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Eine kriegerische Idylle

Von Kaspar Surber *

Die Bodenseeregion ist beliebt als touristisches Ausflugsziel. Weniger bekannt ist, dass hier zahlreiche Rüstungsbetriebe Waffen herstellen. Diese gelangen auch in Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden.

Über allem schwebt der Zeppelin. Weiss in der Farbe, sanft im Flug. Seit ein paar Jahren sind wieder Rundflüge mit dem Luftschiff möglich, für einige Hundert Euro hinüber nach Konstanz oder hinauf nach St. Gallen. An diesem Freitagmorgen ist in Friedrichshafen ein leises Summen zu hören. Der Zeppelin zieht über die Uferanlage und macht die Postkartenidylle perfekt.

In einer Wohnung in Friedrichshafen sieht ein Mann schwarz. Er hat einen Stapel Fotos vor sich, legt eines auf den Tisch. Es zeigt Kinder an einem Sportplausch in der Gegend, auf ihren Leibchen das Firmenlogo von Tognum. Darauf folgt das Bild eines Panzers mit chinesischem Soldaten. «MTU/Tognum liefert Antriebe für den Panzer. Auf wen werden sie in China zielen? Auf Demonstranten? Auf Kinder?» Ein Foto zeigt eine Marzipanrakete mit der Aufschrift «50 Jahre Lenkflugkörper». Sie war das Dessert an einem Fest von Diehl Defence in Überlingen. «Hier die Iris-T im Original: Mit Infrarotkopf sucht sie selbst programmierte Ziele hinter dem eigenen Flugzeug.»

Der Mann möchte anonym bleiben. Die Waffenproduktion bringt Wohlstand in die Region. Er zeigt nach links und rechts: «Hinter den Wänden wohnen Angestellte mit ihren Familien.» Es sei heikel, die Rüstungsbetriebe zu kritisieren. «Als würde man mit einer Fackel durch einen Heustall gehen.»

Nicht um seinen Arbeitsplatz bangen muss Lothar Höfler aus Lindau. Der Siebzigjährige in Lederjacke ist längst umgestiegen: Aufgrund seiner Beschäftigung mit den Kriegen Deutschlands und der starken Friedensbewegung hat er Anfang der achtziger Jahre die Firma Liebherr in Lindau verlassen. Dort war er viele Jahre mit der Entwicklung und Betreuung von Ausrüstungsteilen für die deutsche Luftwaffe und ihre Verbündeten tätig. «Ich blicke zwar noch immer fasziniert zum Himmel, wenn ich das Brummen eines Flugzeugs höre», sagt Höfler. «Doch der Widerspruch zu meinen politischen Ansichten wurde zu gross.» Der Ingenieur machte sich selbstständig, baute fortan Blockheizkraftwerke.

Vor vier Jahren wurde die «Initiative gegen Waffen vom Bodensee» gegründet. Dreissig Leute unterstützen die Initiative, einige können sich mehr, andere weniger exponieren. Höfler erinnert sich an den Anfang: «Wir fuhren ins unabhängige Rüstungsinformationsbüro nach Freiburg im Breisgau und suchten nach Rüstungsbetrieben aus der Region. Wir studierten Geschäftsberichte und Zeitungsmeldungen, meist Erfolgsmeldungen: lobende Erwähnungen eines betrieblichen Jubiläums oder einer baulichen Erweiterung.» In zwei Jahren entstand auf der eigenen Website ein umfassendes Bild, genauer eine Karte: Der Bodensee ist nicht nur eine Tourismus-, sondern auch eine Rüstungsregion, mit mehr als fünfzehn Zulieferern und Produzenten und geschätzten 7000 Arbeitsplätzen. In Deutschland, in der Schweiz, nicht im Vorarlberg. In der Betriebswirtschaftslehre spricht man von einem «Cluster», einer Ballung von Unternehmen mit ähnlicher Ausrichtung und entsprechenden Synergien.

