Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Republikaner rebellieren gegen START-Vertrag mit Russland

RIA Novosti: "Es handelt sich bislang nicht um die Abrüstung, sondern um Kontrolle"

Von Andrej Fedjaschin *

Der Reset-Knopf wird endlich bei der Unterzeichnung des neuen START-Vertrags am 8. April in Prag gedrückt.

Richtiger wäre es vielleicht, von einem "Obama-Medwedew-Reset" zu sprechen, weil es auf dem Weg zum Neustart zwischen Russland und USA noch sehr viele Hindernisse gibt. Der Vertrag ist zwar im Grunde perfekt, aber es ist noch nicht ganz klar, wann man ihm "das Laufen" beibringen wird. Genauer gesagt, wann der Senat im US-Kongress ihn ratifizieren wird.

In gegenseitigem Einvernehmen wird das Dokument den Parlamenten gleichzeitig übergeben, und zwar sofort nach der Unterzeichnung. In Amerika werden ihm sehr viele verärgerte Senatoren im Wege stehen.

Einzelheiten sind nur in den groben Zügen bekannt, dennoch haben bereits alle 41 Republikaner im US-Senat erklärt, den Vertrag aus zwei Gründen abzulehnen. Sie würden ihn nicht ratifizieren, wenn erstens die Administration nicht eine radikale Modernisierung der US-Interkontinentalraketen vornehme und wenn sie zweitens die Verknüpfung zwischen den atomaren Offensivwaffen und dem Raketenabwehrsystem (ABM) nicht beseitige. Während Ersteres noch halbwegs machbar ist, erfordert das Zweitere Nachbesserungen am Vertrag, was Moskau kaum akzeptieren würde.

Russland hat ohnehin darauf eingehen müssen, dass die Verknüpfung zwischen dem Atomwaffenpotenzial und der Raketenabwehr im Vertrag nur symbolisch angedeutet ist. Statt eines strikten Verbots, das strategische Raketenabwehrsystem zu modernisieren (worauf Moskau von Anfang an bestand), wird in der Präambel auf den Zusammenhang zwischen den strategischen Offensivwaffen und der Raketenabwehr hingewiesen. Es wird konstatiert, dass Letzteres den Rüstungswettlauf bei Ersterem fördert. Gerade diese ziemlich philosophische Feststellung regt die Republikaner am stärksten auf und könnte dem Vertrag im Senat große Probleme bereiten.

Laut US-Verfassung muss der Senat sein Plazet zu allen internationalen Verträgen des Weißen Hauses geben. Dazu ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Obwohl die Demokraten derzeit die Oberhand im Senat haben, muss Obama noch sieben republikanische Senatoren für sich gewinnen.

Ein Wechsel von einem zum anderen Parteilager ist im Kongress keine Seltenheit. Allerdings sehen die Umstände derzeit nicht danach aus, Kompromisse einzugehen. Obama hat gerade seine Gesundheitsreform im Kongress durchgedrückt, die in den USA vielfach abgelehnt wird. Im November stehen Kongresswahlen an, die das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats betreffen.

Die Senatoren haben Obamas Gesundheitsreform gutgeheißen. Wenn sich die Republikaner jetzt (und sei es nur zum Teil) auch noch mit dem neuen START-Vertrag einverstanden erklären, werden sie neben den Vorwürfen, "sozialistische Medizin" einführen zu wollen, auch noch die Vorwürfe zu hören bekommen, Präsident Obama habe "die atomare Sicherheit zugunsten der Russen aufgegeben".

Das erschwert die Ratifizierung des neuen Abrüstungsabkommens im Senat. So kommt am Ende heraus: Von welcher Seite man den Vertrag auch immer betrachtet, es ist zweierlei, ihn "zur Welt zu bringen" und ihn zum "Laufen" zu bringen. Obama muss tief in die Waagschale greifen, um die republikanischen Senatoren zur Unterstützung des Abrüstungsvertrags zu bewegen. Mit warmen Worten allein ist es bestimmt nicht getan.

Freilich wird der "weite Interpretationsraum" der Vertragsbestimmungen (Ergebnis einer Geduldsarbeit der Juristen) wahrscheinlich beide Seiten befähigen, denselben Vertrag auf unterschiedliche Weise zu betrachten. So wurde in Moskau bereits bekannt gegeben, dass im Abkommen "in einer juristisch verpflichtenden Form die Bestimmung über die Verknüpfung zwischen den strategischen Offensiv- und den strategischen Defensivwaffen sowie über die zunehmende Wichtigkeit dieses Zusammenhangs nach Maßgabe der Begrenzung der strategischen Offensivwaffen fixiert sein wird".

Verteidigungsminister Robert Gates aber hat in Washington dem Kongress zugesichert, der neue Vertrag mit Russland behindere die US-Pläne zur Raketenabwehr nicht. "Das Raketenabwehrprogramm wird durch diesen Vertrag in keiner Weise beschränkt", sagte Gates.

Überhaupt ist der START-Nachfolgevertrag bei all seiner Bedeutsamkeit doch nur ein Symbol, der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Es stimmt zwar, dass die strategischen Atomwaffenarsenale um etwa 30 Prozent und die Träger um beinahe 59 Prozent (1550 Gefechtsköpfe und ungefähr 800 Träger auf jeder Seite) reduziert werden.

Aber von einer Verschrottung der Gefechtsköpfe ist keine Rede. Es handelt sich bislang nicht um die Abrüstung, sondern um Kontrolle. Die abgebauten Raketen und Gefechtsköpfe werden eingelagert und können bei Wunsch, wenn die US-Bemühungen im ABM-Bereich die Grenze des vernünftig "Zulässigen" doch überschreiten, wieder reaktiviert werden. In jedem Fall gibt Moskau dies ziemlich klar zu verstehen. Für Russland ist das übrigens nur von Vorteil, besonders angesichts des nicht ganz angemessenen Zustands der konventionellen Streitkräfte und ihrer technisch veralteten Ausrüstung.

Dennoch ist der Nachfolgevertrag nach George W. Bush ein großer Fortschritt. Denn um mit einer realen atomaren Abrüstung zu beginnen, gilt es, sie zuerst zumindest kontrollieren zu lernen. Im vorigen Jahrhundert gelang es uns bereits, die Atomwaffenarsenale zu reduzieren. Es ist an der Zeit, das auch in diesem Jahrhundert zu lernen. Immerhin gibt es in der Welt derzeit an die 23 000 strategische Atomgefechtsköpfe (90 Prozent bei den USA und Russland, der Rest in Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan und Israel).

Es ist noch ein recht weiter Weg von Prag bis zur wahren Abrüstung.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 30. März 2010; http://de.rian.ru


Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Abrüstung

Zur USA-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zur Seite "Raketenabwehr"

Zurück zur Homepage