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Streubomben geächtet - ein Erfolg mit Nebenwirkungen

111 Staaten unterzeichnen in Dublin eine Konvention - die noch längst nicht alle Probleme löst. Artikel, Interview und Kommentare


Deutschlands Streubomben-Politik:

Kein Krieg ohne uns

Die Bundesregierung begrüßt das Verbot von Streubomben als "Meilenstein". Doch tatsächlich hat Deutschland auf der Dubliner Konferenz weitreichende Ausnahmen bewirkt.

VON ANDREAS ZUMACH *


Für die in Dublin erzielte Einigung auf ein Abkommen zum Streubombenverbot hat "Deutschland eine Vorreiterrolle" gespielt, ließ Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag (29. Mai) erklären. Das ist wohl wahr. Allerdings ganz anders, als er dieses Selbstlob gemeint hat. Deutschland war der Vorreiter bei der Durchsetzung von Ausnahmen, die auch künftig bestimmte Typen von Streumunition erlauben und gemeinsame Militäroperationen mit Nichtvertragsstaaten gestatten, selbst wenn diese dabei Streubombenmunition einsetzen. Fast hätte Deutschland auch noch für das Streubombensystem M-85, das 95 Prozent der aktuellen Bestände der Bundeswehr ausmacht, eine Ausnahme oder wenigstens einen Aufschub bewirkt.

Vielen Beamten in der für Rüstungskontrolle und Abrüstung zuständigen Abteilung des Auswärtigen Amts ist die große Diskrepanz zwischen der schönen Abrüstungs- und Rüstungskontrollrhetorik ihres obersten Chefs und der tatsächlichen Rolle Deutschlands bei den Streubombenverhandlungen peinlich. Sie beklagen, dass ihr Ministerium nur formal die Federführung bei diesen oder anderen internationalen Verhandlungen über die Abschaffung oder Begrenzung bestimmter Waffen und Munitionstypen hat. Inhaltlich wurde die Linie Deutschlands bei derartigen Verhandlungen aber stets vom Verteidigungsministerium bestimmt. Und das vertritt die Interessen der Bundeswehr an der Beibehaltung bestimmter Waffen und Munitionstypen, weil diese aus militärischen oder bündnispolitischen Gründen angeblich unverzichtbar sind. Oder weil es den Interessen der Rüstungsindustrie entspricht.

Nur wenn kein solches Interesse vorlag, konnte das Außenministerium in der Vergangenheit die deutsche Verhandlungsposition bestimmen. Eines der wenigen Beispiele hierfür sind die Verhandlungen der UN-Abrüstungskonferenz über das 1993 vereinbarte Verbot von Chemiewaffen, bei denen sich der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher - im Konflikt mit den USA - für eine vollständige Abrüstung einsetzte.

Im aktuellen Fall wollte die Bundeswehr die M-85 behalten, weil sich Streubomben dazu eignen, bei militärischen Interventionen den Gegner aus sicherer Höhe und mit geringem Risiko für die eigenen Soldaten zu bekämpfen. Das deutsch-israelische Firmenkonsortium Rheinmetall/MI, das die M-85 produziert, hatte Interesse an weiteren Aufträgen aus Deutschland und anderen Ländern.

Die M-85 ist mit dem Abkommen von Dublin nun zwar verboten. Doch erlaubt bleibt auf Initiative Deutschlands ein Streubombentyp, dessen im Vertrag definierte technische Spezifikationen der ebenfalls in den Beständen der Bundeswehr befindlichen Smart-155 entsprechen. Diese von Panzerhaubitzen verschossene Streumunition wird hergestellt von der "Gesellschaft für intelligente Wirkungssteuerung". Dahinter verbergen sich die Rüstungskonzerne Rheinmetall und Diehl. Sie können sich nun ebenso Hoffnung auf zusätzlich Aufträge der Bundeswehr und anderer Streitkräfte machen wie die Rüstungsfirma Thyssen-Krupp, die die Panzerhaubitze 2.000 für den Verschuss der Smart-155 herstellt.