Kampfjet Eurofighter Typhoon, Kampfhubschrauber Eurocopter Tiger, Aufklärungsdrohne Eurohawk, Radschützenpanzer Piranha – es sind schwere Rüstungsgüter, für die wesentliche Bauteile um den See entwickelt und produziert werden. Dazu kommen Grossmotoren, Getriebe, Flugzeugfahrwerke und Steuersysteme, Feuerleit-, Flug- und Luftraumüberwachungssysteme, Granatwerfer, Lenkwaffen, Munition, Nachtsichtgeräte und Zelte (siehe Karte). Die meisten Firmen sind sowohl im zivilen wie im militärischen Geschäft, im Dual-Use-Geschäft, tätig. Die grössten liegen zwischen Überlingen, Friedrichshafen und Lindau: Diehl Defence, MTU/Tognum, EADS Cassidian, ZF sowie Liebherr Aerospace und Elektronik. Zum Teil sind über 1000 MitarbeiterInnen in den Betrieben für die Rüstung tätig. Der grösste Schweizer Betrieb ist die Mowag mit 900 Angestellten.

Der militante Graf

Alles begann mit Friedrich Graf von Zeppelin. Der Graf wird gerne als älterer, tollkühner Herr verklärt, der an den See kam, um seinen Traum vom Fliegen zu verwirklichen. Im Wasser verliefen Abstürze glimpflicher. Doch der Graf äusserte auch militante Sprüche wie: «Ganz England muss brennen!» Seine Luftschiffe bot er zuerst der Marine und dem Heer an. Im Ersten Weltkrieg wurden sie zur Aufklärung und Bombardierung genutzt. Erst nach dem Krieg folgte das Hoch der zivilen Luftschifffahrt, mit regelmässigen Kursen nach New York und Südamerika.

Weil die Luftschiffe einen geringen militärischen Nutzen hatten, liess der Graf eine Flugzeugabteilung unter Claude Dornier gründen. Daraus wurden die Dornier-Werke, die den Aufbau der NS-Luftwaffe wesentlich prägten und im Zweiten Weltkrieg Bomber und Aufklärer bauten. Für die Produktion von Zahnrädern entstand die ZF – im Zweiten Weltkrieg stellten hier Tausende ZwangsarbeiterInnen Getriebe für Ketten- und Radfahrzeuge her. Als Zulieferer für die Zeppeline war der Maybach-Motorenbau nach Friedrichshafen gekommen, die Firma besass später das Monopol auf Benzinmotoren für alle deutschen Panzer. Aus strategischen Gründen wurden schliesslich die Askania-Werke von Berlin nach Friedrichshafen verlegt, um einen Torpedo zu entwickeln.

Die Alliierten hatten Friedrichshafen lange als «industriell wichtigste Stadt ihrer Grösse» im Visier. Doch erst 1944 konnten sie ihren Bombern genügend Schutz bieten, um bis zur Rüstungsstadt im Süden zu fliegen: Rund 700 Menschen verloren bei den Angriffen ihr Leben. Die Waffenproduktion sollte dennoch weitergehen: 800 politische Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau mussten in Überlingen einen vier Kilometer langen Stollen in den Molassefels treiben. Die Rüstungsbetriebe sollten in den Berg verlagert werden. Mindestens 168 Gefangene überlebten Haft und Arbeitsbedingungen nicht.

«Das Fachpersonal blieb in der Region und das Wissen. Da knüpfte man beim Aufbau von Bundeswehr und Luftwaffe und einer neuen Rüstungsindustrie logischerweise wieder an», meint Ingenieur Höfler.

Den Kunden verpflichtet

Statt von einem Cluster könnte man von Ruinen in neuem Glanz sprechen. Dornier ist in der EADS aufgegangen. Die ZF blieb die ZF. Aus den Askania-Werken entstand Diehl Defence. Und die Maybach-Motorenwerke, die die Nazipanzer ins Rollen brachten, liefern heute als MTU/Tognum Panzermotoren und Antriebs- und Bordstromsysteme in fast die ganze Welt: Das Unterseeboot Tikuna in Brasilien, die Korvette Turunmaa in Finnland und das Patrouillenboot Jalalat in Pakistan sind alle mit Dieselmotoren aus Friedrichshafen betrieben. 2007 hat man ein Joint Venture mit Norinco unterzeichnet, einem der grössten Waffenproduzenten Chinas.

«Ich schaue das Thema immer aus der Perspektive der Opfer an», sagt der anonyme Mann. «Was wir hier bauen, fällt anderen auf den Kopf.» Er sagt das nicht als lockeren Spruch. Die Waffen lassen ihm keine Ruhe. «Ich will wissen, in welcher Fabrikhalle welches Teil hergestellt und in welchem Krieg es eingesetzt wird.»

