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Zügelloser deutscher Rüstungsexport: "massive Beihilfe zu Massenmord"

Stellungnahmen aus der Friedensbewegung zum neuen Rüstungsexportbericht der Bundesregierung


Am 20. November 2013 legte die Bundesregierung ihren Rüstungsexportbericht vor. Er behandelt das Kalenderjahr 2012. Hier geht es zum Rüstungsexportbericht 2012. Auf der Website des zuständigen Wirtschaftsministeriums wird der Bericht mit den Worten angepriesen: "Rüstungsexportgenehmigungen 2012 deutlich rückläufig". Die folgenden Stellungnahmen aus der Friedensbewegung sehen das etwas anders.
Dokumentiert werden die Pressemitteilungen.


Zügelloser deutscher Rüstungsexport

Merkel: Meisterin der traurigen Rekorde

Despotische Regime und Spannungsgebiete bevorzugt
Friedensratschlag fordert Verbot von Waffenexporten


Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Berlin/Kassel, 20. November 2013 - Anlässlich der Verabschiedung des Rüstungsexportberichts 2012 im schwarz-gelben Bundeskabinett erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Kleinwaffen töten laut UNICEF täglich 1.300 Menschen. 95 Prozent der Kriegsopfer werden laut dem Internationalen Roten Kreuz durch Handfeuerwaffen verursacht. Kofi Annan hat sie als „Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Deutschland gilt laut „Small Arms Survey“ 2010 als zweitgrößter Exporteur von militärisch und zivil genutzten „Kleinwaffen“ weltweit!

Die Regierung unter Angela Merkel stellte 2012 überdies traurige neue Rekorde auf.

Die Liefergenehmigungen von militärischen „Kleinwaffen“ in Länder außerhalb von EU und NATO („Drittländer“) waren 2012 mit 37 Millionen Euro so hoch wie noch nie. Auch der Genehmigungswert für sämtliche deutsche Kleinwaffenexporte in Höhe von 76,5 Millionen Euro stellt einen traurigen historischen Rekord dar. Da für Handfeuerwaffen wie Schnellfeuer- und Maschinengewehre eine Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren angenommen werden kann, ist es mit der im Entwurf der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen „möglichst unauslöschlichen Markierung“ auf „Kleinwaffen“, um „deren Nachverfolgbarkeit zu ermöglichen,“ nicht getan. Um dem Morden ein Ende zu setzen, hilft nur ein striktes Verbot des „Kleinwaffen“-Exports.

Zwar liegt der Wert der Einzelgenehmigungen für den Export von Rüstungsgütern mit 4,7 Milliarden Euro unter dem des Vorjahres (2011 waren es 5,4 Milliarden Euro), er liegt aber immer noch über dem Durchschnittswert der zehn Jahre davor. Aber auch hier verzeichnet die Regierung unter Angela Merkel 2012 einen traurigen Rekord: Mit 55 Prozent fiel der Anteil der Genehmigungen in „Drittländer“ (2,6 Milliarden Euro) noch nie so hoch aus. Insbesondere für den Export in „Drittländer“ gilt in den „Politischen Grundsätzen“ der Vorsatz für den deutschen Rüstungsexport, dass er „restriktiv gehandhabt“ wird. Begriffe scheinen für die Regierung Merkel nur Schall und Rauch.

Das despotische Saudi-Arabien führt erstmals die Liste der Länder an, in die die meisten Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern erteilt wurden. Mit 1,24 Milliarden Euro war der Genehmigungswert nach Saudi-Arabien noch nie so hoch wie 2012. Der Wert liegt über der Gesamtsumme sämtlicher 16 Vorjahre, seitdem Rüstungsexportberichte veröffentlicht werden. Wir haben es mit einer zügellosen Exportoffensive zu tun, mit der ein despotisches Regime offen unterstützt wird. Auch die größten Brocken bei den Genehmigungen von Kriegswaffen gehen an äußerst problematische Staaten: Irak, Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Beachtung der Menschenrechte und die Vorgabe der restriktiven Handhabung der Rüstungsexportrichtlinien sind unter Angela Merkel vollends unter die Räder gekommen. Für 6,5 Millionen Euro sind auch Genehmigungen für „Kleinwaffen“ nach Saudi-Arabien darunter. Die Schweiz hat Genehmigungen für Pistolenlieferungen nach Saudi-Arabien Anfang des Jahres mit der Begründung abgelehnt, dass damit Menschenrechtsverletzungen begangen werden könnten. Mit dieser „restriktiven“ Handhabe soll es in der Schweiz nach dem Willen des Bundes- und Ständerats nun aber Schluss sein, denn man will es den europäischen Nachbarn gleichtun, und in die „Wachstumsmärkte“ am Golf exportieren dürfen. Die europäische Konkurrenz sei durch ethische Überlegungen weit weniger eingeschränkt als die Schweiz, die dadurch ins Hintertreffen gerate und Arbeitsplätze gefährde, argumentiert die Rüstungslobby dort. Es zeigt sich wieder einmal: Auch über die Grenzen hinweg gilt: Die Profitgier der Rüstungskonzerne frisst die Moral.

