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Abrüstung statt Sternenkrieg?

Die neue Weltraumpolitik der USA könnte den Weg zu Verhandlungen ebnen

Von Wolfgang Kötter *

Am 4. Oktober begann am New Yorker UNO-Hauptsitz der für Abrüstung und internationale Sicherheit zuständige Ausschuss seine Beratungen. Es war der Tag, an dem der Westen vor genau 53 Jahren mitten im Kalten Krieg den sogenannten "Sputnik-Schock" erlitt. Mit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten öffnete die Sowjetunion der Menschheit den Weg in den Weltraum. Doch ebenso machte sie damit deutlich, dass dieselben Interkontinentalraketen, die einen Sputnik ins All tragen, auch Atomsprengköpfe in jeden Winkel der Welt befördern können.

Damit begann eine erbitterte Rivalität im Kosmos, aber gleichzeitig steht seither die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum auf der Tagesordnung der internationalen Abrüstungsgremien in New York, Genf und Wien. Doch die bisher erzielten Ergebnisse reichen nicht aus. Bereits jahrzehntelang verabschiedet die UNO-Vollversammlung zu diesem Thema Resolutionen, die allerdings für die Staaten lediglich politische Empfehlungen sind. Der UN-Weltraumausschuss hingegen erarbeitete den rechtsverbindlichen Weltraumvertrag. Das Abkommen bestimmt den Mond und andere Himmelskörper als Gemeingut der Menschheit, erlaubt ausschließlich die gleichberechtigte, friedliche Erforschung und Nutzung zum Vorteil und im Interesse aller Länder. Zu allen Himmelskörpern ist ein uneingeschränkter Zugang zu gewährleisten. Ausdrücklich wird festgestellt, dass der Weltraum kein nationales Eigentum ist und keiner nationalen Hoheitsgewalt oder Besetzung unterliegt. Die Anwesenheit von atomaren und anderen Massenvernichtungswaffen auf einer Erdumlaufbahn und deren Stationierung im Weltraum ist verboten. Auf Himmelskörpern dürfen keine militärischen Stützpunkte errichtet oder Manöver und Waffentests durchgeführt werden. Zwar zählt der seit 1967 geltende Vertrag inzwischen 105 Mitgliedstaaten, aber er ist nicht umfassend. Der im Jahre 1979 abgeschlossene Mondvertrag spezifiziert die Verpflichtungen weiter. Das Abkommen verbietet die Anwendung und Androhung von Gewalt in Bezug auf die Erde, den Mond, auf Raumschiffe und deren Besatzungen sowie auf künstliche Weltraumprojekte. Nicht verboten sind allerdings durch den Kosmos fliegende ballistische Raketen sowie Satelliten zur Kontrolle, Kommunikation und Aufklärung.

Die bestehenden völkerrechtlichen Regelungen setzen einer Militarisierung des Kosmos zwar bestimmte Grenzen, schließen sie aber nicht völlig aus. Denn wie der Weltraumvertrag beschränken sich auch der Teilteststoppvertrag und der Mondvertrag auf Massenvernichtungswaffen. Somit weist das Völkerrecht gefährliche Lücken auf, die zukünftig mit präzisionsgesteuerten Hightech- und Anti-Satelliten-Waffen gefüllt werden könnten. Die USA forcierten vor allem unter der Bush-Regierung gleich mehrere weltraumgestützten Rüstungsprojekte. Natürlich provozierte das Länder wie Russland, China, Frankreich und Japan, aber auch Brasilien, Indien, Iran, Nigeria und Pakistan ihrerseits zu Kontermaßnahmen. Weltweite Beunruhigung lösten beispielsweise zwei Vorfälle in jüngster Vergangenheit aus, bei denen sowohl die USA als auch China jeweils eigene Satelliten zu Testzwecken abschossen. Wenn es also nicht sehr schnell gelingt, das bestehende Rechtssystem zu erhalten und die juristischen Schlupflöcher zu schließen, droht möglicherweise ein neuer Rüstungswettlauf sowohl auf der Erde als auch in der Luft und im Weltraum.

