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Rüstungsexportkontrolle: Bilanz und Perspektiven. Schlechte Noten für die Bundesregierung

Eine öffentliche Anhörung der Bundestagsfraktion der PDS in Berlin

Am 6. Juni 2002 veranstaltete die Bundestagsfraktion der PDS im Rahmen des "Forums Zukunft durch Abrüstung" eine öffentliche Anhörung zum Thema "Rüstungsexportkontrolle: Bilanz und Perspektiven". Mit der Vorbereitung der Konferenz war das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) beauftragt worden. Dessen stellvertretender Direktor, Prof. Dr. Hans Joachim Gießmann, leitete die Konferenz.
In seinen einleitenden Sätzen äußerte sich der außenpolitische Sprecher der BT-Fraktion, Wolfgang Gehrcke, zuversichtlich, dass der Bundestagswahlkampf von außenpolitischen Themen geprägt sein würde. Auch wenn man sich darüber im Klaren sein müsse, dass man mit Außenpolitik keine Wahlen gewinnen könne (Gehrcke erwähnte als einzige Ausnahme bisher die Wahlen 1972, als es um die Ostverträge ging), müsse man eine solche Politisierung des Wahlkampfs doch auch als Chance begreifen. Über drei Problemkomplexe lohne es sich öffentlich zu diskutieren: Die drohende "Normalisierung" des Krieges im 21. Jahrhundert, das deutsch/europäische Verhältnis zu den USA und die Abrüstung.

Von letzterer ist die Welt weiter entfernt als noch vor wenigen Jahren. Das Bonner Institut für Konversionsforschung (BICC) hat Ende Mai in seinem Jahresbericht festgestellt, dass die Zeichen der Zeit wieder auf Aufrüstung stünden. Angetrieben von den gigantischen Rüstungsausgaben der USA sei in den nächsten Jahren ein neuer Rüstungswettlauf zu erwarten. Auch in Sachen Rüstungsexport, so meinte Hans-Joachim Gießmann in seinem Eingangsstatement, seien in der letzten Zeit keine Fortschritte erzielt worden. Die politischen Rahmenbedingungen seien auch so beschaffen, dass eine noch vor zweieinhalb Jahren versprochene restriktive Rüstungsexportpolitik heute große Chancen hätte. Zu diesen Rahmenbedingungen gehörten die Gewöhnung an Bundeswehrauslandseinsätze, der von den USA angeführte permanente "Krieg gegen den Terror" sowie der starke Druck, den die USA auf die NATO-Staaten ausübe, damit diese ihre Rüstungsanstrengungen erhöhen. Auch würden sich wohlmeinende Überlegungen und Konzepte, beispielsweise von Seiten der Weltbang und anderer internationaler Organisationen zur Bekämpfung der Armut in der Welt nur schwer oder gar nicht durchsetzen lassen. Hinzu kommt, dass dem Thema Rüstungsexporte heute kaum öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt würde. 1999, bei der ersten Anfrage der Türkei nach der Lieferung eines Testpanzers (Leopard-II), ging noch ein Sturm der Entrüstung durch Teile der Grünen und bis in die Reihen der SPD hinein.

