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Konsequent weggeschaut

Bundesregierung legt Exporte durch Heckler&Koch nach Mexiko vorerst auf Eis. Andere Länder darf die schwäbische Rüstungsschmiede weiter beliefern

Von Ralf Wurzbacher *

Die Rüstungsschmiede Heckler&Koch (H&K) darf vorerst keine Waffen mehr in Mexiko absetzen. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke dargelegt hat, wurde die Bearbeitung von Anträgen auf Exportgenehmigungen in das krisengeschüttelte Land bis auf weiteres ausgesetzt. Die Regierung werde den Ausgang der laufenden Ermittlungen gegen das Unternehmen abwarten, um dann im Lichte der Ergebnisse zu prüfen, »ob und inwiefern die Genehmigungspraxis zu revidieren ist oder bereits erteilte Genehmigungen zurückzunehmen sind«, heißt es weiter. Deutschlands führender Produzent von Gewehren und Pistolen steht im Verdacht, Schußwaffen illegal in mexikanische Unruheprovinzen geliefert zu haben. Kurz vor Weihnachten ließ die Stuttgarter Staatsanwaltschaft den H&K-Firmensitz im schwäbischen Oberndorf durchsuchen, gegen mehrere hochrangige Mitarbeiter wird ermittelt.

Geschmierte Händler

Auf den Plan gerufen wurden die Strafverfolger durch eine Anzeige des Bundessprechers der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), Jürgen Gräßlin. Der beruft sich auf Insiderinformationen, wonach H&K unter Bruch des Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetzes Sturmgewehre des Typs G36 in die von einem Drogenkrieg geplagten mexikanischen Bundesstaaten Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero verkauft habe. Das Unternehmen behauptet, vertragsgemäß einzig die zentrale Waffeneinkaufsbehörde des Landes DCAM mit Kriegsgerät versorgt zu haben. Gräßlin verfügt indes über Dokumente, die eine langjährige Bestechungspraxis des Waffenherstellers gegenüber örtlichen Verantwortlichen belegen sollen.

Die Möglichkeit, daß die mutmaßlichen Machenschaften bei Heckler&Koch System haben könnten, zieht die Bundesregierung offenbar nicht in Betracht. Die Frage der Linksfraktion, ob sämtliche Bewilligungsanträge der Firma für Verkäufe auch in andere Länder auf Eis gelegt seien, verneint die Regierung in ihrer Antwort. Solange es keinen Zweifel am Endverbleib der zu liefernden Güter gebe, »können Genehmigungen erteilt werden«, heißt es. Für Jan van Aken, Vizefraktionschef der Linksfraktion im Bundestag und Initiator der Anfrage, macht das keinen Sinn: »Entweder die Firma gilt als zuverlässig, dann sollte auch ein Export nach Mexiko möglich sein. Oder sie gilt als unzuverlässig, dann müßten ihre kompletten Exporte gestoppt werden«, gab er am Mittwoch gegenüber junge Welt zu bedenken. Gleiches müsse umgekehrt für Mexiko gelten. aber die Bundesregierung sieht das anders: Trotz der prekären Sicherheitslage und des Verdachts der Bestechlichkeit der örtlichen Stellen dürfen andere deutsche Waffenproduzenten ihr Kriegsgerät weiter dorthin liefern.

Nach dem Muster »Augen zu und durch« verfährt die Regierung auch mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten. Das außerordentlich hohe Volumen deutscher Waffenexporte in eine der politisch instabilsten und hochgerüstetsten Regionen weltweit kommentiert sie in ihrer Antwort auf die Anfrage mit dem Hinweis, daß Exportanträge in entsprechende Staaten auch abgelehnt worden seien. Linkspolitiker van Aken nennt das einen »schlechten Witz«: Die abgewiesenen Anträge hätten im Jahr 2009 gerade einmal zwei Prozent des gesamten Exportvolumens in die Region ausgemacht. Genehmigten Ausfuhren im Volumen von über einer Milliarde Euro stünden Ablehnungen im Umfang von dürftigen 24 Millionen Euro gegenüber. Daß die Regierung in diesem Zusammenhang von »Zeichen einer sorgfältigen und differenzierenden Exportkontrollpolitik« spricht, hält van Aken ob der Zahlen für eine »Frechheit«.

Papier ist geduldig

Wie sehr für das Bundeskabinett in Rüstungsfragen der schöne Schein über das Sein geht, stellt es auch mit der von ihm hochgelobten »Neu-für-Alt-Regelung« unter Beweis. Diese sieht vor, daß Kleinwaffen nach Möglichkeit nur dann exportiert werden dürfen, sofern altes Kriegsgerät im selben Umfang aus dem belieferten Staat nach Deutschland zurückgeführt und vernichtet wird. Das Projekt malt die Regierung in ihrem Rüstungsexportbericht in leuchtenden Farben. Auf diesem Wege, so das erklärte Ziel, solle sich die Gesamtzahl der in Umlauf befindlichen Sturmgewehre und Maschinenpistolen nicht weiter erhöhen.

Der Haken an der Sache: Das verantwortliche Wirtschaftsministerium läßt gar nicht ermitteln, ob und in welchem Umfang das Prinzip zur Anwendung kommt. In ihrer Erwiderung auf die Parlamentsanfrage schreibt die Regierung unumwunden: »Eine statistische Erfassung dieser Fälle findet (...) nicht statt«. In der Praxis setzt Berlin demnach nicht etwa auf Kontrolle, sondern einzig auf den guten Willen der Beteiligten. Je nach Vertragsmodalitäten könne die Verifizierung durch schriftliche Zusagen der Regierung des Empfängerlandes erfolgen oder dem Exporteur obliegen. Auf Nachfrage könne die Regierung nicht sagen, »wer diese Waffen wo und wie vernichtet und ob überhaupt eine einzige Waffe nach diesem Prinzip vernichtet wurde«, beklagte van Aken. Die Begründung dafür erweckt den Eindruck von geradezu entwaffnender Naivität: »Die Bundesregierung trifft ihre Aussagen hinsichtlich Erfolg und Relevanz aufgrund einer bewertenden Analyse unabhängig von einer arithmetischen Überprüfung der Gesamtzahl der Fälle«, heißt es.

* Aus: junge Welt, 13. Januar 2011


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