Die Rüstungsbetriebe verbindet ihre Verschwiegenheit. Auf die Anfrage nach einer Betriebsbesichtigung antwortet EADS Cassidian in Immenstaad: «Leider können wir Standortbesichtigungen nicht anbieten, da wir gegenüber unseren Kunden zu besonderer Vertraulichkeit verpflichtet sind.» Bei Vectronix in Heerbrugg heisst es: «Eine Firmenbesichtigung ist aufgrund unserer konzernweiten Sicherheitsbestimmungen und Prozesse leider nicht möglich.»

Die Rüstungsbetriebe am oberen Schweizer Ufer gehen ebenfalls auf die Weltkriege zurück: Vectronix, das heute unter anderem Nachtsichtgeräte für Sniperteams produziert, entstand aus der Leica Geosystems, diese wiederum aus der Wild Heerbrugg: 1921 war Vermessungsingenieur Heinrich Wild aus Jena in die Schweiz zurückgekehrt. Dort hatte er bei Carl Zeiss gearbeitet, bis es in Deutschland wegen des Versailler Vertrags verboten wurde, Waffen zu produzieren. Wild spekulierte auf die Lücke, der Industrielle Jakob Schmidheiny unterstützte ihn als Kapitalgeber.

Flugzeugbauer Claude Dornier verlagerte wegen des Rüstungsverbots nach 1918 die Endproduktion von Friedrichshafen ins schweizerische Altenrhein. Eine klare Umgehung des Völkerrechts – unterstützt vom Schweizer Fremdenpolizeichef Heinrich Rothmund und deutschfreundlichen Kräften im Generalstab. Der Flugplatz entstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Firma in den Besitz von Claudio Caroni und hiess neu Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA). Zwei Erben dieser Gründung politisieren heute in Bern: Der Ausserrhoder FDP-Nationalrat Andrea Caroni ist der Enkel des ehemaligen FFA-Besitzers, der Thurgauer SVPler Peter Spuhler besitzt den Waggonbau.

Streit um den Leopard

Der Publizist Jürgen Grässlin ist Träger des Aachener Friedenspreises 2011 und «Deutschlands wohl prominentester Rüstungsgegner» («Der Spiegel»). Diesen Herbst erscheint sein «Schwarzbuch Waffenhandel». Die deutsche Rüstungsindustrie, erklärt Grässlin auf Anfrage, konzentriere sich auf Waffenstädte und -regionen: München, Bremen, Hamburg, Kassel, Oberndorf sowie die Bodenseeregion. Die Produktion sei heute sehr intensiv. «Der Tod ist ein Meister vom Bodensee», sagt Grässlin.

Umstritten an der Rüstungsproduktion ist besonders der Export. Deutschland wie die Schweiz kennen restriktive Ausfuhrbestimmungen: Waffen dürfen nur an Staaten verkauft werden, die die Menschenrechte einhalten. Die Käufer müssen vertraglich verpflichtet werden, das Material nicht weiter zu veräussern. In Deutschland sorgt seit letztem Sommer ein Geheimbeschluss von Kanzlerin Angela Merkel und dem Bundessicherheitsrat für Gesprächsstoff: 270 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 sollen nach Saudi-Arabien geliefert werden, wo gemäss Amnesty International Folterungen weitverbreitet sind. Wichtige Einzelteile für den Leopard kommen vom Bodensee: MTU Tognum liefert Motoren, ZF das Getriebe, ATM ComputerSysteme in Konstanz den Bordcomputer.

Bis 2014 will Deutschland auch einen Zaun in der Länge von 9000 Kilometern nach Saudi-Arabien liefern – ein Hinweis, dass die Zukunft der Waffenindustrie auch in der Grenzüberwachung gegen die Migration liegt.

Eine ähnliche Diskussion über Rüstungsexporte flammte in der Schweiz kurz im letzten Frühling auf, als Truppen aus Saudi-Arabien die Demokratiebewegung in Bahrain niederschlugen und dabei Piranha-Schützenpanzer der Mowag zum Einsatz kamen. Saudi-Arabien soll in den neunziger-Jahren Tausende solcher Fahrzeuge gekauft haben, 2009 hat die Schweiz einen Lieferstopp verhängt. Dieser gilt allerdings nicht für Ersatzteile.

