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EADS flügellahm

US-Milliardenauftrag geht an Konkurrenz. Private Großaktionäre wollen sich absetzen, doch Machtbalance zwischen Paris und Berlin soll bleiben

Von Klaus Fischer *

Wieder mal zweiter Sieger: Der Rüstungskonzern EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) hat beim jahrelangen Gezerre um einen Milliardenauftrag der US-Luftwaffe nun doch verloren. Erwartungsgemäß könnte man sagen, auch wenn die meisten Berichterstatter so tun, als sei das Ganze eine Art ehrlicher Wettstreit gewesen. Es ging um die Lieferung von 179 Tankflugzeugen, und gewonnen hat Erzkonkurrent Boeing. Und auch beim Bieterwettstreit um einen Großauftrag (Volumen ca. zwölf Milliarden Dollar) der indischen Luftwaffe bleibt EADS wohl im Feld der Abgehängten. Dort sieht es derzeit so aus, als würde der Zuschlag an Lockheed Martin, Boeing (beide USA) oder den russischen Hersteller MiG gehen.

In den Konzernzentralen von EADS dürfte sich jetzt die Querelen verschärfen. Eigentlich hatte man den Kontrakt einmal fast in der Tasche. Aber als 2008 das Pentagon den Europäern den Zuschlag für das rund 30 Milliarden Dollar schwere Großprojekt erteilt hatte, intervenierte Boeing beim US-Rechnungshof, und der Deal wurde wieder gekippt. Ebenso wie bereits im Jahr 2003, als Boeing schon gewonnen hatte. Doch dem Konzern wurde nachgewiesen, daß eine mit der Ausschreibung befaßte Pentagon-Mitarbeiterin entscheidende Informationen nach Seattle geliefert hatte.

EADS reagierte auf die jüngste Entscheidung mit »Enttäuschung und Besorgnis«. Ob der Konzern Einspruch einlegen wird, ließ man in Amsterdam (Konzernzentrale formal) und Toulouse (Konzernzentrale faktisch) offen. Denn Boeing habe sich nach eingehender Prüfung der Angebote als »klarer Gewinner« erwiesen, hatte US-Vizeverteidigungsminister William Lynn in Washington verbreitet.

Boeing hatte stets hervorgehoben, daß es im Gegensatz zum europäischen Konkurrenten ein »rein amerikanisches« Flugzeug liefern könne, das 50000 Arbeitsplätze in mehr als 40 US-Bundesstaaten schaffe. Fakt jedoch ist, daß auch EADS große Teile der Produktion dieser fliegenden Tanker hatte in die USA verlagern wollen. 48000 Jobs wollte man dort schaffen, und die Maschinen sollten im US-Bundesstaat Alabama gebaut werden. Vermutlich waren die Boeing-Lobbyisten letztlich überzeugender.

Den ohnehin nur noch widerwillig an EADS festhaltenden Großaktionär Daimler dürfte die jüngste US-Entscheidung noch stärker motivieren, auszusteigen. Der Autobauer, einst als weltweit aufgestellter »integrierter Technologiekonzern« in die Luftfahrtbranche eingestiegen (DASA), will raus aus dem Geschäft. Neben der bei einem Rüstungskonzern engen Verquickung mit politischen Entscheidungen nervt Daimler wohl vor allem die Tatsache, daß man aus den in EADS gebundenen Milliardensummen nicht ausreichend Profit schlagen kann.

Bereits 2007 hatten die Stuttgarter von ihren ursprünglich 22,5 Prozent Anteilen an EADS 7,5 Prozent abgegeben. In einer hektischen »Rettungsaktion« überredete die Bundesregierung ein Bankenkonsortium, diese Aktien vorübergehend zu übernehmen und zu parken. Daimler sollte dennoch weiter die Stimmrechte ausüben, weil ansonsten Verwerfungen im deutsch-französischen Verhältnis zu befürchten waren – und sind.

Denn EADS ist ein politisches Konstrukt, dessen Machtverhältnisse sorgsam ausbalanciert sind. Neben Daimler (für die BRD) halten der Oligarch Arnauld Lagardère und die Holding Sogepa ebenfalls 22,5 Prozent der Anteile für Frankreich. Minderheitspartner ist die spanische Staatsholding SEPI (5,5 Prozent).

In den zurückliegenden Wochen hatte Daimler den Druck erhöht und einen hektischen Aktionismus in der Bundesregierung ausgelöst. Angeblich haben die Stuttgarter der Bundesregierung angeboten, den Anteil zu marktüblichen Konditionen zu kaufen. Dafür gibt es bei der privatisierungsgläubigen FDP wenig Unterstützung, und der »Regierungskoordinator für Luft- und Raumfahrer«, Expfarrer Peter Hinze (»Rote-Socken-Hinze«), scheint mit der Sache überfordert. Am Mittwoch beorderte Angela Merkel dann die mit dem Problem befaßten Minister zu sich ins Kanzleramt. Heraus kam die Bekundung, man wolle bei EADS die genau austarierte Balance zwischen Deutschland und Frankreich erhalten. Wie das genau gehen soll, wurde nicht verkündet, statt dessen wurden offenbar allerhand Gerüchte lanciert.

So hieß es aus der Konzernspitze von EADS, die Aktien von Daimler – und auch die von Lagardère, der ebenfalls mit der »Rendite« unzufrieden scheint – sollten an private Investoren gehen, oder vom Konzern selbst gekauft wurden. Geprüft werde, wie bereits 2007, ob die Staaten eine »goldene Aktie« erhalten könnten, mit denen Vetorechte verbunden seien, hieß es aus Unternehmenskreisen. Der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) soll dies schon als denkbare Möglichkeit bezeichnet haben.

Doch es dürfte nicht leicht sein, westeuropäische »Privatinvestoren« zu finden, die etwa drei Milliarden Euro hinblättern, um Daimler beim Rüstungskonzern auszulösen. Daß irgendein Scheich aus Nahost für das Paket infrage kommt, scheint vor allem bei der gegenwärtigen geostrategischen Entwicklung unwahrscheinlich. Zu unsicher ist, ob die Potentaten auch noch im kommenden Jahr auf ihrem Thron sitzen. Russen bzw. Chinesen dürften ganz ausgeschlossen bleiben, auch wenn Interessenten da wären. Dafür gibt es beim Militärteil von EADS zu viel Geheimniskrämerei.

Nicht zuletzt geht es bei der Zukunft des Unternehmens um hochqualifizierte und gutbezahlte Arbeitsplätze. Der Konzern beschäftigt bei einem geschätzten Jahresumsatz von 44 Milliarden Euro (2010) weltweit rund 120000 Menschen – vor allem in Deutschland, Spanien und Frankreich.

* Aus: junge Welt, 26. Februar 2011

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