"Es gibt Ansätze, die Hoffnung machen"
Weltsozialforum in Tunis berät über gemeinsame Strategie gegen "bösartige Verarmungsprogramme". Ein Gespräch mit Hugo Braun *
Hugo Braun ist Mitglied im Koordinierungskreis des Netzwerks ATTAC.
Sie werden am Weltsozialforum teilnehmen, das am morgigen Dienstag in Tunis beginnt. Was erwarten Sie in diesem Jahr von der Veranstaltung?
Ich gehe davon aus, dass wir in der Debatte über den Widerstand gegen das Spardiktat weiterkommen, das uns von den Neoliberalen weltweit aufgezwungen wird. Es gibt Ansätze, die Hoffnung machen, wie zum Beispiel die Blockupy-Proteste anlässlich der Eröffnungsfeier der Europäischen Zentralbank am vergangenen Mittwoch in Frankfurt am Main. In Frankreich, in den USA, in Südeuropa und Südamerika sowie in Indien gehen die Menschen gegen Kürzungen von Sozialleistungen und neoliberale Programme auf die Straße und organisieren sich. Mein Anliegen ist es, das auf dem Weltsozialforum zu einer gemeinsamen Strategie zusammenzuführen.
Wie könnte eine solche Strategie aussehen?
Wenn ich mir das Programm des Forums anschaue – ein dickes Buch –, dann wird es dort viele Ansätze geben, die Gemeinsamkeiten dieser Angriffe, dieser bösartigen Verarmungsprogramme herauszuarbeiten. Das könnte die Grundlage für gemeinsame Aktionen der sozialen Bewegungen sein.
Gibt es schon konkrete Pläne?
Es soll eine Kampagne gegen die Erpressung der südeuropäischen Staaten durch EU-Regierungen geben. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen wird sich hier in Tunis mit diesem Thema beschäftigen, einige davon werden von ATTAC organisiert. Außerdem ist eine sogenannte Konvergenzversammlung geplant, auf der mit allen Interessierten eine konkrete Kampagnenplanung entworfen werden soll.
Wer kommt zum Forum?
Aus Deutschland sind zum Beispiel die kirchliche Kampagne »Brot für die Welt«, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die DGB-Jugend aus Nordrhein-Westfalen vertreten. Letztere stellt ein umfangreiches Programm auf die Beine. Auch aus den anderen europäischen Ländern sind große Gewerkschaften vertreten. Und aus Italien zum Beispiel die traditionsreiche soziale Vereinigung ARCI, die mit über einer Million Mitgliedern seit langem eine wichtige Rolle in den sozialen Bewegungen spielt. Aus Griechenland kommen zum Beispiel viele ATTAC-Mitglieder. Außerdem sind Referenten der linken Regierungspartei Syriza angekündigt.
Im Nahen Osten und in Nordafrika haben die Menschen mit der Ausbreitung von Krieg und islamistischem Terror etwas andere Probleme als wir in der EU. Welche Rolle werden diese Entwicklungen auf dem Forum spielen?
Das Forum ist natürlich überschattet von dem grauenvollen Anschlag auf das Bardo-Museum hier in Tunis vor wenigen Tagen. Am Dienstag wird die traditionelle Auftaktdemonstration des Weltsozialforums diesmal vom Stadtzentrum zum besagten Museum führen. So soll die Solidarität mit den Opfern und der demokratischen Bewegung Tunesiens zum Ausdruck gebracht werden.
Ansonsten ist die Stimmung hier auffallend ruhig. Von Panik keine Spur. Sicherheitsmaßnahmen sind im Stadtbild kaum sichtbar. Allerdings wird das Zelt, in dem sich die Forumsteilnehmer auf dem zentralen Boulevard registrieren lassen können, sehr demonstrativ von schwerbewaffneten Sicherheitskräften bewacht.
Vor zwei Jahren hatte sich das Weltsozialforum schon einmal in Tunis getroffen, was eine wichtige Unterstützung für die dortigen sozialen Bewegungen und die Linke war. Andererseits hatten aber auch islamistische Gruppen versucht, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Wie stellt sich dies in diesem Jahr da?
Das lässt sich noch nicht absehen. Interessant ist allerdings, dass sich an den großen Protestaktionen gegen den Anschlag auch salafistische Gruppen beteiligt haben, die vor zwei Jahren noch sehr aggressiv gegenüber allen demokratischen Bewegungen aufgetreten sind. Ansonsten ist der Einfluss der tunesischen Linken auf das Forum deutlich. Am sichtbarsten ist die Front Populaire, ein Bündnis verschiedener kommunistischer und sozialistischer Parteien und Gruppen. Ihr Parlamentsabgeordneter Fatih Chamkhi, zugleich Vorsitzender von ATTAC Tunesien, tritt auf einer ganzen Reihe von Veranstaltungen als Sprecher auf.
Welche Rolle wird Afrika in Tunis spielen?
Eine große. In vielen afrikanischen Ländern formiert sich der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen, die ihnen von der EU aufgezwungen wurden. Deshalb organisieren ATTAC und die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Vorfeld des Forums in Tunis ein Seminar mit Aktivisten und Wissenschaftlern vor allem aus West- und Nordafrika sowie der EU, um über diese Abkommen und den Widerstand dagegen zu beraten.
Interview: Wolfgang Pomrehn
* Aus: junge Welt, Montag, 23. März 2015
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