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Platz nehmen auf der Feldherrenbühne

Lobbyarbeit nach Libyeneinsatz: Auf dem Kongress für Europäische Sicherheit wurde Zukunft gedacht

Von René Heilig *

»Grüß Gott Herr General! Wie schön sie hier zu treffen, Herr Kamerad.« Nicht nur im Toilettenfoyer hatte man den Eindruck, auf einem Klassentreffen einer ehemaligen Fähnrichschule zu sein. Doch zu spüren war auch, dass die Kontinuität militärischer, politischer und wirtschaftlicher Lobbyarbeit gesichert ist. Viel Nachwuchsmilitär war auf dem zweitägigen Kongress für Europäische Sicherheit und Verteidigung zu sehen. Man traf man den einen oder anderen aus Regierung und Parteien. Dominant jedoch waren die Herren in gut sitzenden Anzügen mit kleinen Firmenabzeichen am Revers. Die Industrie ließ sich - nicht umsonst - den vom »Behördenspiegel« organisierten Kongress etwas kosten. Doch das war keineswegs umsonst.

Geld? Ja gewiss, davon kann man nie genug haben, bestätigte der Stargast des ersten Abends, Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière. Der »limitierende Faktor« der aktuellen Bundeswehrreform sei aber die Bevölkerungsentwicklung. Früher, zu Wehrdienst-Hochzeiten, hatte man über 600 000 junge Frauen und ebenso viele junge Männer pro Jahr zur Auswahl. Heute dagegen streben gerade noch 310 000 Männer und ebenso viele junge Frauen ins Berufsleben. Um den Bedarf der zu reformierenden deutschen Streitmacht zu decken, sucht die pro Jahr rund 30 000 junge Leute, die Uniform anziehen.

Der Wettbewerb um den Nachwuchs ist hart. Viele Arbeitgeber locken mit lukrativen Angeboten. Die Bundeswehr bemüht sich, attraktiv zu sein. Die Bezahlung stimme und das Berufsethos der Soldaten auch. Sagt der Minister. 6 : 1 betrage das Verhältnis zwischen Offiziersbewerbern und Bedarf. Jeder Handwerksmeister kann davon nur träumen. So wie von der maximal 20-prozentigen Abbrecherquote bei den Freiwillig-Längerdienenden, die zum Gutteil Abitur haben. »Warmduscher«, die von Mutti zum Militär geschickt werden, um zu lernen, wie man ein Zimmer aufräumt, könne keine Einsatzarmee brauchen.

Weniger Soldaten sollen noch mehr Einsätze stemmen? Das zu erreichen, habe ein wenig gemein mit »Harry Potter und dessen Zauberstab«, sagte Magier de Maizière und will dennoch 10 000 top-ausgebildete und einsatzbereite Frauen und Männer jederzeit für jedwede Einsätze bereit halten. Sie sollen in der Lage sein, Missionen - das Wort Krieg fiel nicht ein einziges Mal - über Jahre durchzuhalten. Der Herr des Berliner Bendlerblocks ist zudem guter Dinge, den Investitionsanteil im Verteidigungsetat erhöhen zu können.

Derzeit liegt der bei jährlich zehn Milliarden Euro. Der Minister möchte bestehende Rüstungsprojekte neu ordnen. Zu vieles, was das Militär für seine globale Auftragserfüllung nicht braucht, ist bestellt. Anderes fehle. Zieht die Industrie - der eigentliche Ausrichter des Sicherheitskongresses - mit? Oder pocht sie auf das Vertragsrecht? Der Minister gibt den Gelassenen: Einigt man sich auf entsprechende Änderungen, »kann es nur besser werden für beide Seiten«. Und wenn nicht? »Dann bleibt alles beim Alten.«

Nichts bleibt beim Alten! Die Welt verändert sich, neue Krisenherde brechen auf, Interessensphären werden verschoben. Entsprechend flexibel müssten die Bundeswehr aufgestellt und die Fähigkeiten von NATO und EU in neuer Weise gebündelt werden. So bemühe man sich um Effektivitätsgewinn durch »Pooling« und »Sharing«, das heißt, um die Zusammenlegung von Kapazitäten und Spezialisierung. Wobei dem Minister zehn echte große Projekte lieber sind als hundert kleine, die nur den Schein erwecken, man sei auf dem Wege zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Mehrmals auf dem Kongress gefordert, doch angesichts widerstrebender Interessen schwer zu schreiben: ein »EU-Weißbuch zur Sicherheitspolitik«. Darin müsse Kooperation groß geschrieben werden. Siehe Afghanistan. Noch vor Weihnachten werde das Kabinett dem Parlament eine Art Rückzugsmandat vorlegen. Gemeinsam rein - gemeinsam raus!

Wenn das so einfach wäre. Nicht nur, dass die Bundeswehr auf die US-Truppen angewiesen ist. Sie muss in ihrem Verantwortungsbereich 17 Nationen koordinieren. Wer will der Letzte sein, wenn Fersengeld gegeben wird?

Über Libyen sprach de Maizière nicht. Wohl aber analysierten andere den mit UN-Mandatsbetrug herbeigebombten Regimewechsel. Nachdem sie sich alle von den Plätzen erhoben, der Beethoven-Europa-Hymne gelauscht und blauen Bildschirm-Sternenflaggen zugeschaut hatten, diskutierten die Kongressteilnehmer den Libyen-Einsatz als »Stresstest für die EU«. Die Gemeinschaft sei nichts ohne die NATO. Es fehle nicht nur an Flugzeugen, Hubschraubern, Schiffen, Raketen, Aufklärungstechnik, sondern auch am gemeinsamen politischen Willen, um als EU mehr »Verantwortung« in der Welt zu übernehmen.

Es gab auch mäßigende Stimmen. Beispielsweise aus Moskau. Nachdem der als Alibimann eingeladene Vertreter des dortigen Außenministeriums, Iwan Soltanowski, den EU-Strategen im Umgang mit Russland eine gewisse Selbstgerechtigkeit bescheinigt hatte, wurde er vom Tagungsleiter, einem Ex-Brigadegeneral namens Reimar Scherz, belehrt, beim nächsten Kongress doch bitte das Positive in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich sei der Kalte Krieg seit 20 Jahren vorbei. Sch(m)erz lass nach ...!

Ohne Zweifel Erhellendes boten Arbeitskreise. Beispielsweise zum Rüstungsexport. Mehrmals forderte man da eine »notwendige Anpassung« der »zu restriktiven deutschen Exportrichtlinien«. Das aktuelle 30-seitige Geheimpapier der Bundesregierung zur Erleichterung des Todesexports wurde in den Wandelgängen als zu zaghaft beschrieben. Man müsse den Weg frei machen zu Märkten der neuen »Gestaltungmächte« - Südafrika, Indien, Brasilien. Und Saudi-Arabien? Künftig könne es einfach keine falschen Partner mehr geben beim Waffenhandel. Nicht einmal vor der Belieferung nichtstaatlicher Akteure wollten Lobbyisten halt machen. Offen erklärten sie, es gehe nicht - wie viele glauben - um Riesenprofite. Ziel ist die Durchsetzung politischer Interessen.

Wer erwartet hatte, dass der Kongress angesichts der Eurokrise Signale zur Rüstungsbescheidenheit aussenden würde, wurde enttäuscht. Griechenland fand nur auf der Speisekarte statt. Nach zartem Roastbeef wurde Fetakäse mit Oliven offeriert.

* Aus: neues deutschland, 10. November 2011


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