Eine "vernichtende Bilanz" machte Andrea Kolling als Vertreterin der Bundeskoordination Entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) auf. Sie begutachtete in ihrem Referat die reale Entwicklung der deutschen Rüstungsexporte seit der Verabschiedung der Rüstungsexport-Richtlinien der Bundesregierung vom 19. Januar 2000 und verglich die beiden Rüstungsexportberichte 1999 und 2000 miteinander. Entgegen der versprochenen "restriktiven" Handhabung deutscher Waffenexporte
  1. seien die Export-Genehmigungen weiter angestiegen,
  2. seien Exporte in "problematische" Länder (z.B. Nepal, Usbekistan) nicht verhindert worden,
  3. hätten im Jahr 2000 92 Nicht-NATO-Länder deutsche Waffen erhalten (1999 waren es nur 67 Länder),
  4. und seien auch die Ablehnungen von Exportgesuchen kaum angestiegen; waren es 1999 85 Ablehnungen, so sind es 2000 117 Ablehnungen, allöerdings sei der Wertumfang dieser abgelehnten Exporte mit rund 10 Mio DM verschwindend gering.
Die Bundesregierung habe auch nicht den Versuch gemacht, die Gesetze, die den Rüstungsexport regelten (Außenwirtschaftsgesetz-AWG und Kriegswaffenkontrollgesetz-KWKG) zu verschärfen. Notwendig sei vor allem, dass die Geheimhaltungsvorschriften hinsichtlich privater Rüstungsunternehmen geändert werden müssten. Auch müsse der Bundessicherheitsrat einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden. Der kleine Fortschritt, dass auch das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) in dieses Geheimgremium aufgenommen wurde, müsste künftig dadurch komplettiert werden, dass das Gremium Entscheidungen für Exporte nur noch nach dem Konsensprinzip treffen dürfe, so wie das heute auch bei der Vergabe von Hermes-Bürgschaften der Fall ist.

Kritik übte Kolling auch an den Exportberichten. Dass es sie überhaupt gäbe, sei zwar ein Fortschritt, doch könne von wirklicher Transparenz immer noch keine Rede sein. Zu spärlich seien die Informationen in den Berichten (bisher liegen die für 1999 und 2000 vor) in folgender Hinsicht: Nirgendwo fänden sich Angaben über die Hersteller, nirgendwo Hinweise auf die Endverbraucher. Auch lassen die Berichte keinen Aufschluss auf den Endverbleib von Rüstungsgütern zu, enthielten keine Angaben über gewährte Hermes-Bürgschaften (ohne die manche Lieferungen gar nicht möglich wären) und würden in Bezug auf die sog. Dual-use-Güter (Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können) vollkommen passen.

Die Diskussion zu diesem Referat konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Frage des rechtlichen Rahmens für wirksame Kontrollen und Verbote von Rüstungsexporten. Zwei Meinungen standen sich hier diametral gegenüber: Einmal die Position, es gäbe so viele Schlupflöcher, dass Verstöße gegen AGW oder KWKG gar nicht zu verhindern oder festzustellen seien, zum anderen die Feststellung, dass die Gesetzeslage eigentlich eindeutig sei (z.B. Art. 6 KWKG), es möglicherweise aber am politischen Willen mangele, diese Vorschriften auch umzusetzen.

Einen anderen Maßstab legte Matthias John von amnesty international an die Rüstungsexportpolitik an. ai geht von zwei Grundsätzen aus: Exporte dürfen nicht stattfinden, wenn
  1. mit den exportierten Waffen Menschenrechte verletzt werden, und
  2. wenn die Empfängerstaaten damit Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen.
Die Richtlinien der Bundesregierung vom Januar 2000 seien demgegenüber viel "schwammiger" formuliert. Sie hätten vor allem auch nicht verhindert, dass nach wie vor Kelinwaffen wie das berüchtigte G3 oder die MP5 aus dem Hause Heckler & Koch in über 60 Länder der Welt geliefert werden. Genauso verhält es sich mit der dazu notwendigen Munition. John nannte eine Reihe von Ländern, in die kräftig geliefert werde, obwohl über deren problematischen Menschenrechtsstatus keine Zweifel bestünden: Türkei, Nepal, Nigeria oder Mexiko. Neu hinzu gekommen sei in den letzten Jahren der Export sog. Sicherheitsausrüstungen - im Zuge der "Privatisierung von Sicherheit" ein schwer durchschaubares Terrain. Dazu zählen beispielsweise Elektroschockwaffen, die sich sehr gut zur Folter eignen. Eigentlich ist schon die Herstellung solcher Mittel nicht erlaubt. Doch den Herstellern fehle - angeblich - häufig das Wissen darüber.