Der Streubombenvertrag erinnert in vieler Hinsicht an den 1997 vereinbarten "Ottawa-Vertrag" zum Verbot von Antipersonenminen. Auch damals war Deutschland wesentlich dafür mitverantwortlich, dass solche Typen von Antipersonenminen von dem Abkommen ausgenommen blieben, an deren weiterer Verwendung oder Entwicklung und Produktion Bundeswehr und Rüstungsindustrie Interesse hatten. Panzerabwehrminen wurden wegen Deutschland erst gar nicht in das Abkommen aufgenommen.

Auffallend groß ist die Diskrepanz auch bei den Kleinwaffen. Einerseits engagiert sich die Bundesregierung seit Jahren mit vielen guten Vorschlägen bei den UN-Beratungen über eine Kontrolle dieser Waffenkategorie, die 95 Prozent aller Toten und Verwundeten in den Kriegen der letzten 20 Jahre gefordert hat. Doch zugleich nehmen die Exporte von Kleinwaffen aus Deutschland in alle Welt beständig zu - seit dem Jahr 2000 mit jährlich zweistelligen Zuwachsraten. Und die Bundesregierung nutzt die unabhängig von einer erstrebenswerten internationalen Vereinbarung schon heute zur Verfügung stehenden nationalen Instrumente zur Eindämmung dieser Entwicklung nicht. Nach Russland und den USA ist Deutschland der drittgrößte Kleinwaffenexporteur der Welt. Das Präzisionsgewehr G-3 der Firma Heckler & Koch aus Oberndorf ist neben der russischen AK-47 das weltweit am meisten verbreitete Mordinstrument. Lizenzen für den Nachbau dieses Gewehrs wurden mit Unterstützung früherer Bundesregierungen an etliche andere Staaten vergeben. Und auch die zum Nachbau erforderliche Technologie des Nachfolgemodells G-36 ist inzwischen in Mexiko und wahrscheinlich auch in anderen Ländern gelandet.

Was für die Kleinwaffen gilt, trifft auch für den gesamten Bereich der Rüstungsexporte zu. Zwischen 1996 und 2007 - also auch schon unter der Regierung der rot-grünen Koalition - sind die deutschen Rüstungsausfuhren beständig angestiegen. Darunter vor allem auch die Rüstungsexporte in Kriegsgebiete, Krisenregionen sowie in die 48 ärmsten Staaten der Welt. Mit einem Exportwert von knapp acht Milliarden Euro pro Jahr ist Deutschland nach den USA und Russland inzwischen der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt, mit weitem Abstand vor Frankreich und Großbritannien.

* Aus: taz, 30. Mai 2008


Streubombenverbot light

Konferenz in Dublin einig: Keine "Cluster Bombs" mehr – außer bei NATO-Einsätzen. Rüstungsindustrie darf Neubestellungen erwarten

Von Frank Brendle *

Vertreter von 111 Staaten werden heute (30. Mai) in Dublin eine Konvention zur weitgehenden Ächtung von Streubomben unterzeichnen. Die Einigung auf der zehntägigen Konferenz kam in letzter Minute zustande, nachdem auf Druck von NATO-Staaten etliche Ausnahmeregelungen in das Abkommen eingebaut wurden. Nach Angaben von Beobachtern, darunter der Grünen-Politikerin Angelika Beer, hatte die Bundesregierung mit einem Scheitern der Verhandlungen gedroht, sollten die Forderungen nicht erfüllt werden. Dafür verzichtete Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) auf seine Position, »moderne« Streuwaffen mit niedriger Blindgängerquote zunächst behalten zu dürfen.

Der nun vereinbarte Beschluß soll im Dezember auf einem Treffen im norwegischen Oslo unterzeichnet werden. Verboten ist es dann nicht nur, Streubomben, sogenannte Cluster Bomb Units, herzustellen, sie zu erwerben und einzusetzen, sondern auch, sie zu lagern und zu transportieren. Für die Vernichtung der vorhandenen Bestände sieht das Abkommen eine Frist bis zum Jahr 2015 vor.

