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Durchbruch in Mittelost

Der Kampf um Ressourcen tobt weltweit, und Konzerneuropa ist dabei. Nun kann die EU erste bescheidene Erfolge beim zentralasiatischen Energiepoker vorweisen

Von Tomasz Konicz *

Kasachstan steht offenbar kurz davor, sich offiziell bei der westlichen Baku-Tbilissi-Ceyhan-Pipeline (BTC-Pipeline) zu engagieren. Eine entsprechende Meldung von Itar-Tass lief bereits am Donnerstag über die Nachrichtenticker. Die im Juni 2006 in Betrieb genommene Pipeline transportiert Erdöl aus Aserbaidschan über georgisches Territorium in den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Ziel des von den USA durchgesetzten und unter der Führung des britischen Energiemultis BP realisierten Projekts ist es, die russische Einflußsphäre beim Öltransport aus dem Mittleren Osten zu umgehen und die Energielieferanten der EU zu diversifizieren.

Umgehungsstrategie

Der erwähnten russischen Nachrichtenagentur zufolge soll das Kooperationsgesetz zwischen Kasachstan und Aserbaidschan über Lieferung kasachischen Erdöls an die BTC-Pipeline kurz vor seiner Verabschiedung stehen. Der bilaterale Vertrag sieht »den Aufbau eines neuen Transportsystems für kasachisches Erdöl über das Kaspische Meer zum System Baku-Tbilissi-Ceyhan vor«, ergänzte die ebenfalls russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Den bisherigen Planungen zufolge soll der kasachische Hafen Kuryk am Kaspischen Binnenmeer ausgebaut und an das Pipelinesystem des zentralasiatischen Landes angeschlossen werden. Von Kuryk aus soll das Rohöl mit Tankern gen Aserbaidschan und die BTC-Pipeline transportiert werden. Kasachstans Rohölvorkommen bei Kaschagan und Tengis im Kaspischen Schelf stellen laut RIA-Nowosti die »Ressourcenbasis« dieses Unterfangens.

Das 1740 Kilometer lange BTC-Pipelinesystem hat eine maximale Jahreskapazität von 50 Millionen Tonnen Rohöl. 2007 wurden indes nur etwas mehr als 28 Millionen Tonnen befördert. Zusätzliche kasachische Lieferungen sollen nun die volle Auslastung der Pipeline garantieren. Mit diesem Deal gelang es dem Westen erstmals, einen östlichen Anrainerstaat des Kaspischen Meeres zur Lieferung von Rohöl unter Umgehung russischen Territoriums zu verpflichten. Bislang dominierte die Russische Föderation diese geopolitische Schlüsselregion, da jegliche Exporte von Energieträgern gen Westen über das russische, aus Sowjetzeiten geerbte, Pipelinenetz gingen.

Einen ähnlichen Coup will die EU auch beim Erdgas gelandet haben – doch ist dies zumindest fraglich. Von einem »Durchbruch« sprach hingegen die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner Mitte April. Stolz verkündete sie, den turkmenischen Despoten Gurbanguly Berdimuhammedow anläßlich einer Staatsvisite überredet zu haben, der EU jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Gas zu liefern. Damit sei auch das Projekt der europäischen Nabucco-Pipeline einen »wichtigen ersten Schritt« vorangekommen, so Ferrero-Waldner.

Ähnlich der BTC-Ölleitung soll via Nabucco Erdgas über die Türkei in die EU geliefert und dabei russisches Territorium umgangen werden. Bisher krankte dieses Projekt daran, daß keine verbindlichen Lieferzusagen vorlagen. Sie muß aber mindestens 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr transportieren, um rentabel zu sein. Zudem steht die für 2013 geplante Nabucco-Leitung in Konkurrenz zur russisch-italienischen Pipeline »South Stream«, deren Projektierungen fortgeschrittener sind und die deutlich früher in Betrieb gehen soll. Dazu merkte die Financial Times an, daß es keineswegs klar sei, woher das turkmenische Erdgas stammen soll, das der EU von Berdimuhammedow versprochen wurde. Die derzeitigen Förderkapazitäten Turkmenistans von 50 Milliarden Kubikmetern jährlich seien bis 2028 durch Lieferverträge –hauptsächlich mit China und Rußland –gebunden, so daß zuerst weitere Erdgasreserven erschlossen werden müßten. Ob man tatsächlich bei den turkmenischen Lieferzusagen über zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas von einem »Durchbruch« sprechen kann, wird auch angesichts der Dimensionen beim Verbrauch der EU fraglich: 2006 verfeuerte Westeuropa ca. 500 Milliarden Kubikmeter. Davon lieferte Rußland allein 125 Milliarden.

Gas aus dem Irak

Um eine annähernde Kapazitätsausnutzung der geplanten, Rußland umgehenden, Nabucco-Pipeline zu gewährleisten, steht die Europäische Union sogar in Verhandlungen mit dem Irak. Am 16. April betonten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki in Brüssel, daß die Europäische Union und der Irak in »Energiefragen enger zusammenarbeiten« wollen. Die EU strebe laut Barroso eine »Energiepartnerschaft« mit dem von den USA besetzten Staat an. Vor allem bei der Frage eventueller Gaslieferungen würden »die Verhandlungen sehr gut laufen« und könnten »sehr bald abgeschlossen werden«. Aus EU-Kreisen hieß es dazu, dieses irakische Erdgas solle über die Nabucco-Pipeline befördert werden. Bislang habe der Irak den Europäern in einem »ersten Schritt die Lieferung von fünf Milliarden Kubikmetern« zugesagt, meldete die Nachrichtenagentur Reuters. Diese energiepolitischen Vorstöße der EU sollen durch ein bilaterales Handels- und Kooperationsabkommen mit dem Irak flankiert werden, dessen konkrete Ausgestaltung laut Barosso ebenfalls gut vorankomme. Al-Maliki könne »auf die Solidarität der EU und der EU-Kommission beim Aufbau eines friedlichen und wohlhabenden Irak« zählen, betonte Barroso.

* Aus: junge Welt, 28. April 2008


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