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Reden statt Rüsten

Die UN-Abrüstungskommission beginnt ihre Jahrestagung

Von Wolfgang Kötter *

Ab heute (29.3.) tagt in New York die Abrüstungskommission der Vereinten Nationen. Unter Leitung von Jean-Francis Zinsou aus Benin werden die 192 UN-Mitgliedstaaten drei Wochen lang Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle erörtern. Das ist nicht selbstverständlich, denn wie die meisten multilateralen Abrüstungsbemühungen lag auch die Kommission eine Dekade lang im diplomatischen Koma und es gab Jahre, in denen nicht einmal ein Arbeitsprogramm zustande kam oder die Veranstaltung sogar ersatzlos ausfiel.

Dennoch kann die Kommission im Netzwerk multilateraler Institutionen eine nützliche Rolle spielen. Als Brücke zwischen der Vollversammlung, die jährlich etwa 50 Empfehlungen zur Abrüstung verabschiedet, und der für die Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge zuständigen Genfer Abrüstungskonferenz, soll sie helfen, den politischen Boden für spätere Verhandlungen zu bereiten. Positionen werden ausgetauscht, Streitpunkte einander angenähert und danach gesucht, wie man gemeinsam weiter vorgehen kann. Immerhin bewegte sich auf der letzten UN-Vollversammlung im vergangenen Jahr erstmals wieder etwas im Abrüstungsdiskurs. Obwohl weiterhin erhebliche Differenzen bleiben, gibt es doch zu einer Reihe von konkreten Fragen mehr Übereinstimmung als bisher. Vor allem die Obama-Regierung der USA korrigierte die pauschale Verweigerungshaltung der Vorgängeradministration zu solchen Themen wie atomare Abrüstung, ein Waffenhandelsvertrag, Nuklearer Teststoppvertrag und Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum.

Drei Themenkomplexe stehen diesmal auf der Tagesordnung: Paolo Cuculi aus Italien leitet die erste Arbeitsgruppe, die nach gangbaren Wegen zur atomaren Abrüstung und nuklearen Nichtverbreitung suchen soll. Hierbei geht es um nicht weniger als das Überleben der Menschheit, denn die Situation ist äußerst bedrohlich. Zwar wollen Russland und die USA nach eigenen Angaben in Kürze einen Nachfolgevertrag zum START-Abkommen über eine weitere Verringerung ihrer strategischen Atomwaffen unterzeichnen, doch dann müssen noch die Parlamente beider Staaten zustimmen. Der UN-Sicherheitsrat hat eine atomwaffenfreie Welt einmütig als Ziel deklariert und zur nuklearen Abrüstung aufgerufen, aber die Nuklearmächte haben dafür bisher wenig Praktisches geleistet. Schon bis zur entscheidenden Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages im Mai müssen konkrete Ergebnisse her, andernfalls droht die nukleare Nichtverbreitung gänzlich zu scheitern.

Ein weiterer Themenbereich umfasst vertrauensbildende Maßnahmen bei den konventionellen Waffen, die in Kriegen und Konflikten jedes Jahr Hunderttausende Menschenleben fordern. Zu möglichen Aktionen, die Misstrauen abbauen könnten, gehören z.B. Transparenz und Informationsaustausch in Rüstungsfragen und bei Truppenbewegungen, gegenseitige Manöverbeobachtungen, die Schaffung militärisch verdünnter und Disengagement-Zonen in Grenznähe sowie Konsultationsmechanismen und Prozeduren zur Streitschlichtung.

Dieser Problematik wollen sich die Delegationen zuwenden, nachdem die Arbeitsgruppe unter Johan Paschalis aus Südafrika ihre bereits im vergangenen Jahr begonnene Aufgabe erfüllt hat. Sie soll Elemente für eine Deklaration des begonnen Jahrzehnts zur UN-Abrüstungsdekade erarbeiten. Abrüstung gehört laut Charta zu den zentralen Anliegen der Weltorganisation. Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Vollversammlung werden ausdrücklich beauftragt, sich für "Abrüstung und Rüstungsregulierung" einzusetzen. Als die UNO im Jahre 1945 das Licht der Welt erblickte, war sie sofort mit den verheerendsten Destruktivkräften in der Menschheitsgeschichte, den Nuklearwaffen, konfrontiert. Auf ihrer ersten Vollversammlung, noch unter dem Schatten der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, unterstrich sie deshalb die zentrale Rolle der Abrüstung für Frieden und Sicherheit. Kernwaffen und alle übrigen Massenvernichtungswaffen sollten aus den nationalen Arsenalen verbannt werden.

