War Games 2002
Noch sind anstatt der thermonuklearen "nur" thermobarische Bomben im Einsatz
Von Ekkehard Jänicke
16.03.2002
Lange bevor man an das Internet dachte, betätigte sich der Schüler
David Lightman bereits als Hacker. Computerspiele üben auf ihn eine
besondere Anziehungskraft aus. So versucht er sofort, sich in den
Rechner einer Firma einzulocken. Dabei landet er jedoch zufällig in
einem System, in dem man merkwürdige Spiele wie "Weltweiter
thermonuklearer Krieg" spielen kann. Womit er nicht rechnet: Es handelt
sich hier um keine Simulation, sondern er ist direkt im Rechner des
US-Verteidigungsministerium eingeloggt.
Was 1982 Regisseur John Badham in War Games noch als Utopie erschien,
wirkt heute wie US-Realität, jedoch mit einem Unterschied, kein
Computer mit dem unschuldigen Namen "Joshua" will das Spiel nun
unbedingt zu Ende spielen und riskiert für die Erde den 3. Weltkrieg
und den atomaren Overkill, sondern es sind leibhaftige Minister und
"Berater" des US-Präsidenten. Noch spielen sie praktisch "nur
thermobarisch" und nur theoretisch thermonuklear.
Globale Suche nach Unterirdischen
Eine ungeheure Maschinerie von Spionagesatelliten, seismographischen
Stationen und Erdsonar- und Wärmedetektoren der USA konzentriert sich
weltweit auf das Leben im Untergrund, nicht nur und nicht erst seit der
Suche nach Bin Laden, wie MSNBC [1]feststellte.
Selbst in der Nacht und bei schlechtem Wetter sind die amerikanischen
Hightech-Krieger längst nicht mehr blind. Aufklärungsflugzeuge sind mit
Sensoren ausgestattet, die Temperaturunterschiede und Magnetfelder
registrieren können. Dies erlaubt es einerseits, Bewegungen von
Menschen auch in der Dunkelheit auszumachen. Andererseits lässt sich
erkennen, ob Höhlen oder Tunnel bewohnt sind. Denn Belüftungsschächte
lassen vor allem im Winter leicht erkennbare Abwärme entweichen, auch
wenn die Verstecke tief unter dem Boden sind. MSNBC vermutet, dass auch
das umstrittene HAARP-Projekt in [2]Alaska , in die Überwachung
weltweiter unterirdischer Aktivitäten eingebunden ist ( [3]Heiße
Elektronen; [4]Krieg im 21. Jahrhundert).
Sind die Zufluchtsorte erst einmal bekannt - unterirdische Anlagen
natürlichen wie künstlichen Ursprungs sind weltweit [5]bekannt oder
[6]Human Underground -, steht den USA ein riesiges Arsenal an potenten
nuklearen wie konventionellen [7]Angriffswaffen zur Verfügung.
Schon oft eingesetzt worden sind die so genannten "Bunker Buster",
Laser gelenkte Bomben, die bis zu 30 Meter tief in den Boden eindringen
können, bevor sie explodieren. Im Einsatz stehen offenbar auch schon
eine mehr als doppelt so starke Bunkerbombe mit 60 Meter Tiefgang sowie
eine neuartige Schnellfeuerkanone, die selbst meterdicken Fels und
Beton durchdringen kann.
Thermobarische Druckwellen
Die USA setzten in der ostafghanischen Region um die Bergfestung Tora
Bora die größte konventionelle Bombe der Welt ein. Seit dem
Vietnam-Krieg heißt sie [8]Daisy Cutter, weil die [9]Bombe im Dschungel
Bäume wie Gänseblümchen abmähte. Sie wurde in Vietnam vor allem zur
Schaffung von Landeplätzen im Dschungel verwendet, ist so groß wie ein
Mittelklasse-Auto und kann mit ihrer Zerstörungskraft eine zwei
Fußballfelder große Fläche verwüsten . Die populärwissenschaftlich
"Benzinbombe" titulierte und gefürchtete Waffe wird von Flugzeugen aus
mindestens 1.800 Metern Höhe abgeworfen, sinkt am Fallschirm zur Erde
und wird kurz vor der Landung gezündet. Im Feuerball des mit einer
gewaltigen Druckwelle explodierenden Luft-Benzin-Gemisches, das in der
neueren Version zur Erhöhung der Sprengkraft noch mit Aluminiumpulver
angereichert ist, wird alles Leben im Umkreis von 500 Metern
vernichtet. Im Golfkrieg 1991 wurde die Bombe, von der auch eine
verheerende psychologische Wirkung ausgeht, vor allem zur Räumung
irakischer Minenfelder eingesetzt.
