augenscheinlich sollen wie in Saudi-Arabien die deutschen Panzer zur Repression im Innern eingesetzt werden.

Aufrüstung schürt Kriegsgefahr

Wie ist die Flut von Waffen an die arabischen Golfstaaten zu erklären? Allgemein wird behauptet, man rüstet sich gegen eine iranische Atombombe. Das ist so sehr Allgemeingut, dass man gar nicht mehr hinterfragt, ob der Iran überhaupt nach einer Atombombe strebt. Dass selbst die US-Geheimdienste sagen, dass der Iran seit 2003 kein militärisches Atomprogramm verfolgt, wird hier achselzuckend beiseite gewischt. Aber was ist, wenn der Vater des iranischen Atomprogramms dasselbe sagt? Dann wird es hierzulande gar nicht berichtet. Als Vater des iranischen Atomprogramms gilt Akbar Etemad. Der heute 82jährige hat für den Schah von Persien das Atomprogramm entwickelt und hat mit dem Mullah-Regime nichts am Hut. Die Basler Zeitung stellte ihm im August 2012 folgende Frage: „Die iranische Regierung hat ein sehr schlechtes Image im Westen, weil der Westen sagt, der Iran wolle eine Bombe bauen. Stimmt das?“ Etemad: „Ja, es stimmt, dass der Westen sagt, der Iran wolle eine Nuklearwaffe bauen. Aber es stimmt nicht, dass der Iran das tut.“ (23.8.12, http://bazonline.ch/25588153/print.html)

Werfen wir einen Blick auf die Kräfteverhältnisse am Golf, so zeigt sich, dass nicht der Iran, sondern seine Gegner über eine drückende militärische Überlegenheit haben. Der Iran gibt jährlich rund 10 Milliarden Dollar für sein Militär aus. Die sechs arabischen Golfmonarchien kommen zusammen auf das Siebenfache! Zusätzlich sind die USA in allen sechs Staaten militärisch präsent, z.B. mit dem Stützpunkt der 5. US-Flotte in Bahrain. Zudem rüsten die sechs Länder, angeführt von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, massiv auf. Die in den letzten 10 Jahren eingeführten Kriegswaffen im Wert von etwa 20 Milliarden Dollar waren dabei nur ein Vorspiel. Seit 2010 laufen zwischen diesen Staaten und den USA Verhandlungen über wesentlich größere Waffenimporte. So wurden für die saudische Luftwaffe Verträge in Höhe von 68 Milliarden Dollar abgeschlossen. Verhandlungen über die Lieferung von Kriegsschiffen in Höhe von 30 Milliarden Dollar laufen seit 2010. All diese Projekte werden in den USA mit der Rüstung gegen den Iran begründet. Insgesamt wird die Summe aller Neubeschaffungen der arabischen Golfstaaten auf etwa 150 Milliarden Dollar geschätzt. Das ist 15 Mal mehr als das gesamte jährliche iranische Militärbudget. Obendrein kämen die deutschen Panzer- und Kriegsschiffexporte im Wert von über 20 Milliarden Dollar und – nicht zu vergessen - die deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel. Angesichts der US-Präsenz am Golf und der Ausstattung aller arabischen Staaten dort mit Raketenabwehrsystemen muss sich der Iran eingekreist und bedroht fühlen, angegriffen zu werden.

De Maizière rechtfertigt den deutschen Rüstungsexport damit, dass Saudi-Arabien ‚ein Stabilitätsanker in der Region‘ sei. (faz.net 8.7.11) Aber dass die weitere Aufrüstung der eh schon militärisch überlegenen Gegner des Iran in Kombination mit dem mörderischen Wirtschaftsembargo die Kriegsdrohung gegen Iran erhöht oder somit dessen Atomprogramm eher beschleunigt, blendet diese Argumentation aus. Ein Angriff auf den Iran wird umso wahrscheinlicher, je besser es den Angreifern gelingt, eventuelle iranische Gegenmaßnahmen zu minimieren. Bei fortgesetzter Aufrüstung der arabischen Golfstaaten kommt es entweder zu einem Angriff auf den Iran oder der Iran wird zur Atommacht. In jedem Fall wird die Lage instabiler – und die Bundesregierung trägt aktiv dazu bei.

