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"Wir haben eine erfreulich gute Faktenlage"

Illegaler Waffenexport? Staatsanwaltschaft durchsuchte Rüstungsfirma Heckler & Koch. Ein Gespräch mit Jürgen Grässlin *


Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).

Sie hatten Strafanzeige gegen den Rüstungskonzern Heckler & Koch (H&K) in Oberndorf/Neckar gestellt, weil er im Verdacht steht, G36-Sturmgewehre verbotenerweise in die mexikanischen Unruheprovinzen Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero geliefert zu haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat daraufhin am Dienstag Räume der Firma durchsucht. Wie haben Sie davon erfahren?

Wir wurden auch erst durch Medienberichte darauf aufmerksam, daß die Staatsanwaltschaft mit 20 Beamten Geschäftsräume von H&K durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt hat. Meine Strafanzeige wegen Verdachts des Bruchs des Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetzes hatte der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer bereits im April 2010 eingebracht. Wir berufen uns dabei auf Informationen eines Insiders, der bei H&K gearbeitet hat und die Machenschaften des Unternehmens im Detail kennt.

Zudem liegen uns Fotodokumente und eine staatliche Urkunde vor, in der sich die Polizeibehörde von Jalisco – eine der vier Provinzen – bei H&K für die Vorführung des G36 bedankt. Da diese drei Tage dauerte, wurden Polizisten nicht nur in der Theorie, sondern auch in praktischer Anwendung des Sturmgewehrs geschult. Es gab also Schießübungen. Diese Urkunde datiert vom Spätherbst 2008, zu diesem Zeipunkt waren derartige Waffeneinweisungen definitiv untersagt.

Wie ist derzeit die politische Situation in diesen Provinzen?

In Mexiko wütet ein Drogenkrieg mit Zehntausenden Toten. Polizisten spielen dabei nicht selten eine unrühmliche Rolle, viele von ihnen sind selbst in Rauschgift- und Waffengeschäfte verwickelt. Dieses Land hätte in den vergangenen Jahren niemals Waffen – weder aus Deutschland noch aus anderen Staaten! – erhalten dürfen. Gerade in Chiapas setzen mexikanische Sicherheitskräfte seit Jahren das G3-Gewehr gegen Oppositionelle ein, beispielsweise gegen friedlich demonstrierende Bauern. Da die Polizei in Chiapas jetzt auch noch über das wesentlich treffgenauere G36-Sturmgewehr verfügt – eine der präzisesten Tötungsmaschinen der Welt – ist eine weitere Eskalation zu befürchten.

Mit welchen Argumenten bestreitet die Geschäftsführung, gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) verstoßen zu haben?

H&K gibt vor, man habe die G36-Gewehre lediglich an die staatliche Beschaffungsbehörde, die D.C.A.M in Mexiko-Stadt, geliefert – was für sich genommen tatsächlich legal war. Genehmigungen des Bundessicherheitsrates und des Bundesausfuhramtes lagen vor. Unser Informant berichtet allerdings detailliert von der Bestechung des damals bei der D.C.A.M zuständigen Generals Aguilar, der pro Gewehr 20 US-Dollar erhalten haben soll. Aguilar soll dafür verantwortlich sein, daß offensichtlich Hunderte – wenn nicht mehr – der insgesamt über 8000 aus Oberndorf exportierten Sturmgewehre in die Unruheprovinzen weitergeliefert worden sind. Das ist illegal aufgrund der dortigen Menschenrechtslage. Seitens H&K war daran das vor Ort zuständige Büro von LAMAR beteiligt.

Sie konstatieren, die Indizienlage sei erdrückend.

Wir haben eine erfreulich gute Faktenlage und wissen genau, wie H&K in den vergangenen Jahren in Mexiko agiert hat: Unser Informant hat seine Aussagen sogar schriftlich dargelegt.

Wie lautet der Vorwurf konkret?

H&K-Manager und -mitarbeiter sollen direkt bzw. indirekt in den Exportskandal involviert sein und – laut Anwalt Rothbauer – das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz verletzt haben. Man muß sich vor Augen halten, daß der Bundessicherheitsrat und das Bundesausfuhramt sowohl bei der Lieferung der Gewehre als auch der Folgelieferung von Ersatzteilen getäuscht worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft müßte mit ihrer Hausdurchsuchung nunmehr über die Reise- und Hotelabrechnungen der vier beteiligten H&K-Mitarbeiter aus den Unruheprovinzen verfügen. Einem Strafverfahren gegen die Verantwortlichen bei H&K steht nichts mehr im Wege. Der dazu notwendige Anfangsverdacht ist zweifelsohne gegeben.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2010


Gewehre für Krieg in Mexiko?