Die weitaus verheerendste Wirkung haben indes die so genannten
thermobarischen Bomben. Sie bringen ein Benzin-Luft-Gemisch zur
Explosion und können als Lenkwaffen in geschlossenen Höhlen, Bunkern
und unterirdischen Anlagen wie z.B. U-Bahnschächten gezündet werden.
Hier verursachen solche Sprengsätze eine lange anhaltende Druckwelle,
die sich selbst durch weit verzweigte oder mit Stahltüren geschützte
Gänge ausdehnt und alles Leben und Material zerstört. Das Problem ist
nur, sie im Innern zu platzieren und detonieren zu lassen, damit sie
die gewünschte Wirkung entfalten können.
Joint Direct Attack Munition (JDAM), thermobarisch umgerüstet
An den Begriffsverwirrungen in den Medienberichten der letzten Wochen
ist nicht zuletzt die Desinformation des Pentagon schuld. Sowohl die
Flächenbombe "Daisy Cutter" wie auch die thermobarischen Lenkwaffen
sind thermobarische Bomben, Vakuumbomben oder "fuel air explosives"
(FAE). Beide entfalten Hitze und Druckwirkung, beide sind mit diversen
Aerosolen gefüllt.
Bei den im Hindukusch neu eingesetzten [10]thermobarischen
Bunkerbustern handelt es sich um herkömmliche Mk-83, BLU-109 oder Mk-84
Bomben, die mit einem Trägheits-Lenksystem und einem GPS-Empfänger
ausgestattet wurden. Sie werden, ungeachtet ihrer Sprengstoffladung,
als Joint Direct Attack Munition (JDAM) bezeichnet, thermobarisch macht
sie nur die Füllung mit einer explosiven Treibstoffmischung statt mit
herkömmlichen Sprengstoffen. Zu Beginn der Flugphase nach dem Abwurf
oder, besser, nach dem Start arbeitet ein Trägheitslenksystem, in das
die Zielkoordinaten vor dem Start des Trägerflugzeugs oder später per
Funk eingegeben werden. Die Zielkoordinaten von
Fernaufklärungsflugzeugen oder Satelliten können ebenfalls verwendet
werden. In der Endflugphase geht die Bombe mit Hilfe des aktiven
Selbststeuerungskopfes - das Allwetter-Leitsystem für die JDAM-Einheit
verfügt über interne Sensoren, Gyroskope kombiniert mit einer geheimen
militärischen Version eines GPS-Empfängers zur Selbststeuerung über.
Somit werden "primitive" Freifallbomben in intelligente
Präzisionswaffen konvertiert. Hersteller ist der [11]Boeing-Konzern, er
verspricht eine Garantie von 20 Jahren. Folgende Namen sind vergeben
worden:
GBU-29 = Mk-80 (113 Kilogramm)
GBU-30 = Mk-81 (227 Kilogramm)
GBU-31 = Mk-83 (454 Kilogramm) = BLU-110
GBU-32 = Mk-84 (908 Kilogramm) = BLU-109
Die Mindestentfernung zum Ziel beim Entgleiten vom Trägerflugzeug
[12]beträgt 8 Kilometer, die Maximalentfernung 14 Kilometer. Die
Treffergenauigkeit wurde bisher mit max. Abweichung von 3 Metern vom
Ziel angegeben. Offenbar werden neuerdings auch noch zusätzlich
Elemente der Präzisonslasersteuerung verwendet, um die
Treffergenauigkeit bei unterirdischen Zielen zu erhöhen. Bei den beiden
in den letzten Wochen in Afghanistan unter großer Medienanteilnahme
eingesetzten Bomben muss es sich um solche Prototypen der von Lockheed
Martin produzierten [13]BLU-109 Bombe gehandelt haben, die mit einer
speziellen Aerosolmischung geladen war. Auch diese Bombe, als
BLU-118/B, manchmal auch als BLU-118/S bezeichnet, soll sich nur durch
die "Füllung" von der herkömmlichen BLU-109 [14]unterscheiden.