U-Boote für Israel

1999 und 2000 lieferten HDW und die Nordseewerke drei U-Boote der Dolphin-Klasse an Israel. Diese U-Boote wurden mit 560 Millionen Euro vom deutschen Steuerzahler finanziert, weil Israel das Geld dafür fehlt. Die U-Boote haben diesel-elektrischen Antrieb und haben eine Reichweite von knapp 9000 km. Sie sind auf das Mittelmeer ausgelegt. Nachträglich hat Israel in die U-Boote vier vergrößerte Torpedoöffnungen eingebaut. Viele Fachleute gehen davon aus, dass diese für Marschflugkörper verwendet werden können, die atomar bestückt sind. Beweise dafür gibt es allerdings nicht.

Die rot-grüne Bundesregierung genehmigte noch als letzte Amtshandlung 2005 die Ausfuhr von zwei vergrößerten U-Booten der Dolphin-Klasse nach Israel. Sie heißen Dolphin II. Die Dolphin II – aber auch die U-212 - sind die kampfstärksten konventionell angetriebenen U-Boote überhaupt. Die beiden U-Boote der Dolphin-II-Klasse sollen 2013 einsatzbereit sein und kosten etwa eine Milliarde Euro, wovon der deutsche Steuerzahler direkt ein Drittel beisteuert und indirekt durch den Kauf von Rüstungsgütern in Israel ein weiteres Drittel. Ein Drittel der Kosten trägt Israel. Anfang Juni 2012 unterzeichnete die Bundesregierung den Vertrag über ein drittes Dolphin-II-U-Boot. Geliefert wird bis 2017. An Hermes-Bürgschaft wurden 405 Mio. Euro genehmigt. Der deutsche Steuerzahler gibt dafür 135 Millionen Euro, so dass sich die deutsche Spende für die sechs israelischen U-Boote auf insgesamt 1,03 Milliarden Euro summiert.

Fragen an die Bundesregierung, was sie über die nukleare Bewaffnung dieser U-Boote wisse, beantwortet sie so: „Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen über eine mögliche Bewaffnung.“ (Sevim Dagdelen, Antwort von Staatssekretär Christian Schmidt, Drucksache 5/329). Dabei sind Aussagen bekannt von Leuten, die darüber Bescheid wissen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Carsten Vogt (SPD) sagte dem SPIEGEL: „ wenn wir danach gefragt hätten, wäre das Schlimmste gewesen, wenn die Israelis uns eine ehrliche Antwort gegeben hätten.“ (jw 15.6.12) SPIEGEL ONLINE schreibt: „Ehemalige hochrangige Beamte im Verteidigungsministerium wie der ehemalige Staatssekretär Lothar Rühl oder der Ex-Chef des Planungsstabs Hans Rühle haben gegenüber dem SPIEGEL erklärt, sie seien schon immer davon ausgegangen, dass Israel auf den U-Booten Nuklearwaffen stationieren werde. Rühl hat darüber auch mit Militärs in Tel Aviv gesprochen.“ (SPON 3.6.12) - Die Merkel-Regierung verhält sich hier wie die drei Affen: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Kleinwaffen und weitere Rüstungsexporte

Die mehr oder weniger weit gediehenen Rüstungsdeals in „Drittländer“ summieren sich auf über 30 Milliarden Euro. Diese gigantische Dimension ist in der bundesdeutschen Rüstungsexportgeschichte beispiellos. Wenn diese Vorhaben umgesetzt werden, ist der unrühmliche dritte Platz Deutschlands im weltweiten Rüstungsexport für lange Zeit gesichert. Die Merkel-Doktrin macht’s möglich.

