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Freiwillige fehlen

Der Zivildienst läuft aus, der Bundesfreiwilligendienst startet schleppend

Von Ines Wallrodt *

Der Zivildienst war eine praktische Sache, führte er doch unterfinanzierten Krankenhäusern und Altenheimen regelmäßig junge Männer zu, die für wenig Geld wichtige Arbeit leisteten. Nun muss man sie davon überzeugen. Bis jetzt mit mäßigem Erfolg.

Am 31. Mai hat Evelin Schwennicke die letzten beiden jungen Männer verabschiedet, die in ihrer Senioreneinrichtung Zivildienst geleistet hatten. Einer hatte in der Küche geholfen, der andere ging dem Hausmeister zur Hand, holte Rezepte von der Apotheke ab oder ist für einen Bewohner schnell mal in den Ort gesprungen, um Batterien zu besorgen. Nun ist die Leiterin des Altenheims im ostsächsischen Markranstädt beunruhigt. Denn freiwilligen Ersatz hat sie bis jetzt nicht gefunden. »Nicht einmal Anfragen habe ich bekommen«, klagt sie. Lediglich ein Rentner habe sich nach dem neuen Bundesfreiwilligendienst (BFD) erkundigt. Er wollte ewas dazu verdienen, ist aber wieder abgesprungen.

Vielen Einrichtungen für alte Menschen, Kinder, Behinderte geht es ähnlich. Sie versuchen bislang vergeblich, Bewerber für den neuen Freiwilligendienst zu finden, der ab dem 1. Juli den Zivildienst ersetzen soll, der im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht abgeschafft wird. So will die Arbeiterwohlfahrt (AWO), zu der Schwennickes Haus gehört, in diesem Jahr in Sachsen 143 Plätze besetzen. Seit 1. April wird versucht, mit einer Homepage und auf Facebook jungen Männern und Frauen den Dienst am Menschen schmackhaft zu machen. Doch die Resonanz ist dürftig: Eingegangen sind bis jetzt 20 Bewerbungen. Gerade einmal fünf Stellen konnte die AWO Sachsen zum Start des Bundesfreiwilligendienstes am morgigen Freitag besetzen.

Insgesamt haben die fünf großen Wohlfahrtsverbände bis jetzt etwas mehr als 1000 Zusagen. 30 mal mehr, nämlich 35 000, sind die Zielmarke des Bundesfamilienministeriums bis 2012. Staatssektretär Josef Hecken behauptet dennoch, das Interesse an dem neuen Dienst sei »enorm«. Im Herbst werde es einen »richtigen Schub« geben. Worauf Hecken setzt: Wenn junge Leute keinen Studien- oder Ausbildungsplatz finden, könnte das die Nachfrage steigern. Der Freiwilligendienst steht allen Altersgruppen offen und soll in der Regel zwischen sechs und 18 Monaten dauern. Dafür gibt es ein »Taschengeld« von höchstens 330 Euro im Monat.

Auch Timm Meike, der bei der AWO Sachsen für den BFD zuständig ist, will trotz des schleppenden Starts keine Panik verbreiten. »Wir werden vielleicht nicht alle, aber sicher noch einige Stellen besetzen können«, meint er. Es gebe noch viel Unsicherheit über das neue Angebot. So sei erst seit einer Woche überhaupt klar, in welchem Umfang der Bund die BFD-Stellen fördern werde. Zudem ist die Doppelstruktur für viele verwirrend. Denn mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) gibt es bereits die Möglichkeit, sich gemeinnützig zu engagieren. Den Wohlfahrtsverbänden wäre es daher lieber gewesen, das FSJ wäre ausgebaut worden. Dennoch glaubt AWO-Mann Timm Meike, dass alles noch in die Gänge kommt. So lange vieles in der Schwebe ist, sei das für Bewerber nicht attraktiv.

Altenheimleiterin Schwennicke zweifelt dagegen im Augenblick, dass dieses Angebot jemals attraktiv genug sein wird. »Unsere Zivis habe zwar gut gearbeitet, aber keiner wäre ganz freiwillig gekommen, zumal für dieses Entgelt«, sagt sie. Der Dienst am Menschen sei eben doch nur das kleinere Übel zum Dienst an der Waffe gewesen. Wer nicht mehr muss, hat nun Besseres vor. Die Wohlfahrtsverbände haben das befürchtet und waren deshalb gar nicht so erbaut vom Ende der Pflichtdienste. Zivildienst und FSJ fingen die Unterversorgung im Pflege- und Sozialbereich wenigstens etwas auf. Finden sich tatsächlich nicht genug billige Freiwillige, gehen die Verbände davon aus, dass »Zusatzleistungen« wegfallen müssen. Das wäre dann alles, was das Leben für Alte oder Behinderte angenehmer macht: Spaziergänge, Gespräche, Fahrdienste.

Auch auf die 100 Bewohner des Seniorenzentrums in Markranstädt könnten Einschränkungen zukommen. Zeitungsannoncen und Ankündigungen im Amtsblatt haben keine Interessenten gebracht, nun ist Evelin Schwennicke ratlos. Vielleicht wird sie Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis einstellen, »aber die sind nur 14,5 Stunden in der Woche da«. Wenn es gar nicht anders geht, müssen die Bewohner des Seniorenzentrums kleine »Zusatzwünsche« künftig zusätzlich bezahlen. Die Vorstellung klingt absurd. Batterien kosteten dann nicht mehr 1,99, sondern vielleicht fünf Euro, wegen der halben Stunde Weg zum Laden in der Stadt.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


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