Überall auf dem UN-Gelände zwischen 42. und 48. Straße an der First Avenue in Midtown Manhattan trifft man auf Abrüstungssymbole: Im Park schmiedet eine überlebensgroße Statur "Schwerter zu Pflugscharen", auf dem Vorplatz zwischen Vollversammlungshalle und Dag-Hammarskjöld-Bibliothek kündet ein verknoteter Pistolenlauf vom Engagement gegen Waffengewalt, in Sichtweite mahnt das Läuten der japanische Friedensglocke an jedem 21. September zum Weltfriedenstag ein gewaltfreies Zusammenleben der Völker an, und vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrates beklagt Pablo Picassos "Guernica" die Leiden des Bombenkrieges.

In der Realität aber konnte die UNO nur begrenzt zur Abrüstung beitragen. Doch obwohl sie während des Kalten Krieges oftmals lediglich als Arena für einen propagandistischen Schlagabtausch zwischen Ost und West diente, konnten doch auch einige wichtige multilaterale Verträge vereinbart werden. Sie verbieten Massenvernichtungswaffen im Weltraum, auf Himmelskörpern und unter Wasser. Die Verbreitung von Atomwaffen und ihre Erprobung wurden untersagt, chemische und biologische Waffen völlig geächtet. Für die Anwendung der grausamsten konventionellen Waffen wie beispielsweise Brand- und Laserwaffen sowie Splitterbomben und Sprengkörper gibt es zumindest Einsatzbeschränkungen.

Nun geht es darum, die Rolle der Weltorganisation bei der Abrüstung zu stärken und dem verlorenen Jahrzehnt eine Periode wirksamer Abrüstungsmaßnahmen folgen zu lassen. Als Ergebnis streben die Delegierten für alle drei Themenkreise allgemeine Handlungsempfehlungen an. Wenngleich diese nicht rechtsverbindlich sind, könnten sie zumindest als politisches Signal und kleinster gemeinsamer Nenner der Staatengemeinschaft angesehen werden, denn Beschlüsse werden nur im Konsens gefasst. Ob die Kommission diesmal erfolgreicher als zuletzt sein wird, werden die kommenden Wochen erweisen.

Abstimmungsverhalten zu ausgewählten Abrüstungsresolutionen auf der 64. UN-Vollversammlung

Gegenstand Gesamt
Ja:Nein:Enthalten
USA Russl. Dtschl. Brasilien IndienNigeria
Nukleare
Abrüstung
171:2:8 J J J J N -
Sicherheitsgarantien
für Nichtkernwaffenstaaten
119:0:58 E E E J J J
Nuklearer
Teststoppvertrag
175:1:3 J J J J N J
Produktionsstopp
nukleares
Spaltmaterial
Konsens
Verbot
Biowaffen
Konsens
Verbot
Chemiewaffen
Konsens
Weltvertrag
zum Waffenhandel
151:1:20 J E J J E J
Verbot
illegaler Handel
mit Kleinwaffen
180:0:0 J J J J J J
Verbot
Anti-Personenminen
158:0:18 E E J J E J
Verhinderung
Wettrüsten
im Weltraum
176:0:2 E J J J J J
Verbot
Streumunition
Konsens



Von der UN-Abrüstungskommission vereinbarte Empfehlungen

  • Elemente eines umfassenden Abrüstungsprogramms (1979);
  • Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Abrüstung und Entwicklung (1980);
  • Proklamierung der 80er Jahre zur Zweiten UN-Abrüstungsdekade (1980);
  • Richtlinien für vertrauensbildende Maßnahmen (1988);
  • Grundsätze der Verifikation (1988);
  • Prinzipien für die Reduzierung der Militärbudgets (1989);
  • Erklärung der 90er Jahre zur Dritten UN-Abrüstungsdekade (1990);
  • Analyse der Nuklearkapazität Südafrikas (1990);
  • Erhöhung der UN-Rolle auf dem Abrüstungsgebiet (1990);
  • Empfehlungen zur globalen konventionellen Abrüstung (1990 u. 1999);
  • Richtlinien für objektive Information über militärische Angelegenheiten (1992);
  • Empfehlungen für die regionale Abrüstung (1993) und
  • für den internationalen Waffenhandel (1996);
  • Anregungen zur Bildung weiterer kernwaffenfreier Zonen (1999).


* Eine Kurzfassung dieses Beitrags erschien unter dem Titel "Aufbruchstimmung in New York" am 29. März 2010 im "Neuen Deutschland"


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