"The BLU-118/B uses the same penetrator body as the standard
BLU-109 weapon. The significant difference is the replacement of the
high explosive fill with a new thermobaric explosive that provides
increased lethality in confined spaces. The new warhead uses a Fuze
Munition Unit (FMU)-143J/B to initiate the explosive. The FMU-143 fuze
has been modified with a new booster and a 120-millisecond delay. All
weapon guidance systems and employment options currently used with the
BLU-109 warhead are compatible with the new BLU-118/B warhead."
Sie [15]verspricht allerdings "increased lethality" (erhöhte
Todesquoten) im Zielbereich. Aus Andeutungen des Pentagon kann
abgeleitet werden, dass beide Bomben neben Aerosolen zusätzlich auch
noch auch mit PLASTIC BONDED EXPLOSIVES" (PBX), also einer
[16]Komposition von granularen Sprengstoffen und [17]Polymeren geladen
gewesen sein könnten. Diese tödliche Mischung ist der ganze Stolz des
französischen Konzerns [18]SNPE Explosives & Propellants. Welche der
hier von SNPE unter High Explosives spezifizierten [19]Materialien in
Frage kommt, darüber wird noch heftig spekuliert. Nicht ungelegen
kommen der US-Kriegsforschung die [20]Erkenntnisse russischer
Pyrotechnik-Spezialisten, die nicht nur im Internet, sondern auch für
wenig Geld direkt zu bekommen sind.
Der II. Boeing-Krieg ist schon gewonnen
Boeing wins $480 million order for 'smart' bombs.
Mit einem neuen Auftrag in Höhe von 480 Millionen US-$480 für 11332
JDAM-Bomben, ob mit Sprengstoff oder Aerosol gefüllt nett als "smart"
Bomben umschrieben, zeigt sich Boeing schon als eigentlicher
Kriegsgewinner. Ferner zeigt der [21]Auftrag, dass die Bush-Regierung
offenbar vorhat, noch viele Bomben, thermobarisch wie konventionell, zu
werfen oder besser zu steuern. Angesichts der Monopolstellung des Firma
als Rüstungslieferant der US-Regierungen bezeichnet der
Politikwissenschaftler Douglas A. Van Belle von der University of New
Orleans den Afghanistankrieg gegenüber Telepolis als den zweiten
Boeing-Krieg. Der erste "Boeing War" fand für [22]Van Belle gemeinhin
als Kosovo-Krieg benannt gegen Jugoslawien statt.
Die globale thermobarische Vernichtungsfamilie
Britische wie russische thermobarische Arsenale sind [23]bekannt und
in Afghanistan wiederholt sich perfektioniert, was dort schon einmal
von Sowjet-Truppen versucht wurde und später von russischen Flugzeugen
über Tschetschenien fortgesetzt wurde. Große Bedenken sollte jedoch die
[24]Formulierung eines britischen Regierungsvertreters aus dem Jahr
2000 auslösen, man entwickle eine präzise thermobarische Waffe für den
Krieg in städtischem Umfeld:
"A spokesperson said the government was looking at procuring an
anti-structure weapon for use by infantry in urban areas which "may
involve a thermobaric solution."
Bei Betrachtung der engen Allianz zwischen dem US-amerikanischen und
britischen militärisch-industriellen Komplex könnten hier die Wurzeln
für eine 100 % tödliche Strategie des vorbereitenden oder zusätzlichen
thermobarischen Waffeneinsatzes in Kombination mit der nuklearen Option
versteckt liegen, auch bei künftigen Kriegen in städtischen Metropolen.