Das internationale Anti-Streubomben-Bündnis »Cluster Munition Coalition«, in dem Menschenrechtsorganisationen wie Handicap International, Human Rights Watch und medico international vertreten sind, begrüßte am Donnerstag die Einigung. Eva Maria Fischer von Handicap International sagte gegenüber junge Welt, für Deutschland bedeute der Beschluß, daß 95 Prozent des bestehenden Streuwaffenarsenals vernichtet werden müsse. Ein Erfolg sei auch, daß humanitäre Hilfe für Opfer von Streubomben beschlossen wurde, darunter medizinische Versorgung und Rehabilitierungsmaßnahmen. Die Organisation kritisierte aber die »weit offene Hintertür« des Abkommens. Das größte Manko besteht darin, daß die Hauptproduzenten von Streubomben an den Verhandlungen gar nicht teilgenommen haben: Die USA, Rußland, China, Israel, Indien und Pakistan. Für sie gilt die Einigung demnach nicht. Mehr noch: Ausdrücklich wurde festgelegt, daß die Vertragsstaaten bei gemeinsamen militärischen Operationen mit Nichtunterzeichnern freie Hand haben. Von Relevanz ist das vor allem für die NATO, deren europäische Mitglieder auch in Zukunft die Verwendung von Streumunition durch die US-Armee absichtsvoll unterstützen können. Konkret bedeutet das zum Beispiel, daß deutsche Aufklärungs-»Tornados« in Afghanistan weiterhin die Zielangaben für US-Streubombeneinsätze liefern können. Ebenfalls erlaubt bleiben Transport und Lagerung von US-Streubomben auf deutschem Boden. Ob ein Verkauf – statt Vernichtung – z.B. der deutschen Bestände an Nichtunterzeichnerstaaten durch den Vertrag ausgeschlossen wird, ist noch unklar.

Die Bundesregierung sprach gestern von einem »Meilenstein bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts«. Das Kleingedruckte sieht allerdings anders aus: Artikel 2 des Abkommens definiert bestimmte Typen von Streubomben kurzerhand aus dem Verbot heraus. Sofern bestimmte Kriterien erfüllt sind (weniger als zehn Subsprengkörper, jeder mindestens vier Kilogramm schwer und dazu bestimmt, »Einzelziele« anzugreifen) und die Waffen über Selbstzerstörer bzw. -entschärfer verfügen, sind sie auch in Zukunft erlaubt; außerdem fallen Streubomben, die ausschließlich zur »Luftverteidigung« dienen, nicht unter das Verbot. Genau solche Modelle befinden sich derzeit in Forschung und Entwicklung, so daß »Kollateralschäden« programmiert bleiben. »Damit kann die Bundeswehr einen Teil ihrer Streumunition, wie etwa SMART 155, nach wie vor einsetzen, und die deutsche Rüstungsindustrie kann weiterhin ihre High-Tech-Produkte auf den Weltmärkten verkaufen«, kritisiert die Abrüstungsexpertin der Linksfraktion, Inge Höger. Auch die Grüne Angelika Beer moniert die »zahlreichen Hintertürchen« des Abkommens.

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2008


"Lukratives Geschäft für Rüstungsindustrie"

BRD will mindestens 500 Millionen Euro in Modernisierung der Streubomben stecken. Ein Gespräch mit Thomas Küchenmeister

Thomas Küchenmeister ist Leiter des Aktionsbündnisses Landmine.de

Am Ende der Streubombenkonferenz in Dublin steht ein ziemlich löchriges »Verbot« einer Tod und Verstümmelung bringenden Waffengattung. Was überwiegt bei Ihnen, Freude oder Enttäuschung?