Von den Ausfuhrgenehmigungen sind die im Jahr 2012 tatsächlich erfolgten Waffenexporte zu unterscheiden. Die Zahlen dazu zeigen einerseits einen Rückgang von 1,29 Mrd. EURO (2011) auf 0,946 Mrd. in 2012. Diese Zahlen erfassen allerdings nur „Kriegswaffen“, das sind Großwaffensysteme (wie Panzer, Schiffe oder Kampfflugzeuge) sowie Granaten und Gewehre, nicht aber Rüstungsgüter wie Militärfahrzeuge oder Militärelektronik. Der wertmäßige Rückgang ist aber auch deshalb nicht mit einem neuen Trend bei den Rüstungsexporten gleichzusetzen, weil die tatsächlich erfolgten Waffenexporte ständigen Schwankungen ausgesetzt sind. Das schwedische Friedensforschungsinstitut fasst daher in seinen Berichten immer die letzten fünf Jahre zusammen. Und da bleibt Deutschland weiterhin die Nummer 3 unter den größten Waffenhandelsstaaten der Welt. Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil der Waffen in „Drittstaaten“ geliefert wurde (knapp 60%). Hauptabnehmer waren Südkorea, Irak und Singapur – nicht gerade Garanten für die Einhaltung von Menschenrechten und zudem in „Spannungsgebieten“ gelegen, in die laut deutschen Rüstungsexportrichtlinien keine Waffen geliefert werden sollten.

Die künftige große Koalition hat vereinbart, künftig die Rüstungsexportberichte frühzeitiger zu veröffentlichen und außerdem jedes Jahr einen vorläufigen Zwischenbericht einzuschalten. Zusätzlich wird versprochen, über Beratungsergebnisse des geheim tagenden Bundessicherheitsrats (hier wird über Rüstungsexporte entschieden) zeitnah das Parlament zu unterrichten. Damit soll mehr Transparenz hergestellt werden. Mehr aber auch nicht. Es bleibt dabei. Dass der Bundessicherheitsrat entscheidet und die Öffentlichkeit im Nachhinein informiert wird. Demokratie sieht anders aus.

Die Friedensbewegung wird nicht aufhören, den Waffenhandel öffentlich anzuprangern. Rüstungsexporte müssen verboten, die Rüstungsproduktion eingeschränkt werden. Nur mit weniger Waffen kann den zahlreichen Kriegen und Bürgerkriegen auf der Welt allmählich die Grundlage entzogen werden.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Kassel)
Lühr Henken (Berlin)



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Scharfe Kritik am Rüstungsexportbericht 2012

Pressemitteilung der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“
Freiburg / Stuttgart / Berlin vom 20. November 2013

„Verdoppelung der Kleinwaffenexporte bedeutet massive Beihilfe zu Massenmord“
„Kriegswaffen für Saudi-Arabien sind aktiver Beitrag zur Christenverfolgung“


Mit äußerst scharfer Kritik kommentiert die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ den Rüstungsexportbericht 2012 der Bundesregierung.

„Qualitativ dokumentiert dieser Bericht eine massive Form der Beihilfe zu Massenmord mit deutschen Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Maschinengewehren“, erklärt Jürgen Grässlin, Sprecher der Aufschrei-Kampagne und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). „Die Verdoppelung dieser Kleinwaffenexporte auf 76,15 Mio. Euro ist schlichtweg erschreckend. Sie gibt menschenrechtsverletzenden Repressoren und kriegführenden Militärs in aller Welt die Mordwerkzeuge zur Unterdrückung der Demokratiebewegungen an die Hand“, so Grässlin. „Die christlich-liberale Regierungskoalition unter Führung von Angela Merkel hat somit skrupellos Scheindemokraten und Diktatoren mit Waffenlieferungen an der Macht gehalten und die Eskalation von Kriegen und Bürgerkriegen befördert.“

„Nur auf den ersten Blick scheint die Bundesregierung den Waffenhandel quantitativ zurückzufahren. De facto aber dokumentiert der Rüstungsexportbericht 2012 eine weitere Steigerung der Waffenhandelsgenehmigungen auf einen neuen Höchstwert“, kritisiert Paul Russmann, Sprecher der Aufschrei-Kampagne und Geschäftsführer von Ohne Rüstung Leben (ORL). „Denn der Gesamtwert der Exportgenehmigungen von 8,87 Mrd. Euro ist real höher als je zuvor.“ Russmann verweist darauf, dass der Wert des Vorjahres für Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen in Höhe von 10,8 Mrd. Euro mit einer einmaligen Computerumstellung im Bundesausfuhramt (BAFA) entschuldigt worden war. „Am dramatischsten sind die Rüstungslieferungen an die neue Top 1 Saudi-Arabien. Denn das menschenrechtsverletzende Königshaus in Riad rangiert beim Christenverfolgungsindex 2013 nach Nordkorea weltweit auf Platz 2.“ Aus ethischer und moralischer Sicht „sind derlei Waffentransfers zutiefst verwerflich“, so Russmann.

„Mit ihren Rüstungsexporten hat die vergangene Bundesregierung Öl ins Feuer der Konfliktaustragung in aller Welt gegossen. Die kommende Bundesregierung muss dem menschenverachtenden Waffenhandel endlich Einhalt gebieten“, sagt Harald Hellstern, Mitglied in der Rüstungsexportkommission der Deutschen Sektion von pax christi. Hellstern fordert im Namen der Aufschrei-Kampagne einen grundsätzlichen Stopp aller Exporte von Kriegswaffen und Rüstungsgütern, der in Artikel 26 (2) des Grundgesetzes festgeschrieben werden müsse.


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