Selbst im tiefsten Bunker neben dem U-Bahn-Schacht gäbe es kein
Überleben mehr ( [25]Thermobarische Bomben und das Internationale
Recht).
Thermobarische Waffen = C-Waffen
Britische, russische und US-amerikanische Experten singen gemeinsam
das Rechtfertigungslied, bei den Waffen handele es sich doch um
erlaubte Waffensysteme, obwohl selbst Militärexperten wie Clay Risen
vom [26]Flakmagazine betont, die Waffe hinterlasse größere Mengen
toxischer Chemikalien, die nicht verbrennen und die Menschen wie
Ackerland nachhaltig vergiften.
The defence ministry spokesperson [27]said that unlike land mines,
thermobaric munitions were not outlawed by the Geneva Convention, and
that any weapons developed by Britain would be "in accordance with
international law."
Auch die qualvolle grausame [28]Todesart mit Verbrennungen,
zerplatzenden Lungen und Trommelfellen und Herausquellen der Augen aus
den Augenhöhlen erscheint nach dieser Betrachtungsweise human zu sein
und mit den Bestimmungen der Genfer Konvention überein zu stimmen.
Solche Bomben verwandeln Militärs und Politiker, die sie einsetzen
werden, zu Metzgern, kommentierte Simon Jenkins in [29]The Times. Auch
in der sog. Dritten Welt ist die Waffe bereits im gnadenlosen
Bürgerkriegseinsatz, siehe das Beispiel [30]Sri Lanka. Das Spiel
"weltweiter thermobarischer Krieg" hat tatsächlich schon begonnen.
Fußnoten/Links
[1] http://www.msnbc.com/news/663580.asp#BODY
[2] http://server5550.itd.nrl.navy.mil/projects/haarp/
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/7787/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11855/1.html
[5] http://www.sauderzone.com/ubtlinks.htm
[6] http://www.humanunderground.com/underground.html
[7] http://www.fas.org/man/dod-101/sys/dumb/index.html
[8] http://www.wpafb.af.mil/museum/arm/arm38.htm
[9] http://www.fas.org/man/dod-101/sys/dumb/blu-82.htm
[10] http://f22.virtualave.net/jdam.htm
[11] http://www.boeing.com/news/releases/2000/news_release_000224n.htm
[12] http://www.novalogic.co.uk/content_de/f22/weapons.html
[13]
http://www.missilesandfirecontrol.com/our_products/strikeweapons/BLU109/
product-blu109.html
[14] http://www.dtra.mil/news/fact/nw_thermo.html
[15]
http://www.globalsecurity.org/military/library/report/2001/010801-thermo
baric.htm
[16]
http://www.airforce-technology.com/contractors/weapons/snpe/index.html#s
npe4
[17]
http://www4.nationalacademies.org/beyond/germanbeyonddiscovery.nsf/web/p
olymers?OpenDocument
[18] http://www.insensitive-munitions.com
[19] http://www.explosives-propellants.com
[20] http://www.milparade.com/1998/26/046.htm
[21]
http://seattletimes.nwsource.com/html/boeingaerospace/134388721_boeing09
.html
[22] http://csf.colorado.edu/forums/isafp/99/msg00034.html
[23] http://www.theherald.co.uk/news/archive/5-1-19101-23-55-6.html
[24] http://www.100megsfree4.com/farshores/nhbomb.htm
[25] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12104/1.html
[26] http://www.flakmag.com/opinion/thermo.html
[27] http://www.100megsfree4.com/farshores/nhbomb.htm
[28] http://www.nypost.com/news/worldnews/7784.htm
[29] http://www.thetimes.co.uk/article/0,,248-69202,00.html
[30] http://www.sangam.org/ANALYSIS/Jeyaraj_8_20_01.htm
Aus: Telepolis, 16. März 2002
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/12103/1.html
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