Einerseits kann man zufrieden sein, daß sämtliche Arten von Streumunition, die bislang eingesetzt wurden, mit diesem Vertrag geächtet werden. Daß dagegen alle noch nicht eingesetzten Munitionen und solche, die sich in Produktion und Entwicklung befinden, ausgenommen sind, ist natürlich hochproblematisch. Hier wird einer ganzen Kategorie von Waffen ein Persilschein ausgestellt, obwohl über die Auswirkungen ihres Einsatzes keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Bedauerlich ist außerdem, daß Streuminen und Dispenserwaffen, mit welchen Streumunition verlegt werden kann, ebensowenig unter das Verbot fallen.

Von den fraglichen Munitionstypen wird behauptet, sie richteten kein Unheil in der Zivilbevölkerung an. Kann man dem glauben?

Belege hierfür gibt es meines Wissens nicht. Anfragen unsererseits beim Auswärtigen Amt und beim Verteidigungsministerium, entsprechende Testergebnisse vorzulegen, sind stets mit dem Hinweis auf Geheimhaltungspflichten verweigert worden. Die Verantwortlichen wollen auch nicht zur Kenntnis nehmen, daß das moderne Kriegsgeschehen sich immer mehr in urbane Gebiete verlagert. Unter solchen Bedingungen kann auch die technisch ausgereifteste Streubombe über keine zuverlässige Freund-Feind-Unterscheidung verfügen.

Heißt das, eine Waffe mit zuverlässiger Freund-Feind-Unterscheidung wäre in Ihrem Sinne?

Unsere Aufgabe ist es nicht, irgendwelche Gütesiegel für Waffensysteme zu vergeben. Wir betrachten die Auswirkungen einer Waffe im Hinblick auf die Vorgaben des geltenden Völkerrechts, das die Zivilbevölkerung im Kriegsfall unter Schutz stellt. Wenn uns aber die entscheidenden Stellen Informationen über Art und Effekte eines Waffentyps vorenthalten, sollte man auf dessen unterstellte »Verläßlichkeit« nicht viel geben.

Ist der Vertrag von Dublin für die deutsche Rüstungsindustrie nicht nur ein Ansporn, modernere Streubomben zu bauen?

Es geht auch um eine Absicherung des Status quo nach dem Motto: Entwicklung und Produktion können weitergehen. Deutschland plant, mindestens 500 Millionen Euro in die Modernisierung seiner Streumunition zu stecken. Andere Länder werden dem Beispiel folgen. Für die Rüstungsindustrie zeichnet sich also ein sehr lukratives Geschäft ab.

Welche praktische Relevanz hat ein Vertrag, der für die Hauptproduzenten wie die USA, Rußland, Israel oder Indien keine Bedeutung hat?

Diese Frage stellt sich in der Tat. Andererseits: Auch wenn es nicht gelungen ist, Streubomben völlig zu verbieten, so wurde diese Waffe immerhin in einer Weise stigmatisiert, die ihren Einsatz für die Zukunft erschwert. Die USA sind auch nicht dem Ottawa-Vertrag über das Verbot von Antipersonenminen beigetreten. Trotzdem werden solche Waffen seit 1999 nicht mehr eingesetzt bzw. produziert. Eine politisch-moralische Druckwirkung kann ein Kollektivvertrag eben auch auf solche Länder haben, die keine Vertragspartner sind. Wir hoffen, daß sich das auch bei den Streubomben wiederholt.

Der Passus, der die Unterstützung von Nichtvertragsstaaten, die Streubomben einsetzen, erlaubt, wurde auf Druck Deutschlands durchgesetzt. Wie sehen Sie insgesamt die Rolle der BRD?

Keine Frage: Deutschland gehörte zu den Bremsern. Die deutschen Verhandler wollten ursprünglich noch viel mehr verhindern, mußten am Ende aber dem Druck der Mehrheit und vielleicht auch dem öffentlichen Druck nachgeben. Dabei denke ich auch an den TV-Bericht von Report Mainz über die Widersprüchlichkeit der deutschen Position in dieser Frage.