"Angesichts seiner zunehmenden Bedeutung im Zivil- und Militärbereich kann der Weltraum in nächster Zukunft zum Schauplatz für ein neues Wettrüsten, eine mögliche Anwendung von Gewalt und sogar für Terroranschläge werden", warnen die russischen Militärexperten Alexej Arbatow und Wladimir Dworkin. Immer wieder verdeutlichen zudem militärische Aktionen, Unfälle und Beinahe-Katastrophen die Gefahren im All. Seit Beginn des Raumfahrtzeitalters wurden nach Angaben der Europäischen Weltraumorganisation ESA etwa 5.500 Satelliten in Erdumlaufbahnen geschossen. Davon sind zurzeit etwa noch 600 bis 700 funktionsfähig. Die übrigen sind entweder abgestürzt und in der Atmosphäre verglüht, oder rasen gemeinsam mit Überresten von Raketen, sowie Trümmern aus Explosionen und Kollisionen mit hohen Geschwindigkeiten um die Erde. Experten befürchten, dass die steigende Zahl von Raketentrümmern und Schrottsatelliten die friedliche Raumfahrt in nicht allzu ferner Zukunft völlig zum Erliegen bringen könnte.

Es wird also höchste Zeit zu handeln, doch im vergangenen Jahrzehnt bewegte sich in Sachen Abrüstung praktisch nichts. Das könnte sich nun ändern, denn die US-Regierung hat wie auch auf anderen Gebieten die abrüstungsfeindliche Position ihrer Vorgängerin korrigiert. Statt auf Konfrontation setzt die bereits im Sommer veröffentlichte neue Weltraumpolitik auf Kooperation. "Wir rüsten nicht mehr mit einem Gegner um die Wette, vielmehr besteht eines unserer Hauptziele darin, eine friedliche Zusammenarbeit im Weltraum zu fördern", erklärte Präsident Obama aus diesem Anlass. "Es ist das gemeinsame Interesse aller Staaten, im Weltraum verantwortungsbewusst zu handeln, um Unfälle, Fehleinschätzungen und Misstrauen verhindern zu helfen", heißt es in dem Strategiepapier. Die neue Politik befürwortet ausdrücklich Rüstungskontrollmaßnahmen, "wenn sie fair und effektiv kontrollierbar sind und die nationale Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten erhöhen."

Um einen Rüstungswettlauf im All zu verhindern, fordern Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen bereits seit langem einen waffenfreien Weltraum. Zu den vorgeschlagenen Schritten gehören unter anderem ein vertragliches Verbot von Stationierung und Einsatz aller Weltraumwaffen, eine Ächtung von Anti-Satelliten-Waffen und ein Verhaltenskodex für die friedliche Kosmosnutzung. Die UNO-Vollversammlung verabschiedete auf der vergangenen Tagung einhellig eine Resolution über Transparenz und Vertrauensbildung im All. Russland und China haben zudem in der Genfer Abrüstungskonferenz einen gemeinsamen Vertragsentwurf zum Waffen- und Gewaltverbot im Weltraum vorgelegt und mehrfach überarbeitet. Er enthält die Verpflichtung, keinerlei waffentragende Objekte auf erdnahe Umlaufbahnen zu bringen und nicht auf Himmelskörpern oder im All zu stationieren. Gegenüber Weltraumobjekten wird ein umfassender Gewaltverzicht erklärt und Vertragsverletzern darf keinerlei Unterstützung gewährt werden. Gleichzeitig sind vertrauensbildende Maßnahmen, Streitschlichtungsmechanismen und eine internationale Kontrollorganisation vorgesehen.

