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Vom Verhaltenskodex zum "Arms Trade Treaty"

UN-Generalversammlung beschließt Verhandlungen über ein internationales Waffenhandelsabkommen

Die 61. Sitzung der UN-Generalversammlung hat einen ersten Schritt getan, um eine UN-Konvention über den internationalen Waffenhandel auf den Weg zu bringen. Jedenfalls verabschiedete der Abrüstungsausschuss der GV am 26. Oktober 2006 eine entsprechende Resolution mit überwältigender Mehrheit. Der Resolutionsentwurf ist hier als pdf-Datei dokumentiert: "Towards an arms trade treaty".
Im Folgenden informeieren wir über den Vorgang in Form von Pressemeldungen von amnesty international sowie eines Kommentars von Robert Lindner, Kampagnenreferent bei Oxfam Deutschland.



amnesty international: Pressemitteilung

Vereinte Nationen: Überwältigende Zustimmung für Verhandlungen über ein internationales Waffenhandelsabkommen



Berlin, 27.10.2006: Mit einer unerwartet klaren Abstimmungsmehrheit haben die UNO-Mitgliedsstaaten gestern Nacht (26. Okt.) im Abrüstungsausschuss der Generalversammlung den ersten Schritt zu einem verbindlichen Übereinkommen zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern gemacht. Der so genannte "Arms Trade Treaty" soll künftig Transfers von Rüstungsgütern unterbinden, die zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden oder die Armut verstärken.

Die Abstimmung über diese UN-Resolution fand rund drei Jahre nach dem Start der weltweiten Kampagne "Waffen unter Kontrolle!" von amnesty international, Oxfam und IANSA statt. Darin haben über eine Million Menschen in 170 Ländern persönlich ein umfassendes Waffenhandelsabkommen auf völkerrechtlicher Grundlage gefordert.

Das Abstimmungsergebnis ist überwältigend: 139 Ja-Stimmen, nur eine Gegenstimme (USA) und 24 Enthaltungen. Unterstützung für die Resolution kam vor allem aus Afrika, Lateinamerika und Europa. Die Arbeit an dem neuen Abkommen kann im kommenden Frühjahr beginnen: Der neue Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, wird zunächst die Meinungen aller Mitgliedsstaaten dazu einholen und daraus einen Bericht erstellen, der die Grundlage für weitere Verhandlungen bilden wird.

"Mit diesem klaren Votum hat die Staatengemeinschaft nun eine historische Chance und eine Verpflichtung, das verbindliche internationale Waffenhandelsabkommen zu realisieren. Es muss strikte Regeln enthalten, die keine Ausnahmen zulassen. Nur so können künftig Rüstungstransfers unterbunden werden, die zu Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts führen", so Mathias John, Rüstungsexperte von amnesty international Deutschland.

Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland: "Seit Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt vor rund drei Jahren konkrete Vorschläge für ein Waffenhandelsabkommen vorgelegt haben, sind hunderttausende Menschen durch den Missbrauch konventioneller Waffen ums Leben gekommen. Ich hoffe, dass die Regierungen nicht weiter unnötig Zeit verstreichen lassen, bis das Abkommen unterzeichnet ist."

15 Nobelpreisträger hatten sich vor der Abstimmung öffentlich für die Zustimmung zur Resolution über das Waffenhandelsabkommen ausgesprochen, darunter Dr. Mohammad El Baradei, Shirin Ebadi, Dalai Lama, Rigoberta Menchú und Desmond Tutu.



15 Friedens-Nobelpreisträger mahnen UN-Mitglieder:

Kontrolliert den weltweiten Waffenhandel!

Berlin, 24. Oktober 2006 - Der Dalai Lama, Desmond Tutu, amnesty international und zwölf weitere Friedensnobelpreisträger haben die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, am kommenden Donnerstag in der UN-Generalversammlung mit ihrer Stimme den Weg für ein globales Übereinkommen zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern freizumachen. Die Preisträger wandten sich heute in einem entsprechenden offenen Brief an die Regierungen in der UNO. Die Abstimmung gilt als wegweisend für die weitere internationale Regulierung der Rüstungskontrolle.

Über 100 Regierungen haben bereits angekündigt, mit Ja zu stimmen - darunter auch Deutschland. Damit wäre eine Mehrheit in der Generalversammlung erreicht. Sollte die Resolution angenommen werden, könnten schon bald konkrete Verhandlungen für ein verbindliches Waffenhandelsabkommen unter dem Dach der Vereinten Nationen beginnen. Dies wäre ein entscheidender Schritt, um die erschreckenden Lücken und Schlupflöcher bei der Regulierung weltweiter Rüstungstransfers endlich zu schließen. Nur so kann verhindert werden, dass weiterhin Rüstungsgüter in großem Umfang zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden.

Mathias John, Rüstungsexperte von amnesty international Deutschland: "Wir sind überzeugt, dass die Zeit für ein internationales Waffenhandelsabkommen reif ist. Die Staatengemeinschaft steht vor einer historischen Entscheidung: Es liegt in ihrer Hand, künftig Rüstungsgeschäfte zu unterbinden, die zu Mord, Vergewaltigung und Vertreibung führen."

Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland: "Nichtregierungsorganisationen fordern das Waffenhandelsabkommen schon seit Jahren. Die UN-Generalversammlung muss morgen ein eindeutiges Votum treffen, damit der Prozess hin zu wirksamen Rüstungskontrollen unumkehrbar wird."

Folgende fünfzehn Friedens-Nobelpreisträger haben den offenen Brief unterzeichnet: American Friends Service Committee, amnesty international, Oscar Arias, Dr. Mohammad El Baradei, Shirin Ebadi, Adolfo Pérez Esquivel, José Ramos Horta, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Dalai Lama, Mairead Corrigan Maguire, Rigoberta Menchú, Desmond Tutu, Lech Walesa, Betty Williams und Jody Williams.

amnesty international, Oxfam und IANSA fordern seit 2003 in der weltweiten Kampagne "Waffen unter Kontrolle!" ("Control Arms"), Verbreitung und Missbrauch von Waffen einzudämmen und ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Kontrolle des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern ("Arms Trade Treaty") herbeizuführen.

Quelle: www2.amnesty.de




Gastkommentar:

Ende der Freiwilligkeit

Vom Verhaltenskodex zum "Arms Trade Treaty"

Von Robert Lindner *


Ende Juni werden sich hochrangige Regierungsvertreter in New York zwei Wochen lang über eine Neufassung des 2001 gestarteten UNO-Kleinwaffenaktionsprogramms beraten. Dieses freiwillige Instrument mag in gewissem Maß zur Eindämmung des weltweiten Waffenmissbrauchs beitragen, doch es kann der globalen Dimension des Problems auch künftig kaum gerecht werden. »Control Arms« fordert daher ein rechtlich verbindliches Kontrollabkommen zu Rüstungstransfers, den »Arms Trade Treaty«. Doch wozu überhaupt ein neues Vertragswerk – beweisen denn nicht die zahlreichen mehr oder weniger zahnlosen internationalen Verträge zu Abrüstung und Nichtverbreitung von ABC-Waffen, dass globale Kontrollversuche stets zwischen egoistischen Macht- und Wirtschaftsinteressen zerrieben werden?

Im Gegenteil, es ist eher erstaunlich, dass es bisher kein umfassendes Instrument zur Regelung aller Transfers von konventionellen Rüstungsgütern gibt: Schließlich gelten Pistolen, Schnellfeuergewehre, Artillerie und Panzer als die wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit. Je nach Schätzung sterben jedes Jahr weltweit mehrere hunderttausend Menschen durch deren Missbrauch.

Engagement und Druck der weltweiten Zivilgesellschaft führten im Jahr 1999 zur Ottawa-Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen. Trotz Verweigerung vieler mächtiger Staaten ist es eine Erfolgsgeschichte – zumindest die Exporte der tödlichsten Minenarten sind praktisch zum Erliegen gekommen.

Regierungen entwickelten in den letzten Jahren aus eigenem Interesse einige multilaterale Vereinbarungen, um Probleme wie den Kleinwaffenhandel oder den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Beispiele sind das Kleinwaffen-Dokument der OSZE oder das Wassenaar-Arrangement.

Alle diese Instrumente besitzen freiwilligen Charakter, sie beziehen sich meist nur auf bestimmte Waffenarten, und sie schließen in der Regel nur wenige »wohlmeinende« Staaten ein. Zudem ist ihre Umsetzung und Befolgung freiwillig. Skrupellose Personen oder Regierungen finden folglich nach wie vor leicht Schlupflöcher, um Waffen zu beschaffen.

Hoch im Kurs stehen derzeit regionale, politisch verbindliche Übereinkommen zur Regelung von Rüstungstransfers. Vorbild für eine Reihe anderer Regionen ist der EU-Verhaltenskodex zu Waffenausfuhren von 1998. Die EU plant, diesen Kodex demnächst in ein rechtlich verbindliches Instrument umzuwandeln. Bislang scheiterte dies am Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten. Ähnliche Hoffnungen verbinden sich mit dem ECOWAS-Moratorium zu Kleinwaffen in Westafrika, das zu einem umfassenden Transferkontrollabkommen weiterentwickelt werden soll.

Es gibt kein Allheilmittel zur Lösung der weltweiten Waffenkrise. Ein »Arms Trade Treaty« würde einen verbindlichen Rahmen vorgeben, an dem sich künftig alle regionalen und nationalen Regel- und Gesetzeswerke ausrichten müssten. Damit wäre endlich ein einklagbarer völkerrechtlicher Standard geschaffen, an dem jedes einzelne Kauf-, Verkauf- und Transitgeschäft gemessen und beurteilt werden müsste.

* Der Autor ist Kampagnenreferent bei Oxfam Deutschland.

Quelle: amnesty journal Juni 2006; www2.amnesty.de


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