Die USA dürfen gemäß Vertragstext weiterhin auf deutschem Boden Streubomben bunkern, die völkerrechtswidrig im Irak zum Einsatz kommen können. Offenbart sich da nicht die ganze Heuchlerei der deutschen Position?

Es ist mit Abstand der schlechteste Kompromiß des Übereinkommens, daß die Möglichkeit der militärischen Zusammenarbeit mit Nichtvertragsstaaten gestattet bleiben soll. Faktisch kann man die anderen die Drecksarbeit machen lassen, ohne sich selbst die Finger zu beschmutzen. Ohne dieses Zugeständnis hätten aber wahrscheinlich Länder wie Australien, Kanada, Großbritannien und auch Deutschland den Vertrag nicht unterschrieben.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, 30. Mai 2008

Pressekommentare vom 30. Mai 2008

Die Frankfurter Rundschau hat sich zur Kommentierung des "Erfolgs" der Konferenz den stellvertretenden Chefredakteur der Salzburger Nachrichten geholt. Herausgekommen ist ein kritikloses Lob auf den "Sieg der Vernunft". Viktor Hermann schreibt u.a.:

Vertreter von mehr als hundert Staaten haben sich jetzt in Dublin auf ein Verbot dieser Streubomben geeinigt. Die Vereinbarung von Dublin verpflichtet auch die Unterzeichner zu Maßnahmen, um die Blindgänger zu finden und zu entschärfen, wo immer sie herumliegen mögen.
Zwar haben sich jene Länder nicht zur Konferenz nach Dublin getraut, die Streubomben in Massen herstellen und auch einsetzen - etwa die USA, Russland und China. Die Tatsache, dass mehr als hundert Staaten den Streubomben-Bann vereinbaren, sollte ausreichen, Eindruck auf diese Großmächte zu machen. Langfristig könnten auch sie zum Schluss kommen, dass selbst bei der Planung von Kriegen das Schicksal der Zivilisten nicht völlig gleichgültig sein kann.

Kritischer die Süddeutsche Zeitung, die in der Haltung der Bundesregierung zumindest "ein wenig" Heuchelei erkennt. Die SZ schreibt:

Das Ergebnis der Streubomben-Konferenz ist, was nicht überraschen kann, ein Kompromiss; einer jedoch, mit dem sich etwas anfangen lässt. Mehr als 100 Staaten haben sich auf ein Verbot dieser heimtückischen Waffen geeinigt. Der Bann ist schärfer ausgefallen, als es noch vor zehn Tagen zu erwarten war, und es wird auch keine Übergangsfristen geben. Die Bundesregierung bejubelt die Einigung als 'Meilenstein bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts'. Ein wenig geheuchelt ist das schon, denn zusammen mit den NATO-Verbündeten hat Berlin zwei Ausnahmeregeln durchgesetzt, die Kritikern als die wesentlichen Schwachpunkte der Konvention gelten: Technisch fortgeschrittene Munition, die punktgenau treffen soll, bleibt erlaubt; ebenso die Kooperation mit Streitkräften, die Streubomben einsetzen - ein Zugeständnis an die USA.

Der Kommentator (Wolfgang Kötter) im "Neuen Deutschland" sieht ebenfalls genauer hin und erkennt die Schlupflöcher, die dieser Vertrag den Staaten lässt. Sein Urteil ist entsprechend gemischt: Es ist ein begrüßenswertes "Verbot mit Hintertüren"