Schon jetzt – ohne diese in Aussicht stehenden Aufträge – verzeichneten die vier größten deutschen Rüstungskonzerne Rheinmetall, ThyssenKrupp, Krauss-Maffei Wegmann und Diehl entgegen der weltweiten Entwicklung ein deutliches Umsatzplus. Während SIPRI für 2011 weltweit erstmals seit 1994 ein Schrumpfen des Umsatzes der 100 größten Rüstungsbetriebe (ohne die VR China) feststellte (um fünf Prozent auf 410 Mrd. Dollar), setzten diese deutschen Rüstungsschmieden mehr um: Rheinmetall (+12 Prozent auf 3 Mrd. Dollar), ThyssenKrupp (+55 Prozent auf 2,1 Mrd. Dollar), Krauss-Maffei Wegmann (+ 9 Prozent auf 1,7 Mrd. Dollar) und Diehl (+14 Prozent auf 1,4 Mrd. Dollar). Rheinmetall verbuchte zudem 2012 ein Auftragsplus von 60 Prozent auf einen rekordhohen Auftragsbestand von 5 Mrd. Euro; „ThyssenKrupp hat in seinem militärischen Marinegeschäft so hohe Aufträge wie nie zuvor. Beide Unternehmen profitieren von florierenden Exporten“ (FAZ 19.2.2013).

Unter die Kategorie „Kleinwaffen“ fallen neben Pistolen und Revolvern auch Maschinen- und Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen und kleine Mörser. Diese sind wahre Massenvernichtungswaffen: „Laut einer Studie des Internationalen Roten Kreuzes sterben von 20 Toten auf den Schlachtfeldern der Welt 19 durch Kleinwaffen.“ (ND 28.8.12) Offizielle Schätzungen gehen von mehr als 400.000 Toten jährlich durch Kleinwaffen aus. (ebenda) Die deutsche Firma Heckler&Koch (H&K) hat etwa 15 Millionen Gewehre des Typs G3 hergestellt. Völlig legal wurden sie in 88 Staaten exportiert. Schätzungen sprechen davon, dass seit 1949, dem Jahr der Firmengründung von Heckler&Koch, etwa 1,5 Millionen Menschen mit H&K-Produkten getötet wurden. Deutschland ist der drittgrößte Kleinwaffenexporteur der Welt – nach den USA und Italien. (nd vom 29.11.2011).

Lizenzvereinbarungen zum Nachbau von G-3-Gewehren gibt es mit zehn Ländern, darunter mit der Türkei, Saudi-Arabien, Mexiko, Burma, Iran und mit Pakistan. G-3-Gewehre finden sich heute im Bürgerkrieg in Somalia, in Thailand, türkische Soldaten töteten mit dem G-3-Gewehr Kurden, das mexikanische Militär setzte sie in Chiapas ein.

Im Jahr 2011 erteilte die Regierung die Genehmigung für den Export von Kleinwaffen in 24 Staaten außerhalb von EU und NATO im Wert von 17,9 Millionen Euro. Das ist der zweithöchste Wert überhaupt. Der größte Empfänger darunter war Saudi-Arabien. In das repressivste dieser 24 Länder floss über die Hälfte des Waffenwerts. 2011 wurde bekannt, dass Heckler&Koch in Saudi-Arabien eine Fabrik für Sturmgewehre des Typs G36 errichtet hat. Sie hat bereits die Produktion aufgenommen und wirbt für den Export. Im Dezember berichtete DER SPIEGEL, dass die Bundesregierung unter anderem den Export von 1,2 Millionen Patronen für Handfeuerwaffen in dieses autoritäre Land am Golf genehmigt habe. (DER SPIEGEL 17.12.2012) Auch das hat mit restriktiver Handhabung nichts zu tun. Anders der Schweizer Bundesrat. Er erteilte dem Gesuch eine Absage, „Einzelteile und Baugruppen für Pistolen“ an die königliche Garde Saudi-Arabiens via USA zu exportieren. In der Begründung für die Ablehnung hieß es: „dass mit den Einzelteilen Waffen produziert würden, mit denen Menschenrechtsverletzungen begangen werden könnten.“ (Handelszeitung 23.1.2013; http://www.handelszeitung.ch/politik/bundesrat-verhindert-waffenlieferung-saudi-arabien)

Die Rüstung – ein Wirtschaftsfaktor?