Was den Referenten irritierte, ist der Umstand, dass die Bundesregierung nur in ganz seltenen Fällen Menschenrechtskriterien für die Ablehnung von Rüstungsexporten angibt. 1999 waren es vier Fälle (von 61 Ablehnungen insgesamt), im Jahr 2000 waren es gerade einmal zwei Fälle (von 28 Ablehnungen). Dabei war die Verabschiedung der Rüstungsexoportrichtlinien gerade deshalb als Fortschritt gepriesen worden, weil die Menschenrechtssituation eines potenziellen Empfängerlandes als Kriterium für die Genehmigung oder Ablehnung von Waffenlieferungen neu aufgenommen wurde. In der anschließenden Diskussion wurde grundsätzlich die Frage gestellt, ob man aus einer exportkritischen Perspektive das Menschenrechtsargument vielleicht doch nicht so stark strapazieren solle. Schließlich könne sich die Menschenrechtslage eines Landes - etwa bei einem Regimewechsel - relativ rasch ändern, vorher genehmigte Exporte müssten aber trotzdem weiter geliefert werden. Bei anderen Ländern sei es aus bündnispolitischen Gründen schlicht Tabu, die Menschenrechtslage negativ zu beurteilen, obwohl es hinreichend Ansatzpunkte dafür gäbe (Beispiel: USA wegen der dort übrlichen Todesstrafe). Man sei daher auf der sicheren Seite, wenn man Rüstungsexporte möglichst generell beschränke.

Zu einem ähnlichen Ergebnis müsse man wohl kommen, wenn man die Rüstungsexportpolitik aus einer streng ethischen Perspektive beurteilt. Dies tat Klaus Ebeling (Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung-GKKE, Berlin) der als Maßstab für seine Kritik den Gesichtspunkt der "Entwicklung" bearbeitete. Seit vier Jahren bringt die GKKE jährliche Berichte zur Rüstungsexportpraxis der Bundesregierung heraus und bemängelt immer wieder, dass die Regierung zwar auf eine komplexe Einbeziehung vieler unterschiedlicher Gesichtspunkte und Akteure Wert legt, dass letzten Endes aber doch immer die falschen Entscheidungen getroffen werden. Auch wenn der neue Rüstungsexportbericht stolz darauf verweist, dass Entwicklungsländer bei der Exportvergabe nur eine untergeordnete Rolle spielten, so sei dies nur die halbe Wahrheit. Denn einmal gibt die Bundesregierung nicht preis, welche Länder sie unter die Entwicklungsländer zählt und welche nicht, zum anderen befinden sich unter den Empfängerländern zahlreiche ausgewiesene Entwicklungsländer, und drittens werden bein den Exporten in der Regel nur "Kriegswaffen", also Großwaffensysteme gezählt. Entwicklungsländer kommen aber häufig nur als Kunden für Kleinwaffen in Frage. Hinzu komme, dass das "Entwicklungs"-Kriterium, obwohl es in den Richtlinien von 2000 ausdrücklich genannt wird, in keinem einzigen Fall als Ablehnungsgrund für ein Waffenexportprojekt aufgeführt wird.

Götz Neuneck (IFSH), Otfried Nassauer (BITS-Berliner Informationszentrum Transatlantische Sicherheit) und Stefan Gose (Redaktion antimilitarismus information) widmeten sich den sehr komplexen und rüstungskontrollpolitisch nur sehr schwer beherrschbaren Themen der Proliferation rüstungsrelevanter Hochtechnologie sowie den gegenwärtigen Tendenzen der Rüstungskontrolle in den USA und den - teilweise gegenläufigen - Tendenzen zur Rüstungskooperation im Rahmen der Europäischen Union. Nassauer stellte die These auf, dass die USA mit ihrem Defense Trade Security Programme vor allem beabsichtigten, mehr Kontrolle über die Konkurrenz auf den internationalen Rüstungsmärkten zu erhalten. US-Rüstungskonzerne seien bemüht, ausgewählte europäische Rüstungsunternehmen vor allem dann zu übernehmen, wenn damit ihre strategische Position und ihr Einfluss auf die europäische Rüstungs- und Sicherheitspolitik erhöht würden. Die europäische Rüstungskooperation stelle - nach Stefan Gose - demgegenüber den Versuch dar, solche Einflüsse nach Möglichkeit abzuwehren. Sie ist eindeutig ein politisches Projekt, das sich wirtschaftlich nicht unbedingt rechne. Das Festhalten an nationalstaatlicher Rüstung mache sie aber noch wesentlich teurer. Schrumpfende Märkte und staatliche Sparzwänge würden künftig den Zwang zur Kooperation im europäischen Rahmen noch verstärken.

