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Parlamentsbeteiligung bei Rüstungsexporten strittig

Bundestags-Ausschuss für Wirtschaft und Technologie führte eine Anhörung durch (Bericht und livestream)

Forderungen nach mehr Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen sind bei Juristen auf völlig unterschiedliche Reaktionen gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie unter Vorsitz von Ernst Hinsken (CDU/CSU) am Montag, 5. November 2012, lehnte Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang (Universität Münster) in seiner Stellungnahme die von der Opposition geforderten Unterrichtungen des Bundestages über bevorstehende Genehmigungsentscheidungen ab: "Die geforderten Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages würden in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung eindringen. Es läge ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung vor."

"Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung"

Laut Wolffgang würde auch die Abschaffung der Geheimhaltung von Entscheidungen über Rüstungsexporte und die Bekanntgabe erteilter Genehmigungen mit Begründung "in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung eindringen und damit gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoßen".

Ganz anders argumentierte Dr. Sebastian Roßner von der Universität Düsseldorf, der die Herstellung von Transparenz im Bereich der Rüstungsexporte als dringend notwendig bezeichnete: "Insbesondere muss die seit Jahrzehnten andauernde Unwissenheit des Bundestages in diesen Fragen beendet werden. Die Rüstungsexportpolitik braucht aus Gründen der Demokratie das Licht und die frische Luft einer politischen, möglichst breit zu führenden Diskussion." Es gebe auch keine Geheimhaltungsbedürftigkeit von Regierungshandeln gegenüber dem Bundestag, argumentierte Roßner.

Hier können Sie die Anhörung im livestream verfolgen (Dauer 2 Stunden)



Anträge von SPD und Grünen

Grundlage der Anhörung waren zwei Anträge der Opposition. So fordert die SPD-Fraktion (17/9188)[externer Link], die Bundesregierung solle sich künftig streng an die eigenen Rüstungsexportrichtlinien, das Außenwirtschaftsgesetz, die Außenwirtschaftsverordnung und das Kriegswaffenkontrollgesetz halten und dementsprechend eine restriktive Genehmigungspraxis anwenden. Außerdem fordert die SPD-Fraktion die Bundesregierung auf, den Rüstungsexportbericht in Zukunft spätestens drei Monate nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres zu veröffentlichen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/9412) [externer Link] verlangt von der Regierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs, um Rüstungsexporte besser kontrollieren zu können. Außerdem müsse der Bundestag bei besonders "sensiblen Exporten" vor deren Genehmigung unterrichtet werden und eine Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten.

"Regierung hätte keinen wesentlichen Einfluss mehr"

Für die militärische Luftfahrt erklärte die Organisation "AeroSpace and Defence", viele Rüstungsgüter würden in Kooperation mit Nachbarländern hergestellt, die keine Einschaltung des Parlaments kennen würden. Würden Rüstungsentscheidungen in Deutschland kontroversen öffentlichen Diskussionen unterworfen, dann würden die Partnerländer versuchen, Deutschland in die Rolle des Zulieferers abzudrängen, "um zu verhindern, dass potenzielle Empfängerländer sich durch die kontroverse öffentliche Diskussion diskriminiert fühlen".

Die Bundesregierung hätte dann keinen wesentlichen Einfluss mehr auf die Exportentscheidung: "Der angestrebte parlamentarische Einfluss führt zur Einflusslosigkeit der Bundesregierung, vom Parlamentseinfluss ganz zu schweigen."

"Exportbestimmungen nicht ändern"

Wie die militärische Luftfahrtbranche empfahl auch der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, keine Änderungen an den "strengen deutschen Exportbestimmungen" vorzunehmen.

Das Internationale Konversionszentrum (BICC Bonn) beklagte die Abwesenheit einer öffentlichen Diskussion über das Für und Wider deutscher Rüstungsexporte: "Eine öffentliche Auseinandersetzung wird bislang insbesondere durch die sehr späte Veröffentlichung der jährlichen Rüstungsexportberichte der Bundesregierung sowie den geheim tagenden Bundessicherheitsrat erschwert." "Verantwortlichkeiten vernebeln sich"

Dr. Bernhard Moltmann (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) kritisierte, "mit dem Nebeneinander von Regelwerken, der Konkurrenz institutioneller Kompetenzen und der Verschränkung von einzelstaatlichen wie internationalen Mechanismen vernebeln sich Verantwortlichkeiten. Das stützt die Forderung nach Kohärenz und parlamentarischer Kontrolle".

Da Rüstungsgüter besonders langlebig seien, forderte Moltmann eine "wirksame Endverbleibskontrolle". Als großes Problem bezeichnete er auch die Vergabe von Lizenzen zur Rüstungsproduktion im Ausland. Das Lizenzproblem sei nur zu lösen, indem keine Lizenzen mehr vergeben würden. (hle/05.11.2012)

Liste der geladenen Sachverständigen
  • ASD Aero Space and Defence Industries Association of Europe
  • Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V.
  • Dr. Bernhard Moltmann, HSFK Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
  • Dr. Sebastian Roßner, Universität Düsseldorf (Juristische Fakultät)
  • Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
  • Internationales Konvesionszentrum (BICC), Bonn
Quelle: Informationsdienst des Deutschen Bundestages; www.bundestag.de

Ergänzende Bemerkungen der Fraktion Die Linke

[...] SPD und Grüne forderten in ihren Anträgen die Bundesregierung auf, den Bundestag im Genehmigungsverfahren von Rüstungsexporten stärker zu beteiligen bzw. umfassender als bisher zu informieren. Die Grünen gehen noch einen Schritt weiter und fordern z.B. ein Verbot der Lizenzvergabe zur Produktion von Kriegswaffen an Drittstaaten. Darüber hinaus sieht der Antrag der Grünen die gesetzliche Verankerung der „Politischen Grundsätze der BR für den Export von Rüstungsgütern und Kriegswaffen“ und des Gemeinsamen Standpunktes der EU in einem Rüstungsexportkontrollgesetz vor und ein damit verbundenes Verbandsklagerecht.