Völkerrechtliche Vereinbarungen zum Kosmos:

  • Der Teilteststoppvertrag (1963) verbietet u.a. auch Kernwaffentests und andere nukleare Explosionen im Weltraum;
  • Der Weltraumvertrag (1967) verbietet, atomare und andere Massenvernichtungswaffen und ihre Trägermittel im All zu stationieren. Der Mond und andere Himmelskörpern werde nicht für militärische Stützpunkte, Teststätten oder Manöver genutzt;
  • das Weltraumrettungsübereinkommen (1968) regelt die Gewährung von Hilfe für in Not geratene Raumfahrer und die Rückgabe von in den Weltraum gestarteten Gegenständen;
  • das Weltraumhaftungsübereinkommen (1972) gewährt angemessenen Schadensersatz für durch Weltraumgegenstände verursachte Schäden;
  • das Weltraumregistrierungsübereinkommen (1975) erleichtert die Identifizierung von in den Weltraum gestarteten Gegenständen;
  • der Mondvertrag (1979) verpflichtet zur ausschließlich friedlichen Nutzung des Mondes und verbietet die Anwendung und Androhung von Gewalt in Bezug auf die Erde, den Mond, auf Raumschiffe und deren Besatzungen sowie auf künstliche Weltraumprojekte. Die Stationierung von Massenvernichtungswaffen auf dem Mond und im mondnahen Raum ist untersagt.

Weltraum-Zwischenfälle

  • Erstes Halbjahr 2010 - Laut dem Befehlshaber der russischen Weltraumtruppen Generalleutnant Oleg Ostapenko mussten diese im ersten Halbjahr 2010 mehr als 40 Mal vor einer gefährlichen Annäherung von Weltraumobjekten an die Internationale Raumstation ISS warnen.
  • 22. März 2009 - Weltraummüll fliegt auf die ISS zu. Die Astronauten ändern den Kurs der Station, um eine Kollision zu verhindern.
  • 12. März 2009 - Ein 2,5 Zentimeter großes Schrottteil treibt auf die ISS zu. Für ein Ausweichmanöver ist es zu spät. Die Astronauten flüchten in die angedockte Sojus-Kapsel, bis die Gefahr vorüber ist.
  • 10. Februar 2009 - Ein noch aktiver amerikanischer Nachrichtensatellit und der seit Jahren abgeschaltete russische Militärsatellit "Kosmos-2251" prallen in 780 Kilometern Höhe über dem Norden Sibiriens zusammen. Sie zerbersten völlig.
  • November 2008 - Bei der Reparatur eines defekten Sonnensegels der ISS verliert die US-Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper ihre Werkzeugtasche. Diese schwebt seither durchs All.
  • März 2008 - Von einer Rakete lösen sich nach dem Start vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan Teile und stürzen auf eine Weide im sibirischen Altai-Gebirge. Vier Pferde werden getötet.
  • März 2007 - Ein brennendes Stück Weltraumschrott verfehlt über dem Südpazifik ein chilenisches Passagierflugzeug nur um Sekunden.
  • Januar 2004 - Unbekannter Weltraummüll von der Größe eines Kleinwagens stürzt auf einen Acker im Norden Argentiniens.
  • Dezember 2002 - Ein Teil einer 1985 gestarteten Ariane-Rakete trifft ein Haus im afrikanischen Uganda, niemand wird verletzt.
  • Januar 2002 - Trümmer eines drei Tonnen schweren US-Forschungssatelliten stürzen im Norden des Persischen Golfs ab.
  • März 2001 - Die 15 Jahre alte russische Raumstation "Mir" stürzt kontrolliert in den Pazifik vor Neuseeland. Teile verglühen vor dem Einschlag wie ein Kometenschwarm in der Atmosphäre.
  • Februar 2000 - Ein mehrere hundert kg schweres Fragment einer von Russland gestarteten Proton-Trägerrakete schlägt neben dem Haus eines Dorfbewohners in Korgon (Westsibirien) ein.
  • März 1997 - Trümmer eines russischen Progress-Raumtransporters, der nach der gescheiterten Ankopplung an die "Mir" aufgegeben worden war, stürzen rund 7000 km westlich von Chile in den Pazifik.
  • November 1996 - Teile der fast sieben Tonnen schweren russischen Raumsonde "Mars 96" mit 270 Gramm Plutonium fallen nahe der Osterinseln in den Pazifik.
  • Januar 1995 - Der deutsch-japanische Satellit "Express" stürzt nach nur dreieinhalbstündigem Flug über Ghana ab. Die Raumkapsel wird erst neun Monate später gefunden.


* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - unter dem Titel "Stoppschilder für den Sternenkrieg gesucht" im "Neuen Deutschland" vom 5. Oktober 2010


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