Sibylle Bauer, Doktorandin am Institut d'Etudes européennes der Freien Universität Brüssel, beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit den Versuchen der europäischen Staaten, ihre Rüstungsexportrichtlinien und -praxis zu "harmonisieren". Harmonisierung meint dabei ausschließlich eine Politik der freiwilligen Angleichung von Praktiken, die (noch) in nationaler Kompetenz sind. Dabei müssten verschiedene Ebenen beachtet werden. So habe etwa der bekannte "Code of Conduct" aus dem Jahr 1999 weitgehend empfehlenden Charakter. Verbindlicher werde er nur, wenn er in nationale Richtlinien übernommen würde (was die deutsche Bundesregierung mit ihren Exportrichtlinien im Januar 2000 auch tat). Auch der in den römischen Verträgen allein der Kompetenz der Nationalstaaten zugeschriebene Bereich der Rüstungsproduktion lässt ja durchaus zu, dass europäische Regelungen vereinbart werden. Auf diesem Gebiet sei Europa ohnehin schon so weit fortgeschritten, dass man heute nicht mehr von einer "schwedischen" oder "deutschen" Rüstungsindustrie sprechen könne. Die Kehrseite deieser Entwicklung läge darin, dasss sich solche transnationalen Firmen national nicht mehr kontrollieren ließen. Die EADS z.B. sei ein spanisches, französisches und deutsches Gemeinschaftsunternehmen, das zu allem Überfluss seinen Sitz in den Niederlanden habe.

"Harmonisierung" sei auch deshalb ein schwieriges Geschäft, weil von den beteiligten Akteuren jeder etwas anderes damit verbinde: Die Industrie möchte natürlich am liebsten alle Export behindernden Standards senken und Hürden beseitigen, für die NGOs können die Standards und Hürden dagegen gar nicht hoch genug sein und die Regierungen würden "irgendwo dazwischen" stehen. Immerhin hätten der Code of Conduct und die sich daran anschließende Praxis eine gewisse positive Eigendynamik entfaltet. Die in ihm enthaltenen operativen Bestimmungen hätten z.B. die Länder zu einem regelmäßigen Informationsaustausch gezwungen, die EU selbst müsse einen jährlichen Bericht herausgeben, der - auch wenn er sonst wenig brauchbare Daten liefert - immerhin Auskunft darüber gibt, was es an zwischenstaatlichen Verhandlungen gegeben hat. Auch sei ein gewisser Druck auf die Einzelstaaten ausgegangen, nationale Rüstungsexportberichte anzufertigen und zu veröffentlichen. Außer von Luxemburg und Griechenland liegen solche Berichte mittlerweile von allen EU-Staaten vor. Als positiv werde sich in der Zukunft auch die Harmonisierung der Berichtssysteme erweisen.

Fraglich bleibt, ob das von sechs europäischen Ländern (darunter auch die BRD) im Juni 2000 abgeschlossene (und 2001 in Kraft getretene) "Rahmenabkommen über Maßnahmen zur Erleichterung der Umstrukturierung und der Tätigkeit der europäischen Rüstungsindustrie" positiv zu beurteilen sei. Positiv könne z.B. die Einführung einer "weißen Liste" sein. Die Nennung von Ländern, in die Waffen geliefert werden dürfen, muss vor Beginn einer Rüstungskooperation verbindlich vereinbart werden. Eine rüstungspolitische zurückhaltende Regierung könnte somit einen gewissen Einfluss auf künftige Exportentscheidungen ausüben. Andererseits sei nicht zu verkennen, dass über europäische Gemeinschaftsprojekte restriktivere Handhabungen einzelner Staaten ausgehebelt werden könnten. Sibylle Bauer erklärte, dass die Bestimmung über die Weißen Listen bisher nur auf dem Papier stünden. Es sei bislang noch kein konkretes Projekt abgewickelt worden.