Wer kennt sie nicht, die „Argumente“ der Rüstungslobby und der mit ihr sympathisierenden Politiker/innen von CDU/CSU über FDP und SPD bis zu den GRÜNEN: Ein Verzicht auf eine eigenständige Rüstungsindustrie würde die deutsche Wirtschaft schwächen, Arbeitsplätze bedrohen, die Entwicklung der High-Tech-Industrie gefährden und die deutschen Exporte schmälern , kurz: Der Wirtschaftsstandort Deutschland wäre bedroht. Das alles ist nur zu einem verschwindend kleinen Teil richtig, im Wesentlichen aber falsch. Warum?

Der Umsatz der Rüstungsindustrie in Deutschland (2011 waren das nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie-BDSV 28,3 Mrd. EUR), macht gerade mal 1,1 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus (das sind die Werte, die pro Jahr neu geschaffen werden). Setzt man den Exportwert der Rüstung (12,5 Mrd.) in Beziehung zum Gesamtexport der deutschen Wirtschaft, so landen wir sogar bei unter einem Prozent. Auch mit den Arbeitsplätzen ist es nicht so weit her. Der BDSV spricht von 98.000 Rüstungsarbeitsplätzen (andere Schätzungen liegen bei nur 80.000). Aber auch diese höhere Zahl bedeutet nur einen Anteil von 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Mit anderen Worten: Die Rüstungswirtschaft ist eine marginale Größe in Deutschland.

Dabei ist nicht zu verkennen, dass sie in bestimmten Regionen durchaus von Bedeutung ist, etwa an der norddeutschen Küste (Schiffbauindustrie!), im Bodenseeraum oder in Kassel. Eine „Ent-Rüstung“ dieser Rüstungszentren müsste also mit entsprechenden Hilfen von Bund und Ländern begleitet werden. Es ist möglich, die vorhandenen Produktionskapazitäten auf die Herstellung ziviler Güter umzustellen, sodass niemand arbeitslos würde (Konversionsprogramm).

Der Wirtschaftsstandort Deutschland würde durch einen Stopp der Rüstungsexporte sogar gewinnen. Denn die Waffen und Rüstungsgüter, die heute in alle Welt geliefert werden, tragen zur Verschärfung von Spannungen bei und begünstigen bewaffnete Konflikte, Bürgerkriege und zwischenstaatliche Kriege. Häufig führt dies zu weiteren Verarmungs- und Migrationsprozessen, zum Ausverkauf und Zerfall ganzer Staaten und ihrer Infrastruktur. In solche Länder lassen sich kaum noch zivile Güter verkaufen, was die exportorientierte deutsche Wirtschaft zu spüren bekäme.

Die Bevölkerung lässt sich von der Rüstungslobby kaum überzeugen. Im Gegenteil: Eine große Mehrheit lehnt Waffenexporte rundweg ab. Das ergab z.B. eine repräsentative Emnid-Umfrage Anfang Oktober 2011. Auf die Frage „Sollte Deutschland Ihrer Meinung nach Waffen und andere Rüstungsgüter in andere Länder verkaufen oder nicht?“ antworteten 78 Prozent mit „nicht verkaufen“. Eine andere Frage lautete: „In den Kriegs- und Krisengebieten werden die meisten Menschen durch Pistolen, Gewehre und Maschinenpistolen getötet. Sollte Deutschland den Verkauf solcher Waffen ins Ausland grundsätzlich verbieten?“. 73 Prozent sprachen sich für ein Verbot aus.

* Die Autoren: Lühr Henken und Peter Strutynski sind beide Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und arbeiten im Gesprächskreis Frieden der RLS mit. L. Henken ist zudem im Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. P. Strutynski ist Lehrbeauftragter an der Uni Kassel und Mitglied der AG Friedensforschung (www.ag-friedensforschung.de)


Quelle: Dieser Text wurde - leicht gekürzt - in der Reihe "Standpunkte" der Rosa-Luxemburg-Stiftung gedruckt (05/2013) und auf dem Evangelischen Kirchentag 2013 in Hamburg verteilt. Das "Standpunkte"-Papier gibt es hier als PDF-Version




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