Das sind erstmal sinnvolle Forderungen, sie bleiben aus Sicht der Fraktion DIE LINKE jedoch auf halber Strecke stehen. Es ist kaum zu verstehen, warum die Grünen nicht auch ein dringend notwendiges Exportverbot von Kleinwaffen unterstützen – das sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Dies ist eine der Hauptforderungen der Fraktion DIE LINKE auf dem Weg hin zu einem vollständigen Verbot von Waffenexporten. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Jan van Aken, bezog dazu bereits im Frühjahr in einer Bundestagsrede Stellung.

Der Anhörung voraus gingen von allen Sachverständigen schriftlich abgegebene Stellungnahmen, die bereits in ihrem jeweiligem Umfang das Interesse von Rüstungsindustrie und Friedensbewegung an einer Debatte deutlich machten. Während sich letztere ausführlich mit den Forderungen der Anträge und ihrer Umsetzbarkeit befassten, setzten die Vertreter Rüstungsindustrie auf gerade einmal ein bis drei Seiten, um jede Kritik mit einem Verweis auf die sicherheitspolitische Bedeutung ihrer Branche und dem Verweis auf Bündnispflichten Deutschlands beiseite zu wischen.

Der Vertreter des Rüstungsverbandes ASD, Hesse, wies während der Fragerunde im Ausschuss darauf hin, dass etwa 50 Prozent der deutschen Exporte Zulieferungen an europäische Partner darstellen, die Deutschland im Rahmen von Rüstungskooperationen zur Lieferung vertraglich verpflichten und deren Nichteinhaltung mit Kosten in Form von Ausfall- bzw. Ersatzzahlungen sowie Verlust von Mitspracherechten der Regierung verbunden wären, die im Umkehrschluss auch die des Parlaments schwächen würden. In diesem Zusammenhang hob er hervor, dass die Genehmigung für Exporte in Drittländer nach wie vor den jeweiligen Regierungen der EU- Staaten vorbehalten ist, trotz der Vereinheitlichung der Exportrichtlinien auf europäischer Ebene. Dies setze jedoch voraus, dass bei Kooperationsprojekten Deutschland nicht zum reinen Zulieferanten werde, da es sonst die Kontrolle über den letztendlichen Export verlöre.

Herr Moltmann der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung HSFK sah gerade in der Rolle Deutschlands als Lieferant von Komponenten die entscheidende Möglichkeit für Konversion, also die Umstellung auf zivile Produktion.

Herr Adamovitsch, oberster Rüstungslobbyist beim BDSV und vormals Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, sprach im wörtlichen Sinne bemerkenswert positiv über die „strengen“ Rüstungsexportrichtlinien und hob die Vorbildlichkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Regierung bei Genehmigungsentscheidungen hervor und empfahl entsprechend, nichts an den bestehenden Regelungen zu verändern, diese sogar zum europäischen Standard zu erheben.

Diskussion löste vor allem die Frage nach der Geheimhaltung der Exportgenehmigungen unter den Anwesenden aus. Mit Ausnahme der Vertreter der Rüstungsindustrie waren sich jedoch Opposition sowie die Anzuhörenden darin einig, dass es keinen Eingriff in die Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung darstellt, wenn Genehmigungen nach ihrer Erteilung zeitnah bekannt gegeben werden. Bisher informiert die Bundesregierung den Bundestag über diese erst bis zu zwei Jahre später in ihrem Rüstungsexportbericht.

Jan van Aken von der Fraktion DIE LINKE wies auf die Frage von Herrn Lindner (FDP), ob Rüstungsexporte die Menschenrechte befördern bzw. es Hinweise darauf geben, dass Nicht-Lieferung eine Verletzung dieser verhindern konnten, darauf hin, dass die Lieferung von Grenzsicherungssystemen und Ausbildung von Grenzsoldaten in Saudi- Arabien durch Deutschland eben nicht verhinderten, dass der zuerst „nach rechtsstaatlichen Verfahren Festgenommene anschließend in einem Gefängnis gefoltert würde“.

Über die Anträge von SPD und Grünen wurde in dieser Sitzung letztlich nicht abgestimmt. Zu erwarten ist jedoch, dass sie mit Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt werden, wie dies bereits mit den vielen Anträgen der Fraktion DIE LINKE gegen Waffenexporte in den vergangenen zwei Jahren passiert ist. Erwähnt sei hierbei jedoch, dass auch unter Rot/Grün und Rot/Schwarz diesbezüglich keine Veränderungen zugunsten der Informationsrechte des Bundestages vorgenommen bzw. zugelassen wurden.

linksfraktion.de, 7. November 2012




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