Die Forderung nach mehr Transparenz in der Rüstungsexportpolitik wurde in unterschiedlichen Variationen in fast allen Referaten der Tagung erhoben. In seinem Schlusswort hob Hans-J. Gießmann diesen Aspekt noch einmal besonders hervor, wobei er Transparenz in drei Richtungen verlangte: in Bezug auf die zu veröffentlichenden Daten, in Bezug auf das Offenlegen von politischen Entscheidungsprozessen und schließlich in Bezug auf die demokratische Kontrolle von Entscheidungen. Gießmann konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass ihm manches, was während der Anhörung vorgetragen wurde, bekannt vorkam. Damit sei aber nicht gesagt, dass sich das "Bekannte" bereits erledigt habe. Das Gegenteil sei richtig. Daher komme es heute darauf an, das Thema Rüstung, Rüstungsexport und Rüstungskonversion wieder in die öffentliche Diskussion zu tragen, auf die gesamtwirtschafltiche und soziale Notwendigkeit der Abrüstung hinzuweisen und deutlich zu machen, dass die Reduzierung von Rüstungsexporten in allererster Linie eine politische und weniger eine rechtliche Frage ist. Dem wäre von Seiten des Berichterstatters noch hinzuzufügen, dass auch die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen für ein Infragestellen von Rüstungsproduktion und -export zu bearbeiten wären. So war es durchaus bezeichnend, dass aus den Reihen der IG Metall, die noch vor Jahren ein beachtliches Konversionsprogramm auf den Weg gebracht und zahlreiche Arbeitsgruppen Alternative Produktion unterstützt hat, weder ein Referent noch ein sonstiger Teilnehmer anwesend war. Konversion und Abrüstung sind eben auch in den Gewerkschaften "out". Dies muss in der notwendigen Diskussion um eine Wiederbelebung rüstungskritischer Ansätze berücksichtigt werden, sollte aber keineswegs entmutigen.

Peter Strutynski



Die Presseresonanz auf die hochinformative Anhörung der PDS-Fraktion war sehr dürftig. Als einzige überregionale Zeitung brachte das Neue Deutschland einen längeren Artikel, den wir im Folgenden dokumentieren.

Berlin: Nein zu deutschen Waffen
Kritik an Bundesregierung und ihren Richtlinien für Rüstungsexporte bei Anhörung im Bundestag

Von Olaf Standke

Vieles wollte die rot-grüne Bundesregierung anders machen, auch bei der Rüstungsexportkontrolle. Doch die Bilanz ist mager, wie eine Anhörung der PDS-Bundestagsfraktion in Berlin zeigte.

Als vor zwei Jahren die neuen Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Kraft traten, war das bei allen Vorbehalten auch bei Nichtregierungsorganisationen durchaus mit Hoffnungen verbunden. Sie haben sich nicht erfüllt, wie Andrea Kolling von der Bundeskoordination Internationalismus bei der Anhörung im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages betonte. Fast schon ein bisschen wehmütig erinnerte sich Hans J. Gießmann vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) daran, dass die mögliche Lieferung deutscher Panzer an die Türkei 1999 noch für Schlagzeilen und politische Aufregung sorgten; heute schlügen selbst Waffenexporte an Israel und damit in einen der gefährlichsten Konflikträume kaum große Wellen. Heute arbeite man mit Staaten in der Anti-Terrorismus-Allianz zusammen, die noch vor kurzem auf »schwarzen Exportlisten« standen.

