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Stoppschild für Streubomben

In Wien wird in dieser Woche über ein völkerrechtliches Verbot verhandelt

Von Wolfgang Kötter *

Im Wiener Ausstellungs- und Kongresscenter verhandeln in dieser Woche (4.-7.12.) Vertreter von über 100 Staaten Eckpunkte eines Vertrags zum Verbot von Streumunition. Zu dieser besonders hinterhältigen Waffenkategorie gehören die sogenannten "Cluster Bombs", die aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe bestehen. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch als Streumunition verschossen werden. Die Behälter öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", die kaum die Größe von Taschenlampenbatterien haben und deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann de facto zu langlebigen Landminen, die ganze Landstriche verseuchen. Die Salve eines Raketen-Werfers verstreut beispielsweise nahezu 8 000 Streumunitionen über eine Fläche von 200 Fußballfeldern.

Dem aktuellen von der Hilfsorganisation Handicap International vorgelegten Bericht "Circle of Impact" zufolge sind weltweit 400 Millionen Menschen in mindestens 30 Ländern von Streumunition betroffen. Offiziell registriert wurden bisher über 13 000 Tote und Verletzte, aber Experten schätzen die wirkliche Zahl wegen der enormen Dunkelziffer auf über Hunderttausend, 98 Prozent von ihnen sind Zivilisten. „Die Detonation einer Streubombe kann so heftig sein, dass sie einen Körper regelrecht in Stücke reißt“, so Francois de Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International Deutschland. Während des Libanon-Krieges im Sommer vergangenen Jahres setzten sowohl die israelische Armee als auch die Hisbollah-Miliz massenhaft Streumunition gegen Wohngebiete ein. Sie übersäten den Boden im Süden des Libanon mit über einer Million nicht explodierter Sprengkörper. Fast 90 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind minenverseucht. Mehr als 250 Menschen sind in Südlibanon bisher Opfer von Streumunition geworden. Mit einem Unfall beginnt für die betroffenen Menschen oft ein Teufelskreis, denn durch die medizinischen Folgekosten verarmen die ohnehin geschwächten Familien noch mehr. Für die behinderten und traumatisierten Überlebenden verringern sich die Bildungschancen und die Möglichkeiten zu arbeiten. Dadurch steigt erneut das Armutsrisiko.

Auch in Deutschland werden immer noch Streumunitionen hergestellt und exportiert. Die Bundeswehr verfügt über etwa 30 Millionen Stück derartiger Munition. Aktuelle Beschaffungsprogramme sehen sogar vor, für 215 Millionen Euro über 1000 Lenkraketen des Typs MARS-MLRS neu zu erwerben. In der internationalen Diskussion hat Deutschland einen Dreistufenplan vorgelegt, der lediglich den Verzicht auf „gefährliche Streumunition“ mit einer Fehlerquote von über einem Prozent vorsieht. „Es ist geradezu zynisch von ungefährlicher deutscher Streumunition zu sprechen, jede Munition ist gefährlich“, kritisiert Thomas Gebauer von medico international. Wenn Submunitionen millionenfach verstreut wird, bleiben auch bei den als „verlässlich“ bezeichneten Streumunitionen Hunderttausende für Zivilisten lebensgefährliche Blindgänger im Boden. Deshalb forderte das Europaparlament in einem Aufruf Ende Oktober ein umfassendes Verbot der Verwendung, Herstellung, Weitergabe und Lagerung von Streumunition. Selbst modernste Streumunition habe eine "unvertretbar hohe Blindgängerquote" und stelle eine hohe Gefahr für die Bevölkerung dar, so die Parlamentarier.

Ursprünglich sollte auch die Jahrestagung der Konvention über inhumane Waffen im vergangenen Monat über Verhandlungen zu Streumunition entscheiden. Vor allem betroffene Länder fordern dringlich ein umfassendes Verbot. Doch andere Staaten wie z.B. Russland und China lehnen die Aufnahme von rechtskräftigen Verhandlungen ab und sind lediglich zu unverbindlichen Gesprächen bereit. Gegen ein Verbot sprechen sich ebenfalls die USA, Indien, Pakistan und Brasilien aus. Herausgekommen ist deshalb nur eine Expertengruppe mit einem windelweichen Mandat, das weder einen klaren Auftrag für ein völkerrechtliches Verbot noch ein Zeitlimit enthält. Kritiker befürchten, dass es wie auch seinerzeit bei den Landminen lediglich um technische Anwendungsbeschränkungen und endlose Übergangsfristen im Interesse der Munitionsproduzenten und Anwender gehen wird.

Um der Verschleppungstaktik der Diplomaten offensiv zu begegnen, hat sich eine beeindruckende Gegenkraft formiert. Rund 200 Organisationen, darunter auch das deutsche Aktionsbündnis Landmine.de, haben sich zur "Cluster Munition Coalition" (CMC) vereint. „Nach fünf Jahren Reden haben es die Staaten nicht geschafft, eine Waffenart zu ächten, die Zivilisten bei ihrer Anwendung und noch lange nach Beendigung des Konflikts verstümmelt und tötet," begründet Koordinator Thomas Nash die Aktion. Die Nichtregierungsorganisationen riefen alle Staaten zu unverzüglichen Vertragsverhandlungen auf. In Norwegens Hauptstadt begannen im Februar die abrüstungswilligen Staaten den "Oslo-Prozess" und setzten ihn im Mai in Lima fort. Auf das jetzige Wiener Treffen folgen weitere in Wellington und Dublin, sodass noch im Jahr 2008 ein unterschriftsreifer Vertrag vorliegt. Er soll die Anwendung und den Transfer von Streumunition verbieten, zur Vernichtung bestehender Arsenale verpflichten und die Räumung minenverseuchter Gebiete ebenso einschließen wie die Hilfe für betroffene Opfer. „Ich erwarte einen starken Vertrag, der nicht nur diese Waffen verbietet, sondern auch die Opfer unterstützt“, meint Firoz Ali Alizada von Handicap International. Mit der Internationalen Koalition gegen Streumunition soll ein wirksamer politischer Druck erzeugt werden, um ein umfassendes Verbot zu erreichen. Es gibt bereits ein Beispiel dafür, dass das Vorhaben funktionieren kann: Die Ottawa-Konvention zum Verbot von Anti-Personenminen, die in dieser Woche ihren 10. Jahrestag begeht.

Das Aktionsbündnis Landmine.de fordert die Bundesregierung auf:

  • ein sofortiges Moratorium für die Verwendung, Lagerung, Herstellung, Verbringung und Ausfuhr aller Arten von Streumunition zu erklären, bis ein internationales Übereinkommen ausgehandelt ist;
  • ein sofortiges Verbot für den Einsatz, die Produktion, die Entwicklung, den Handel und den Transfer von nicht mit Selbstzerstörungsmechanismen ausgestatteter Streumunition zu erklären und diese zu vernichten;
  • sich für eine Weiterentwicklung und Präzisierung des Völkerrechtes einzusetzen, insbesondere wo es wahllose Angriffsmethoden und deren Auswirkungen auf Zivilisten reglementiert;
  • sich für die Weiterentwicklung von Protokoll V der Inhumane-Waffen-Konvention über die Räumungspflicht explosiver Kampfmittelrückstände im Sinne eines verbesserten und verbindlichen Schutzes der Zivilbevölkerung einzusetzen.
Quelle: Landmine.de



* Dieser Beitrag erschien gekürzt im "Neuen Deutschland" vom 4. Dezember 2007


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