Jürgen Grässlin über einen delikaten Waffen-Deal von Heckler & Koch **

Diese Woche fand eine Hausdurchsuchung bei dem Gewehrhersteller Heckler & Koch (H&K) statt. Warum hat sich die Staatsanwaltschaft dort umgeguckt?

Über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer habe ich im April 2010 Strafanzeige gegen die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch gestellt. Wir verdächtigen das Unternehmen, Sturmgewehre des Typs G36 nach Mexiko geliefert zu haben – und zwar nicht nur, wie H&K vorgibt, erlaubterweise nach Mexiko-Stadt, sondern auch illegalerweise in vier Unruheprovinzen.

Was macht die Lieferungen in die Provinzen Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco so brisant?

Dort toben brutale kriegerische Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Drogenkartellen und der mexikanischen Polizei, die bis heute viele Todesopfer gefunden haben. Besonders brisant ist dieser Rüstungsexport deshalb, weil Heckler & Koch beim Bundessicherheitsrat und beim Bundesausfuhramt die Erlaubnis des Exportes beantragt hat. Für 28 der 32 mexikanischen Bundesstaaten wurde diese Ausfuhrgenehmigung erteilt, aber eben nicht für die Unruheprovinzen. Offenbar wurde der Bundessicherheitsrat – und damit Kanzlerin Merkel – über die tatsächlichen Empfängerstaaten getäuscht.

Wann wurden die G36 geliefert?

Die ersten Gewehrexporte nach Mexiko erfolgten im Jahr 2005, der Großteil 2007 mit mehr als 6600 Sturmgewehren. Insgesamt dürfte sich das Waffengeschäft auf mehr als 8700 Gewehre belaufen haben. Diese wurden zunächst nach Mexiko-Stadt an die staatliche Waffeneinkaufsbehörde D.C.A.M. geliefert. Anschließend erfolgte offenbar der Weitertransport in die Unruheprovinzen. Nach unseren Informationen sollen wohl zwei H&K-Geschäftsführer sowie weitere Mitglieder der Rüstungsexportabteilung von diesem Deal gewusst haben.

Auf welche Quellen stützen sich Ihre Beschuldigungen?

Unser Informant ist ehemaliger Mitarbeiter von H&K. Er hat seine Vorwürfe schriftlich dargelegt und präzise ausformuliert. Außerdem verfügen wir über umfassendes Fotomaterial über die Vorführung und Ausbildung an G36-Sturmgewehren. Brisant ist die G36-Waffenpräsentation und -schulung für Polizisten in Jalisco im November 2008. Denn Polizeischulungen und auch Exporte dorthin waren allenfalls bis zum Frühjahr 2006 rechtlich genehmigt.

Sie verdächtigen H&K, gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Was besagen diese?

Sie regeln bis ins Detail, wann der Transport und die Verbringung von Waffen bzw. Rüstungsgütern erfolgen darf bzw. versagt wird. Exportiert werden darf eine Waffe nur, wenn eine Erlaubnis des Bundesausfuhramtes oder des Bundessicherheitsrates vorliegt. Und die lag im Falle der G36- Lieferungen nur für bestimmte Provinzen Mexikos vor, nicht aber für die besagten vier Unruheprovinzen. Das ist für sich schon absurd, denn die Menschenrechtslage in Mexiko ist insgesamt katastrophal. Die Bundesregierung müsste das gesamte Land mit einem Waffenexportverbot belegen.

Mexiko ist nicht nur für guten Tequila, sondern auch für seine korrupte Polizei bekannt. Wurden bei dem Waffen-Deal mexikanische Beamte geschmiert?

Laut Aussage unseres Informanten erhielt der damals für die D.C.A.M. tätige General Aguilar pro Waffe, die in die Unruheprovinzen gelangte, 25 US-Dollar Bestechungsgeld. Er hat sich offenbar persönlich an diesem Deal bereichert.

Fragen Christian Klemm

** Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2010


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