Ansonsten ist die Rüstungskritik in der Schweiz seit der Abstimmungsniederlage der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) etwas leiser geworden. Vor drei Jahren wurde ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr von fast siebzig Prozent der StimmbürgerInnen abgelehnt. In Deutschland will die «Aktion Aufschrei» derzeit erreichen, dass Rüstungsexporte gemäss dem deutschen Grundgesetz verboten werden. Rüstungskritiker Grässlin meint: «Es kommt einiges in Bewegung.»

In Konstanz beispielsweise sorgte die Vereinbarung eines Gymnasiums, das seine SchülerInnen für Besichtigungen und Praktika in die Waffenschmiede EADS schicken will, für Unmut. Der Rektor rief darauf zu einer Diskussion zwischen Schule und Konzern. Auch die Presse war eingeladen, nur kam die falsche: Der Rektor liess die Redaktoren des lokalen Internetmagazins «Seemoz», das regelmässig über die Waffenfirmen berichtet, von der Polizei rauswerfen.

Der Zeppelin zieht weiter seine Bahnen. Am Hafen steht ihm zu Ehren ein Museum. Die Ausstellung zu den Kriegseinsätzen der Luftschiffe heisst «Hightech und Heldentum».

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 5. April 2012


Schweizer Waffenexporte

Das Geschäft wächst – Transparenz gefordert

Die Waffenexporte der Schweiz stiegen in den letzten zehn Jahren steil an: 2001 wurde Kriegsmaterial in der Höhe von 258 Millionen Franken exportiert, 2006 für 398 Millionen und 2011 für 873 Millionen. Der Anteil am Gesamtexportvolumen beträgt damit rund 0,4 Prozent, die Bedeutung der Rüstungsindustrie für die Gesamtwirtschaft bleibt eher marginal.

Hauptabnehmer waren 2011 die Arabischen Emirate, die für 250 Millionen unbewaffnete militärische Trainingsflugzeuge kauften. Zu einem ähnlich hohen Preis deckte sich Deutschland mit Waffen ein. Es folgen Italien, Belgien, Spanien und auf Platz sechs die USA. Der Handel mit Rüstungsgütern wird über das Kriegsmaterialgesetz kontrolliert. Darunter fallen lediglich Güter, die nur militärisch verwendbar sind. Alle anderen, also auch Dual-Use-Güter, die militärisch wie zivil genutzt werden können, fallen unter das weniger strikte Güterkontrollrecht. Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hätten beispielsweise die Trainingsflugzeuge für die Emirate nicht unter das Kriegsmaterialgesetz fallen müssen.

In einer Studie, die am kommenden Dienstag publiziert wird, hat das Forum Aussenpolitik (Foraus) das Kriegsmaterialgesetz überprüft. Demnach dürfen Waffen nicht an Staaten geliefert werden, die in einem internationalen Konflikt beteiligt sind oder in denen es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Gibt es tatsächlich, wie oft kritisiert, eine Unstimmigkeit zwischen der Gesetzgebung und der Praxis? Auslöser für die Studie waren Bilder von Munition der Schweizer Rüstungsfirma Ruag, die libysche Rebellen 2011 angeblich im Bürgerkrieg verwendeten. Die Studie kommt zu einem klaren Schluss: «Kriegsmaterialexporte an problematische Empfängerstaaten erfolgen nach wie vor. Zusicherungen von Importeuren von Schweizer Waffen, diese nicht an Drittstaaten zu verkaufen, verfehlen ihre Wirkung.» Die AutorInnen empfehlen dem Bund, das Kriegsmaterialgesetz strikt anzuwenden und auf Exporte in problematische Staaten zu verzichten. Auch Nichtwiederausfuhrerklärungen seien klar einzufordern und Verstösse zu sanktionieren. Ebenfalls soll Transparenz über die Waffendeals geschaffen werden: «Informationen über erteilte oder verweigerte Bewilligungen, verletzte Ausfuhrerklärungen, Kontrollbesuche im Ausland und Gründe für Lieferstopps müssen kommuniziert werden.»

(WOZ, 4. April 2012)




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