Der IFSH-Vizedirektor erinnerte daran, dass die Rüstungstransfers international seit zwei Jahren wieder deutlich ansteigen, und zu den fünf größten Exporteuren mit 81 Prozent Marktanteil gehört auch die Bundesrepublik. Daran, so Andrea Kolling, hätten die verschärften Export- richtlinien nichts geändert. »Nicht einmal das auch im Code of Conduct der EU festgehaltene Minimalziel, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, wurde erreicht.« Dafür steht nicht nur das Zielland Israel, erstmals seien zum Beispiel auch Genehmigungen für Nepal und Indien erteilt worden. Sank im Jahre 2000 das wertmäßige Volumen der Exporte – Andrea Kolling sprach von Jahresschwankungen –, stieg der Wert der genehmigten Waffengeschäften gegenüber 1999 um ein Drittel auf 9,3 Milliarden Mark, ebenso wie die Zahl der Empfängerländer auf 92. Zugleich versucht Berlin, »Bundeswehrschrott« möglichst Gewinn bringend zu veräußern. Abschlüsse aus den letzten Jahren vor allem im Bereich der Marinerüstung mit Südafrika, Malaysia und Südkorea werden ab 2004 wieder für erheblich steigende Ausfuhrzahlen sorgen. Und von größeren Restriktionen – ja ein Ziel der Richtlinien, wie der Grüne Andreas Körner betonte – sei auch wenig zu spüren. Die Zahl der sensitiven Länder, in die keine rüstungsrelevanten Güter geliefert werden dürfen, auch nicht solche aus dem dual-use-Bereich (zivile und militärische Nutzung möglich), wuchs nicht etwa, sie schrumpft immer weiter: von 32 Mitte der 90er Jahre auf heute sechs.

Die Richtlinien, so die Kritiker, sind nicht mehr als Absichtserklärungen, in Teilen offensichtlich schon so vage angelegt, dass sie im Bedarfsfall umgangen werden können. Der große Aufschrei der Waffenschmieden jedenfalls blieb aus, auch das für Nichtregierungsorganisationen ein Zeichen. Es fehlte eindeutig der politische Wille der Koalition, die entsprechenden Ausfuhrgesetze zu verschärfen. Auch der Hinweis auf die übermächtige Konkurrenz aus den USA, die inzwischen verstärkt deutsche Rüstungsfirmen aufzukaufen versucht, greife aus friedenspolitischer Sicht viel zu kurz, unterstrich Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum Transatlantische Sicherheit.

Noch immer steht bei Rüstungsexporten das Betriebsgeheimnis über dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Das Entscheidungsgremium Bundessicherheitsrat agiert ohne Konsensprinzip und ohne demokratische Kontrolle. Genehmigungen und Ablehnungen seien oft nicht nachvollziehbar, hieß es in der Anhörung. Bei vielen Details von Herstellernahmen über Stückzahlen und Finanzierungsmodalitäten bis zur Verbleibkontrolle von Kriegswaffen und Rüstungsgütern, aber auch bei Transfers von Lizenzen, Blaupausen und Produktionsunterlagen gebe es keine Transparenz. Überhaupt sei zu fragen, wieso das Wirtschaftsministerium bei Rüstungsexporten federführend ist, wo es doch hier um sensible außenpolitische Fragen gehe. Und da die europäische Rüstungskooperation einen höheren Stellenwert erhalten wird, würden auch Aus-künfte über den Verbleib kooperativ hergestellter Rüstungsgüter bzw. einzelner Komponenten zusehends wichtiger.

Unzufrieden war die Runde zudem mit der mangelnden Berücksichtigung des Entwicklungsaspektes und der Menschenrechtsfrage bei Berliner Entscheidungen. Auch hier seien die Richtlinien der Bundesregierung viel zu schwammig, erklärte Mathias John von Amnesty International. Was fehle, sei ein »kategorisches Verbot«, sei ein grundsätzliches Nein zu Exportanträgen, wenn nur der leiseste Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland besteht. Immer wieder habe man in der Vergangenheit trotzdem deutsche Waffen wie das berühmt-berüchtigte Schnellfeuergewehr G3 geliefert. Gerade bei so genannten Kleinwaffen, die angesichts der mit ihnen getöteten Menschen längst zu Massenvernichtungswaffen geworden sind, seien restriktive Beschränkungen ein Gebot der Stunde.

Aus: ND, 8. Juni 2002



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