In Dublin geht die Konferenz über ein Verbot von Streumunition heute (30. Mai) mit einem Erfolg zu Ende. Nicht zuletzt dank einer engagierten internationalen Kampagne und gehörigem Druck aus den nationalen Parlamenten gelang es, auch »Problemstaaten« wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die zahlreiche Einwände, Vorbehalte und Ausnahmeforderungen erhoben hatten, zur vertraglichen Ächtung derart heimtückischer Munition zu bewegen. 111 Staaten verpflichten sich, Streumunition weder einzusetzen noch zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen oder zu lagern. Bahnbrechend sind auch die Vereinbarungen zur Opferhilfe, die nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch deren Familien einschließt.
Die Türen, dem Verbot auszuweichen, stehen allerdings gefährlich weit offen. Die größten Produzenten und Besitzer von Streumunition – die USA, Russland, China, Indien, Pakistan und Israel – nahmen gar nicht an den Verhandlungen teil. Und wenn etwa die USA bei NATO-Operationen Streumunition verwenden, dürfen auch Vertragsstaaten diesen Einsatz unterstützen. Überdies bleiben einige Typen von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen.
Kritik an diesen »Hintertüren« ist nur zu berechtigt. Dennoch herrscht in Dublin – ebenfalls mit Recht – Genugtuung angesichts des Fortschritts. Schon im Dezember wird man sich zur Vertragsunterzeichnung in Oslo wiedersehen.

Freude und Skepsis mischen sich auch in den Kommentar in der norwegischen Zeitung Dagsavisen aus Oslo. Es heißt dort u.a.:

Die Teilnehmer haben mehr erreicht, als man noch vor wenigen Tagen gedacht hätte. Der Wendepunkt war das Einlenken Großbritanniens. Premier Brown widersetzte sich seinen Armeeführern und versprach, alle Streubomben aus britischen Arsenalen zu entfernen und zu vernichten. Das nun beschlossene Verbot bezieht sich auf die meisten Waffen dieser Art, die derzeit in Umlauf sind. Eine Ausnahme gilt nur für eine neue Generation Streubomben, die von der Waffenindustrie als 'intelligente Waffen' bezeichnet werden. Bei so einer Bezeichnung ist freilich Skepsis angebracht, denn bislang hat sich keine Waffe als unfehlbar erwiesen."

Auch in Polen weiß man den Erfolg zu schätzen und doch auch skeptisch zu beurteilen. Die Gazeta Wyborczka nennt das Abkommen "einen großen Schritt, aber noch keinen Durchbruch" und kritisiert zugleich die Abwesenheit Polens:

Denn Staaten wie die USA, China, Russland, Indien, Pakistan oder Israel, die über die größten Streubombenvorräte verfügen, nahmen an der Konferenz nicht teil und wollen die Vereinbarung nicht unterzeichnen. Es ist zu hoffen, dass der internationale Druck auf diese Länder so groß wird, dass sie irgendwann ihre Einstellung ändern. Aber auch fünf von 27 EU-Ländern waren nicht in Dublin zugegen: Zypern, Griechenland, Lettland, Rumänien und Polen. Und Polen gehört sogar zum Kreis der Länder, die Streubomben produzieren."

Der österreichische "Standard" macht auch auf die "Ausnahmen" der Konvention aufmerksam, betont aber die segensreiche Wirkung des Verbots, wenn dadurch die "Neinsager" von der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt werden. Jan Dirk Herbermann schreibt:

(...) die Konvention von Dublin ist tatsächlich ein "großer Schritt". Allerdings ist die Welt von einem totalen Aus für die gefürchtete Waffe noch weit entfernt. Die Übereinkunft von Dublin erlaubt Ausnahmen. Einfallsreiche Militärs werden die Schlupflöcher finden. Außerdem wollen die großen Nutzer und Produzenten der Streubomben von einem Verbot nichts wissen. Die USA, Russland, China und auch Israel beharren auf der Option Streumunition. Ihre Streitkräfte können von den Sprengsätzen einfach nicht lassen. Das US-Verteidigungsministerium bestreitet sogar, dass besonders Zivilisten unter der Streumunition zu leiden hätten.
Jetzt sind die Staaten, die sich in Dublin geeinigt haben, wieder gefordert. Sie müssen den Neinsagern in den USA, in Russland, in China, in Israel und anderswo klarmachen: Streubomben zerstören das Leben unschuldiger Menschen, wahllos und gnadenlos. Streubomben gefährden aber auch den Ruf der Staaten, die sie einsetzen.




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